für eine Aktion erkennet, was in der Sprache als eine Passion ausgedruckt ist, und umgekehrt, so wird jenes doch in den meisten Fällen darüber mit dem gemeinen Verstande überein kommen. Beide sagen, wir leiden etwas, wenn ein sinnlicher Eindruck auf unsere Ohren durch einen unvermutheten Kanonenschuß und auf unser Gesicht durch ein unerwartetes Licht hervorgebracht wird. Beide sagen, wir sind wirksam, wir thun und verrich- ten etwas, wenn wir denken, wenn wir wollen, und wenn wir die Arme ausstrecken. Wenn man sich also das Aktive und Passive auch nur nach der Aehnlichkeit mit diesen Beyspielen vorstellet, so reichet doch so ein un- deutlicher Begrif hin, es bestimmt genug zu fassen, was die Behauptung sagen wolle, daß nur allein das Passi- ve ein unmittelbarer Gegenstand des Gefühls sey.
Jn den Beobachtungen unsers Jnnern ist dieser Charakter des Gefühls nicht allemal auffallend. Die meisten von unsern Veränderungen, sobald man sie von einiger Länge und Breite nimmt, so wie man sie die meistenmale nehmen muß, wenn sie gewahrgenommen werden sollen, sind aus einem Thun und aus einem Lei- den zusammengesetzt. Fast alle unsere Veränderungen zeigen diese zwiefache Seite, wenn man sie scharf ansie- het. Wo ist der unterscheidbare Augenblick, in dem die Seele sich durchaus unthätig verhielte? und wo ist der, den sie mit einer ununterbrochenen Selbstwirksam- keit ganz ausfüllet? Wirken wir gar nichts, wenn wir so müssig und geschäftlos, als möglich, den Mann mit dem glänzenden Kleide ansehen, der uns in die Augen fällt? Den sinnlichsten Eindruck aufnehmen, ist bey uns mit etwas Wirksamkeit verbunden, die aber oft den Namen nicht verdienet. Wir fassen, ergreifen, und müssen dieß mit einiger Jntension thun, wenn wir ge- wahr werden wollen, wie der Schullehrer richtig voraus- setzet, wenn er seine Schüler erinnert, die Ohren aufzu-
thun.
uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe.
fuͤr eine Aktion erkennet, was in der Sprache als eine Paſſion ausgedruckt iſt, und umgekehrt, ſo wird jenes doch in den meiſten Faͤllen daruͤber mit dem gemeinen Verſtande uͤberein kommen. Beide ſagen, wir leiden etwas, wenn ein ſinnlicher Eindruck auf unſere Ohren durch einen unvermutheten Kanonenſchuß und auf unſer Geſicht durch ein unerwartetes Licht hervorgebracht wird. Beide ſagen, wir ſind wirkſam, wir thun und verrich- ten etwas, wenn wir denken, wenn wir wollen, und wenn wir die Arme ausſtrecken. Wenn man ſich alſo das Aktive und Paſſive auch nur nach der Aehnlichkeit mit dieſen Beyſpielen vorſtellet, ſo reichet doch ſo ein un- deutlicher Begrif hin, es beſtimmt genug zu faſſen, was die Behauptung ſagen wolle, daß nur allein das Paſſi- ve ein unmittelbarer Gegenſtand des Gefuͤhls ſey.
Jn den Beobachtungen unſers Jnnern iſt dieſer Charakter des Gefuͤhls nicht allemal auffallend. Die meiſten von unſern Veraͤnderungen, ſobald man ſie von einiger Laͤnge und Breite nimmt, ſo wie man ſie die meiſtenmale nehmen muß, wenn ſie gewahrgenommen werden ſollen, ſind aus einem Thun und aus einem Lei- den zuſammengeſetzt. Faſt alle unſere Veraͤnderungen zeigen dieſe zwiefache Seite, wenn man ſie ſcharf anſie- het. Wo iſt der unterſcheidbare Augenblick, in dem die Seele ſich durchaus unthaͤtig verhielte? und wo iſt der, den ſie mit einer ununterbrochenen Selbſtwirkſam- keit ganz ausfuͤllet? Wirken wir gar nichts, wenn wir ſo muͤſſig und geſchaͤftlos, als moͤglich, den Mann mit dem glaͤnzenden Kleide anſehen, der uns in die Augen faͤllt? Den ſinnlichſten Eindruck aufnehmen, iſt bey uns mit etwas Wirkſamkeit verbunden, die aber oft den Namen nicht verdienet. Wir faſſen, ergreifen, und muͤſſen dieß mit einiger Jntenſion thun, wenn wir ge- wahr werden wollen, wie der Schullehrer richtig voraus- ſetzet, wenn er ſeine Schuͤler erinnert, die Ohren aufzu-
thun.
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uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe.
fuͤr eine Aktion erkennet, was in der Sprache als eine
Paſſion ausgedruckt iſt, und umgekehrt, ſo wird jenes
doch in den meiſten Faͤllen daruͤber mit dem gemeinen
Verſtande uͤberein kommen. Beide ſagen, wir leiden
etwas, wenn ein ſinnlicher Eindruck auf unſere Ohren
durch einen unvermutheten Kanonenſchuß und auf unſer
Geſicht durch ein unerwartetes Licht hervorgebracht wird.
Beide ſagen, wir ſind wirkſam, wir thun und verrich-
ten etwas, wenn wir denken, wenn wir wollen, und
wenn wir die Arme ausſtrecken. Wenn man ſich alſo
das Aktive und Paſſive auch nur nach der Aehnlichkeit
mit dieſen Beyſpielen vorſtellet, ſo reichet doch ſo ein un-
deutlicher Begrif hin, es beſtimmt genug zu faſſen, was
die Behauptung ſagen wolle, daß nur allein das Paſſi-
ve ein unmittelbarer Gegenſtand des Gefuͤhls ſey.
Jn den Beobachtungen unſers Jnnern iſt dieſer
Charakter des Gefuͤhls nicht allemal auffallend. Die
meiſten von unſern Veraͤnderungen, ſobald man ſie von
einiger Laͤnge und Breite nimmt, ſo wie man ſie die
meiſtenmale nehmen muß, wenn ſie gewahrgenommen
werden ſollen, ſind aus einem Thun und aus einem Lei-
den zuſammengeſetzt. Faſt alle unſere Veraͤnderungen
zeigen dieſe zwiefache Seite, wenn man ſie ſcharf anſie-
het. Wo iſt der unterſcheidbare Augenblick, in dem
die Seele ſich durchaus unthaͤtig verhielte? und wo iſt
der, den ſie mit einer ununterbrochenen Selbſtwirkſam-
keit ganz ausfuͤllet? Wirken wir gar nichts, wenn wir
ſo muͤſſig und geſchaͤftlos, als moͤglich, den Mann mit
dem glaͤnzenden Kleide anſehen, der uns in die Augen
faͤllt? Den ſinnlichſten Eindruck aufnehmen, iſt bey
uns mit etwas Wirkſamkeit verbunden, die aber oft den
Namen nicht verdienet. Wir faſſen, ergreifen, und
muͤſſen dieß mit einiger Jntenſion thun, wenn wir ge-
wahr werden wollen, wie der Schullehrer richtig voraus-
ſetzet, wenn er ſeine Schuͤler erinnert, die Ohren aufzu-
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/235>, abgerufen am 21.11.2024.
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