Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite
über Empfindungen u. Empfindnisse.

Oder ist jene nur eine gewisse Beschaffenheit in der
Empfindung des afficirenden Objekts, die mit ihr und
in ihr schon enthalten ist?

Jch empfinde die harmonischen Töne; diese Em-
pfindung ist angenehm. Aber ich habe bey aller Sorg-
falt nicht bemerken können, daß das Vergnügen aus
der Empfindung, oder die Empfindung des Angeneh-
men, von der Empfindung der Sache selbst der Zeit-
folge nach hätte unterschieden werden können. Die Em-
pfindung der Töne war angenehm. Der Stich mit ei-
ner Nadel wird empfunden; und diese Empfindung ist
schmerzhaft. Es ist mir unmöglich, hierinne eine Zeit-
folge gewahr zu nehmen; und zuerst die Sache, dann
den Schmerzen zu empfinden. Es scheinen die Em-
pfindnisse
als Empfindnisse betrachtet gewisse Beschaf-
fenheiten der Empfindung; nicht besondere Empfindun-
gen selbst zu seyn.

Hr. Search mag sich wohl eine andere Vorstellung
davon gemacht haben. Er meynt, man müsse beson-
dere Fibern für die Eindrücke der Sache und ihre Em-
pfindungen, und andere besondere Fibern für das Gefal-
len oder Mißfallen annehmen, die er Zufriedenheits-
fibern
nennet, und dann auch gewisse Kanäle oder
Kommunikationsfibern, durch welche die Eindrücke aus
jenen in diese letztern hinübertreten können. So lange
die Eindrücke nur allein auf jene erstern Fibern wirken,
so lange haben wir nur Empfindungen, nur gleichgültige
Empfindungen von den Dingen. Aber wir empfinden Wol-
lust oder Schmerzen, wenn die Veränderungen aus diesen
Empfindungsfibern in die Zufriedenheitsfibern hinüber
übergehen, welche letztern das Organ des Gemüths sind.
Die Gewalt, welche wir in vielen Fällen über unsere
Empfindnisse haben, und ohne Zweifel in noch mehreren
erlangen können, sollen die angegebene Erklärungsart
bestätigen. Es ist mancher Beobachtungen wegen der

Mühe
O 2
uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe.

Oder iſt jene nur eine gewiſſe Beſchaffenheit in der
Empfindung des afficirenden Objekts, die mit ihr und
in ihr ſchon enthalten iſt?

Jch empfinde die harmoniſchen Toͤne; dieſe Em-
pfindung iſt angenehm. Aber ich habe bey aller Sorg-
falt nicht bemerken koͤnnen, daß das Vergnuͤgen aus
der Empfindung, oder die Empfindung des Angeneh-
men, von der Empfindung der Sache ſelbſt der Zeit-
folge nach haͤtte unterſchieden werden koͤnnen. Die Em-
pfindung der Toͤne war angenehm. Der Stich mit ei-
ner Nadel wird empfunden; und dieſe Empfindung iſt
ſchmerzhaft. Es iſt mir unmoͤglich, hierinne eine Zeit-
folge gewahr zu nehmen; und zuerſt die Sache, dann
den Schmerzen zu empfinden. Es ſcheinen die Em-
pfindniſſe
als Empfindniſſe betrachtet gewiſſe Beſchaf-
fenheiten der Empfindung; nicht beſondere Empfindun-
gen ſelbſt zu ſeyn.

Hr. Search mag ſich wohl eine andere Vorſtellung
davon gemacht haben. Er meynt, man muͤſſe beſon-
dere Fibern fuͤr die Eindruͤcke der Sache und ihre Em-
pfindungen, und andere beſondere Fibern fuͤr das Gefal-
len oder Mißfallen annehmen, die er Zufriedenheits-
fibern
nennet, und dann auch gewiſſe Kanaͤle oder
Kommunikationsfibern, durch welche die Eindruͤcke aus
jenen in dieſe letztern hinuͤbertreten koͤnnen. So lange
die Eindruͤcke nur allein auf jene erſtern Fibern wirken,
ſo lange haben wir nur Empfindungen, nur gleichguͤltige
Empfindungen von den Dingen. Aber wir empfinden Wol-
luſt oder Schmerzen, wenn die Veraͤnderungen aus dieſen
Empfindungsfibern in die Zufriedenheitsfibern hinuͤber
uͤbergehen, welche letztern das Organ des Gemuͤths ſind.
Die Gewalt, welche wir in vielen Faͤllen uͤber unſere
Empfindniſſe haben, und ohne Zweifel in noch mehreren
erlangen koͤnnen, ſollen die angegebene Erklaͤrungsart
beſtaͤtigen. Es iſt mancher Beobachtungen wegen der

