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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

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III. Versuch. Ueber das Gewahrnehmen
einen Hang zu Veränderungen, und vermöge dieses
Hangs ist sie geneigt, von einer Vorstellung, die jetzo ihr
vorlieget, zu einer andern fortzugehen, oder auch sich zu-
rück zu wenden auf andere, die sie vorhero gehabt hat.
Da wo wir gewahrnehmen, finden wir, daß sie zum
mindesten einen Ansatz zu einem solchen Uebergang geäu-
ßert und auch wohl den Anfang dazu wirklich gemacht ha-
be, aber auch, daß sie auf die gewahrgenommene Sache
wiederum zurückgezogen sey. Es zeiget sich in sehr vie-
len Beyspielen sehr deutlich, daß so etwas vorgehe. Die
Kraft wird bey dem gewahrgenommenen Gegenstand ge-
fesselt, sie will sich zerstreuen, will zu andern Empfin-
dungen fortrücken, wird aber auf jene von neuen hinge-
zogen. Es ist eine Art von physischer Zurückbeugung
der Kraft auf die Vorstellung, die man gewahrnimmt.
Eine Art von Reflexion, davon man noch die Spuren
erkennet, wenn man den Aktus des Gewahrnehmens in
seinen hinterlassenen Folgen beobachtet. So gar in sol-
chen Fällen, wo uns etwas von selbst aufstößet, ohne
daß wir es gesucht haben, wo ein Gegenstand allein und
abgesondert vor unsern Augen hingestellet ist, und also
bey dem ersten Blick bemerket wird, da zeiget sich doch
ein gewisser Ansatz, die Augen weiter fort von der Sa-
che wegzudrehen, und entweder auf uns selbst zurückzu-
gehen, oder auf andere Dinge sie zu werfen, aber sie
werden auf das gewahrgenommene Objekt zurückgefüh-
ret, oder bleiben auf selbiges geheftet. Die Kraft wird
reflektirt nach der Stelle und nach dem Punkt hin, den
man gewahrnimmt, und muß hier eine Weile sich auf-
halten.

Dieser Anfang, von der Vorstellung einer Sache sich
zu entfernen, und dann wieder auf sie zurück zu kommen
und mehr bey ihr zu bleiben, scheinet ein wesentlicher Um-
stand zu seyn, wenn eine Unterscheidung entstehen soll.
Wo man mit Fleiß und aus Absicht auf eine Sache auf-

merksam

III. Verſuch. Ueber das Gewahrnehmen
einen Hang zu Veraͤnderungen, und vermoͤge dieſes
Hangs iſt ſie geneigt, von einer Vorſtellung, die jetzo ihr
vorlieget, zu einer andern fortzugehen, oder auch ſich zu-
ruͤck zu wenden auf andere, die ſie vorhero gehabt hat.
Da wo wir gewahrnehmen, finden wir, daß ſie zum
mindeſten einen Anſatz zu einem ſolchen Uebergang geaͤu-
ßert und auch wohl den Anfang dazu wirklich gemacht ha-
be, aber auch, daß ſie auf die gewahrgenommene Sache
wiederum zuruͤckgezogen ſey. Es zeiget ſich in ſehr vie-
len Beyſpielen ſehr deutlich, daß ſo etwas vorgehe. Die
Kraft wird bey dem gewahrgenommenen Gegenſtand ge-
feſſelt, ſie will ſich zerſtreuen, will zu andern Empfin-
dungen fortruͤcken, wird aber auf jene von neuen hinge-
zogen. Es iſt eine Art von phyſiſcher Zuruͤckbeugung
der Kraft auf die Vorſtellung, die man gewahrnimmt.
Eine Art von Reflexion, davon man noch die Spuren
erkennet, wenn man den Aktus des Gewahrnehmens in
ſeinen hinterlaſſenen Folgen beobachtet. So gar in ſol-
chen Faͤllen, wo uns etwas von ſelbſt aufſtoͤßet, ohne
daß wir es geſucht haben, wo ein Gegenſtand allein und
abgeſondert vor unſern Augen hingeſtellet iſt, und alſo
bey dem erſten Blick bemerket wird, da zeiget ſich doch
ein gewiſſer Anſatz, die Augen weiter fort von der Sa-
che wegzudrehen, und entweder auf uns ſelbſt zuruͤckzu-
gehen, oder auf andere Dinge ſie zu werfen, aber ſie
werden auf das gewahrgenommene Objekt zuruͤckgefuͤh-
ret, oder bleiben auf ſelbiges geheftet. Die Kraft wird
reflektirt nach der Stelle und nach dem Punkt hin, den
man gewahrnimmt, und muß hier eine Weile ſich auf-
halten.

