wir, daß es auch den Mangel der Säfte anzeiget, wodurch die natürlichen Körper des Pflanzen- und des Thierreiches ein gesundes und wolgefälliges An- sehen bekommen. Eine trokene Pflanze ist zwar keines der ihr zukommenden wesentlichen Theile be- raubet, aber der Lebenssaft, daher sie die volle Schönheit der Gestalt und das Gefällige des Anse- hens erhalten sollte, fehlet ihr. Hievon scheinet die Bedeutung des Wortes, wenn es von Gegen- ständen des Geschmaks gebraucht wird, hergenom- men zu seyn.
Diesem zufolge würde die Trokenheit zwar keinen Mangel des Wesentlichen oder des Nothwendigen; sondern blos Armuth, oder gänzliche Beraubung des Annehmlichen ausdrüken. Jn der That sagt man von einer Erzählung sie sey troken, wenn sie auch bey der genauesten Richtigkeit des Wesentlichen der Geschichte, bey Anführung der kleinesten Umstände, weder die Phantasie, noch die Empfindung, ange- nehm unterhält: und so wird überhaupt jeder Ge- genstand des Geschmaks, der nur dem Verstande Richtigkeit zeiget, für den sinnlichen Theil unsrer Vor- stellung aber nichts reizendes hat, troken genennt.
Und hieraus läßt sich unmittelbar abnehmen, daß die Trokenheit in Werken des Geschmaks ein sehr schweerer Fehler sey, weil sie dem Zwek derselben gerad entgegen steht. Eben der Annehmlichkeiten halber, in deren Mangel das Trokene besteht, wird ein Gegenstand ästhetisch, oder für die schönen Kün- ste brauchbar, daher würde das schönste Gedicht, die Aeneis z. B. in einer trokenen Uebersezung aufhö- ren ein Gedicht, ein Werk des Geschmaks zu seyn.
Man verfällt leicht ins Trokene, wenn man blos mit dem Verstand arbeitet und weder der Ein- bildungskraft, noch dem Herzen einen Antheil an der Arbeit giebt. Was in Absicht auf strenge Wis- senschaft ein glüklicher Schwung des Genies ist, sich immer blos am Wesentlichen der Begriffe zu halten, und alles bis zur höchsten Deutlichkeit zu entwikeln, wird in schönen Künsten verderblich. Jn Werken des Geschmaks kommen die Säfte, wo- durch sie ihr Ansehen, ihre Annehmlichkeiten und ihre Reizungen bekommen, von glüklicher Mitwür- kung der Phantasie und des Herzens her. Wessen Phantasie bey der Arbeit nicht erhizt ist, oder wenig- stens lacht; wessen Herz nicht Wärme dabey fühlt, [Spaltenumbruch]
Tro
der läuft Gefahr, troken zu werden. Bey den mü- hesamen Arbeiten ist man in diesem Falle; deswe- gen jeder Künstler wolthut das Werk von der Hand zu legen, so bald ihm die Arbeit mühesam wird. Jn Werken des Geschmaks alles nach Regeln abpassen, an- statt dem Feuer des Genies zu folgen, macht eben- falls troken. Nur die, die ihrer Materie völlig Meister sind, und die Mittel zur Ausübung gänzlich in ihrer Gewalt haben, vermeiden die Trokenheit.
Tropen. (Redende Künste)
Könnte im Deutschen durch Ableitungen gegeben werden. Denn die Tropen sind nichts anders, als Ableitungen der Wörter und Redensarten auf andre Bedeutungen (+). So wird in der Redensart: die ganze Stadt ist bestürzt, das Wort Stadt von seiner eigentlichen Bedeutung auf die Bezeichnung der Einwohner abgeleitet, und ist in dieser Redens- art ein Tropus. Es giebt, wie wir bald sehen werden, sehr viel Arten dieser Ableitung, jede Sprache hat eine unzählige Menge derselben und sie entstehen aus verschiedenen Ursachen. Eine der ge- wöhnlichsten ist der Mangel eigentlicher Wörter. Man sagt: dieser Mensch hat eine harte Secle, weil man kein eigentliches Wort hat, dasjenige aus- zudrüken, was der Tropus hart hier bezeichnet; andre male entstehen sie, weil man in der Eil, und um kurz zu seyn, einen Ausdruk statt einer Umschrei- bung, oder auch nur, weil er sich der Einbildungs- kraft eher, als der eigentliche darstellt, gebraucht; wie in den Redensarten: Europa hat mehr Kün- ste, als jeder andrer Welttheil; er führt hundert Pferde an, anstatt hundert gewaffnete Reuter. Gar ofte entstehen die Tropen aus dem Bestreben nachdrüklich zu seyn, und das, was man sagen will, dem anschauenden Erkenntniß vorzubilden. So sagt man: Er brennt vor Zorn.
