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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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Sta
daß wir ihn mit ungewöhnlicher Lebhaftigkeit, als
etwas, das uns gleichsam erschüttert, empfinden,
oder fühlen. Daher pflegt man auch von der
Stärke der Wahrheit zu fagen, man fühle sie,
man könne sie mit Händen greifen. Wenn jemand
sagt: ich bin ehrlich und halte Treu und Glauben,
so verstehen wir sehr klar was er sagt, finden aber
in dieser Versicherung nichts, das eine vorzügliche
Kraft auf uns hätte; wenn aber Shakespear einen
sagen läßt: noch hab ich nie mein gegebenes Wort
gebrochen, und würde selbst den Teufel seinem Ge-
sellen nicht verrathen;
(+) so fühlen wir da eine
ungewöhnliche Stärke des Ausdruks.

Die Stärke liegt, wie die Größe, nicht in dem
Wesentlichen der Dinge, sondern blos in der Menge
gleicher Theile. Von der Größe ist sie darin unter-
schieden, daß sie die Menge in einen engen Raum
vereiniget, da sie bey jener auseinander verbreitet
ist. Wenn man das Licht, das auf eine große
Fläche, z. B. auf einen Tisch fällt, durch ein ge-
schliffenes Glas in einen weit engern Raum, zu-
sammendrängt, so erhält man nicht mehr Licht, aber
es wird stärker. Also ist ein starker Gedanken, der,
der durch wenig Hauptbegriffe eben so viel sagt, als
gewöhnlicher Weise durch viel Begriffe gesagt wird;
ein starker Ausdruk, wo ein Wort so viel sagt, als
sonst mehrere sagen würden; eine starke Empfindung,
die uns auf einmal, so viel zu fühlen giebt, als eine
andre nach und nach würde gethan haben. Ueber-
haupt, was schnell eben so viel würkt, als in länge-
rer Zeit durch andere Mittel wäre bewürkt worden,
wird in Vergleichung des Leztern, stark genannt.

Ein Gedanken kann durch verschiedene Mittel
stark werden, blos durch die Kürze des Ausdruks,
wie das bekannte fuimus Troes. Durch Sinnlich-
keit, wenn man statt allgemeiner Begriffe, die man
erst nach einigem Nachdenken völlig fassen würde,
besondere, den äußern Sinnen vernehmliche, braucht.
Wenn Terenz sagen will, daß nur die äußerste Noth
einen dahin bringen kann, gewissen Leuten zu schmei-
[Spaltenumbruch]

Sta
cheln, so sagt er es stark, vermittelst eines sinnli-
chen Bildes

-- qui huic assentari animum induxeris
E flamma te posse cibum petere arbitror.
(*)

"Wenn du diesem schmeicheln kannst, so dächte ich,
müßtest du auch dein Brod aus einem Feuer her-
ausholen können.
" Auch wird ein Gedanken stark,
wenn man, anstatt eines zwar vielbedeutenden, aber
durch den täglichen Gebrauch schon zu bekannten
und gleichsam abgenuzten Ausdruks, einen eben so
viel, oder mehr bedeutenden nihmt, der weniger ge-
läufig ist, folglich die Aufmerksamkeit auf das,
was er sagt, schärft. Ein Beyspiehl hievon giebt
folgende Stelle des Cicero, da er vom Verres sagt:
"Wir haben euch, ihr Richter, nicht einen Dieben,
sondern einen Räuber, nicht einen Ehebrecher, son-
dern einen Bestürmer der Keuschheit; nicht einen
Kirchenräuber, sondern einen Feind alles dessen,
was heilig ist; nicht einen Meuchelmörder, sondern
den grausamesten Büttel der Bürger und Bundes-
genossen, vor Gerichte geführt." (++) Auch kann ein
Gedanken, durch die Wendung, wodurch er in ein
besonders helles Licht gesezt wird, stark werden.
Unzählige Beyspiehle findet man hievon beym Sha-
kespear, der hierin alle Dichter übertrift. Als ein
Beyspiehl kann auch folgendes vom Cicero dienen.
"O! des Ansehens und der Würde des römischen
Volkes, die Königen, fremden Nationen und den
entlegensten Völkern furchtbar ist! Dieser aus ge-
dungenen Sclaven, aus Bösewichten und aus
Bettlern bestehende Haufe, soll das römische Volk
seyn!" (+++)

