und die Antwort muß in D nämlich in der plagalischen hypomyxolydischen Tonart geschehen; im zweyten Fall ist sie plagalisch, und der Gefährte muß in C nämlich in der authentischen jonischen Tonart ant- worten. Hierauf haben die Organisten hauptsäch- lich in ihren Vorspiehlen Acht zu geben, auch wenn sie den Choral blos harmonisch begleiten. Es giebt Kirchengesänge, die durchgängig authentisch sind; es giebt aber auch andere, die durchgängig plagalisch sind, wie z. B. über das Lied: Ach Gott vom Him- mel sieh darein etc. Die Melodie dieses Liedes ist in der hypophrygischen Tonart, und nicht aus unserm G dur, wie einige Organisten glauben, die durch ihre abgeschmakte harmonische Begleitung dieser vor- treflichen und den Worten so vollkommen angemes- senen Choralmelodie allen Ausdruk benehmen.
Man kann in den Choralgesängen die authentische oder plagalische Tonart nicht verkennen, wenn man nur auf den Umfang der ganzen Melodie Acht giebt. Die authentische Tonart beobachtet in der Melodie den Umfang von dem Grundton bis zu seiner Octave die plagalische hingegen die Octave von der Quinte des Grundtones, wie die oben angezeigten Tonlei- tern darthun. Ein oder etliche Töne über oder unter dem Umfang der Octave hebt diesen Unter- schied nicht auf. Aber nicht allein in den Choral- gesängen, sondern auch in vielen unserer heutigen Singstüke, kann dieser Unterschied beobachtet wer- den. So ist folgender Anfang einer Graunischen Opernarie:
[Abbildung]
authentisch, und folgender plagalisch:
[Abbildung]
[Spaltenumbruch]
Ton
Manche Arie ist durchgehends authentisch, und an- dere sind durchgehends plagalisch. Da bey den lez- tern die harmonische Begleitung nothwendiger ist, als bey den erstern, so könnte hieraus die Regel ge- zogen werden, daß man in Liedern zum Singen, die oft ohne alle Begleitung gesungen werden, das Pla- galische vermeiden, und durchgängig authentisch ver- fahren müsse.
Man hat vieles für und wieder die alten Tonar- ten geschrieben, und dem Anschein nach sind sie blos aus Mangel der nachher eingeführten Töne Cis, Dis etc. (*) entstanden. Wenn man aber die ver- schiedenen Würkungen erwägt, die jede Tonart auf die Gemüther und selbst auf die Sitten der Alten gehabt, und die große Kraft, die sie noch heute in den Kirchengesängen haben, so kann man sie wol nicht blos zufällig und mangelhaft nennen. Es ist unstreitig, daß die verschiedene Lage der halben Töne E-F und H-c jeder Tonart einen unterscheiden- den Ausdruk giebt. Die Fortschreitung von c d e[]f in der jonischen Tonart hat ohngeachtet des hal- ben Tones eher etwas fröhliches als trauriges; hin- gegen macht dieser nämliche halbe Ton die Quar- tenfortschreitung der phrygischen Tonart e[]f g a un- gemein traurig. Hierüber verdienet Prinz in seiner musikalischen Kunstübung von der Quarte (*) und Quinte (*) nachgelesen zu werden, der den verschiedenen Ausdruk der stufenweisen Quarten und Quintenfort- schreitung jeder Tonart nach der Lage des darinn vorkommenden halben Tones mit vieler Scharfsin- nigkeit bestimmt, und daraus den besondern Ausdruk jeder Tonart im Ganzen herleitet. Nach ihm ist die Jonische Tonart lustig und muthig; die Dorische ernsthaft und andächtig; die Phrygische sehr trau- rig; die Lydische hart und unfreundlich, die Myxo- lydische mäßig lustig, und die Aeolische zärtlich und etwas traurig. Wir finden in der That, daß die Kirchengesänge, die uns in diesen Tonarten übrig geblieben sind, völlig diesen Ausdruk haben, der durch eine der Tonart angemessene harmonische Be- gleitung noch verstärkt, durch eine fremde neumo- dische Begleitung aber ganz ausgelöscht wird. Ueber- haupt herrscht in den alten Tonarten ein innerer der Kirche gemäßer Anstand und Würde, der in den beyden neuern Dur- und Molltonarten allein nicht zu erreichen ist, ob sie gleich Abkömmlinge der Jo- nischen und Aeolischen, und die vollkommensten Ton- arten sind. (*)
Daher
(*) S. System,
(*) S. 15.
