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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

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und Bewußtseyn.

Es giebt zwey unterschiedene Fälle. Zuweilen su-
chen wir ein Ding mit Fleiß und aus Absicht. Wir
wollen es auskennen und unterscheiden; das ist, wir su-
chen eine gewisse Beziehung unserer Jdeen, als das Re-
sultat unserer Vergleichungen und Ueberlegungen. Wir
nehmen es, wie wir sagen, gewahr, wenn sich der
gesuchte Gegenstand und das Verhältniß der Jdeen, das
wir erkennen wollen, uns darstellet. Wir werden ge-
wahr
da, wo uns etwas auffällt, das wir nicht gesucht
haben, wie etwann ein Freund, der unvermuthet uns
vor den Augen tritt.

Aber der Aktus des Gewahrnehmens, ist dieser
nicht in dem einen Fall dasselbige, was er in dem an-
dern ist, nur daß mehrere Vorarbeiten bey den Vorstel-
lungen und Jdeen in dem einen Fall vorhergehen, als
in dem andern? Archimedes mußte manche Verbin-
dungen von Jdeen im Kopf herumgehen lassen, ehe er
das Verhältniß der Kugel, des Cylinders und des Ke-
gels von gleicher Grundfläche und Höhe, gegeneinander
gewahrnahm. Diese Einsicht entstehet oft nur nach und
nach. Man muthmaßet sie vorher, siehet sie in der
Ferne noch dunkel, wittert sie, so zu sagen, ehe das Ge-
wahrnehmen vollständig wird. Dagegen kostet es nichts
als eine Wendung der Augen, um einen Marktschreyer
zu bemerken, der sich zu Pferde sehen und hören läßt.
Wir müssen Sachen gewahrwerden, die uns in die Sin-
ne fallen, wie den Ton der Trummel, die vor unsern
Ohren geschlagen wird.

Hieraus kann man schwerlich schließen, weder daß
der Aktus des Gewahrnehmens in diesen verschiedenen
Fällen einerley, noch daß er etwas verschiedenes sey. Es
kann in beiden Beyspielen eine wahre Aktion, oder auch
in beiden eine Passion seyn. Jst Gewahrnehmen das
Einemal nichts als ein Annehmen, oder ein Aufnehmen,
ein Zulassen einer Veränderung, oder auch ein Ergrei-

fen,
und Bewußtſeyn.

Es giebt zwey unterſchiedene Faͤlle. Zuweilen ſu-
chen wir ein Ding mit Fleiß und aus Abſicht. Wir
wollen es auskennen und unterſcheiden; das iſt, wir ſu-
chen eine gewiſſe Beziehung unſerer Jdeen, als das Re-
ſultat unſerer Vergleichungen und Ueberlegungen. Wir
nehmen es, wie wir ſagen, gewahr, wenn ſich der
geſuchte Gegenſtand und das Verhaͤltniß der Jdeen, das
wir erkennen wollen, uns darſtellet. Wir werden ge-
wahr
da, wo uns etwas auffaͤllt, das wir nicht geſucht
haben, wie etwann ein Freund, der unvermuthet uns
vor den Augen tritt.

Aber der Aktus des Gewahrnehmens, iſt dieſer
nicht in dem einen Fall daſſelbige, was er in dem an-
dern iſt, nur daß mehrere Vorarbeiten bey den Vorſtel-
lungen und Jdeen in dem einen Fall vorhergehen, als
in dem andern? Archimedes mußte manche Verbin-
dungen von Jdeen im Kopf herumgehen laſſen, ehe er
das Verhaͤltniß der Kugel, des Cylinders und des Ke-
gels von gleicher Grundflaͤche und Hoͤhe, gegeneinander
gewahrnahm. Dieſe Einſicht entſtehet oft nur nach und
nach. Man muthmaßet ſie vorher, ſiehet ſie in der
Ferne noch dunkel, wittert ſie, ſo zu ſagen, ehe das Ge-
wahrnehmen vollſtaͤndig wird. Dagegen koſtet es nichts
als eine Wendung der Augen, um einen Marktſchreyer
zu bemerken, der ſich zu Pferde ſehen und hoͤren laͤßt.
Wir muͤſſen Sachen gewahrwerden, die uns in die Sin-
ne fallen, wie den Ton der Trummel, die vor unſern
Ohren geſchlagen wird.

Hieraus kann man ſchwerlich ſchließen, weder daß
der Aktus des Gewahrnehmens in dieſen verſchiedenen
Faͤllen einerley, noch daß er etwas verſchiedenes ſey. Es
kann in beiden Beyſpielen eine wahre Aktion, oder auch
in beiden eine Paſſion ſeyn. Jſt Gewahrnehmen das
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ein Zulaſſen einer Veraͤnderung, oder auch ein Ergrei-

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[287/0347] und Bewußtſeyn. Es giebt zwey unterſchiedene Faͤlle. Zuweilen ſu- chen wir ein Ding mit Fleiß und aus Abſicht. Wir wollen es auskennen und unterſcheiden; das iſt, wir ſu- chen eine gewiſſe Beziehung unſerer Jdeen, als das Re- ſultat unſerer Vergleichungen und Ueberlegungen. Wir nehmen es, wie wir ſagen, gewahr, wenn ſich der geſuchte Gegenſtand und das Verhaͤltniß der Jdeen, das wir erkennen wollen, uns darſtellet. Wir werden ge- wahr da, wo uns etwas auffaͤllt, das wir nicht geſucht haben, wie etwann ein Freund, der unvermuthet uns vor den Augen tritt. Aber der Aktus des Gewahrnehmens, iſt dieſer nicht in dem einen Fall daſſelbige, was er in dem an- dern iſt, nur daß mehrere Vorarbeiten bey den Vorſtel- lungen und Jdeen in dem einen Fall vorhergehen, als in dem andern? Archimedes mußte manche Verbin- dungen von Jdeen im Kopf herumgehen laſſen, ehe er das Verhaͤltniß der Kugel, des Cylinders und des Ke- gels von gleicher Grundflaͤche und Hoͤhe, gegeneinander gewahrnahm. Dieſe Einſicht entſtehet oft nur nach und nach. Man muthmaßet ſie vorher, ſiehet ſie in der Ferne noch dunkel, wittert ſie, ſo zu ſagen, ehe das Ge- wahrnehmen vollſtaͤndig wird. Dagegen koſtet es nichts als eine Wendung der Augen, um einen Marktſchreyer zu bemerken, der ſich zu Pferde ſehen und hoͤren laͤßt. Wir muͤſſen Sachen gewahrwerden, die uns in die Sin- ne fallen, wie den Ton der Trummel, die vor unſern Ohren geſchlagen wird. Hieraus kann man ſchwerlich ſchließen, weder daß der Aktus des Gewahrnehmens in dieſen verſchiedenen Faͤllen einerley, noch daß er etwas verſchiedenes ſey. Es kann in beiden Beyſpielen eine wahre Aktion, oder auch in beiden eine Paſſion ſeyn. Jſt Gewahrnehmen das Einemal nichts als ein Annehmen, oder ein Aufnehmen, ein Zulaſſen einer Veraͤnderung, oder auch ein Ergrei- fen,

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/347>, abgerufen am 22.11.2024.