Ein ganz besonders Mittel etwas stark zu sagen,
ist dieses, da man ihm eine Wendung giebt, die es
zu schwächen scheinet, um seine Stärke desto fühlba-
rer zu machen. Dahin gehört die Frage, die im
Grund eine verstärkte Bejahung, oder Verneinung
ist. (*) Dahin gehört auch die Figur, die die Grie-
chen litotes, die Verminderung, nennen, wie das
Horazische non sordidus autor. Ein besonderes
Beyspiehl hievon ist folgendes. Als Alexander die

Geten
(+) -- -- -- I have
At no time brocke my faith, would not betray
The devil to his fellow. im Macbeth.
(*) Eunuch.
Ac. III. s.
2.
(++) [Spaltenumbruch]
Non enim surem, sed ereptorem; non adulterum
sed expugnatorem pudicitiae; non sacrilegum sed hostem
acrorum religionumque; non sicarium, sed crudelissimum
[Spaltenumbruch] carnificem civium sociorumque in vestrum judicium adduxi-
mus. Cic. in Verrem.
(+++) O speciem dignitatemque Pop. R. quam reges,
quam nationes exterae, quam gentes ultimae pertimescunt,
multitudinem hominum ex servis conductis, ex facinorosis
ex egentibus congregatum. Cic. pro domo.
(*) S.
Frage.

[Spaltenumbruch]

Sta
daß wir ihn mit ungewoͤhnlicher Lebhaftigkeit, als
etwas, das uns gleichſam erſchuͤttert, empfinden,
oder fuͤhlen. Daher pflegt man auch von der
Staͤrke der Wahrheit zu fagen, man fuͤhle ſie,
man koͤnne ſie mit Haͤnden greifen. Wenn jemand
ſagt: ich bin ehrlich und halte Treu und Glauben,
ſo verſtehen wir ſehr klar was er ſagt, finden aber
in dieſer Verſicherung nichts, das eine vorzuͤgliche
Kraft auf uns haͤtte; wenn aber Shakeſpear einen
ſagen laͤßt: noch hab ich nie mein gegebenes Wort
gebrochen, und wuͤrde ſelbſt den Teufel ſeinem Ge-
ſellen nicht verrathen;
(†) ſo fuͤhlen wir da eine
ungewoͤhnliche Staͤrke des Ausdruks.

Die Staͤrke liegt, wie die Groͤße, nicht in dem
Weſentlichen der Dinge, ſondern blos in der Menge
gleicher Theile. Von der Groͤße iſt ſie darin unter-
ſchieden, daß ſie die Menge in einen engen Raum
vereiniget, da ſie bey jener auseinander verbreitet
iſt. Wenn man das Licht, das auf eine große
Flaͤche, z. B. auf einen Tiſch faͤllt, durch ein ge-
ſchliffenes Glas in einen weit engern Raum, zu-
ſammendraͤngt, ſo erhaͤlt man nicht mehr Licht, aber
es wird ſtaͤrker. Alſo iſt ein ſtarker Gedanken, der,
der durch wenig Hauptbegriffe eben ſo viel ſagt, als
gewoͤhnlicher Weiſe durch viel Begriffe geſagt wird;
ein ſtarker Ausdruk, wo ein Wort ſo viel ſagt, als
ſonſt mehrere ſagen wuͤrden; eine ſtarke Empfindung,
die uns auf einmal, ſo viel zu fuͤhlen giebt, als eine
andre nach und nach wuͤrde gethan haben. Ueber-
haupt, was ſchnell eben ſo viel wuͤrkt, als in laͤnge-
rer Zeit durch andere Mittel waͤre bewuͤrkt worden,
wird in Vergleichung des Leztern, ſtark genannt.