(*) S. 18.
(*) S. Tonleiter.
Zweyter Theil. F f f f f f f
[Spaltenumbruch]
Ton
und die Antwort muß in D naͤmlich in der plagaliſchen hypomyxolydiſchen Tonart geſchehen; im zweyten Fall iſt ſie plagaliſch, und der Gefaͤhrte muß in C naͤmlich in der authentiſchen joniſchen Tonart ant- worten. Hierauf haben die Organiſten hauptſaͤch- lich in ihren Vorſpiehlen Acht zu geben, auch wenn ſie den Choral blos harmoniſch begleiten. Es giebt Kirchengeſaͤnge, die durchgaͤngig authentiſch ſind; es giebt aber auch andere, die durchgaͤngig plagaliſch ſind, wie z. B. uͤber das Lied: Ach Gott vom Him- mel ſieh darein ꝛc. Die Melodie dieſes Liedes iſt in der hypophrygiſchen Tonart, und nicht aus unſerm G dur, wie einige Organiſten glauben, die durch ihre abgeſchmakte harmoniſche Begleitung dieſer vor- treflichen und den Worten ſo vollkommen angemeſ- ſenen Choralmelodie allen Ausdruk benehmen.
Man kann in den Choralgeſaͤngen die authentiſche oder plagaliſche Tonart nicht verkennen, wenn man nur auf den Umfang der ganzen Melodie Acht giebt. Die authentiſche Tonart beobachtet in der Melodie den Umfang von dem Grundton bis zu ſeiner Octave die plagaliſche hingegen die Octave von der Quinte des Grundtones, wie die oben angezeigten Tonlei- tern darthun. Ein oder etliche Toͤne uͤber oder unter dem Umfang der Octave hebt dieſen Unter- ſchied nicht auf. Aber nicht allein in den Choral- geſaͤngen, ſondern auch in vielen unſerer heutigen Singſtuͤke, kann dieſer Unterſchied beobachtet wer- den. So iſt folgender Anfang einer Grauniſchen Opernarie:
[Abbildung]
authentiſch, und folgender plagaliſch:
[Abbildung]
[Spaltenumbruch]
Ton
Manche Arie iſt durchgehends authentiſch, und an- dere ſind durchgehends plagaliſch. Da bey den lez- tern die harmoniſche Begleitung nothwendiger iſt, als bey den erſtern, ſo koͤnnte hieraus die Regel ge- zogen werden, daß man in Liedern zum Singen, die oft ohne alle Begleitung geſungen werden, das Pla- galiſche vermeiden, und durchgaͤngig authentiſch ver- fahren muͤſſe.
Man hat vieles fuͤr und wieder die alten Tonar- ten geſchrieben, und dem Anſchein nach ſind ſie blos aus Mangel der nachher eingefuͤhrten Toͤne Cis, Dis ꝛc. (*) entſtanden. Wenn man aber die ver- ſchiedenen Wuͤrkungen erwaͤgt, die jede Tonart auf die Gemuͤther und ſelbſt auf die Sitten der Alten gehabt, und die große Kraft, die ſie noch heute in den Kirchengeſaͤngen haben, ſo kann man ſie wol nicht blos zufaͤllig und mangelhaft nennen. Es iſt unſtreitig, daß die verſchiedene Lage der halben Toͤne E-F und H-c jeder Tonart einen unterſcheiden- den Ausdruk giebt. Die Fortſchreitung von c d e[𝆆]f in der joniſchen Tonart hat ohngeachtet des hal- ben Tones eher etwas froͤhliches als trauriges; hin- gegen macht dieſer naͤmliche halbe Ton die Quar- tenfortſchreitung der phrygiſchen Tonart e[𝆆]f g a un- gemein traurig. Hieruͤber verdienet Prinz in ſeiner muſikaliſchen Kunſtuͤbung von der Quarte (*) und Quinte (*) nachgeleſen zu werden, der den verſchiedenen Ausdruk der ſtufenweiſen Quarten und Quintenfort- ſchreitung jeder Tonart nach der Lage des darinn vorkommenden halben Tones mit vieler Scharfſin- nigkeit beſtimmt, und daraus den beſondern Ausdruk jeder Tonart im Ganzen herleitet. Nach ihm iſt die Joniſche Tonart luſtig und muthig; die Doriſche ernſthaft und andaͤchtig; die Phrygiſche ſehr trau- rig; die Lydiſche hart und unfreundlich, die Myxo- lydiſche maͤßig luſtig, und die Aeoliſche zaͤrtlich und etwas traurig. Wir finden in der That, daß die Kirchengeſaͤnge, die uns in dieſen Tonarten uͤbrig geblieben ſind, voͤllig dieſen Ausdruk haben, der durch eine der Tonart angemeſſene harmoniſche Be- gleitung noch verſtaͤrkt, durch eine fremde neumo- diſche Begleitung aber ganz ausgeloͤſcht wird. Ueber- haupt herrſcht in den alten Tonarten ein innerer der Kirche gemaͤßer Anſtand und Wuͤrde, der in den beyden neuern Dur- und Molltonarten allein nicht zu erreichen iſt, ob ſie gleich Abkoͤmmlinge der Jo- niſchen und Aeoliſchen, und die vollkommenſten Ton- arten ſind. (*)
Daher
(*) S. Syſtem,
(*) S. 15.
