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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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[Spaltenumbruch]

Leb
eine Sprache hatten, deren Wörter durch den Ge-
brauch bedeutend wurden, mußten sie sich nothwen-
dig solcher schildernden Töne bedienen, die izt voll-
kommen überflüßig sind. Jndem der Grieche das
Wort anemos höret, denkt er eben so geschwind und
eben so bestimmt an die Sache, die es ausdrükt,
als der Engländer, dem durch das Wort Wind,
die Sache selbst geschildert wird.

Jn ausgebildeten Sprachen haben dergleichen
schildernde Wörter, wenn man blos bestimmt spre-
chen will, keinen, oder doch einen sehr geringen
ästhetischen Werth; weil man ohne sie sich sehr be-
stimmt und verständlich ausdrüken kann. Ganz
anders aber verhält es sich, wenn man auf die Em-
pfindung würken will; denn da muß auch der bloße
Ton der Worte das Seinige zu Erreichung des End-
zweks beytragen. Wer andre durch Erzählung ei-
ner Schandthat in Zorn und Entrüstung setzen will,
muß nicht einen sanften Ton annehmen, auch nicht
sanftklingende Wörter brauchen; denn dieses würde
dem Zuhörer anzeigen, daß der Erzähler selbst nichts
dabey fühlet. Wie also der Ton der Rede über-
haupt das Gepräge der Empfindung, die man erwe-
ken will, haben muß, so müssen auch die Wörter
und der Gang der Rede, oder das rhythmische da-
rin, demselben angemessen seyn. Dieses verstehen
wir hier durch den lebendigen Ausdruk. Hingegen
halten wir das meiste, was so vielfältig von dem
schildernden Ausdruk gerühmt wird, für Kleinigkei-
ten, die der Aufmerksamkeit des Redners oder Dich-
ters entweder nicht werth sind, oder gar, wenn sie
würklich gesucht worden, zu tadeln wären.

Daher kommt es mir seltsam vor, daß ein so
scharfsinniger Mann, als Clarke, den Homer so
ofte des schildernden Verses halber lobt, wo ich ihn
[Spaltenumbruch]

Leb
tadeln würde, wenn ich mich bereden könnte, daß
er diese Schilderung gesucht hätte. So findet er
diesen Vers

Oid epi d[unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt]xia, o`~i[th] [unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt]p' aris[unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt]ra [unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt]om[unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt]mi bon,
Azaleen. (*)

fürtreflich; weil er seiner Meinung nach durch den
Fall der Worte die schnellen Wendungen der Bewe-
gungen im Zweykampf schildern soll. (+) Der Dich-
ter beschreibet an diesem Orte den Zweykampf zwi-
schen Hektor und Ajax. Diese Helden sind im Be-
griff den Streit anzufangen. Ajax fodert seinen
Feind auf, alle seine Kräfte gegen ihn anzuwenden.
Dieser voll ruhigen Muthes antwortet ihm in einen
gelassenen, aber sehr zuversichtlichen Tone. "Denke
nicht Ajax, daß du einen unerfahrnen Jüngling,
oder einen weichlichen Knaben vor dir habest: ich
bin mit dem Streit und mit tödlichen Streichen wol
bekannt, weiß auch den Schild zur Vertheidigung
fertig, rechts oder links vorzubalten."
Wer bey
Lesung dieser Stelle seine Empfindung erforschet,
wird die Gemüthsfassung worin Hektor dieses sagt,
so voll Würde und so voll Ernst finden, daß ihm
schwerlich dabey einfallen wird, der Held habe durch
den Ton der Worte die schnellen Bewegungen des
Schildes bald rechts, bald links, schildern wollen.
Warum soll denn der Dichter dieses im Sinne ge-
habt haben? Kurz vorher beschreibet er, wie Ajax
sich bewaffnet, wie er hierauf gleich dem mächtigen
Kriegesgott hervortritt, und höhnisch fürchterliche
Blike wirft. Denn thut er hinzu:

Ei[unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt], makra bib[unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt]s, krasaon dolikhikn egkhos.

