sie hervorzuziehen. Hat die ganze vorige Empfindung von einem einzeln Gegenstande aus mehrern Eindrücken, und zwar auf verschiedene Sinne bestanden; so ist es, wie die Erfahrung lehret, öfters die Gesichtsempfindung, und das von ihr nachgebliebene Bild, dessen die Seele sich zu einer solchen Grundlage bey der Reproduktion der Empfindung bedienet. Dieser Theil der Einbildung muß also die Reflexion, wo diese als ertheilende und den- kende Kraft sich beweiset, auf das Ganze hinführen, und dieß als ein Objekt ihr darstellen. Diese zeichnende Be- ziehung der Vorstellung auf die Empfindung setzet keine Vergleichung voraus. Sie lieget in der Natur der Wiedervorstellungen. Aber wenn das Urtheil der Re- flexion hinzukommen, und wenn der Gedanke deutlich werden soll; da ist ein Objekt, oder eine Sache, und diese Sache stelle ich mir vor, so ist die Vorstellung schon eine Jdee, welches sie ohne Bewußtseyn und ohne Ver- gleichungen nicht werden kann. Es ist aber hier nicht die Rede von dem, was in der Action der Denkkraft enthalten ist; es war nur die Rede von dem Gesetz, wor- nach diese Action der Denkkraft erreget wird.
Die Einbildung einer Sache oder die Vorstellung von ihr, habe ich gesagt, sey nur ein Theil der ganzen reproducirten Modifikation. Das heißet, möchte man einwenden; die Einbildung ist nur ein Theil der Einbil- dung. Was ist denn die ganze völlige Einbildung? Jch antworte: Man betrachtet hier nur die Einbildun- gen, in so ferne sie Zeichen von andern Gegenständen sind, die wir durch sie erkennen. Zu dieser Absicht ge- brauchen wir niemals das Ganze, sondern nur einen her- vorstechenden Theil, nur die Grundzüge, nicht alle klei- nen Nebenzüge; auch nicht alle diejenigen, die völlig wieder gegenwärtig werden. Die völlige Reproduktion wird niemals zu einer solchen Absicht gebraucht, sondern zeiget sich vielmehr als eine neue gegenwärtige Empfin-
dung,
I. Verſuch. Ueber die Natur
ſie hervorzuziehen. Hat die ganze vorige Empfindung von einem einzeln Gegenſtande aus mehrern Eindruͤcken, und zwar auf verſchiedene Sinne beſtanden; ſo iſt es, wie die Erfahrung lehret, oͤfters die Geſichtsempfindung, und das von ihr nachgebliebene Bild, deſſen die Seele ſich zu einer ſolchen Grundlage bey der Reproduktion der Empfindung bedienet. Dieſer Theil der Einbildung muß alſo die Reflexion, wo dieſe als ertheilende und den- kende Kraft ſich beweiſet, auf das Ganze hinfuͤhren, und dieß als ein Objekt ihr darſtellen. Dieſe zeichnende Be- ziehung der Vorſtellung auf die Empfindung ſetzet keine Vergleichung voraus. Sie lieget in der Natur der Wiedervorſtellungen. Aber wenn das Urtheil der Re- flexion hinzukommen, und wenn der Gedanke deutlich werden ſoll; da iſt ein Objekt, oder eine Sache, und dieſe Sache ſtelle ich mir vor, ſo iſt die Vorſtellung ſchon eine Jdee, welches ſie ohne Bewußtſeyn und ohne Ver- gleichungen nicht werden kann. Es iſt aber hier nicht die Rede von dem, was in der Action der Denkkraft enthalten iſt; es war nur die Rede von dem Geſetz, wor- nach dieſe Action der Denkkraft erreget wird.
Die Einbildung einer Sache oder die Vorſtellung von ihr, habe ich geſagt, ſey nur ein Theil der ganzen reproducirten Modifikation. Das heißet, moͤchte man einwenden; die Einbildung iſt nur ein Theil der Einbil- dung. Was iſt denn die ganze voͤllige Einbildung? Jch antworte: Man betrachtet hier nur die Einbildun- gen, in ſo ferne ſie Zeichen von andern Gegenſtaͤnden ſind, die wir durch ſie erkennen. Zu dieſer Abſicht ge- brauchen wir niemals das Ganze, ſondern nur einen her- vorſtechenden Theil, nur die Grundzuͤge, nicht alle klei- nen Nebenzuͤge; auch nicht alle diejenigen, die voͤllig wieder gegenwaͤrtig werden. Die voͤllige Reproduktion wird niemals zu einer ſolchen Abſicht gebraucht, ſondern zeiget ſich vielmehr als eine neue gegenwaͤrtige Empfin-
dung,
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I. Verſuch. Ueber die Natur
ſie hervorzuziehen. Hat die ganze vorige Empfindung
von einem einzeln Gegenſtande aus mehrern Eindruͤcken,
und zwar auf verſchiedene Sinne beſtanden; ſo iſt es,
wie die Erfahrung lehret, oͤfters die Geſichtsempfindung,
und das von ihr nachgebliebene Bild, deſſen die Seele
ſich zu einer ſolchen Grundlage bey der Reproduktion der
Empfindung bedienet. Dieſer Theil der Einbildung
muß alſo die Reflexion, wo dieſe als ertheilende und den-
kende Kraft ſich beweiſet, auf das Ganze hinfuͤhren, und
dieß als ein Objekt ihr darſtellen. Dieſe zeichnende Be-
ziehung der Vorſtellung auf die Empfindung ſetzet keine
Vergleichung voraus. Sie lieget in der Natur der
Wiedervorſtellungen. Aber wenn das Urtheil der Re-
flexion hinzukommen, und wenn der Gedanke deutlich
werden ſoll; da iſt ein Objekt, oder eine Sache, und
dieſe Sache ſtelle ich mir vor, ſo iſt die Vorſtellung ſchon
eine Jdee, welches ſie ohne Bewußtſeyn und ohne Ver-
gleichungen nicht werden kann. Es iſt aber hier nicht
die Rede von dem, was in der Action der Denkkraft
enthalten iſt; es war nur die Rede von dem Geſetz, wor-
nach dieſe Action der Denkkraft erreget wird.
Die Einbildung einer Sache oder die Vorſtellung
von ihr, habe ich geſagt, ſey nur ein Theil der ganzen
reproducirten Modifikation. Das heißet, moͤchte man
einwenden; die Einbildung iſt nur ein Theil der Einbil-
dung. Was iſt denn die ganze voͤllige Einbildung?
Jch antworte: Man betrachtet hier nur die Einbildun-
gen, in ſo ferne ſie Zeichen von andern Gegenſtaͤnden
ſind, die wir durch ſie erkennen. Zu dieſer Abſicht ge-
brauchen wir niemals das Ganze, ſondern nur einen her-
vorſtechenden Theil, nur die Grundzuͤge, nicht alle klei-
nen Nebenzuͤge; auch nicht alle diejenigen, die voͤllig
wieder gegenwaͤrtig werden. Die voͤllige Reproduktion
wird niemals zu einer ſolchen Abſicht gebraucht, ſondern
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/146>, abgerufen am 28.11.2024.
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