(*) S. 18.
(*) S. Tonleiter.
Zweyter Theil. F f f f f f f
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0592"n="1163[1145]"/><cb/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Ton</hi></fw><lb/>
und die Antwort muß in <hirendition="#aq">D</hi> naͤmlich in der plagaliſchen<lb/>
hypomyxolydiſchen Tonart geſchehen; im zweyten<lb/>
Fall iſt ſie plagaliſch, und der Gefaͤhrte muß in <hirendition="#aq">C</hi><lb/>
naͤmlich in der authentiſchen joniſchen Tonart ant-<lb/>
worten. Hierauf haben die Organiſten hauptſaͤch-<lb/>
lich in ihren Vorſpiehlen Acht zu geben, auch wenn<lb/>ſie den Choral blos harmoniſch begleiten. Es giebt<lb/>
Kirchengeſaͤnge, die durchgaͤngig authentiſch ſind; es<lb/>
giebt aber auch andere, die durchgaͤngig plagaliſch<lb/>ſind, wie z. B. uͤber das Lied: Ach Gott vom Him-<lb/>
mel ſieh darein ꝛc. Die Melodie dieſes Liedes iſt in<lb/>
der hypophrygiſchen Tonart, und nicht aus unſerm<lb/><hirendition="#aq">G</hi> dur, wie einige Organiſten glauben, die durch<lb/>
ihre abgeſchmakte harmoniſche Begleitung dieſer vor-<lb/>
treflichen und den Worten ſo vollkommen angemeſ-<lb/>ſenen Choralmelodie allen Ausdruk benehmen.</p><lb/><p>Man kann in den Choralgeſaͤngen die authentiſche<lb/>
oder plagaliſche Tonart nicht verkennen, wenn man<lb/>
nur auf den Umfang der ganzen Melodie Acht giebt.<lb/>
Die authentiſche Tonart beobachtet in der Melodie<lb/>
den Umfang von dem Grundton bis zu ſeiner Octave<lb/>
die plagaliſche hingegen die Octave von der Quinte<lb/>
des Grundtones, wie die oben angezeigten Tonlei-<lb/>
tern darthun. Ein oder etliche Toͤne uͤber oder<lb/>
unter dem Umfang der Octave hebt dieſen Unter-<lb/>ſchied nicht auf. Aber nicht allein in den Choral-<lb/>
geſaͤngen, ſondern auch in vielen unſerer heutigen<lb/>
Singſtuͤke, kann dieſer Unterſchied beobachtet wer-<lb/>
den. So iſt folgender Anfang einer Grauniſchen<lb/>
Opernarie:<lb/><figure/> authentiſch, und folgender plagaliſch:<lb/><figure/><cb/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Ton</hi></fw><lb/>
Manche Arie iſt durchgehends authentiſch, und an-<lb/>
dere ſind durchgehends plagaliſch. Da bey den lez-<lb/>
tern die harmoniſche Begleitung nothwendiger iſt,<lb/>
als bey den erſtern, ſo koͤnnte hieraus die Regel ge-<lb/>
zogen werden, daß man in Liedern zum Singen, die<lb/>
oft ohne alle Begleitung geſungen werden, das Pla-<lb/>
galiſche vermeiden, und durchgaͤngig authentiſch ver-<lb/>
fahren muͤſſe.</p><lb/><p>Man hat vieles fuͤr und wieder die alten Tonar-<lb/>
ten geſchrieben, und dem Anſchein nach ſind ſie blos<lb/>
aus Mangel der nachher eingefuͤhrten Toͤne <hirendition="#aq">Cis,<lb/>
Dis</hi>ꝛc. <noteplace="foot"n="(*)">S.<lb/>
Syſtem,</note> entſtanden. Wenn man aber die ver-<lb/>ſchiedenen Wuͤrkungen erwaͤgt, die jede Tonart auf<lb/>
die Gemuͤther und ſelbſt auf die Sitten der Alten<lb/>
gehabt, und die große Kraft, die ſie noch heute in<lb/>
den Kirchengeſaͤngen haben, ſo kann man ſie wol<lb/>
nicht blos zufaͤllig und mangelhaft nennen. Es<lb/>