Er trat einher mit mächtigem Schritt, seinen ge-
waltigen Speer leicht schwenkend.
Daß in diesem
Vers etwas hochtrabendes und majestätisches ist,

(+)
kommt
(*) II. VII
238.
(+) Motus concitos, reciprocos et celeriter agigatos op-
time depingunt bujus versus numeri. Clarcke.
(+) [Spaltenumbruch] höret, und nicht jeder Mund sie gleich bestimmt nachahmet;
einer glaubte das Brüllen des Stieres gut durch das Wort
Ochs, der andre durch das Wort bouns nachzuahmen; beyde
Wörter sind im Grund einerley. So sehen wir täglich,
daß ein Deutscher, ein Franzos, und ein Engländer, ein
und eben dasselbe ihm unbekannte, z. E. Polnische oder
Rußische Wort, jeder nach seiner Art, nachspricht Hätten
alle Menschen dasselbe Gehör und dieselben Werkzeuge der
Sprache, so würden die Stammwörter aller Sprachen
der Welt genau mit einander übereinkommen. Jn den
abgeleiteten Bedeutungen, zeiget sich ein noch grösserer
Unterschied. Ein Mensch wurd bey dem Stier durch die
[Spaltenumbruch] Größe gerühret, und machte daher von dem Worte bouns
eine Ableitung um etwas Großes auszudrüken; einen anderen
rührte bey demselben Thier die plumpe Dummheit, und
dieses bewog ihn einen grobdummen Menschen einen Och-
sen zu nennen. Diese beyden Anmerkungen sind schon
hinlänglich den großen Unterschied zwischen den Sprachen
der Völker, die ursprünglich aus Nachahmung eben dersel-
ben Töne entstanden sind, zu erklären. Hätten alle Men-
schen gleiche Sinnesart, so würden auch die abgeleiteten
Bedeutungen der Wörter in allen Sprachen einerley seyn.

[Spaltenumbruch]

Leb
eine Sprache hatten, deren Woͤrter durch den Ge-
brauch bedeutend wurden, mußten ſie ſich nothwen-
dig ſolcher ſchildernden Toͤne bedienen, die izt voll-
kommen uͤberfluͤßig ſind. Jndem der Grieche das
Wort ἀνεμος hoͤret, denkt er eben ſo geſchwind und
eben ſo beſtimmt an die Sache, die es ausdruͤkt,
als der Englaͤnder, dem durch das Wort Wind,
die Sache ſelbſt geſchildert wird.

Jn ausgebildeten Sprachen haben dergleichen
ſchildernde Woͤrter, wenn man blos beſtimmt ſpre-
chen will, keinen, oder doch einen ſehr geringen
aͤſthetiſchen Werth; weil man ohne ſie ſich ſehr be-
ſtimmt und verſtaͤndlich ausdruͤken kann. Ganz
anders aber verhaͤlt es ſich, wenn man auf die Em-
pfindung wuͤrken will; denn da muß auch der bloße
Ton der Worte das Seinige zu Erreichung des End-
zweks beytragen. Wer andre durch Erzaͤhlung ei-
ner Schandthat in Zorn und Entruͤſtung ſetzen will,
muß nicht einen ſanften Ton annehmen, auch nicht
ſanftklingende Woͤrter brauchen; denn dieſes wuͤrde
dem Zuhoͤrer anzeigen, daß der Erzaͤhler ſelbſt nichts
dabey fuͤhlet. Wie alſo der Ton der Rede uͤber-
haupt das Gepraͤge der Empfindung, die man erwe-
ken will, haben muß, ſo muͤſſen auch die Woͤrter
und der Gang der Rede, oder das rhythmiſche da-
rin, demſelben angemeſſen ſeyn. Dieſes verſtehen
wir hier durch den lebendigen Ausdruk. Hingegen
halten wir das meiſte, was ſo vielfaͤltig von dem
ſchildernden Ausdruk geruͤhmt wird, fuͤr Kleinigkei-
ten, die der Aufmerkſamkeit des Redners oder Dich-
ters entweder nicht werth ſind, oder gar, wenn ſie
wuͤrklich geſucht worden, zu tadeln waͤren.

