Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.Vorrede. nichts fehlet, als nur, daß es von den Eindrückenäußerer Dinge in Bewegung gesetzt werde, und dadurch gewisse Dispositionen erlange? Jst nicht vielleicht das Gehirn in Hinsicht derjenigen Orga- nisation, die es zum Werkzeug der Seele macht, vor der Entwickelung der Seele, ehe diese Em- pfindungen und Jdeen aufgesammlet hat, in ei- nem ähnlichen eingewickelten Zustande, als ein organisirter Körper in seinem Keim ist, der nur Anlagen hat, ein System von Fasern zu bekom- men, oder doch, wenn man nach der Jdee von der Bonnetischen Evolution sich die Sache vorstellet, diese Fasern nur in ihren ersten Anfängen besitzet? Die Einrichtung der Denkmaschine würde auf diese Art der Entwickelung des ganzen organisir- ten Körpers ähnlich und gleichartig seyn; die zu- rückbleibenden Spuren der Eindrücke würden bey dem Gehirn solche Verlängerungen und Verdi- ckungen der Denkfasern seyn, wie bey der Entwi- ckelung des Embryons, und bey dem Auswachsen vorkommen. Aber so wie jeder Schritt in der Entwickelung des organisirten Körpers Bewegun- gen erfodert, wodurch die nährende Materie durch die schon vorhandene Organisation vertheilet wird, so könnten bey dem Organ des Denkens die sinnlichen Eindrücke von außen die Stelle dieser Bewegungen vertreten, und wenigstens die ersten Reizungen der Kräfte dazu abgeben. Und dann mag auch die Hartleyische Jdee hier eingeschoben werden, daß nämlich diese reizende und die Ent- wickelung befördernde Bewegungen in Vibratio- nen bestehen. Es ist meine Absicht nicht, eine neue
Vorrede. nichts fehlet, als nur, daß es von den Eindruͤckenaͤußerer Dinge in Bewegung geſetzt werde, und dadurch gewiſſe Dispoſitionen erlange? Jſt nicht vielleicht das Gehirn in Hinſicht derjenigen Orga- niſation, die es zum Werkzeug der Seele macht, vor der Entwickelung der Seele, ehe dieſe Em- pfindungen und Jdeen aufgeſammlet hat, in ei- nem aͤhnlichen eingewickelten Zuſtande, als ein organiſirter Koͤrper in ſeinem Keim iſt, der nur Anlagen hat, ein Syſtem von Faſern zu bekom- men, oder doch, wenn man nach der Jdee von der Bonnetiſchen Evolution ſich die Sache vorſtellet, dieſe Faſern nur in ihren erſten Anfaͤngen beſitzet? Die Einrichtung der Denkmaſchine wuͤrde auf dieſe Art der Entwickelung des ganzen organiſir- ten Koͤrpers aͤhnlich und gleichartig ſeyn; die zu- ruͤckbleibenden Spuren der Eindruͤcke wuͤrden bey dem Gehirn ſolche Verlaͤngerungen und Verdi- ckungen der Denkfaſern ſeyn, wie bey der Entwi- ckelung des Embryons, und bey dem Auswachſen vorkommen. Aber ſo wie jeder Schritt in der Entwickelung des organiſirten Koͤrpers Bewegun- gen erfodert, wodurch die naͤhrende Materie durch die ſchon vorhandene Organiſation vertheilet wird, ſo koͤnnten bey dem Organ des Denkens die ſinnlichen Eindruͤcke von außen die Stelle dieſer Bewegungen vertreten, und wenigſtens die erſten Reizungen der Kraͤfte dazu abgeben. Und dann mag auch die Hartleyiſche Jdee hier eingeſchoben werden, daß naͤmlich dieſe reizende und die Ent- wickelung befoͤrdernde Bewegungen in Vibratio- nen beſtehen. Es iſt meine Abſicht nicht, eine neue
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Vorrede.
nichts fehlet, als nur, daß es von den Eindruͤcken
aͤußerer Dinge in Bewegung geſetzt werde, und
dadurch gewiſſe Dispoſitionen erlange? Jſt nicht
vielleicht das Gehirn in Hinſicht derjenigen Orga-
niſation, die es zum Werkzeug der Seele macht,
vor der Entwickelung der Seele, ehe dieſe Em-
pfindungen und Jdeen aufgeſammlet hat, in ei-
nem aͤhnlichen eingewickelten Zuſtande, als ein
organiſirter Koͤrper in ſeinem Keim iſt, der nur
Anlagen hat, ein Syſtem von Faſern zu bekom-
men, oder doch, wenn man nach der Jdee von der
Bonnetiſchen Evolution ſich die Sache vorſtellet,
dieſe Faſern nur in ihren erſten Anfaͤngen beſitzet?
Die Einrichtung der Denkmaſchine wuͤrde auf
dieſe Art der Entwickelung des ganzen organiſir-
ten Koͤrpers aͤhnlich und gleichartig ſeyn; die zu-
ruͤckbleibenden Spuren der Eindruͤcke wuͤrden bey
dem Gehirn ſolche Verlaͤngerungen und Verdi-
ckungen der Denkfaſern ſeyn, wie bey der Entwi-
ckelung des Embryons, und bey dem Auswachſen
vorkommen. Aber ſo wie jeder Schritt in der
Entwickelung des organiſirten Koͤrpers Bewegun-
gen erfodert, wodurch die naͤhrende Materie durch
die ſchon vorhandene Organiſation vertheilet
wird, ſo koͤnnten bey dem Organ des Denkens die
ſinnlichen Eindruͤcke von außen die Stelle dieſer
Bewegungen vertreten, und wenigſtens die erſten
Reizungen der Kraͤfte dazu abgeben. Und dann
mag auch die Hartleyiſche Jdee hier eingeſchoben
werden, daß naͤmlich dieſe reizende und die Ent-
wickelung befoͤrdernde Bewegungen in Vibratio-
nen beſtehen. Es iſt meine Abſicht nicht, eine
neue
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