Ein Gedanken kann durch verſchiedene Mittel
ſtark werden, blos durch die Kuͤrze des Ausdruks,
wie das bekannte fuimus Troes. Durch Sinnlich-
keit, wenn man ſtatt allgemeiner Begriffe, die man
erſt nach einigem Nachdenken voͤllig faſſen wuͤrde,
beſondere, den aͤußern Sinnen vernehmliche, braucht.
Wenn Terenz ſagen will, daß nur die aͤußerſte Noth
einen dahin bringen kann, gewiſſen Leuten zu ſchmei-
[Spaltenumbruch]

Sta
cheln, ſo ſagt er es ſtark, vermittelſt eines ſinnli-
chen Bildes

qui huic aſſentari animum induxeris
E flamma te poſſe cibum petere arbitror.
(*)

Wenn du dieſem ſchmeicheln kannſt, ſo daͤchte ich,
muͤßteſt du auch dein Brod aus einem Feuer her-
ausholen koͤnnen.
“ Auch wird ein Gedanken ſtark,
wenn man, anſtatt eines zwar vielbedeutenden, aber
durch den taͤglichen Gebrauch ſchon zu bekannten
und gleichſam abgenuzten Ausdruks, einen eben ſo
viel, oder mehr bedeutenden nihmt, der weniger ge-
laͤufig iſt, folglich die Aufmerkſamkeit auf das,
was er ſagt, ſchaͤrft. Ein Beyſpiehl hievon giebt
folgende Stelle des Cicero, da er vom Verres ſagt:
„Wir haben euch, ihr Richter, nicht einen Dieben,
ſondern einen Raͤuber, nicht einen Ehebrecher, ſon-
dern einen Beſtuͤrmer der Keuſchheit; nicht einen
Kirchenraͤuber, ſondern einen Feind alles deſſen,
was heilig iſt; nicht einen Meuchelmoͤrder, ſondern
den grauſameſten Buͤttel der Buͤrger und Bundes-
genoſſen, vor Gerichte gefuͤhrt.“ (††) Auch kann ein
Gedanken, durch die Wendung, wodurch er in ein
beſonders helles Licht geſezt wird, ſtark werden.
Unzaͤhlige Beyſpiehle findet man hievon beym Sha-
keſpear, der hierin alle Dichter uͤbertrift. Als ein
Beyſpiehl kann auch folgendes vom Cicero dienen.
„O! des Anſehens und der Wuͤrde des roͤmiſchen
Volkes, die Koͤnigen, fremden Nationen und den
entlegenſten Voͤlkern furchtbar iſt! Dieſer aus ge-
dungenen Sclaven, aus Boͤſewichten und aus
Bettlern beſtehende Haufe, ſoll das roͤmiſche Volk
ſeyn!“ (†††)

Ein ganz beſonders Mittel etwas ſtark zu ſagen,
iſt dieſes, da man ihm eine Wendung giebt, die es
zu ſchwaͤchen ſcheinet, um ſeine Staͤrke deſto fuͤhlba-
rer zu machen. Dahin gehoͤrt die Frage, die im
Grund eine verſtaͤrkte Bejahung, oder Verneinung
iſt. (*) Dahin gehoͤrt auch die Figur, die die Grie-
chen λιτοτης, die Verminderung, nennen, wie das
Horaziſche non ſordidus autor. Ein beſonderes
Beyſpiehl hievon iſt folgendes. Als Alexander die