Daher kommt es mir ſeltſam vor, daß ein ſo
ſcharfſinniger Mann, als Clarke, den Homer ſo
ofte des ſchildernden Verſes halber lobt, wo ich ihn
[Spaltenumbruch]

Leb
tadeln wuͤrde, wenn ich mich bereden koͤnnte, daß
er dieſe Schilderung geſucht haͤtte. So findet er
dieſen Vers

Ὅιδ ἐπι δ[unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt]ξια, ο῟ι[ϑ] [unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt]π᾽ ἁρις[unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt]ρα [unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt]ωμ[unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt]μι βῶν,
Ἀζαλεην. (*)

fuͤrtreflich; weil er ſeiner Meinung nach durch den
Fall der Worte die ſchnellen Wendungen der Bewe-
gungen im Zweykampf ſchildern ſoll. (†) Der Dich-
ter beſchreibet an dieſem Orte den Zweykampf zwi-
ſchen Hektor und Ajax. Dieſe Helden ſind im Be-
griff den Streit anzufangen. Ajax fodert ſeinen
Feind auf, alle ſeine Kraͤfte gegen ihn anzuwenden.
Dieſer voll ruhigen Muthes antwortet ihm in einen
gelaſſenen, aber ſehr zuverſichtlichen Tone. „Denke
nicht Ajax, daß du einen unerfahrnen Juͤngling,
oder einen weichlichen Knaben vor dir habeſt: ich
bin mit dem Streit und mit toͤdlichen Streichen wol
bekannt, weiß auch den Schild zur Vertheidigung
fertig, rechts oder links vorzubalten.“
Wer bey
Leſung dieſer Stelle ſeine Empfindung erforſchet,
wird die Gemuͤthsfaſſung worin Hektor dieſes ſagt,
ſo voll Wuͤrde und ſo voll Ernſt finden, daß ihm
ſchwerlich dabey einfallen wird, der Held habe durch
den Ton der Worte die ſchnellen Bewegungen des
Schildes bald rechts, bald links, ſchildern wollen.
Warum ſoll denn der Dichter dieſes im Sinne ge-
habt haben? Kurz vorher beſchreibet er, wie Ajax
ſich bewaffnet, wie er hierauf gleich dem maͤchtigen
Kriegesgott hervortritt, und hoͤhniſch fuͤrchterliche
Blike wirft. Denn thut er hinzu:

Ἠϊ[unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt], μακρα βιβ[unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt]ς, κρασαων δολιχικν ἐγχος.

Er trat einher mit maͤchtigem Schritt, ſeinen ge-
waltigen Speer leicht ſchwenkend.
Daß in dieſem
Vers etwas hochtrabendes und majeſtaͤtiſches iſt,

