Sind kleine Zierrathen an dem Band, der sich in einigen Gebälken zwischen dem Fries und dem Kranz befindet. Man sehe die Abbildung davon in der er- sten Figur des Artikels Kranz, wo die Zahnschnitte durch die Zahl 9 bezeichnet sind. Man macht sie insgemein so, daß die Höhe eines Zahnes seine Breite um 1/4 auch wol gar um 1/3 übertrift; die Zwischentiefen aber, oder der ausgeschnittene Raum zwischen zwey Zähnen, verhält sich zu der Breite des Zahnes, wie 2 zu 3.
Diese Zierrath hat freylich nicht viel auf sich; doch dienet sie die Mannigfaltigkeit und das Anse- hen des Reichthums zu vermehren, und das glatte zu unterbrechen. Und da man es einmal gewohnt ist, sie an ganz zierlichen jonischen und corinthischen Säulenordnungen zu sehen, so würde man diese Gebälke ohne die Zahnschnitte zu leer finden. Ohne Zweifel hat irgend ein ehemaliger Gebrauch an die- ser Stelle hervorstehender Latten, die Baumeister veranlasset, die Zahnschnitte als Zierrathen anzubrin- gen. An den Giebelgesimsen stellen sie in der That die hervorstehenden Latten vor. Es ist aber eben deswegen dem guten Geschmak entgegen, daß man sie da senkrecht herunter stehen macht, da sie na- türlicher Weise mit dem Giebelkranz selbst einen rechten Winkel machen sollten.
Zeichnende Künste.
Unter dieser allgemeinen Benennung begreift man die ganze Clässe der schönen Künste, die durch Dar- stellung sichtbarer Formen auf die Gemüther wür- ken, bey denen folglich die Zeichnung dieser Formen das Wesentliche der Kunst ausmacht. Diese Künste haben ihr Fundament in der ästhetischen Kraft, die in den Formen der Körper liegt, von welcher an seinem Orte gesprochen worden. (*) Ein feines und lebhaftes Gefühl für alle Arten dieser Kraft und ein scharfes Aug, das die mannigfaltigen For- men der Natur sehr bestunmt und getreu faßt, sind die wesentlichsten Talente zu diesen Künsten.
[Spaltenumbruch]
Man hat auf so vielfältige Weise versucht die sichtbaren Formen, als Gegenstände des Geschmaks darzustellen, daß der Hauptstamm der zeichnenden Künste sich in sehr viele Zweyge verbreitet hat. Zu- erst sind zwey Hauptäste zu unterscheiden. An dem einen hangen die Zweyge der zeichnenden Kunst, die die Formen körperlich bilden, und an dem an- dern die, welche sie nur flach aber durch die Zauber- kraft der Vermischung des Lichts und Schattens so darstellen, daß das Aug die würklich körperliche Form zu sehen glaubt. Jene werden auch die bil- denden Künste genennt, weil sie unförmliche körper- liche Massen zu schönen Formen bilden. Doch scheinet der Sprachgebrauch die Baukunst nicht mit unter diesem allgemeinen Namen zu begreifen, ob sie gleich mit den andern dieses gemein hat, daß sie aus unförmlichen Massen schöne Formen zusam- mensezet.
Die bildenden Künste theilen sich wieder in viel besondere Zweyge, die man aber mehr durch die Behandlung und durch das mechanische Verfahren, als durch den Geist oder den Stoff, den sie dar- stellen unterscheidet. Wir haben der Hauptzweyge schon besondere Meldung gethan. (*) Man könnte noch mehr Arten derselben unterscheiden, wenn an einer subtileren Zergliederung dieser Sache was ge- legen wäre. So könnte man z. B. die Bossirkunst, die Schnizkunst(*) und die Drehkunst, auch noch als besondere Zweyge der bildenden Kunst ansehen. Die leztere hat in der That bey den Griechen ihren eigenen Namen und Rang behauptet.
Der andere Hauptast theilet sich wieder in verschie- dene Zweyge, die Mahlerey, die mosaische Kunst, die Kupferstecher Kunst und das Formschneiden.