Es ließe sich leicht zeigen, daß der größte Theil jeder Sprache aus Tropen besteht, davon aber die meisten ihre tropische Kraft verlohren haben und für die eigentlichen Ausdrüke gehalten wer- den. Wir wollen aber hier keine Abhandlung über die Tropen schreiben; wer diese Materie in ihrem ganzen Umfang gründlich behandelt sehen will, kann darüber das Werk eines französischen Schriftstellers
lesen.
(+)Verbi vel sermonis a propria significatione in aliam [Spaltenumbruch]
cum virtute mutatio. Quintil. VIII. 6.
[Spaltenumbruch]
Tro
wir, daß es auch den Mangel der Saͤfte anzeiget, wodurch die natuͤrlichen Koͤrper des Pflanzen- und des Thierreiches ein geſundes und wolgefaͤlliges An- ſehen bekommen. Eine trokene Pflanze iſt zwar keines der ihr zukommenden weſentlichen Theile be- raubet, aber der Lebensſaft, daher ſie die volle Schoͤnheit der Geſtalt und das Gefaͤllige des Anſe- hens erhalten ſollte, fehlet ihr. Hievon ſcheinet die Bedeutung des Wortes, wenn es von Gegen- ſtaͤnden des Geſchmaks gebraucht wird, hergenom- men zu ſeyn.
Dieſem zufolge wuͤrde die Trokenheit zwar keinen Mangel des Weſentlichen oder des Nothwendigen; ſondern blos Armuth, oder gaͤnzliche Beraubung des Annehmlichen ausdruͤken. Jn der That ſagt man von einer Erzaͤhlung ſie ſey troken, wenn ſie auch bey der genaueſten Richtigkeit des Weſentlichen der Geſchichte, bey Anfuͤhrung der kleineſten Umſtaͤnde, weder die Phantaſie, noch die Empfindung, ange- nehm unterhaͤlt: und ſo wird uͤberhaupt jeder Ge- genſtand des Geſchmaks, der nur dem Verſtande Richtigkeit zeiget, fuͤr den ſinnlichen Theil unſrer Vor- ſtellung aber nichts reizendes hat, troken genennt.
Und hieraus laͤßt ſich unmittelbar abnehmen, daß die Trokenheit in Werken des Geſchmaks ein ſehr ſchweerer Fehler ſey, weil ſie dem Zwek derſelben gerad entgegen ſteht. Eben der Annehmlichkeiten halber, in deren Mangel das Trokene beſteht, wird ein Gegenſtand aͤſthetiſch, oder fuͤr die ſchoͤnen Kuͤn- ſte brauchbar, daher wuͤrde das ſchoͤnſte Gedicht, die Aeneis z. B. in einer trokenen Ueberſezung aufhoͤ- ren ein Gedicht, ein Werk des Geſchmaks zu ſeyn.
Man verfaͤllt leicht ins Trokene, wenn man blos mit dem Verſtand arbeitet und weder der Ein- bildungskraft, noch dem Herzen einen Antheil an der Arbeit giebt. Was in Abſicht auf ſtrenge Wiſ- ſenſchaft ein gluͤklicher Schwung des Genies iſt, ſich immer blos am Weſentlichen der Begriffe zu halten, und alles bis zur hoͤchſten Deutlichkeit zu entwikeln, wird in ſchoͤnen Kuͤnſten verderblich. Jn Werken des Geſchmaks kommen die Saͤfte, wo- durch ſie ihr Anſehen, ihre Annehmlichkeiten und ihre Reizungen bekommen, von gluͤklicher Mitwuͤr- kung der Phantaſie und des Herzens her. Weſſen Phantaſie bey der Arbeit nicht erhizt iſt, oder wenig- ſtens lacht; weſſen Herz nicht Waͤrme dabey fuͤhlt, [Spaltenumbruch]
Tro
der laͤuft Gefahr, troken zu werden. Bey den muͤ- heſamen Arbeiten iſt man in dieſem Falle; deswe- gen jeder Kuͤnſtler wolthut das Werk von der Hand zu legen, ſo bald ihm die Arbeit muͤheſam wird. Jn Werken des Geſchmaks alles nach Regeln abpaſſen, an- ſtatt dem Feuer des Genies zu folgen, macht eben- falls troken. Nur die, die ihrer Materie voͤllig Meiſter ſind, und die Mittel zur Ausuͤbung gaͤnzlich in ihrer Gewalt haben, vermeiden die Trokenheit.