iſt unſtreitig, daß die verſchiedene Lage der halben<lb/>
Toͤne <hirendition="#aq">E-F</hi> und <hirendition="#aq">H-c</hi> jeder Tonart einen unterſcheiden-<lb/>
den Ausdruk giebt. Die Fortſchreitung von <hirendition="#aq">c d e<supplied>𝆆</supplied>f</hi><lb/>
in der joniſchen Tonart hat ohngeachtet des hal-<lb/>
ben Tones eher etwas froͤhliches als trauriges; hin-<lb/>
gegen macht dieſer naͤmliche halbe Ton die Quar-<lb/>
tenfortſchreitung der phrygiſchen Tonart <hirendition="#aq">e<supplied>𝆆</supplied>f g a</hi> un-<lb/>
gemein traurig. Hieruͤber verdienet <hirendition="#fr">Prinz</hi> in ſeiner<lb/>
muſikaliſchen Kunſtuͤbung von der Quarte <noteplace="foot"n="(*)">S. 15.</note> und<lb/>
Quinte <noteplace="foot"n="(*)">S. 18.</note> nachgeleſen zu werden, der den verſchiedenen<lb/>
Ausdruk der ſtufenweiſen Quarten und Quintenfort-<lb/>ſchreitung jeder Tonart nach der Lage des darinn<lb/>
vorkommenden halben Tones mit vieler Scharfſin-<lb/>
nigkeit beſtimmt, und daraus den beſondern Ausdruk<lb/>
jeder Tonart im Ganzen herleitet. Nach ihm iſt<lb/>
die Joniſche Tonart luſtig und muthig; die Doriſche<lb/>
ernſthaft und andaͤchtig; die Phrygiſche ſehr trau-<lb/>
rig; die Lydiſche hart und unfreundlich, die Myxo-<lb/>
lydiſche maͤßig luſtig, und die Aeoliſche zaͤrtlich und<lb/>
etwas traurig. Wir finden in der That, daß die<lb/>
Kirchengeſaͤnge, die uns in dieſen Tonarten uͤbrig<lb/>
geblieben ſind, voͤllig dieſen Ausdruk haben, der<lb/>
durch eine der Tonart angemeſſene harmoniſche Be-<lb/>
gleitung noch verſtaͤrkt, durch eine fremde neumo-<lb/>
diſche Begleitung aber ganz ausgeloͤſcht wird. Ueber-<lb/>
haupt herrſcht in den alten Tonarten ein innerer<lb/>
der Kirche gemaͤßer Anſtand und Wuͤrde, der in den<lb/>
beyden neuern Dur- und Molltonarten allein nicht<lb/>
zu erreichen iſt, ob ſie gleich Abkoͤmmlinge der Jo-<lb/>
niſchen und Aeoliſchen, und die vollkommenſten Ton-<lb/>
arten ſind. <noteplace="foot"n="(*)">S.<lb/>
Tonleiter.</note></p><lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#fr">Zweyter Theil.</hi> F f f f f f f</fw><fwplace="bottom"type="catch">Daher</fw><lb/></div></div></body></text></TEI>
[1163[1145]/0592]
Ton
Ton
und die Antwort muß in D naͤmlich in der plagaliſchen
hypomyxolydiſchen Tonart geſchehen; im zweyten
Fall iſt ſie plagaliſch, und der Gefaͤhrte muß in C
naͤmlich in der authentiſchen joniſchen Tonart ant-
worten. Hierauf haben die Organiſten hauptſaͤch-
lich in ihren Vorſpiehlen Acht zu geben, auch wenn
ſie den Choral blos harmoniſch begleiten. Es giebt
Kirchengeſaͤnge, die durchgaͤngig authentiſch ſind; es
giebt aber auch andere, die durchgaͤngig plagaliſch
ſind, wie z. B. uͤber das Lied: Ach Gott vom Him-
mel ſieh darein ꝛc. Die Melodie dieſes Liedes iſt in
der hypophrygiſchen Tonart, und nicht aus unſerm
G dur, wie einige Organiſten glauben, die durch
ihre abgeſchmakte harmoniſche Begleitung dieſer vor-
treflichen und den Worten ſo vollkommen angemeſ-
ſenen Choralmelodie allen Ausdruk benehmen.
