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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

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und über das Denken.
vischen Verhältniße und Beziehungen hinzu kommen,
daß nemlich in uns das entstehet, was wir durch die
relativen Wörter bezeichnen; z. B. ein Ding ist ein
besonders Ding; ein Ding ist einerley mit einem an-
dern, oder verschieden von einem andern; ein Ding
ist Ursache oder Wirkung eines andern; es ist bey,
in, mit
und um ein anders; es folgt auf ihn, oder
geht vor ihm her, und so weiter; was hiezu erfodert
wird, ausser den Gefühlen und Vorstellungen, die dazu
auf eine gewisse Weise in uns eingerichtet seyn müssen,
das wird so angesehen, als entspringe es aus einer ei-
genen Quelle, und aus einem eigenen Grundvermögen, wel-
ches ganz eigentlich die Denkkraft genennet wird. So
sehen die mehresten die Sache an, und ich habe vorher
das Wort Denkkraft in dieser Bedeutung genommen,
und daher in der Verbindung dieser Kraft mit Gefühl
und Vorstellungskraft das gesammte Erkenntnißver-
mögen
gesetzet. Verschiedene nennen das ganze Er-
kenntnißvermögen, Denkkraft.

Die vornehmsten unter den einfachen Aeußerungen,
in denen die Denkkraft sich wirksam beweiset, sind das
Unterscheiden, das Gewahrnehmen, das Bezie-
hen der Dinge auf einander, Urtheilen, Folgern,
Schließen.
Wer etwas gewahrnimmt, denket. Da
zeiget sich die Denkkraft als ein Gewahrnehmungs-
vermögen.
Wer unterscheidet, denket. Da zei-
get sie sich, wie einige es nennen, als Unterscheidungs-
vermögen.
Wer die Dinge auf einander beziehet,
denket, und besitzet Beziehungsvermögen, Refle-
xion. Urtheilen, Schließen
sind ein Denken, und
Denkungsaktionen, und dann ist auch das Wort Er-
kennen
eins von denen, welche Grundbegriffe aus-
drücken.

Jn jeder dieser Aktionen offenbaret sich die Denk-
kraft von einer besondern Seite, und jedes der einzeln

Vermö-

und uͤber das Denken.
viſchen Verhaͤltniße und Beziehungen hinzu kommen,
daß nemlich in uns das entſtehet, was wir durch die
relativen Woͤrter bezeichnen; z. B. ein Ding iſt ein
beſonders Ding; ein Ding iſt einerley mit einem an-
dern, oder verſchieden von einem andern; ein Ding
iſt Urſache oder Wirkung eines andern; es iſt bey,
in, mit
und um ein anders; es folgt auf ihn, oder
geht vor ihm her, und ſo weiter; was hiezu erfodert
wird, auſſer den Gefuͤhlen und Vorſtellungen, die dazu
auf eine gewiſſe Weiſe in uns eingerichtet ſeyn muͤſſen,
das wird ſo angeſehen, als entſpringe es aus einer ei-
genen Quelle, und aus einem eigenen Grundvermoͤgen, wel-
ches ganz eigentlich die Denkkraft genennet wird. So
ſehen die mehreſten die Sache an, und ich habe vorher
das Wort Denkkraft in dieſer Bedeutung genommen,
und daher in der Verbindung dieſer Kraft mit Gefuͤhl
und Vorſtellungskraft das geſammte Erkenntnißver-
moͤgen
geſetzet. Verſchiedene nennen das ganze Er-
kenntnißvermoͤgen, Denkkraft.

Die vornehmſten unter den einfachen Aeußerungen,
in denen die Denkkraft ſich wirkſam beweiſet, ſind das
Unterſcheiden, das Gewahrnehmen, das Bezie-
hen der Dinge auf einander, Urtheilen, Folgern,
Schließen.
Wer etwas gewahrnimmt, denket. Da
zeiget ſich die Denkkraft als ein Gewahrnehmungs-
vermoͤgen.
Wer unterſcheidet, denket. Da zei-
get ſie ſich, wie einige es nennen, als Unterſcheidungs-
vermoͤgen.
Wer die Dinge auf einander beziehet,
denket, und beſitzet Beziehungsvermoͤgen, Refle-
xion. Urtheilen, Schließen
ſind ein Denken, und
Denkungsaktionen, und dann iſt auch das Wort Er-
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kraft von einer beſondern Seite, und jedes der einzeln

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[347/0407] und uͤber das Denken. viſchen Verhaͤltniße und Beziehungen hinzu kommen, daß nemlich in uns das entſtehet, was wir durch die relativen Woͤrter bezeichnen; z. B. ein Ding iſt ein beſonders Ding; ein Ding iſt einerley mit einem an- dern, oder verſchieden von einem andern; ein Ding iſt Urſache oder Wirkung eines andern; es iſt bey, in, mit und um ein anders; es folgt auf ihn, oder geht vor ihm her, und ſo weiter; was hiezu erfodert wird, auſſer den Gefuͤhlen und Vorſtellungen, die dazu auf eine gewiſſe Weiſe in uns eingerichtet ſeyn muͤſſen, das wird ſo angeſehen, als entſpringe es aus einer ei- genen Quelle, und aus einem eigenen Grundvermoͤgen, wel- ches ganz eigentlich die Denkkraft genennet wird. So ſehen die mehreſten die Sache an, und ich habe vorher das Wort Denkkraft in dieſer Bedeutung genommen, und daher in der Verbindung dieſer Kraft mit Gefuͤhl und Vorſtellungskraft das geſammte Erkenntnißver- moͤgen geſetzet. Verſchiedene nennen das ganze Er- kenntnißvermoͤgen, Denkkraft. Die vornehmſten unter den einfachen Aeußerungen, in denen die Denkkraft ſich wirkſam beweiſet, ſind das Unterſcheiden, das Gewahrnehmen, das Bezie- hen der Dinge auf einander, Urtheilen, Folgern, Schließen. Wer etwas gewahrnimmt, denket. Da zeiget ſich die Denkkraft als ein Gewahrnehmungs- vermoͤgen. Wer unterſcheidet, denket. Da zei- get ſie ſich, wie einige es nennen, als Unterſcheidungs- vermoͤgen. Wer die Dinge auf einander beziehet, denket, und beſitzet Beziehungsvermoͤgen, Refle- xion. Urtheilen, Schließen ſind ein Denken, und Denkungsaktionen, und dann iſt auch das Wort Er- kennen eins von denen, welche Grundbegriffe aus- druͤcken. Jn jeder dieſer Aktionen offenbaret ſich die Denk- kraft von einer beſondern Seite, und jedes der einzeln Vermoͤ-

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/407>, abgerufen am 21.11.2024.