Die große Mannigfaltigkeit der zeichnenden Kün- ste, giebt einen sehr überzeugenden Beweis von dem großen Wolgefallen, das der Mensch an schönen For- men findet. Es scheinet mir außer Zweifel zu seyn, daß dieses natürliche Wolgefallen an Schönheit der Form, schon in seiner ersten Nüchternheit und Einfalt diese Künste hervorgebracht hat; ob sie gleich mit der Zeit vielfältig blos zur Ueppigkeit und zur Unterstü- zung einer eiteln Pracht angewendet worden. Es
giebt
(*) S. Form.
(*) S. Bildende Künste.
(*)L'art du cileleur
Z.
[Spaltenumbruch]
Zahnſchnitt. (Baukunſt.)
Sind kleine Zierrathen an dem Band, der ſich in einigen Gebaͤlken zwiſchen dem Fries und dem Kranz befindet. Man ſehe die Abbildung davon in der er- ſten Figur des Artikels Kranz, wo die Zahnſchnitte durch die Zahl 9 bezeichnet ſind. Man macht ſie insgemein ſo, daß die Hoͤhe eines Zahnes ſeine Breite um ¼ auch wol gar um ⅓ uͤbertrift; die Zwiſchentiefen aber, oder der ausgeſchnittene Raum zwiſchen zwey Zaͤhnen, verhaͤlt ſich zu der Breite des Zahnes, wie 2 zu 3.
Dieſe Zierrath hat freylich nicht viel auf ſich; doch dienet ſie die Mannigfaltigkeit und das Anſe- hen des Reichthums zu vermehren, und das glatte zu unterbrechen. Und da man es einmal gewohnt iſt, ſie an ganz zierlichen joniſchen und corinthiſchen Saͤulenordnungen zu ſehen, ſo wuͤrde man dieſe Gebaͤlke ohne die Zahnſchnitte zu leer finden. Ohne Zweifel hat irgend ein ehemaliger Gebrauch an die- ſer Stelle hervorſtehender Latten, die Baumeiſter veranlaſſet, die Zahnſchnitte als Zierrathen anzubrin- gen. An den Giebelgeſimſen ſtellen ſie in der That die hervorſtehenden Latten vor. Es iſt aber eben deswegen dem guten Geſchmak entgegen, daß man ſie da ſenkrecht herunter ſtehen macht, da ſie na- tuͤrlicher Weiſe mit dem Giebelkranz ſelbſt einen rechten Winkel machen ſollten.
Zeichnende Kuͤnſte.
Unter dieſer allgemeinen Benennung begreift man die ganze Claͤſſe der ſchoͤnen Kuͤnſte, die durch Dar- ſtellung ſichtbarer Formen auf die Gemuͤther wuͤr- ken, bey denen folglich die Zeichnung dieſer Formen das Weſentliche der Kunſt ausmacht. Dieſe Kuͤnſte haben ihr Fundament in der aͤſthetiſchen Kraft, die in den Formen der Koͤrper liegt, von welcher an ſeinem Orte geſprochen worden. (*) Ein feines und lebhaftes Gefuͤhl fuͤr alle Arten dieſer Kraft und ein ſcharfes Aug, das die mannigfaltigen For- men der Natur ſehr beſtunmt und getreu faßt, ſind die weſentlichſten Talente zu dieſen Kuͤnſten.
[Spaltenumbruch]
Man hat auf ſo vielfaͤltige Weiſe verſucht die ſichtbaren Formen, als Gegenſtaͤnde des Geſchmaks darzuſtellen, daß der Hauptſtamm der zeichnenden Kuͤnſte ſich in ſehr viele Zweyge verbreitet hat. Zu- erſt ſind zwey Hauptaͤſte zu unterſcheiden. An dem einen hangen die Zweyge der zeichnenden Kunſt, die die Formen koͤrperlich bilden, und an dem an- dern die, welche ſie nur flach aber durch die Zauber- kraft der Vermiſchung des Lichts und Schattens ſo darſtellen, daß das Aug die wuͤrklich koͤrperliche Form zu ſehen glaubt. Jene werden auch die bil- denden Kuͤnſte genennt, weil ſie unfoͤrmliche koͤrper- liche Maſſen zu ſchoͤnen Formen bilden. Doch ſcheinet der Sprachgebrauch die Baukunſt nicht mit unter dieſem allgemeinen Namen zu begreifen, ob ſie gleich mit den andern dieſes gemein hat, daß ſie aus unfoͤrmlichen Maſſen ſchoͤne Formen zuſam- menſezet.
