Was die Empfindnisse auch seyn mögen, so stim- men alle Philosophen, die über die Natur des Schönen, über dessen Wirkungen auf den Menschen, über das An- genehme und Unangenehme und über die Quelle von bei- den nachgedacht haben, alte und neuere, darinn überein: daß es eine gewisse Beziehung der Gegenstände und ih- rer Eindrücke auf den dermaligen Zustand der Seele, auf ihre Triebe und Thätigkeiten sey, was die Gegen- stände zu gefälligen oder mißfälligen, zu angenehmen oder unangenehmen, das ist, zu Empfindnissen mache. Worinnen diese Beziehung eigentlich bestehe, und wor- auf sie so wohl von der einen Seite in den Objekten, als auf der andern in uns gegründet sey, darüber sind die Mei- nungen etwas getheilet; aber darüber nicht, daß nicht selbst der Unterschied in den Empfindungen, die angenehm und unangenehm sind, ein reeller positiver Unterschied sey, und seine unterschiedene absolute Folgen auf uns ha- be. Die mehresten haben das Objektivische der Schön- heit in einer Mannigfaltigkeit mit Einheit gesucht, und diese Jdee ist von unserm scharfsinnigen Hr. Sulzer vor- züglich durchgedacht. Sie läßt sich auch noch wohl gegen die Erinnerungen vertheidigen, die Hr. Burck dagegen ge- macht hat. Man muß nur auf den Unterschied zwi- schen dem Ursprünglichangenehmen, das es für sich ist, und zwischen dem, was es durch die Verbindung mit andern ist, so viel Rücksicht nehmen, als da überhaupt nöthig ist, wo eine Menge von Beobachtungen, die nicht selten einander aufzuheben scheinen, auf Einen Grund- satz, und viele und mancherley Wirkungen auf Eine ge- meinschaftliche Ursache zurückgeführet werden sollen. Worinn aber auch das Objektivische des Schönen, und überhaupt das Afficirende in den Objekten bestehen möge, so hat doch die mäßigste Aufmerksamkeit auf die Abwechselungen und auf die Verschiedenheiten des menschlichen Geschmacks es sogleich erkennen lassen, daß
das
II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,
Was die Empfindniſſe auch ſeyn moͤgen, ſo ſtim- men alle Philoſophen, die uͤber die Natur des Schoͤnen, uͤber deſſen Wirkungen auf den Menſchen, uͤber das An- genehme und Unangenehme und uͤber die Quelle von bei- den nachgedacht haben, alte und neuere, darinn uͤberein: daß es eine gewiſſe Beziehung der Gegenſtaͤnde und ih- rer Eindruͤcke auf den dermaligen Zuſtand der Seele, auf ihre Triebe und Thaͤtigkeiten ſey, was die Gegen- ſtaͤnde zu gefaͤlligen oder mißfaͤlligen, zu angenehmen oder unangenehmen, das iſt, zu Empfindniſſen mache. Worinnen dieſe Beziehung eigentlich beſtehe, und wor- auf ſie ſo wohl von der einen Seite in den Objekten, als auf der andern in uns gegruͤndet ſey, daruͤber ſind die Mei- nungen etwas getheilet; aber daruͤber nicht, daß nicht ſelbſt der Unterſchied in den Empfindungen, die angenehm und unangenehm ſind, ein reeller poſitiver Unterſchied ſey, und ſeine unterſchiedene abſolute Folgen auf uns ha- be. Die mehreſten haben das Objektiviſche der Schoͤn- heit in einer Mannigfaltigkeit mit Einheit geſucht, und dieſe Jdee iſt von unſerm ſcharfſinnigen Hr. Sulzer vor- zuͤglich durchgedacht. Sie laͤßt ſich auch noch wohl gegen die Erinnerungen vertheidigen, die Hr. Burck dagegen ge- macht hat. Man muß nur auf den Unterſchied zwi- ſchen dem Urſpruͤnglichangenehmen, das es fuͤr ſich iſt, und zwiſchen dem, was es durch die Verbindung mit andern iſt, ſo viel Ruͤckſicht nehmen, als da uͤberhaupt noͤthig iſt, wo eine Menge von Beobachtungen, die nicht ſelten einander aufzuheben ſcheinen, auf Einen Grund- ſatz, und viele und mancherley Wirkungen auf Eine ge- meinſchaftliche Urſache zuruͤckgefuͤhret werden ſollen. Worinn aber auch das Objektiviſche des Schoͤnen, und uͤberhaupt das Afficirende in den Objekten beſtehen moͤge, ſo hat doch die maͤßigſte Aufmerkſamkeit auf die Abwechſelungen und auf die Verſchiedenheiten des menſchlichen Geſchmacks es ſogleich erkennen laſſen, daß
das
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II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,
Was die Empfindniſſe auch ſeyn moͤgen, ſo ſtim-
men alle Philoſophen, die uͤber die Natur des Schoͤnen,
uͤber deſſen Wirkungen auf den Menſchen, uͤber das An-
genehme und Unangenehme und uͤber die Quelle von bei-
den nachgedacht haben, alte und neuere, darinn uͤberein:
daß es eine gewiſſe Beziehung der Gegenſtaͤnde und ih-
rer Eindruͤcke auf den dermaligen Zuſtand der Seele,
auf ihre Triebe und Thaͤtigkeiten ſey, was die Gegen-
ſtaͤnde zu gefaͤlligen oder mißfaͤlligen, zu angenehmen
oder unangenehmen, das iſt, zu Empfindniſſen mache.
Worinnen dieſe Beziehung eigentlich beſtehe, und wor-
auf ſie ſo wohl von der einen Seite in den Objekten, als auf
der andern in uns gegruͤndet ſey, daruͤber ſind die Mei-
nungen etwas getheilet; aber daruͤber nicht, daß nicht
ſelbſt der Unterſchied in den Empfindungen, die angenehm
und unangenehm ſind, ein reeller poſitiver Unterſchied
ſey, und ſeine unterſchiedene abſolute Folgen auf uns ha-
be. Die mehreſten haben das Objektiviſche der Schoͤn-
heit in einer Mannigfaltigkeit mit Einheit geſucht, und
dieſe Jdee iſt von unſerm ſcharfſinnigen Hr. Sulzer vor-
zuͤglich durchgedacht. Sie laͤßt ſich auch noch wohl gegen die
Erinnerungen vertheidigen, die Hr. Burck dagegen ge-
macht hat. Man muß nur auf den Unterſchied zwi-
ſchen dem Urſpruͤnglichangenehmen, das es fuͤr ſich iſt,
und zwiſchen dem, was es durch die Verbindung mit
andern iſt, ſo viel Ruͤckſicht nehmen, als da uͤberhaupt
noͤthig iſt, wo eine Menge von Beobachtungen, die nicht
ſelten einander aufzuheben ſcheinen, auf Einen Grund-
ſatz, und viele und mancherley Wirkungen auf Eine ge-
meinſchaftliche Urſache zuruͤckgefuͤhret werden ſollen.
Worinn aber auch das Objektiviſche des Schoͤnen,
und uͤberhaupt das Afficirende in den Objekten beſtehen
moͤge, ſo hat doch die maͤßigſte Aufmerkſamkeit auf die
Abwechſelungen und auf die Verſchiedenheiten des
menſchlichen Geſchmacks es ſogleich erkennen laſſen, daß
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/266>, abgerufen am 21.11.2024.
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