nemlich, als das Stück von der Empfindung, welches ein Bild, oder eine Einbildung von dem empfundenen Gegenstand genennet wird, und der hervorstechende Theil der ganzen Empfindung gewesen ist, um welches die übrigen sich wie um einen Mittelpunkt geleget hat- ten. Es ist noch etwas mehr vorhanden, nemlich eine Tendenz, auch die übrigen Theile der Empfindung, die dunkeln Gefühle bey ihr, zu erneuern. Die Seele leidet und ist thätig, und ihre Kraft ist gespannet, als wenn die gesammte Empfindung oder Nachempfindung, wel- ches hier einerley ist, wiederum erneuert werden sollte.
Wenn uns der Anblick eines Gemähldes nicht so- gleich in das vorige Anschauen der abgemahlten Person zurücksetzet, so kommt dieß ohne Zweifel daher, weil wir hier so viel Eigenes an dem Gemählde, als an einem besondern Objekte gewahrnehmen, das uns aufhält. Das Gemählde ist nicht durchaus Gemählde, sondern auch selbst ein Gegenstand, der als ein solcher seine ei- gene Empfindungen erreget. Wäre es ganz und gar ein Bild einer andern Sache, so würden wir nur allein diese in jenem, und jenes selbst nicht empfinden. Ein Spiegel, der ein vollkommener Spiegel ist, kann nicht selbst gesehen werden, so wenig als ein Körper, der voll- kommen durchsichtig ist, aber Dinge von dem äußersten Grade finden sich in der Natur nicht. Auf dieselbige Art verhält es sich mit unsern Vorstellungen. Sie sind in einigen Hinsichten selbst Gegenstände; sie werden als solche gefühlet und erkannt; sie sind dieß desto- mehr, je verwirrter sie sind, und werden es desto weni- ger, je mehr sie deutlich und entwickelt werden. Den- noch behalten sie die zeichnende Natur, und beweisen sie sogleich im Anfange, wenn die Phantasie sie wieder er- wecket.
Es ist nun noch das zweyte übrig, nemlich die Richtung der Reflexion auf die Empfindung, welche
durch
I. Verſuch. Ueber die Natur
nemlich, als das Stuͤck von der Empfindung, welches ein Bild, oder eine Einbildung von dem empfundenen Gegenſtand genennet wird, und der hervorſtechende Theil der ganzen Empfindung geweſen iſt, um welches die uͤbrigen ſich wie um einen Mittelpunkt geleget hat- ten. Es iſt noch etwas mehr vorhanden, nemlich eine Tendenz, auch die uͤbrigen Theile der Empfindung, die dunkeln Gefuͤhle bey ihr, zu erneuern. Die Seele leidet und iſt thaͤtig, und ihre Kraft iſt geſpannet, als wenn die geſammte Empfindung oder Nachempfindung, wel- ches hier einerley iſt, wiederum erneuert werden ſollte.
Wenn uns der Anblick eines Gemaͤhldes nicht ſo- gleich in das vorige Anſchauen der abgemahlten Perſon zuruͤckſetzet, ſo kommt dieß ohne Zweifel daher, weil wir hier ſo viel Eigenes an dem Gemaͤhlde, als an einem beſondern Objekte gewahrnehmen, das uns aufhaͤlt. Das Gemaͤhlde iſt nicht durchaus Gemaͤhlde, ſondern auch ſelbſt ein Gegenſtand, der als ein ſolcher ſeine ei- gene Empfindungen erreget. Waͤre es ganz und gar ein Bild einer andern Sache, ſo wuͤrden wir nur allein dieſe in jenem, und jenes ſelbſt nicht empfinden. Ein Spiegel, der ein vollkommener Spiegel iſt, kann nicht ſelbſt geſehen werden, ſo wenig als ein Koͤrper, der voll- kommen durchſichtig iſt, aber Dinge von dem aͤußerſten Grade finden ſich in der Natur nicht. Auf dieſelbige Art verhaͤlt es ſich mit unſern Vorſtellungen. Sie ſind in einigen Hinſichten ſelbſt Gegenſtaͤnde; ſie werden als ſolche gefuͤhlet und erkannt; ſie ſind dieß deſto- mehr, je verwirrter ſie ſind, und werden es deſto weni- ger, je mehr ſie deutlich und entwickelt werden. Den- noch behalten ſie die zeichnende Natur, und beweiſen ſie ſogleich im Anfange, wenn die Phantaſie ſie wieder er- wecket.
Es iſt nun noch das zweyte uͤbrig, nemlich die Richtung der Reflexion auf die Empfindung, welche
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I. Verſuch. Ueber die Natur
nemlich, als das Stuͤck von der Empfindung, welches
ein Bild, oder eine Einbildung von dem empfundenen
Gegenſtand genennet wird, und der hervorſtechende
Theil der ganzen Empfindung geweſen iſt, um welches
die uͤbrigen ſich wie um einen Mittelpunkt geleget hat-
ten. Es iſt noch etwas mehr vorhanden, nemlich eine
Tendenz, auch die uͤbrigen Theile der Empfindung, die
dunkeln Gefuͤhle bey ihr, zu erneuern. Die Seele leidet
und iſt thaͤtig, und ihre Kraft iſt geſpannet, als wenn
die geſammte Empfindung oder Nachempfindung, wel-
ches hier einerley iſt, wiederum erneuert werden ſollte.
Wenn uns der Anblick eines Gemaͤhldes nicht ſo-
gleich in das vorige Anſchauen der abgemahlten Perſon
zuruͤckſetzet, ſo kommt dieß ohne Zweifel daher, weil wir
hier ſo viel Eigenes an dem Gemaͤhlde, als an einem
beſondern Objekte gewahrnehmen, das uns aufhaͤlt.
Das Gemaͤhlde iſt nicht durchaus Gemaͤhlde, ſondern
auch ſelbſt ein Gegenſtand, der als ein ſolcher ſeine ei-
gene Empfindungen erreget. Waͤre es ganz und gar
ein Bild einer andern Sache, ſo wuͤrden wir nur allein
dieſe in jenem, und jenes ſelbſt nicht empfinden. Ein
Spiegel, der ein vollkommener Spiegel iſt, kann nicht
ſelbſt geſehen werden, ſo wenig als ein Koͤrper, der voll-
kommen durchſichtig iſt, aber Dinge von dem aͤußerſten
Grade finden ſich in der Natur nicht. Auf dieſelbige
Art verhaͤlt es ſich mit unſern Vorſtellungen. Sie
ſind in einigen Hinſichten ſelbſt Gegenſtaͤnde; ſie
werden als ſolche gefuͤhlet und erkannt; ſie ſind dieß deſto-
mehr, je verwirrter ſie ſind, und werden es deſto weni-
ger, je mehr ſie deutlich und entwickelt werden. Den-
noch behalten ſie die zeichnende Natur, und beweiſen ſie
ſogleich im Anfange, wenn die Phantaſie ſie wieder er-
wecket.
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/142>, abgerufen am 23.11.2024.
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