Zeichen und Bilder erkannt werden; nur mit dem Un- terschied, daß die Reflexion nicht bey allen Arten von Zeichen so leicht, so natürlich in diese Richtung gebracht wird, als bey den Vorstellungen, deren Natur sie von selbst dahin ziehet.
So oft man sich ein hohes Gebäude, einen Berg, einen Thurm, in der Abwesenheit einbildet, so erheben sich die Augen auf die nemliche Art, wie vormals bey dem Anschauen. Wenn die Gegenstände in einer großen Entfernung gesehen wurden, so legen sich die Axen der Augen wiederum in eine ähnliche Lage, als wenn man dahin sehen wollte. Es lässet sich, wie bekannt ist, ei- nem wachenden Menschen, der sich ohne Verstellung sich selbst überläßt, an den Augen ansehen, ob er an dasje- nige denket, was vor ihm ist, oder ob sich seine Phanta- sie mit abwesenden Sachen beschäftige. Jn Wolfens größerer Psychologie, und nun in viel mehrern neuern Schriften, findet man soche Beobachtungen gesammlet, und mit einer mäßigen Aufmerksamkeit auf sich selbst findet man dergleichen in Menge, welche zu dem allge- meinen Satz hinführen, daß jede Einbildung mit Tendenzen verbunden sey, den vormaligen Zu- stand, sogar in dem äußerlichen Sinngliede wie- der zu erwecken, der bey der Empfindung vor- handen war. Das Auge ist unter den übrigen äussern Sinngliedern das beugsamste, und dieß ist der Grund der Augensprache; aber oft, zumal bey den übrigen Em- pfindungen, geht die wiederzurückkehrende Bewegung in der Einbildung nicht so stark nach außen, daß sie be- merket werde, weil die Tendenz dazu innerlich zu schwach ist. Aber es lehret doch die Erfahrung, daß wer sich äußerlich nicht durch Minen verrathen will, auch Herr über seine Einbildungen in dem Jnnern seyn müsse.
Nur eine mäßige Beobachtung seiner Selbst ist nö- thig, um zu finden, daß die Wiedervorstellungen aus
dem
I. Verſuch. Ueber die Natur
Zeichen und Bilder erkannt werden; nur mit dem Un- terſchied, daß die Reflexion nicht bey allen Arten von Zeichen ſo leicht, ſo natuͤrlich in dieſe Richtung gebracht wird, als bey den Vorſtellungen, deren Natur ſie von ſelbſt dahin ziehet.
So oft man ſich ein hohes Gebaͤude, einen Berg, einen Thurm, in der Abweſenheit einbildet, ſo erheben ſich die Augen auf die nemliche Art, wie vormals bey dem Anſchauen. Wenn die Gegenſtaͤnde in einer großen Entfernung geſehen wurden, ſo legen ſich die Axen der Augen wiederum in eine aͤhnliche Lage, als wenn man dahin ſehen wollte. Es laͤſſet ſich, wie bekannt iſt, ei- nem wachenden Menſchen, der ſich ohne Verſtellung ſich ſelbſt uͤberlaͤßt, an den Augen anſehen, ob er an dasje- nige denket, was vor ihm iſt, oder ob ſich ſeine Phanta- ſie mit abweſenden Sachen beſchaͤftige. Jn Wolfens groͤßerer Pſychologie, und nun in viel mehrern neuern Schriften, findet man ſoche Beobachtungen geſammlet, und mit einer maͤßigen Aufmerkſamkeit auf ſich ſelbſt findet man dergleichen in Menge, welche zu dem allge- meinen Satz hinfuͤhren, daß jede Einbildung mit Tendenzen verbunden ſey, den vormaligen Zu- ſtand, ſogar in dem aͤußerlichen Sinngliede wie- der zu erwecken, der bey der Empfindung vor- handen war. Das Auge iſt unter den uͤbrigen aͤuſſern Sinngliedern das beugſamſte, und dieß iſt der Grund der Augenſprache; aber oft, zumal bey den uͤbrigen Em- pfindungen, geht die wiederzuruͤckkehrende Bewegung in der Einbildung nicht ſo ſtark nach außen, daß ſie be- merket werde, weil die Tendenz dazu innerlich zu ſchwach iſt. Aber es lehret doch die Erfahrung, daß wer ſich aͤußerlich nicht durch Minen verrathen will, auch Herr uͤber ſeine Einbildungen in dem Jnnern ſeyn muͤſſe.
Nur eine maͤßige Beobachtung ſeiner Selbſt iſt noͤ- thig, um zu finden, daß die Wiedervorſtellungen aus
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I. Verſuch. Ueber die Natur
Zeichen und Bilder erkannt werden; nur mit dem Un-
terſchied, daß die Reflexion nicht bey allen Arten von
Zeichen ſo leicht, ſo natuͤrlich in dieſe Richtung gebracht
wird, als bey den Vorſtellungen, deren Natur ſie von
ſelbſt dahin ziehet.
So oft man ſich ein hohes Gebaͤude, einen Berg,
einen Thurm, in der Abweſenheit einbildet, ſo erheben
ſich die Augen auf die nemliche Art, wie vormals bey
dem Anſchauen. Wenn die Gegenſtaͤnde in einer großen
Entfernung geſehen wurden, ſo legen ſich die Axen der
Augen wiederum in eine aͤhnliche Lage, als wenn man
dahin ſehen wollte. Es laͤſſet ſich, wie bekannt iſt, ei-
nem wachenden Menſchen, der ſich ohne Verſtellung ſich
ſelbſt uͤberlaͤßt, an den Augen anſehen, ob er an dasje-
nige denket, was vor ihm iſt, oder ob ſich ſeine Phanta-
ſie mit abweſenden Sachen beſchaͤftige. Jn Wolfens
groͤßerer Pſychologie, und nun in viel mehrern neuern
Schriften, findet man ſoche Beobachtungen geſammlet,
und mit einer maͤßigen Aufmerkſamkeit auf ſich ſelbſt
findet man dergleichen in Menge, welche zu dem allge-
meinen Satz hinfuͤhren, daß jede Einbildung mit
Tendenzen verbunden ſey, den vormaligen Zu-
ſtand, ſogar in dem aͤußerlichen Sinngliede wie-
der zu erwecken, der bey der Empfindung vor-
handen war. Das Auge iſt unter den uͤbrigen aͤuſſern
Sinngliedern das beugſamſte, und dieß iſt der Grund
der Augenſprache; aber oft, zumal bey den uͤbrigen Em-
pfindungen, geht die wiederzuruͤckkehrende Bewegung in
der Einbildung nicht ſo ſtark nach außen, daß ſie be-
merket werde, weil die Tendenz dazu innerlich zu ſchwach
iſt. Aber es lehret doch die Erfahrung, daß wer ſich
aͤußerlich nicht durch Minen verrathen will, auch Herr
uͤber ſeine Einbildungen in dem Jnnern ſeyn muͤſſe.
Nur eine maͤßige Beobachtung ſeiner Selbſt iſt noͤ-
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/140>, abgerufen am 22.11.2024.
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