Man kann in den Choralgeſaͤngen die authentiſche
oder plagaliſche Tonart nicht verkennen, wenn man
nur auf den Umfang der ganzen Melodie Acht giebt.
Die authentiſche Tonart beobachtet in der Melodie
den Umfang von dem Grundton bis zu ſeiner Octave
die plagaliſche hingegen die Octave von der Quinte
des Grundtones, wie die oben angezeigten Tonlei-
tern darthun. Ein oder etliche Toͤne uͤber oder
unter dem Umfang der Octave hebt dieſen Unter-
ſchied nicht auf. Aber nicht allein in den Choral-
geſaͤngen, ſondern auch in vielen unſerer heutigen
Singſtuͤke, kann dieſer Unterſchied beobachtet wer-
den. So iſt folgender Anfang einer Grauniſchen
Opernarie:
[Abbildung]
authentiſch, und folgender plagaliſch:
[Abbildung]
Manche Arie iſt durchgehends authentiſch, und an-
dere ſind durchgehends plagaliſch. Da bey den lez-
tern die harmoniſche Begleitung nothwendiger iſt,
als bey den erſtern, ſo koͤnnte hieraus die Regel ge-
zogen werden, daß man in Liedern zum Singen, die
oft ohne alle Begleitung geſungen werden, das Pla-
galiſche vermeiden, und durchgaͤngig authentiſch ver-
fahren muͤſſe.
Man hat vieles fuͤr und wieder die alten Tonar-
ten geſchrieben, und dem Anſchein nach ſind ſie blos
aus Mangel der nachher eingefuͤhrten Toͤne Cis,
Dis ꝛc. (*) entſtanden. Wenn man aber die ver-
ſchiedenen Wuͤrkungen erwaͤgt, die jede Tonart auf
die Gemuͤther und ſelbſt auf die Sitten der Alten
gehabt, und die große Kraft, die ſie noch heute in
den Kirchengeſaͤngen haben, ſo kann man ſie wol
nicht blos zufaͤllig und mangelhaft nennen. Es
iſt unſtreitig, daß die verſchiedene Lage der halben
Toͤne E-F und H-c jeder Tonart einen unterſcheiden-
den Ausdruk giebt. Die Fortſchreitung von c d e𝆆f
in der joniſchen Tonart hat ohngeachtet des hal-
ben Tones eher etwas froͤhliches als trauriges; hin-
gegen macht dieſer naͤmliche halbe Ton die Quar-
tenfortſchreitung der phrygiſchen Tonart e𝆆f g a un-
gemein traurig. Hieruͤber verdienet Prinz in ſeiner
muſikaliſchen Kunſtuͤbung von der Quarte (*) und
Quinte (*) nachgeleſen zu werden, der den verſchiedenen
Ausdruk der ſtufenweiſen Quarten und Quintenfort-
ſchreitung jeder Tonart nach der Lage des darinn
vorkommenden halben Tones mit vieler Scharfſin-
nigkeit beſtimmt, und daraus den beſondern Ausdruk
jeder Tonart im Ganzen herleitet. Nach ihm iſt
die Joniſche Tonart luſtig und muthig; die Doriſche
ernſthaft und andaͤchtig; die Phrygiſche ſehr trau-
rig; die Lydiſche hart und unfreundlich, die Myxo-
lydiſche maͤßig luſtig, und die Aeoliſche zaͤrtlich und
etwas traurig. Wir finden in der That, daß die
Kirchengeſaͤnge, die uns in dieſen Tonarten uͤbrig
geblieben ſind, voͤllig dieſen Ausdruk haben, der
durch eine der Tonart angemeſſene harmoniſche Be-
gleitung noch verſtaͤrkt, durch eine fremde neumo-
diſche Begleitung aber ganz ausgeloͤſcht wird. Ueber-
haupt herrſcht in den alten Tonarten ein innerer
der Kirche gemaͤßer Anſtand und Wuͤrde, der in den
beyden neuern Dur- und Molltonarten allein nicht
zu erreichen iſt, ob ſie gleich Abkoͤmmlinge der Jo-
niſchen und Aeoliſchen, und die vollkommenſten Ton-
arten ſind. (*)
Daher
(*) S.
Syſtem,
(*) S. 15.
(*) S. 18.
(*) S.
Tonleiter.
Zweyter Theil. F f f f f f f
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 1163[1145]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/592>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.