Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.IV. Versuch. Ueber die Denkkraft der Substanz, von der Einheit und der Wirklichkeit,und andere, wozu uns kein äußerer Sinn von nöthen ist, wenn wir nur innere Empfindungen haben und aus die- sen gehörig abstrahiren könnten, als Ausnahmen von der gedachten Regel angesehen wissen. Es war offenbar ein Mißverstand zwischen ihm, und zwischen Locken, wie, zwar nicht alles, aber doch das meiste war, was in ih- rem Streit über die angebohren Jdeen zum Grunde lag, und eben so verhielt es sich in dem Streit des Locke mit dem des Cartes. Aristoteles mogte noch wohl Empfindung und Sinn auf die äußern Empfindun- gen und auf den äußern Sinn| eingeschränkt haben; al- lein Locke hatte sich deutlich genug erkläret, daß er nicht die äußern Empfindungen allein, sondern auch die in- nern Selbstgefühle unter der Benennung der Empfin- dungen befaßte. Außer jenen führte er auch die Refle- xion, das ist, die denkende Kraft der Seele, als eine Jdeenquelle an. Was die Jdeen von absoluten Sachen und Beschaffenheiten betrift, so kann der neuern Ein- wendungen des Hr. Reid, Beatties und und Oswalds ohnerachtet, die in der That auch kein einziges wirklich entgegenstehendes Beyspiel aufgebracht haben, es für entschieden angesehen werden, daß sie aus innern und äußern Empfindungen entspringen, und aus diesen das Bildliche her haben, was ihre Materie ausmacht. Nur wenn die Verhältnißideen den Jdeen des Absolu- ten entgegengesetzet werden, so kann es anfangs zweifel- haft scheinen, ob zu jenen, wie zu diesen der Stoff aus Empfindungen genommen werde? Aber der Zweifel verschwindet, sobald man auf die Entstehungsart der Verhältnißbegriffe zurücksieht. Dazu, daß eine Thä- tigkeit des Denkens sich äußert, und ein Urtheil oder Verhältnißgedanke entstehet, werden andere Vorstellun- gen der beurtheilten Gegenstände, und Veranlassungen und Reize für die Denkkraft, um wirksam zu werden, ersodert,
IV. Verſuch. Ueber die Denkkraft der Subſtanz, von der Einheit und der Wirklichkeit,und andere, wozu uns kein aͤußerer Sinn von noͤthen iſt, wenn wir nur innere Empfindungen haben und aus die- ſen gehoͤrig abſtrahiren koͤnnten, als Ausnahmen von der gedachten Regel angeſehen wiſſen. Es war offenbar ein Mißverſtand zwiſchen ihm, und zwiſchen Locken, wie, zwar nicht alles, aber doch das meiſte war, was in ih- rem Streit uͤber die angebohren Jdeen zum Grunde lag, und eben ſo verhielt es ſich in dem Streit des Locke mit dem des Cartes. Ariſtoteles mogte noch wohl Empfindung und Sinn auf die aͤußern Empfindun- gen und auf den aͤußern Sinn| eingeſchraͤnkt haben; al- lein Locke hatte ſich deutlich genug erklaͤret, daß er nicht die aͤußern Empfindungen allein, ſondern auch die in- nern Selbſtgefuͤhle unter der Benennung der Empfin- dungen befaßte. Außer jenen fuͤhrte er auch die Refle- xion, das iſt, die denkende Kraft der Seele, als eine Jdeenquelle an. Was die Jdeen von abſoluten Sachen und Beſchaffenheiten betrift, ſo kann der neuern Ein- wendungen des Hr. Reid, Beatties und und Oswalds ohnerachtet, die in der That auch kein einziges wirklich entgegenſtehendes Beyſpiel aufgebracht haben, es fuͤr entſchieden angeſehen werden, daß ſie aus innern und aͤußern Empfindungen entſpringen, und aus dieſen das Bildliche her haben, was ihre Materie ausmacht. Nur wenn die Verhaͤltnißideen den Jdeen des Abſolu- ten entgegengeſetzet werden, ſo kann es anfangs zweifel- haft ſcheinen, ob zu jenen, wie zu dieſen der Stoff aus Empfindungen genommen werde? Aber der Zweifel verſchwindet, ſobald man auf die Entſtehungsart der Verhaͤltnißbegriffe zuruͤckſieht. Dazu, daß eine Thaͤ- tigkeit des Denkens ſich aͤußert, und ein Urtheil oder Verhaͤltnißgedanke entſtehet, werden andere Vorſtellun- gen der beurtheilten Gegenſtaͤnde, und Veranlaſſungen und Reize fuͤr die Denkkraft, um wirkſam zu werden, erſodert,
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IV. Verſuch. Ueber die Denkkraft
der Subſtanz, von der Einheit und der Wirklichkeit,
und andere, wozu uns kein aͤußerer Sinn von noͤthen iſt,
wenn wir nur innere Empfindungen haben und aus die-
ſen gehoͤrig abſtrahiren koͤnnten, als Ausnahmen von der
gedachten Regel angeſehen wiſſen. Es war offenbar ein
Mißverſtand zwiſchen ihm, und zwiſchen Locken, wie,
zwar nicht alles, aber doch das meiſte war, was in ih-
rem Streit uͤber die angebohren Jdeen zum Grunde lag,
und eben ſo verhielt es ſich in dem Streit des Locke
mit dem des Cartes. Ariſtoteles mogte noch wohl
Empfindung und Sinn auf die aͤußern Empfindun-
gen und auf den aͤußern Sinn| eingeſchraͤnkt haben; al-
lein Locke hatte ſich deutlich genug erklaͤret, daß er nicht
die aͤußern Empfindungen allein, ſondern auch die in-
nern Selbſtgefuͤhle unter der Benennung der Empfin-
dungen befaßte. Außer jenen fuͤhrte er auch die Refle-
xion, das iſt, die denkende Kraft der Seele, als eine
Jdeenquelle an. Was die Jdeen von abſoluten Sachen
und Beſchaffenheiten betrift, ſo kann der neuern Ein-
wendungen des Hr. Reid, Beatties und und Oswalds
ohnerachtet, die in der That auch kein einziges wirklich
entgegenſtehendes Beyſpiel aufgebracht haben, es fuͤr
entſchieden angeſehen werden, daß ſie aus innern und
aͤußern Empfindungen entſpringen, und aus dieſen das
Bildliche her haben, was ihre Materie ausmacht. Nur
wenn die Verhaͤltnißideen den Jdeen des Abſolu-
ten entgegengeſetzet werden, ſo kann es anfangs zweifel-
haft ſcheinen, ob zu jenen, wie zu dieſen der Stoff aus
Empfindungen genommen werde? Aber der Zweifel
verſchwindet, ſobald man auf die Entſtehungsart der
Verhaͤltnißbegriffe zuruͤckſieht. Dazu, daß eine Thaͤ-
tigkeit des Denkens ſich aͤußert, und ein Urtheil oder
Verhaͤltnißgedanke entſtehet, werden andere Vorſtellun-
gen der beurtheilten Gegenſtaͤnde, und Veranlaſſungen
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