Dieſer Anfang, von der Vorſtellung einer Sache ſich
zu entfernen, und dann wieder auf ſie zuruͤck zu kommen
und mehr bey ihr zu bleiben, ſcheinet ein weſentlicher Um-
ſtand zu ſeyn, wenn eine Unterſcheidung entſtehen ſoll.
Wo man mit Fleiß und aus Abſicht auf eine Sache auf-

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[284/0344] III. Verſuch. Ueber das Gewahrnehmen einen Hang zu Veraͤnderungen, und vermoͤge dieſes Hangs iſt ſie geneigt, von einer Vorſtellung, die jetzo ihr vorlieget, zu einer andern fortzugehen, oder auch ſich zu- ruͤck zu wenden auf andere, die ſie vorhero gehabt hat. Da wo wir gewahrnehmen, finden wir, daß ſie zum mindeſten einen Anſatz zu einem ſolchen Uebergang geaͤu- ßert und auch wohl den Anfang dazu wirklich gemacht ha- be, aber auch, daß ſie auf die gewahrgenommene Sache wiederum zuruͤckgezogen ſey. Es zeiget ſich in ſehr vie- len Beyſpielen ſehr deutlich, daß ſo etwas vorgehe. Die Kraft wird bey dem gewahrgenommenen Gegenſtand ge- feſſelt, ſie will ſich zerſtreuen, will zu andern Empfin- dungen fortruͤcken, wird aber auf jene von neuen hinge- zogen. Es iſt eine Art von phyſiſcher Zuruͤckbeugung der Kraft auf die Vorſtellung, die man gewahrnimmt. Eine Art von Reflexion, davon man noch die Spuren erkennet, wenn man den Aktus des Gewahrnehmens in ſeinen hinterlaſſenen Folgen beobachtet. So gar in ſol- chen Faͤllen, wo uns etwas von ſelbſt aufſtoͤßet, ohne daß wir es geſucht haben, wo ein Gegenſtand allein und abgeſondert vor unſern Augen hingeſtellet iſt, und alſo bey dem erſten Blick bemerket wird, da zeiget ſich doch ein gewiſſer Anſatz, die Augen weiter fort von der Sa- che wegzudrehen, und entweder auf uns ſelbſt zuruͤckzu- gehen, oder auf andere Dinge ſie zu werfen, aber ſie werden auf das gewahrgenommene Objekt zuruͤckgefuͤh- ret, oder bleiben auf ſelbiges geheftet. Die Kraft wird reflektirt nach der Stelle und nach dem Punkt hin, den man gewahrnimmt, und muß hier eine Weile ſich auf- halten. Dieſer Anfang, von der Vorſtellung einer Sache ſich zu entfernen, und dann wieder auf ſie zuruͤck zu kommen und mehr bey ihr zu bleiben, ſcheinet ein weſentlicher Um- ſtand zu ſeyn, wenn eine Unterſcheidung entſtehen ſoll. Wo man mit Fleiß und aus Abſicht auf eine Sache auf- merkſam

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/344>, abgerufen am 10.06.2024.