Tropen. (Redende Kuͤnſte)
Koͤnnte im Deutſchen durch Ableitungen gegeben werden. Denn die Tropen ſind nichts anders, als Ableitungen der Woͤrter und Redensarten auf andre Bedeutungen (†). So wird in der Redensart: die ganze Stadt iſt beſtuͤrzt, das Wort Stadt von ſeiner eigentlichen Bedeutung auf die Bezeichnung der Einwohner abgeleitet, und iſt in dieſer Redens- art ein Tropus. Es giebt, wie wir bald ſehen werden, ſehr viel Arten dieſer Ableitung, jede Sprache hat eine unzaͤhlige Menge derſelben und ſie entſtehen aus verſchiedenen Urſachen. Eine der ge- woͤhnlichſten iſt der Mangel eigentlicher Woͤrter. Man ſagt: dieſer Menſch hat eine harte Secle, weil man kein eigentliches Wort hat, dasjenige aus- zudruͤken, was der Tropus hart hier bezeichnet; andre male entſtehen ſie, weil man in der Eil, und um kurz zu ſeyn, einen Ausdruk ſtatt einer Umſchrei- bung, oder auch nur, weil er ſich der Einbildungs- kraft eher, als der eigentliche darſtellt, gebraucht; wie in den Redensarten: Europa hat mehr Kuͤn- ſte, als jeder andrer Welttheil; er fuͤhrt hundert Pferde an, anſtatt hundert gewaffnete Reuter. Gar ofte entſtehen die Tropen aus dem Beſtreben nachdruͤklich zu ſeyn, und das, was man ſagen will, dem anſchauenden Erkenntniß vorzubilden. So ſagt man: Er brennt vor Zorn.
Es ließe ſich leicht zeigen, daß der groͤßte Theil jeder Sprache aus Tropen beſteht, davon aber die meiſten ihre tropiſche Kraft verlohren haben und fuͤr die eigentlichen Ausdruͤke gehalten wer- den. Wir wollen aber hier keine Abhandlung uͤber die Tropen ſchreiben; wer dieſe Materie in ihrem ganzen Umfang gruͤndlich behandelt ſehen will, kann daruͤber das Werk eines franzoͤſiſchen Schriftſtellers
leſen.
(†)Verbi vel ſermonis à propria ſignificatione in aliam [Spaltenumbruch]
cum virtute mutatio. Quintil. VIII. 6.
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[1184[1166]/0613]
Tro
Tro
wir, daß es auch den Mangel der Saͤfte anzeiget,
wodurch die natuͤrlichen Koͤrper des Pflanzen- und
des Thierreiches ein geſundes und wolgefaͤlliges An-
ſehen bekommen. Eine trokene Pflanze iſt zwar
keines der ihr zukommenden weſentlichen Theile be-
raubet, aber der Lebensſaft, daher ſie die volle
Schoͤnheit der Geſtalt und das Gefaͤllige des Anſe-
hens erhalten ſollte, fehlet ihr. Hievon ſcheinet
die Bedeutung des Wortes, wenn es von Gegen-
ſtaͤnden des Geſchmaks gebraucht wird, hergenom-
men zu ſeyn.
Dieſem zufolge wuͤrde die Trokenheit zwar keinen
Mangel des Weſentlichen oder des Nothwendigen;
ſondern blos Armuth, oder gaͤnzliche Beraubung des
Annehmlichen ausdruͤken. Jn der That ſagt man
von einer Erzaͤhlung ſie ſey troken, wenn ſie auch
bey der genaueſten Richtigkeit des Weſentlichen der
Geſchichte, bey Anfuͤhrung der kleineſten Umſtaͤnde,
weder die Phantaſie, noch die Empfindung, ange-
nehm unterhaͤlt: und ſo wird uͤberhaupt jeder Ge-
genſtand des Geſchmaks, der nur dem Verſtande
Richtigkeit zeiget, fuͤr den ſinnlichen Theil unſrer Vor-
ſtellung aber nichts reizendes hat, troken genennt.
