Bey dem vornehmsten Grundsatz, den Hr. Search fest zu legen gesuchet hat, daß die Seele nie unmittelbar in sich selbst etwas hervorbringe, sondern in ihrem Ge- hirn, und die Modifikationen ihres Zustandes, von dem leztern erst wieder zurück empfange, lässet sich eine wich- tige Erinnerung machen. Es ist sonsten kein ganz neuer Gedanke; denn die alte Aristotelische Jdee von der Seele, als einer Entelechia des thierischen Körpers, führte auch dahin; aber in der Psychologie kann man es auch am wenigsten erwarten, daß etwas gesaget werde, was nicht in einem, vor ihm schon von einem Philosophen geheg- ten Gedanken zum mindesten auf eine solche Art, wie eine Pflanze in ihrem Keim ist, enthalten seyn sollte. Kann denn die Seele, nur als eine substantielle, das Gehirn bewegende Kraft betrachtet, in aller Hinsicht in ihrem innern Zustande ohne Veränderung bleiben, wenn sie sich auf das Gehirn äußert und hierinn etwas bewir- ket? Muß nicht ihre Kraft bey jeder neuen Aeußerung eine neue Richtung annehmen, oder mit einer größern oder geringern Jntension wirken, als bey der nächstvor- hergehenden? Und dazu bestimmt sie sich in einigen Fällen selbst. Wie ist es begreiflich, daß eine Kraft von dieser Gattung außer sich etwas verursachen könne, ehe nicht jene Veränderung in der Richtung und Jnten- sion ihrer Thätigkeit, in ihr selbst verursachet und her- vorgebracht ist? Muß nicht diese letztere innere Verän- derung des Zustandes vorhergehen? Also wirket sie ja, wenn sie sich selbst zu etwas bestimmet, auch selbstthätig in sich, oder nimmt eine passive Veränderung in sich selbst auf, wenn sie von außen her dazu bestimmet wird; beides vorher, ehe sie ihre Kraft außer sich auf die Mo- dificirung des Gehirns anwendet.
Kann die Seele nun nicht auch diese vorhergehende Modifikation ihres Zustandes fühlen, und sie unmittel- bar fühlen? Oder ist diese ihre innere Veränderung
vielleicht
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uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe.
Bey dem vornehmſten Grundſatz, den Hr. Search feſt zu legen geſuchet hat, daß die Seele nie unmittelbar in ſich ſelbſt etwas hervorbringe, ſondern in ihrem Ge- hirn, und die Modifikationen ihres Zuſtandes, von dem leztern erſt wieder zuruͤck empfange, laͤſſet ſich eine wich- tige Erinnerung machen. Es iſt ſonſten kein ganz neuer Gedanke; denn die alte Ariſtoteliſche Jdee von der Seele, als einer Entelechia des thieriſchen Koͤrpers, fuͤhrte auch dahin; aber in der Pſychologie kann man es auch am wenigſten erwarten, daß etwas geſaget werde, was nicht in einem, vor ihm ſchon von einem Philoſophen geheg- ten Gedanken zum mindeſten auf eine ſolche Art, wie eine Pflanze in ihrem Keim iſt, enthalten ſeyn ſollte. Kann denn die Seele, nur als eine ſubſtantielle, das Gehirn bewegende Kraft betrachtet, in aller Hinſicht in ihrem innern Zuſtande ohne Veraͤnderung bleiben, wenn ſie ſich auf das Gehirn aͤußert und hierinn etwas bewir- ket? Muß nicht ihre Kraft bey jeder neuen Aeußerung eine neue Richtung annehmen, oder mit einer groͤßern oder geringern Jntenſion wirken, als bey der naͤchſtvor- hergehenden? Und dazu beſtimmt ſie ſich in einigen Faͤllen ſelbſt. Wie iſt es begreiflich, daß eine Kraft von dieſer Gattung außer ſich etwas verurſachen koͤnne, ehe nicht jene Veraͤnderung in der Richtung und Jnten- ſion ihrer Thaͤtigkeit, in ihr ſelbſt verurſachet und her- vorgebracht iſt? Muß nicht dieſe letztere innere Veraͤn- derung des Zuſtandes vorhergehen? Alſo wirket ſie ja, wenn ſie ſich ſelbſt zu etwas beſtimmet, auch ſelbſtthaͤtig in ſich, oder nimmt eine paſſive Veraͤnderung in ſich ſelbſt auf, wenn ſie von außen her dazu beſtimmet wird; beides vorher, ehe ſie ihre Kraft außer ſich auf die Mo- dificirung des Gehirns anwendet.
Kann die Seele nun nicht auch dieſe vorhergehende Modifikation ihres Zuſtandes fuͤhlen, und ſie unmittel- bar fuͤhlen? Oder iſt dieſe ihre innere Veraͤnderung
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uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe.
Bey dem vornehmſten Grundſatz, den Hr. Search
feſt zu legen geſuchet hat, daß die Seele nie unmittelbar
in ſich ſelbſt etwas hervorbringe, ſondern in ihrem Ge-
hirn, und die Modifikationen ihres Zuſtandes, von dem
leztern erſt wieder zuruͤck empfange, laͤſſet ſich eine wich-
tige Erinnerung machen. Es iſt ſonſten kein ganz neuer
Gedanke; denn die alte Ariſtoteliſche Jdee von der Seele,
als einer Entelechia des thieriſchen Koͤrpers, fuͤhrte auch
dahin; aber in der Pſychologie kann man es auch am
wenigſten erwarten, daß etwas geſaget werde, was nicht
in einem, vor ihm ſchon von einem Philoſophen geheg-
ten Gedanken zum mindeſten auf eine ſolche Art, wie
eine Pflanze in ihrem Keim iſt, enthalten ſeyn ſollte.
Kann denn die Seele, nur als eine ſubſtantielle, das
Gehirn bewegende Kraft betrachtet, in aller Hinſicht in
ihrem innern Zuſtande ohne Veraͤnderung bleiben, wenn
ſie ſich auf das Gehirn aͤußert und hierinn etwas bewir-
ket? Muß nicht ihre Kraft bey jeder neuen Aeußerung
eine neue Richtung annehmen, oder mit einer groͤßern
oder geringern Jntenſion wirken, als bey der naͤchſtvor-
hergehenden? Und dazu beſtimmt ſie ſich in einigen
Faͤllen ſelbſt. Wie iſt es begreiflich, daß eine Kraft
von dieſer Gattung außer ſich etwas verurſachen koͤnne,
ehe nicht jene Veraͤnderung in der Richtung und Jnten-
ſion ihrer Thaͤtigkeit, in ihr ſelbſt verurſachet und her-
vorgebracht iſt? Muß nicht dieſe letztere innere Veraͤn-
derung des Zuſtandes vorhergehen? Alſo wirket ſie ja,
wenn ſie ſich ſelbſt zu etwas beſtimmet, auch ſelbſtthaͤtig
in ſich, oder nimmt eine paſſive Veraͤnderung in ſich
ſelbſt auf, wenn ſie von außen her dazu beſtimmet wird;
beides vorher, ehe ſie ihre Kraft außer ſich auf die Mo-
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/319>, abgerufen am 22.11.2024.
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