Tesche, Walter: Der Enten-Piet. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 19. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 121–236. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.künftige Woche eine schöne Gelegenheit; dort könne er sein Meisterstück machen. Und, Mynheer, der junge Mann ist auch dazu willig und bereit. Das ist entsetzlich -- abscheulich! rief der empörte Greis aufspringend und heftig auf- und abschreitend. Ich habe viel romanhafte Historien von der blinden Liebesleidenschaft gelesen und erfahren -- aber daß Einer vor allem Volke das Schaffot betreten und sich die Geliebte durch Köpfen verdienen will -- pfui, das ist unmenschlich! Würden Mynheer Ihre Pflegetochter dem braven jungen Manne versagt haben, wenn er Polderwirth geblieben wäre? Daran ist jetzt nicht mehr zu denken. -- Ich gestehe, ich hatte diesen Gedanken früher, als ich die albernen Vorurtheile des alten Baas im Zorgenhof noch nicht kannte -- er hätte wahrhaftig ein gutes Heirathsgeschäft gemacht. Aber jetzt, nachdem ich den fühllosen Charakter des jungen Menschen erkannt habe, jetzt ist daran nicht mehr zu denken. Wollen Mynheer nicht lieber diesen charakterfesten Jüngling vorher selbst sprechen, ehe Sie ihn verdammen? Nein, ich will nimmermehr! -- Doch sich mäßigend und fast beschämt, daß er vor dem ruhig gebliebenen Gaste erhitzt, übereilt, ungerecht erscheinen könne, fragte der Kaufherr: wo ist der junge Mann? Er wartet in meinem Wagen vor Mynheers Palast. künftige Woche eine schöne Gelegenheit; dort könne er sein Meisterstück machen. Und, Mynheer, der junge Mann ist auch dazu willig und bereit. Das ist entsetzlich — abscheulich! rief der empörte Greis aufspringend und heftig auf- und abschreitend. Ich habe viel romanhafte Historien von der blinden Liebesleidenschaft gelesen und erfahren — aber daß Einer vor allem Volke das Schaffot betreten und sich die Geliebte durch Köpfen verdienen will — pfui, das ist unmenschlich! Würden Mynheer Ihre Pflegetochter dem braven jungen Manne versagt haben, wenn er Polderwirth geblieben wäre? Daran ist jetzt nicht mehr zu denken. — Ich gestehe, ich hatte diesen Gedanken früher, als ich die albernen Vorurtheile des alten Baas im Zorgenhof noch nicht kannte — er hätte wahrhaftig ein gutes Heirathsgeschäft gemacht. Aber jetzt, nachdem ich den fühllosen Charakter des jungen Menschen erkannt habe, jetzt ist daran nicht mehr zu denken. Wollen Mynheer nicht lieber diesen charakterfesten Jüngling vorher selbst sprechen, ehe Sie ihn verdammen? Nein, ich will nimmermehr! — Doch sich mäßigend und fast beschämt, daß er vor dem ruhig gebliebenen Gaste erhitzt, übereilt, ungerecht erscheinen könne, fragte der Kaufherr: wo ist der junge Mann? Er wartet in meinem Wagen vor Mynheers Palast. <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="5"> <p><pb facs="#f0085"/> künftige Woche eine schöne Gelegenheit; dort könne er sein Meisterstück machen. Und, Mynheer, der junge Mann ist auch dazu willig und bereit.</p><lb/> <p>Das ist entsetzlich — abscheulich! rief der empörte Greis aufspringend und heftig auf- und abschreitend. Ich habe viel romanhafte Historien von der blinden Liebesleidenschaft gelesen und erfahren — aber daß Einer vor allem Volke das Schaffot betreten und sich die Geliebte durch Köpfen verdienen will — pfui, das ist unmenschlich!</p><lb/> <p>Würden Mynheer Ihre Pflegetochter dem braven jungen Manne versagt haben, wenn er Polderwirth geblieben wäre?</p><lb/> <p>Daran ist jetzt nicht mehr zu denken. — Ich gestehe, ich hatte diesen Gedanken früher, als ich die albernen Vorurtheile des alten Baas im Zorgenhof noch nicht kannte — er hätte wahrhaftig ein gutes Heirathsgeschäft gemacht. Aber jetzt, nachdem ich den fühllosen Charakter des jungen Menschen erkannt habe, jetzt ist daran nicht mehr zu denken.</p><lb/> <p>Wollen Mynheer nicht lieber diesen charakterfesten Jüngling vorher selbst sprechen, ehe Sie ihn verdammen?</p><lb/> <p>Nein, ich will nimmermehr! — Doch sich mäßigend und fast beschämt, daß er vor dem ruhig gebliebenen Gaste erhitzt, übereilt, ungerecht erscheinen könne, fragte der Kaufherr: wo ist der junge Mann?</p><lb/> <p>Er wartet in meinem Wagen vor Mynheers Palast.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0085]
künftige Woche eine schöne Gelegenheit; dort könne er sein Meisterstück machen. Und, Mynheer, der junge Mann ist auch dazu willig und bereit.
Das ist entsetzlich — abscheulich! rief der empörte Greis aufspringend und heftig auf- und abschreitend. Ich habe viel romanhafte Historien von der blinden Liebesleidenschaft gelesen und erfahren — aber daß Einer vor allem Volke das Schaffot betreten und sich die Geliebte durch Köpfen verdienen will — pfui, das ist unmenschlich!
Würden Mynheer Ihre Pflegetochter dem braven jungen Manne versagt haben, wenn er Polderwirth geblieben wäre?
Daran ist jetzt nicht mehr zu denken. — Ich gestehe, ich hatte diesen Gedanken früher, als ich die albernen Vorurtheile des alten Baas im Zorgenhof noch nicht kannte — er hätte wahrhaftig ein gutes Heirathsgeschäft gemacht. Aber jetzt, nachdem ich den fühllosen Charakter des jungen Menschen erkannt habe, jetzt ist daran nicht mehr zu denken.
Wollen Mynheer nicht lieber diesen charakterfesten Jüngling vorher selbst sprechen, ehe Sie ihn verdammen?
Nein, ich will nimmermehr! — Doch sich mäßigend und fast beschämt, daß er vor dem ruhig gebliebenen Gaste erhitzt, übereilt, ungerecht erscheinen könne, fragte der Kaufherr: wo ist der junge Mann?
Er wartet in meinem Wagen vor Mynheers Palast.
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Zitationshilfe: | Tesche, Walter: Der Enten-Piet. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 19. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 121–236. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tesche_piet_1910/85>, abgerufen am 22.07.2024. |