Muͤhe
O 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0271" n="211"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">u&#x0364;ber Empfindungen u. Empfindni&#x017F;&#x017F;e.</hi> </fw><lb/>
            <p>Oder i&#x017F;t jene nur eine gewi&#x017F;&#x017F;e Be&#x017F;chaffenheit in der<lb/>
Empfindung des afficirenden Objekts, die mit ihr und<lb/>
in ihr &#x017F;chon enthalten i&#x017F;t?</p><lb/>
            <p>Jch empfinde die harmoni&#x017F;chen To&#x0364;ne; die&#x017F;e Em-<lb/>
pfindung i&#x017F;t angenehm. Aber ich habe bey aller Sorg-<lb/>
falt nicht bemerken ko&#x0364;nnen, daß das Vergnu&#x0364;gen aus<lb/>
der Empfindung, oder die Empfindung des Angeneh-<lb/>
men, von der Empfindung der Sache &#x017F;elb&#x017F;t der Zeit-<lb/>
folge nach ha&#x0364;tte unter&#x017F;chieden werden ko&#x0364;nnen. Die Em-<lb/>
pfindung der To&#x0364;ne war angenehm. Der Stich mit ei-<lb/>
ner Nadel wird empfunden; und die&#x017F;e Empfindung i&#x017F;t<lb/>
&#x017F;chmerzhaft. Es i&#x017F;t mir unmo&#x0364;glich, hierinne eine Zeit-<lb/>
folge gewahr zu nehmen; und zuer&#x017F;t die Sache, dann<lb/>
den Schmerzen zu empfinden. Es &#x017F;cheinen die <hi rendition="#fr">Em-<lb/>
pfindni&#x017F;&#x017F;e</hi> als Empfindni&#x017F;&#x017F;e betrachtet gewi&#x017F;&#x017F;e Be&#x017F;chaf-<lb/>
fenheiten der Empfindung; nicht be&#x017F;ondere Empfindun-<lb/>
gen &#x017F;elb&#x017F;t zu &#x017F;eyn.</p><lb/>
            <p>Hr. <hi rendition="#fr">Search</hi> mag &#x017F;ich wohl eine andere Vor&#x017F;tellung<lb/>
davon gemacht haben. Er meynt, man mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e be&#x017F;on-<lb/>
dere Fibern fu&#x0364;r die Eindru&#x0364;cke der Sache und ihre Em-<lb/>
pfindungen, und andere be&#x017F;ondere Fibern fu&#x0364;r das Gefal-<lb/>
len oder Mißfallen annehmen, die er <hi rendition="#fr">Zufriedenheits-<lb/>
fibern</hi> nennet, und dann auch gewi&#x017F;&#x017F;e Kana&#x0364;le oder<lb/>
Kommunikationsfibern, durch welche die Eindru&#x0364;cke aus<lb/>
jenen in die&#x017F;e letztern hinu&#x0364;bertreten ko&#x0364;nnen. So lange<lb/>
die Eindru&#x0364;cke nur allein auf jene er&#x017F;tern Fibern wirken,<lb/>
&#x017F;o lange haben wir nur Empfindungen, nur gleichgu&#x0364;ltige<lb/>
Empfindungen von den Dingen. Aber wir empfinden Wol-<lb/>
lu&#x017F;t oder Schmerzen, wenn die Vera&#x0364;nderungen aus die&#x017F;en<lb/>
Empfindungsfibern in die <hi rendition="#fr">Zufriedenheitsfibern</hi> hinu&#x0364;ber<lb/>
u&#x0364;bergehen, welche letztern das Organ des Gemu&#x0364;ths &#x017F;ind.<lb/>
Die Gewalt, welche wir in vielen Fa&#x0364;llen u&#x0364;ber un&#x017F;ere<lb/>
Empfindni&#x017F;&#x017F;e haben, und ohne Zweifel in noch mehreren<lb/>
erlangen ko&#x0364;nnen, &#x017F;ollen die angegebene Erkla&#x0364;rungsart<lb/>
be&#x017F;ta&#x0364;tigen. Es i&#x017F;t mancher Beobachtungen wegen der<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">O 2</fw><fw place="bottom" type="catch">Mu&#x0364;he</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[211/0271] uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. Oder iſt jene nur eine gewiſſe Beſchaffenheit in der Empfindung des afficirenden Objekts, die mit ihr und in ihr ſchon enthalten iſt? Jch empfinde die harmoniſchen Toͤne; dieſe Em- pfindung iſt angenehm. Aber ich habe bey aller Sorg- falt nicht bemerken koͤnnen, daß das Vergnuͤgen aus der Empfindung, oder die Empfindung des Angeneh- men, von der Empfindung der Sache ſelbſt der Zeit- folge nach haͤtte unterſchieden werden koͤnnen. Die Em- pfindung der Toͤne war angenehm. Der Stich mit ei- ner Nadel wird empfunden; und dieſe Empfindung iſt ſchmerzhaft. Es iſt mir unmoͤglich, hierinne eine Zeit- folge gewahr zu nehmen; und zuerſt die Sache, dann den Schmerzen zu empfinden. Es ſcheinen die Em- pfindniſſe als Empfindniſſe betrachtet gewiſſe Beſchaf- fenheiten der Empfindung; nicht beſondere Empfindun- gen ſelbſt zu ſeyn. Hr. Search mag ſich wohl eine andere Vorſtellung davon gemacht haben. Er meynt, man muͤſſe beſon- dere Fibern fuͤr die Eindruͤcke der Sache und ihre Em- pfindungen, und andere beſondere Fibern fuͤr das Gefal- len oder Mißfallen annehmen, die er Zufriedenheits- fibern nennet, und dann auch gewiſſe Kanaͤle oder Kommunikationsfibern, durch welche die Eindruͤcke aus jenen in dieſe letztern hinuͤbertreten koͤnnen. So lange die Eindruͤcke nur allein auf jene erſtern Fibern wirken, ſo lange haben wir nur Empfindungen, nur gleichguͤltige Empfindungen von den Dingen. Aber wir empfinden Wol- luſt oder Schmerzen, wenn die Veraͤnderungen aus dieſen Empfindungsfibern in die Zufriedenheitsfibern hinuͤber uͤbergehen, welche letztern das Organ des Gemuͤths ſind. Die Gewalt, welche wir in vielen Faͤllen uͤber unſere Empfindniſſe haben, und ohne Zweifel in noch mehreren erlangen koͤnnen, ſollen die angegebene Erklaͤrungsart beſtaͤtigen. Es iſt mancher Beobachtungen wegen der Muͤhe O 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/271
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/271>, abgerufen am 21.11.2024.