Die bildenden Kuͤnſte theilen ſich wieder in viel beſondere Zweyge, die man aber mehr durch die Behandlung und durch das mechaniſche Verfahren, als durch den Geiſt oder den Stoff, den ſie dar- ſtellen unterſcheidet. Wir haben der Hauptzweyge ſchon beſondere Meldung gethan. (*) Man koͤnnte noch mehr Arten derſelben unterſcheiden, wenn an einer ſubtileren Zergliederung dieſer Sache was ge- legen waͤre. So koͤnnte man z. B. die Boſſirkunſt, die Schnizkunſt(*) und die Drehkunſt, auch noch als beſondere Zweyge der bildenden Kunſt anſehen. Die leztere hat in der That bey den Griechen ihren eigenen Namen und Rang behauptet.
Der andere Hauptaſt theilet ſich wieder in verſchie- dene Zweyge, die Mahlerey, die moſaiſche Kunſt, die Kupferſtecher Kunſt und das Formſchneiden.
Die große Mannigfaltigkeit der zeichnenden Kuͤn- ſte, giebt einen ſehr uͤberzeugenden Beweis von dem großen Wolgefallen, das der Menſch an ſchoͤnen For- men findet. Es ſcheinet mir außer Zweifel zu ſeyn, daß dieſes natuͤrliche Wolgefallen an Schoͤnheit der Form, ſchon in ſeiner erſten Nuͤchternheit und Einfalt dieſe Kuͤnſte hervorgebracht hat; ob ſie gleich mit der Zeit vielfaͤltig blos zur Ueppigkeit und zur Unterſtuͤ- zung einer eiteln Pracht angewendet worden. Es
giebt
(*) S. Form.
(*) S. Bildende Kuͤnſte.
(*)L’art du cileleur
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[1281[1265]/0728]
Z.
Zahnſchnitt.
(Baukunſt.)
Sind kleine Zierrathen an dem Band, der ſich in
einigen Gebaͤlken zwiſchen dem Fries und dem Kranz
befindet. Man ſehe die Abbildung davon in der er-
ſten Figur des Artikels Kranz, wo die Zahnſchnitte
durch die Zahl 9 bezeichnet ſind. Man macht ſie
insgemein ſo, daß die Hoͤhe eines Zahnes ſeine
Breite um ¼ auch wol gar um ⅓ uͤbertrift; die
Zwiſchentiefen aber, oder der ausgeſchnittene Raum
zwiſchen zwey Zaͤhnen, verhaͤlt ſich zu der Breite
des Zahnes, wie 2 zu 3.
Dieſe Zierrath hat freylich nicht viel auf ſich;
doch dienet ſie die Mannigfaltigkeit und das Anſe-
hen des Reichthums zu vermehren, und das glatte
zu unterbrechen. Und da man es einmal gewohnt
iſt, ſie an ganz zierlichen joniſchen und corinthiſchen
Saͤulenordnungen zu ſehen, ſo wuͤrde man dieſe
Gebaͤlke ohne die Zahnſchnitte zu leer finden. Ohne
Zweifel hat irgend ein ehemaliger Gebrauch an die-
ſer Stelle hervorſtehender Latten, die Baumeiſter
veranlaſſet, die Zahnſchnitte als Zierrathen anzubrin-
gen. An den Giebelgeſimſen ſtellen ſie in der That
die hervorſtehenden Latten vor. Es iſt aber eben
deswegen dem guten Geſchmak entgegen, daß man
ſie da ſenkrecht herunter ſtehen macht, da ſie na-
tuͤrlicher Weiſe mit dem Giebelkranz ſelbſt einen
rechten Winkel machen ſollten.