(†)
kommt
(*) II. VII
238.
(†) Motus concitos, reciprocos et celeriter agigatos op-
time depingunt bujus verſus numeri. Clarcke.
(†) [Spaltenumbruch] hoͤret, und nicht jeder Mund ſie gleich beſtimmt nachahmet;
einer glaubte das Bruͤllen des Stieres gut durch das Wort
Ochs, der andre durch das Wort βȣ̃ς nachzuahmen; beyde
Woͤrter ſind im Grund einerley. So ſehen wir taͤglich,
daß ein Deutſcher, ein Franzos, und ein Englaͤnder, ein
und eben daſſelbe ihm unbekannte, z. E. Polniſche oder
Rußiſche Wort, jeder nach ſeiner Art, nachſpricht Haͤtten
alle Menſchen daſſelbe Gehoͤr und dieſelben Werkzeuge der
Sprache, ſo wuͤrden die Stammwoͤrter aller Sprachen
der Welt genau mit einander uͤbereinkommen. Jn den
abgeleiteten Bedeutungen, zeiget ſich ein noch groͤſſerer
Unterſchied. Ein Menſch wurd bey dem Stier durch die
[Spaltenumbruch] Groͤße geruͤhret, und machte daher von dem Worte βȣ̃ς
eine Ableitung um etwas Großes auszudruͤken; einen anderen
ruͤhrte bey demſelben Thier die plumpe Dummheit, und
dieſes bewog ihn einen grobdummen Menſchen einen Och-
ſen zu nennen. Dieſe beyden Anmerkungen ſind ſchon
hinlaͤnglich den großen Unterſchied zwiſchen den Sprachen
der Voͤlker, die urſpruͤnglich aus Nachahmung eben derſel-
ben Toͤne entſtanden ſind, zu erklaͤren. Haͤtten alle Men-
ſchen gleiche Sinnesart, ſo wuͤrden auch die abgeleiteten
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[681[663]/0098] Leb Leb eine Sprache hatten, deren Woͤrter durch den Ge- brauch bedeutend wurden, mußten ſie ſich nothwen- dig ſolcher ſchildernden Toͤne bedienen, die izt voll- kommen uͤberfluͤßig ſind. Jndem der Grieche das Wort ἀνεμος hoͤret, denkt er eben ſo geſchwind und eben ſo beſtimmt an die Sache, die es ausdruͤkt, als der Englaͤnder, dem durch das Wort Wind, die Sache ſelbſt geſchildert wird. Jn ausgebildeten Sprachen haben dergleichen ſchildernde Woͤrter, wenn man blos beſtimmt ſpre- chen will, keinen, oder doch einen ſehr geringen aͤſthetiſchen Werth; weil man ohne ſie ſich ſehr be- ſtimmt und verſtaͤndlich ausdruͤken kann. Ganz anders aber verhaͤlt es ſich, wenn man auf die Em- pfindung wuͤrken will; denn da muß auch der bloße Ton der Worte das Seinige zu Erreichung des End- zweks beytragen. Wer andre durch Erzaͤhlung ei- ner Schandthat in Zorn und Entruͤſtung ſetzen will, muß nicht einen ſanften Ton annehmen, auch nicht ſanftklingende Woͤrter brauchen; denn dieſes wuͤrde dem Zuhoͤrer anzeigen, daß der Erzaͤhler ſelbſt nichts dabey fuͤhlet. Wie alſo der Ton der Rede uͤber- haupt das Gepraͤge der Empfindung, die man erwe- ken will, haben muß, ſo muͤſſen auch die Woͤrter und der Gang der Rede, oder das rhythmiſche da- rin, demſelben angemeſſen ſeyn. Dieſes verſtehen wir hier durch den lebendigen Ausdruk. Hingegen halten wir das meiſte, was ſo vielfaͤltig von dem ſchildernden Ausdruk geruͤhmt wird, fuͤr Kleinigkei- ten, die der Aufmerkſamkeit des Redners oder Dich- ters entweder nicht werth ſind, oder gar, wenn ſie wuͤrklich geſucht worden, zu tadeln waͤren. Daher kommt es mir ſeltſam vor, daß ein ſo ſcharfſinniger Mann, als Clarke, den Homer ſo ofte des ſchildernden Verſes halber