ihr Gefühl, und also einen Aktus des Fühlens veranlas- sen. Wie weit wird dieser Gedanke durch die Beobach- tung bestätiget? Begleitet nicht ein gewisses dunkles Selbstgefühl alle unsere Zustände, Beschaffenheiten und Veränderungen von der leidentlichen Gattung? Ein stärkeres Gefühl unterdrückt ein schwächeres, und macht es unbeobachtbar. Aber deßwegen nimmt es solches nicht weg, so wenig als das Sonnenlicht am Tage das Licht der Sterne zurück hält, ob gleich das letztere nicht gesehen werden kann. Es ist nemlich leicht zu begreifen, wie dieß mit einander vereiniget werden könne. Wenn die einzelnen Aeußerungen des Gefühls sich nicht so aus- nehmen, daß sie in ihren Folgen, die sie hinterlassen, von neuen besonders gefühlet, und von andern abgeson- dert werden können, so ist es nicht möglich, sie zu unter- scheiden, gewahrzunehmen und zu bemerken. Die Er- fahrung widerspricht dieser Allgemeinheit des Gefühls nicht, und die Uebereinstimmung dieses Satzes mit an- dern psychologischen Wahrheiten giebt ihm wenigstens eine große Wahrscheinlichkeit.
Dritter
R 3
uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe.
ihr Gefuͤhl, und alſo einen Aktus des Fuͤhlens veranlaſ- ſen. Wie weit wird dieſer Gedanke durch die Beobach- tung beſtaͤtiget? Begleitet nicht ein gewiſſes dunkles Selbſtgefuͤhl alle unſere Zuſtaͤnde, Beſchaffenheiten und Veraͤnderungen von der leidentlichen Gattung? Ein ſtaͤrkeres Gefuͤhl unterdruͤckt ein ſchwaͤcheres, und macht es unbeobachtbar. Aber deßwegen nimmt es ſolches nicht weg, ſo wenig als das Sonnenlicht am Tage das Licht der Sterne zuruͤck haͤlt, ob gleich das letztere nicht geſehen werden kann. Es iſt nemlich leicht zu begreifen, wie dieß mit einander vereiniget werden koͤnne. Wenn die einzelnen Aeußerungen des Gefuͤhls ſich nicht ſo aus- nehmen, daß ſie in ihren Folgen, die ſie hinterlaſſen, von neuen beſonders gefuͤhlet, und von andern abgeſon- dert werden koͤnnen, ſo iſt es nicht moͤglich, ſie zu unter- ſcheiden, gewahrzunehmen und zu bemerken. Die Er- fahrung widerſpricht dieſer Allgemeinheit des Gefuͤhls nicht, und die Uebereinſtimmung dieſes Satzes mit an- dern pſychologiſchen Wahrheiten giebt ihm wenigſtens eine große Wahrſcheinlichkeit.
Dritter
R 3
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0321"n="261"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe.</hi></fw><lb/>
ihr Gefuͤhl, und alſo einen Aktus des Fuͤhlens veranlaſ-<lb/>ſen. Wie weit wird dieſer Gedanke durch die Beobach-<lb/>
tung beſtaͤtiget? Begleitet nicht ein gewiſſes dunkles<lb/>
Selbſtgefuͤhl <hirendition="#fr">alle</hi> unſere Zuſtaͤnde, Beſchaffenheiten<lb/>
und Veraͤnderungen von der leidentlichen Gattung? Ein<lb/>ſtaͤrkeres Gefuͤhl unterdruͤckt ein ſchwaͤcheres, und macht<lb/>
es unbeobachtbar. Aber deßwegen nimmt es ſolches<lb/>
nicht weg, ſo wenig als das Sonnenlicht am Tage das<lb/>
Licht der Sterne zuruͤck haͤlt, ob gleich das letztere nicht<lb/>
geſehen werden kann. Es iſt nemlich leicht zu begreifen,<lb/>
wie dieß mit einander vereiniget werden koͤnne. Wenn<lb/>
die einzelnen Aeußerungen des Gefuͤhls ſich nicht ſo aus-<lb/>
nehmen, daß ſie in ihren Folgen, die ſie hinterlaſſen,<lb/>
von neuen beſonders gefuͤhlet, und von andern abgeſon-<lb/>
dert werden koͤnnen, ſo iſt es nicht moͤglich, ſie zu unter-<lb/>ſcheiden, gewahrzunehmen und zu bemerken. Die Er-<lb/>
fahrung widerſpricht dieſer Allgemeinheit des Gefuͤhls<lb/>
nicht, und die Uebereinſtimmung dieſes Satzes mit an-<lb/>
dern pſychologiſchen Wahrheiten giebt ihm wenigſtens<lb/>
eine große Wahrſcheinlichkeit.</p></div></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><fwplace="bottom"type="sig">R 3</fw><fwplace="bottom"type="catch"><hirendition="#fr">Dritter</hi></fw><lb/></body></text></TEI>
[261/0321]
uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe.
ihr Gefuͤhl, und alſo einen Aktus des Fuͤhlens veranlaſ-
ſen. Wie weit wird dieſer Gedanke durch die Beobach-
tung beſtaͤtiget? Begleitet nicht ein gewiſſes dunkles
Selbſtgefuͤhl alle unſere Zuſtaͤnde, Beſchaffenheiten
und Veraͤnderungen von der leidentlichen Gattung? Ein
ſtaͤrkeres Gefuͤhl unterdruͤckt ein ſchwaͤcheres, und macht
es unbeobachtbar. Aber deßwegen nimmt es ſolches
nicht weg, ſo wenig als das Sonnenlicht am Tage das
Licht der Sterne zuruͤck haͤlt, ob gleich das letztere nicht
geſehen werden kann. Es iſt nemlich leicht zu begreifen,
wie dieß mit einander vereiniget werden koͤnne. Wenn
die einzelnen Aeußerungen des Gefuͤhls ſich nicht ſo aus-
nehmen, daß ſie in ihren Folgen, die ſie hinterlaſſen,
von neuen beſonders gefuͤhlet, und von andern abgeſon-
dert werden koͤnnen, ſo iſt es nicht moͤglich, ſie zu unter-
ſcheiden, gewahrzunehmen und zu bemerken. Die Er-
fahrung widerſpricht dieſer Allgemeinheit des Gefuͤhls
nicht, und die Uebereinſtimmung dieſes Satzes mit an-
dern pſychologiſchen Wahrheiten giebt ihm wenigſtens
eine große Wahrſcheinlichkeit.
Dritter
R 3
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/321>, abgerufen am 10.06.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.