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Temme, Jodocus Donatus Hubertus: Die Volkssagen von Pommern und Rügen. Berlin, 1840.

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feiner eingelegter Arbeit. Außerdem hingen an den Wänden auf purpurnen Decken allerlei Hörner von wilden Thieren umher, so wie die Geschenke von Gold und Silber, welche dem Gotte von nahe und von fern dargebracht wurden.

Die Verehrung dieses Götzen geschah auf folgende Weise: Weil er vorzüglich als der Gott des Sieges und der Fruchtbarkeit angesehen wurde, so versammelte sich das gesammte Volk alljährlich nach der Ernte vor dem Tempel zum Opfern und zum Opferschmause. Der Oberpriester, der gegen die Sitte des Landes Haar und Bart ungeschoren trug, hatte am Tage vorher das innere Heiligthum des Tempels, welches er allein betreten durfte, mit Besen gereinigt. Dabei mußte er sich aber alles Athmens enthalten, und jedesmal, wenn er Athem holen mußte, vor die Thüre laufen, damit der Gott durch menschlichen Hauch nicht befleckt werde. Wenn nun an dem Tage des Festes das Volk versammelt war, dann besah er zuerst das Horn des Gottes, und weissagte aus dessen Inhalte; war nämlich dasselbe noch voll von dem, im vorigen Jahre hineingegossenen Meth, so bedeutete dieß ein bevorstehendes fruchtbares Jahr; fehlte hingegen etwas an dem Meth, so bedeutete das Theurung und Hungersnoth. Nachdem dieß geschehen war, sprengte er den Inhalt des Horns als Opfer vor die Füße des Gottes, füllte es dann mit frischem Meth und flehete zu dem Gotte um Segen für das Land und um Sieg gegen die Feinde. Darauf leerte er dasselbe ohne abzusetzen, füllte es sodann wieder, und stellte es zurück an die Seite des Götzen.

Hierauf nahm er einen Opferkuchen, der rund und so groß war, daß er fast die Größe eines Mannes erreichte; den stellte er zwischen sich und das Volk und fragte das letztere, ob man ihn auch sehen könne. Wenn dieß verneint

feiner eingelegter Arbeit. Außerdem hingen an den Wänden auf purpurnen Decken allerlei Hörner von wilden Thieren umher, so wie die Geschenke von Gold und Silber, welche dem Gotte von nahe und von fern dargebracht wurden.

Die Verehrung dieses Götzen geschah auf folgende Weise: Weil er vorzüglich als der Gott des Sieges und der Fruchtbarkeit angesehen wurde, so versammelte sich das gesammte Volk alljährlich nach der Ernte vor dem Tempel zum Opfern und zum Opferschmause. Der Oberpriester, der gegen die Sitte des Landes Haar und Bart ungeschoren trug, hatte am Tage vorher das innere Heiligthum des Tempels, welches er allein betreten durfte, mit Besen gereinigt. Dabei mußte er sich aber alles Athmens enthalten, und jedesmal, wenn er Athem holen mußte, vor die Thüre laufen, damit der Gott durch menschlichen Hauch nicht befleckt werde. Wenn nun an dem Tage des Festes das Volk versammelt war, dann besah er zuerst das Horn des Gottes, und weissagte aus dessen Inhalte; war nämlich dasselbe noch voll von dem, im vorigen Jahre hineingegossenen Meth, so bedeutete dieß ein bevorstehendes fruchtbares Jahr; fehlte hingegen etwas an dem Meth, so bedeutete das Theurung und Hungersnoth. Nachdem dieß geschehen war, sprengte er den Inhalt des Horns als Opfer vor die Füße des Gottes, füllte es dann mit frischem Meth und flehete zu dem Gotte um Segen für das Land und um Sieg gegen die Feinde. Darauf leerte er dasselbe ohne abzusetzen, füllte es sodann wieder, und stellte es zurück an die Seite des Götzen.

Hierauf nahm er einen Opferkuchen, der rund und so groß war, daß er fast die Größe eines Mannes erreichte; den stellte er zwischen sich und das Volk und fragte das letztere, ob man ihn auch sehen könne. Wenn dieß verneint

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[58/0090] feiner eingelegter Arbeit. Außerdem hingen an den Wänden auf purpurnen Decken allerlei Hörner von wilden Thieren umher, so wie die Geschenke von Gold und Silber, welche dem Gotte von nahe und von fern dargebracht wurden. Die Verehrung dieses Götzen geschah auf folgende Weise: Weil er vorzüglich als der Gott des Sieges und der Fruchtbarkeit angesehen wurde, so versammelte sich das gesammte Volk alljährlich nach der Ernte vor dem Tempel zum Opfern und zum Opferschmause. Der Oberpriester, der gegen die Sitte des Landes Haar und Bart ungeschoren trug, hatte am Tage vorher das innere Heiligthum des Tempels, welches er allein betreten durfte, mit Besen gereinigt. Dabei mußte er sich aber alles Athmens enthalten, und jedesmal, wenn er Athem holen mußte, vor die Thüre laufen, damit der Gott durch menschlichen Hauch nicht befleckt werde. Wenn nun an dem Tage des Festes das Volk versammelt war, dann besah er zuerst das Horn des Gottes, und weissagte aus dessen Inhalte; war nämlich dasselbe noch voll von dem, im vorigen Jahre hineingegossenen Meth, so bedeutete dieß ein bevorstehendes fruchtbares Jahr; fehlte hingegen etwas an dem Meth, so bedeutete das Theurung und Hungersnoth. Nachdem dieß geschehen war, sprengte er den Inhalt des Horns als Opfer vor die Füße des Gottes, füllte es dann mit frischem Meth und flehete zu dem Gotte um Segen für das Land und um Sieg gegen die Feinde. Darauf leerte er dasselbe ohne abzusetzen, füllte es sodann wieder, und stellte es zurück an die Seite des Götzen. Hierauf nahm er einen Opferkuchen, der rund und so groß war, daß er fast die Größe eines Mannes erreichte; den stellte er zwischen sich und das Volk und fragte das letztere, ob man ihn auch sehen könne. Wenn dieß verneint

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Zitationshilfe: Temme, Jodocus Donatus Hubertus: Die Volkssagen von Pommern und Rügen. Berlin, 1840, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/temme_volkssagen_1840/90>, abgerufen am 24.11.2024.