Und hieraus laͤßt ſich unmittelbar abnehmen, daß
die Trokenheit in Werken des Geſchmaks ein ſehr
ſchweerer Fehler ſey, weil ſie dem Zwek derſelben
gerad entgegen ſteht. Eben der Annehmlichkeiten
halber, in deren Mangel das Trokene beſteht, wird
ein Gegenſtand aͤſthetiſch, oder fuͤr die ſchoͤnen Kuͤn-
ſte brauchbar, daher wuͤrde das ſchoͤnſte Gedicht, die
Aeneis z. B. in einer trokenen Ueberſezung aufhoͤ-
ren ein Gedicht, ein Werk des Geſchmaks zu ſeyn.
Man verfaͤllt leicht ins Trokene, wenn man
blos mit dem Verſtand arbeitet und weder der Ein-
bildungskraft, noch dem Herzen einen Antheil an
der Arbeit giebt. Was in Abſicht auf ſtrenge Wiſ-
ſenſchaft ein gluͤklicher Schwung des Genies iſt,
ſich immer blos am Weſentlichen der Begriffe zu
halten, und alles bis zur hoͤchſten Deutlichkeit zu
entwikeln, wird in ſchoͤnen Kuͤnſten verderblich.
Jn Werken des Geſchmaks kommen die Saͤfte, wo-
durch ſie ihr Anſehen, ihre Annehmlichkeiten und
ihre Reizungen bekommen, von gluͤklicher Mitwuͤr-
kung der Phantaſie und des Herzens her. Weſſen
Phantaſie bey der Arbeit nicht erhizt iſt, oder wenig-
ſtens lacht; weſſen Herz nicht Waͤrme dabey fuͤhlt,
der laͤuft Gefahr, troken zu werden. Bey den muͤ-
heſamen Arbeiten iſt man in dieſem Falle; deswe-
gen jeder Kuͤnſtler wolthut das Werk von der Hand
zu legen, ſo bald ihm die Arbeit muͤheſam wird. Jn
Werken des Geſchmaks alles nach Regeln abpaſſen, an-
ſtatt dem Feuer des Genies zu folgen, macht eben-
falls troken. Nur die, die ihrer Materie voͤllig
Meiſter ſind, und die Mittel zur Ausuͤbung gaͤnzlich
in ihrer Gewalt haben, vermeiden die Trokenheit.
Tropen.
(Redende Kuͤnſte)
Koͤnnte im Deutſchen durch Ableitungen gegeben
werden. Denn die Tropen ſind nichts anders, als
Ableitungen der Woͤrter und Redensarten auf andre
Bedeutungen (†). So wird in der Redensart:
die ganze Stadt iſt beſtuͤrzt, das Wort Stadt von
ſeiner eigentlichen Bedeutung auf die Bezeichnung
der Einwohner abgeleitet, und iſt in dieſer Redens-
art ein Tropus. Es giebt, wie wir bald ſehen
werden, ſehr viel Arten dieſer Ableitung, jede
Sprache hat eine unzaͤhlige Menge derſelben und ſie
entſtehen aus verſchiedenen Urſachen. Eine der ge-
woͤhnlichſten iſt der Mangel eigentlicher Woͤrter.
Man ſagt: dieſer Menſch hat eine harte Secle,
weil man kein eigentliches Wort hat, dasjenige aus-
zudruͤken, was der Tropus hart hier bezeichnet;
andre male entſtehen ſie, weil man in der Eil, und
um kurz zu ſeyn, einen Ausdruk ſtatt einer Umſchrei-
bung, oder auch nur, weil er ſich der Einbildungs-
kraft eher, als der eigentliche darſtellt, gebraucht;
wie in den Redensarten: Europa hat mehr Kuͤn-
ſte, als jeder andrer Welttheil; er fuͤhrt hundert
Pferde an, anſtatt hundert gewaffnete Reuter.
Gar ofte entſtehen die Tropen aus dem Beſtreben
nachdruͤklich zu ſeyn, und das, was man ſagen
will, dem anſchauenden Erkenntniß vorzubilden.
So ſagt man: Er brennt vor Zorn.
Es ließe ſich leicht zeigen, daß der groͤßte Theil
jeder Sprache aus Tropen beſteht, davon aber
die meiſten ihre tropiſche Kraft verlohren haben
und fuͤr die eigentlichen Ausdruͤke gehalten wer-
den. Wir wollen aber hier keine Abhandlung uͤber
die Tropen ſchreiben; wer dieſe Materie in ihrem
ganzen Umfang gruͤndlich behandelt ſehen will, kann
daruͤber das Werk eines franzoͤſiſchen Schriftſtellers
leſen.
(†) Verbi vel ſermonis à propria ſignificatione in aliam
cum virtute mutatio. Quintil. VIII. 6.
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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 1184[1166]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/613>, abgerufen am 24.11.2024.
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