Zeichnende Kuͤnſte.
Unter dieſer allgemeinen Benennung begreift man
die ganze Claͤſſe der ſchoͤnen Kuͤnſte, die durch Dar-
ſtellung ſichtbarer Formen auf die Gemuͤther wuͤr-
ken, bey denen folglich die Zeichnung dieſer Formen
das Weſentliche der Kunſt ausmacht. Dieſe Kuͤnſte
haben ihr Fundament in der aͤſthetiſchen Kraft, die
in den Formen der Koͤrper liegt, von welcher an
ſeinem Orte geſprochen worden. (*) Ein feines
und lebhaftes Gefuͤhl fuͤr alle Arten dieſer Kraft
und ein ſcharfes Aug, das die mannigfaltigen For-
men der Natur ſehr beſtunmt und getreu faßt, ſind
die weſentlichſten Talente zu dieſen Kuͤnſten.
Man hat auf ſo vielfaͤltige Weiſe verſucht die
ſichtbaren Formen, als Gegenſtaͤnde des Geſchmaks
darzuſtellen, daß der Hauptſtamm der zeichnenden
Kuͤnſte ſich in ſehr viele Zweyge verbreitet hat. Zu-
erſt ſind zwey Hauptaͤſte zu unterſcheiden. An
dem einen hangen die Zweyge der zeichnenden Kunſt,
die die Formen koͤrperlich bilden, und an dem an-
dern die, welche ſie nur flach aber durch die Zauber-
kraft der Vermiſchung des Lichts und Schattens ſo
darſtellen, daß das Aug die wuͤrklich koͤrperliche
Form zu ſehen glaubt. Jene werden auch die bil-
denden Kuͤnſte genennt, weil ſie unfoͤrmliche koͤrper-
liche Maſſen zu ſchoͤnen Formen bilden. Doch
ſcheinet der Sprachgebrauch die Baukunſt nicht mit
unter dieſem allgemeinen Namen zu begreifen, ob
ſie gleich mit den andern dieſes gemein hat, daß ſie
aus unfoͤrmlichen Maſſen ſchoͤne Formen zuſam-
menſezet.
Die bildenden Kuͤnſte theilen ſich wieder in viel
beſondere Zweyge, die man aber mehr durch die
Behandlung und durch das mechaniſche Verfahren,
als durch den Geiſt oder den Stoff, den ſie dar-
ſtellen unterſcheidet. Wir haben der Hauptzweyge
ſchon beſondere Meldung gethan. (*) Man koͤnnte
noch mehr Arten derſelben unterſcheiden, wenn an
einer ſubtileren Zergliederung dieſer Sache was ge-
legen waͤre. So koͤnnte man z. B. die Boſſirkunſt,
die Schnizkunſt (*) und die Drehkunſt, auch noch
als beſondere Zweyge der bildenden Kunſt anſehen.
Die leztere hat in der That bey den Griechen ihren
eigenen Namen und Rang behauptet.
Der andere Hauptaſt theilet ſich wieder in verſchie-
dene Zweyge, die Mahlerey, die moſaiſche Kunſt,
die Kupferſtecher Kunſt und das Formſchneiden.
Die große Mannigfaltigkeit der zeichnenden Kuͤn-
ſte, giebt einen ſehr uͤberzeugenden Beweis von dem
großen Wolgefallen, das der Menſch an ſchoͤnen For-
men findet. Es ſcheinet mir außer Zweifel zu ſeyn,
daß dieſes natuͤrliche Wolgefallen an Schoͤnheit der
Form, ſchon in ſeiner erſten Nuͤchternheit und Einfalt
dieſe Kuͤnſte hervorgebracht hat; ob ſie gleich mit der
Zeit vielfaͤltig blos zur Ueppigkeit und zur Unterſtuͤ-
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giebt
(*) S.
Form.
(*) S.
Bildende
Kuͤnſte.
(*) L’art
du cileleur
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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 1281[1265]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/728>, abgerufen am 27.11.2024.
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