lobt, wo ich ihn tadeln wuͤrde, wenn ich mich bereden koͤnnte, daß er dieſe Schilderung geſucht haͤtte. So findet er dieſen Vers Ὅιδ ἐπι δ_ξια, ο῟ιϑ _π᾽ ἁρις_ρα _ωμ_μι βῶν, Ἀζαλεην. (*) fuͤrtreflich; weil er ſeiner Meinung nach durch den Fall der Worte die ſchnellen Wendungen der Bewe- gungen im Zweykampf ſchildern ſoll. (†) Der Dich- ter beſchreibet an dieſem Orte den Zweykampf zwi- ſchen Hektor und Ajax. Dieſe Helden ſind im Be- griff den Streit anzufangen. Ajax fodert ſeinen Feind auf, alle ſeine Kraͤfte gegen ihn anzuwenden. Dieſer voll ruhigen Muthes antwortet ihm in einen gelaſſenen, aber ſehr zuverſichtlichen Tone. „Denke nicht Ajax, daß du einen unerfahrnen Juͤngling, oder einen weichlichen Knaben vor dir habeſt: ich bin mit dem Streit und mit toͤdlichen Streichen wol bekannt, weiß auch den Schild zur Vertheidigung fertig, rechts oder links vorzubalten.“ Wer bey Leſung dieſer Stelle ſeine Empfindung erforſchet, wird die Gemuͤthsfaſſung worin Hektor dieſes ſagt, ſo voll Wuͤrde und ſo voll Ernſt finden, daß ihm ſchwerlich dabey einfallen wird, der Held habe durch den Ton der Worte die ſchnellen Bewegungen des Schildes bald rechts, bald links, ſchildern wollen. Warum ſoll denn der Dichter dieſes im Sinne ge- habt haben? Kurz vorher beſchreibet er, wie Ajax ſich bewaffnet, wie er hierauf gleich dem maͤchtigen Kriegesgott hervortritt, und hoͤhniſch fuͤrchterliche Blike wirft. Denn thut er hinzu: Ἠϊ_, μακρα βιβ_ς, κρασαων δολιχικν ἐγχος. Er trat einher mit maͤchtigem Schritt, ſeinen ge- waltigen Speer leicht ſchwenkend. Daß in dieſem Vers etwas hochtrabendes und majeſtaͤtiſches iſt, kommt (†) (*) II. VII 238. (†) Motus concitos, reciprocos et celeriter agigatos op- time depingunt bujus verſus numeri. Clarcke. (†) hoͤret, und nicht jeder Mund ſie gleich beſtimmt nachahmet; einer glaubte das Bruͤllen des Stieres gut durch das Wort Ochs, der andre durch das Wort βȣ̃ς nachzuahmen; beyde Woͤrter ſind im Grund einerley. So ſehen wir taͤglich, daß ein Deutſcher, ein Franzos, und ein Englaͤnder, ein und eben daſſelbe ihm unbekannte, z. E. Polniſche oder Rußiſche Wort, jeder nach ſeiner Art, nachſpricht Haͤtten alle Menſchen daſſelbe Gehoͤr und dieſelben Werkzeuge der Sprache, ſo wuͤrden die Stammwoͤrter aller Sprachen der Welt genau mit einander uͤbereinkommen. Jn den abgeleiteten Bedeutungen, zeiget ſich ein noch groͤſſerer Unterſchied. Ein Menſch wurd bey dem Stier durch die Groͤße geruͤhret, und machte daher von dem Worte βȣ̃ς eine Ableitung um etwas Großes auszudruͤken; einen anderen ruͤhrte bey demſelben Thier die plumpe Dummheit, und dieſes bewog ihn einen grobdummen Menſchen einen Och- ſen zu nennen. Dieſe beyden Anmerkungen ſind ſchon hinlaͤnglich den großen Unterſchied zwiſchen den Sprachen der Voͤlker, die urſpruͤnglich aus Nachahmung eben derſel- ben Toͤne entſtanden ſind, zu erklaͤren. Haͤtten alle Men- ſchen gleiche Sinnesart, ſo wuͤrden auch die abgeleiteten Bedeutungen der Woͤrter in allen Sprachen einerley ſeyn.

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 681[663]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/98>, abgerufen am 24.11.2024.