auch dem System des deutschen. Philosophen nicht ver- saget haben. Denn abgerechnet, daß Hartley die Jdeen Nervenschwingungen nennet, und sie wie Herr Bonner in die Organe im Gehirn hinsetzet, dagegen Wolf die Jdeen für Modifikationen der Seele selbst an- sah, so ist gewiß die vorstellende Kraft in dem Sy- stem des letztern ein eben so einfacher und so weit sich er- streckender Grundsatz, als die hartleyische Jdeenassociation, und kann auch auf eine ähnliche Art auf die psychologi- schen Beobachtungen, und besonders auf die, wovon hier die Rede ist, angewendet werden. Man darf nur die Sprache und Ausdrücke umändern, so wird die Er- klärung aus einem System in eine Erklärung nach dem andern übergehen.
Hier ist es meine Absicht nicht, diese Hypothesen zu beurtheilen, welche, weil sie von ihren scharfsinnigen Verfassern gut genug durchgedacht sind, auch Ausflüchte genug in sich fassen, um Angriffen auszuweichen, welche man aus der Erfahrung auf sie thun kann. Mögliche Erklärungsarten geben sie genug her, wie die Hypothe- fen überhaupt, die vernünftig sind. Fragt man aber, womit sie selbst bestätiget sind, so stehen sie in der nackten Blöße der Hypothesen da. Jch will hier nur einige Anmerkungen anfügen, die jene aus der Association der Jdeen gezogene Erklärung von den Wiedervorstellungen innerer Empfindungen betreffen.
Erstlich ist zu bedenken, daß hier noch nicht die Frage sey, worinn die Seelenveränderungen, welche der innere Sinn empfindet, eigentlich bestehen. Ob das, was wir Vergnügen nennen, etwas anders sey, als ein Phänomen, das, wenn es deutlich auseinander ge- setzet werden kann, vielleicht nichts ist, als ein Aktus der vorstellenden Kraft oder des Vermögens, Jdeen zu verknüpfen, und zwar ohne daß die Seele andere Jdeen besitze, als von äußern Objekten, die sie aus den äußern
Sinnen
I. Verſuch. Ueber die Natur
auch dem Syſtem des deutſchen. Philoſophen nicht ver- ſaget haben. Denn abgerechnet, daß Hartley die Jdeen Nervenſchwingungen nennet, und ſie wie Herr Bonner in die Organe im Gehirn hinſetzet, dagegen Wolf die Jdeen fuͤr Modifikationen der Seele ſelbſt an- ſah, ſo iſt gewiß die vorſtellende Kraft in dem Sy- ſtem des letztern ein eben ſo einfacher und ſo weit ſich er- ſtreckender Grundſatz, als die hartleyiſche Jdeenaſſociation, und kann auch auf eine aͤhnliche Art auf die pſychologi- ſchen Beobachtungen, und beſonders auf die, wovon hier die Rede iſt, angewendet werden. Man darf nur die Sprache und Ausdruͤcke umaͤndern, ſo wird die Er- klaͤrung aus einem Syſtem in eine Erklaͤrung nach dem andern uͤbergehen.
Hier iſt es meine Abſicht nicht, dieſe Hypotheſen zu beurtheilen, welche, weil ſie von ihren ſcharfſinnigen Verfaſſern gut genug durchgedacht ſind, auch Ausfluͤchte genug in ſich faſſen, um Angriffen auszuweichen, welche man aus der Erfahrung auf ſie thun kann. Moͤgliche Erklaͤrungsarten geben ſie genug her, wie die Hypothe- fen uͤberhaupt, die vernuͤnftig ſind. Fragt man aber, womit ſie ſelbſt beſtaͤtiget ſind, ſo ſtehen ſie in der nackten Bloͤße der Hypotheſen da. Jch will hier nur einige Anmerkungen anfuͤgen, die jene aus der Aſſociation der Jdeen gezogene Erklaͤrung von den Wiedervorſtellungen innerer Empfindungen betreffen.
Erſtlich iſt zu bedenken, daß hier noch nicht die Frage ſey, worinn die Seelenveraͤnderungen, welche der innere Sinn empfindet, eigentlich beſtehen. Ob das, was wir Vergnuͤgen nennen, etwas anders ſey, als ein Phaͤnomen, das, wenn es deutlich auseinander ge- ſetzet werden kann, vielleicht nichts iſt, als ein Aktus der vorſtellenden Kraft oder des Vermoͤgens, Jdeen zu verknuͤpfen, und zwar ohne daß die Seele andere Jdeen beſitze, als von aͤußern Objekten, die ſie aus den aͤußern
Sinnen
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I. Verſuch. Ueber die Natur
auch dem Syſtem des deutſchen. Philoſophen nicht ver-
ſaget haben. Denn abgerechnet, daß Hartley die Jdeen
Nervenſchwingungen nennet, und ſie wie Herr
Bonner in die Organe im Gehirn hinſetzet, dagegen
Wolf die Jdeen fuͤr Modifikationen der Seele ſelbſt an-
ſah, ſo iſt gewiß die vorſtellende Kraft in dem Sy-
ſtem des letztern ein eben ſo einfacher und ſo weit ſich er-
ſtreckender Grundſatz, als die hartleyiſche Jdeenaſſociation,
und kann auch auf eine aͤhnliche Art auf die pſychologi-
ſchen Beobachtungen, und beſonders auf die, wovon
hier die Rede iſt, angewendet werden. Man darf nur
die Sprache und Ausdruͤcke umaͤndern, ſo wird die Er-
klaͤrung aus einem Syſtem in eine Erklaͤrung nach dem
andern uͤbergehen.
Hier iſt es meine Abſicht nicht, dieſe Hypotheſen zu
beurtheilen, welche, weil ſie von ihren ſcharfſinnigen
Verfaſſern gut genug durchgedacht ſind, auch Ausfluͤchte
genug in ſich faſſen, um Angriffen auszuweichen, welche
man aus der Erfahrung auf ſie thun kann. Moͤgliche
Erklaͤrungsarten geben ſie genug her, wie die Hypothe-
fen uͤberhaupt, die vernuͤnftig ſind. Fragt man aber,
womit ſie ſelbſt beſtaͤtiget ſind, ſo ſtehen ſie in der nackten
Bloͤße der Hypotheſen da. Jch will hier nur einige
Anmerkungen anfuͤgen, die jene aus der Aſſociation der
Jdeen gezogene Erklaͤrung von den Wiedervorſtellungen
innerer Empfindungen betreffen.
Erſtlich iſt zu bedenken, daß hier noch nicht die
Frage ſey, worinn die Seelenveraͤnderungen, welche der
innere Sinn empfindet, eigentlich beſtehen. Ob das,
was wir Vergnuͤgen nennen, etwas anders ſey, als
ein Phaͤnomen, das, wenn es deutlich auseinander ge-
ſetzet werden kann, vielleicht nichts iſt, als ein Aktus
der vorſtellenden Kraft oder des Vermoͤgens, Jdeen zu
verknuͤpfen, und zwar ohne daß die Seele andere Jdeen
beſitze, als von aͤußern Objekten, die ſie aus den aͤußern
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/128>, abgerufen am 25.11.2024.
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