Geten
(†) — — — I have
At no time brocke my faith, would not betray
The devil to his fellow. im Macbeth.
(*) Eunuch.
Ac. III. ſ.
2.
(††) [Spaltenumbruch]
Non enim ſurem, ſed ereptorem; non adulterum
ſed expugnatorem pudicitiæ; non ſacrilegum ſed hoſtem
acrorum religionumque; non ſicarium, ſed crudeliſſimum
[Spaltenumbruch] carnificem civium ſociorumque in veſtrum judicium adduxi-
mus. Cic. in Verrem.
(†††) O ſpeciem dignitatemque Pop. R. quam reges,
quam nationes exteræ, quam gentes ultimæ pertimescunt,
multitudinem hominum ex ſervis conductis, ex facinoroſis
ex egentibus congregatum. Cic. pro domo.
(*) S.
Frage.
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[1104[1086]/0533] Sta Sta daß wir ihn mit ungewoͤhnlicher Lebhaftigkeit, als etwas, das uns gleichſam erſchuͤttert, empfinden, oder fuͤhlen. Daher pflegt man auch von der Staͤrke der Wahrheit zu fagen, man fuͤhle ſie, man koͤnne ſie mit Haͤnden greifen. Wenn jemand ſagt: ich bin ehrlich und halte Treu und Glauben, ſo verſtehen wir ſehr klar was er ſagt, finden aber in dieſer Verſicherung nichts, das eine vorzuͤgliche Kraft auf uns haͤtte; wenn aber Shakeſpear einen ſagen laͤßt: noch hab ich nie mein gegebenes Wort gebrochen, und wuͤrde ſelbſt den Teufel ſeinem Ge- ſellen nicht verrathen; (†) ſo fuͤhlen wir da eine ungewoͤhnliche Staͤrke des Ausdruks. Die Staͤrke liegt, wie die Groͤße, nicht in dem Weſentlichen der Dinge, ſondern blos in der Menge gleicher Theile. Von der Groͤße iſt ſie darin unter- ſchieden, daß ſie die Menge in einen engen Raum vereiniget, da ſie bey jener auseinander verbreitet iſt. Wenn man das Licht, das auf eine große Flaͤche, z. B. auf einen Tiſch faͤllt, durch ein ge- ſchliffenes Glas in einen weit engern Raum, zu- ſammendraͤngt, ſo erhaͤlt man nicht mehr Licht, aber es wird ſtaͤrker. Alſo iſt ein ſtarker Gedanken, der, der durch wenig Hauptbegriffe eben ſo viel ſagt, als gewoͤhnlicher Weiſe durch viel Begriffe geſagt wird; ein ſtarker Ausdruk, wo ein Wort ſo viel ſagt, als ſonſt mehrere ſagen wuͤrden; eine ſtarke Empfindung, die uns auf einmal, ſo viel zu fuͤhlen giebt, als eine andre nach und nach wuͤrde gethan haben. Ueber- haupt, was ſchnell eben ſo viel wuͤrkt, als in laͤnge- rer Zeit durch andere Mittel waͤre bewuͤrkt worden, wird in Vergleichung des Leztern, ſtark genannt. Ein Gedanken kann durch verſchiedene Mittel ſtark werden, blos durch die Kuͤrze des Ausdruks, wie das bekannte fuimus Troes. Durch Sinnlich- keit, wenn man ſtatt allgemeiner Begriffe, die man erſt nach einigem Nachdenken voͤllig faſſen wuͤrde, beſondere, den aͤußern Sinnen vernehmliche, braucht. Wenn Terenz ſagen will, daß nur die aͤußerſte Noth einen dahin bringen kann, gewiſſen Leuten zu ſchmei- cheln, ſo ſagt er es ſtark, vermittelſt eines ſinnli- chen Bildes — qui huic aſſentari animum induxeris E flamma te poſſe cibum petere arbitror. (*) „Wenn du dieſem ſchmeicheln kannſt, ſo daͤchte ich, muͤßteſt du auch dein Brod aus einem Feuer her- ausholen koͤnnen.“ Auch wird ein Gedanken ſtark, wenn man, anſtatt eines zwar vielbedeutenden, aber durch den taͤglichen Gebrauch ſchon zu bekannten und gleichſam abgenuzten Ausdruks, einen eben ſo viel, oder mehr bedeutenden nihmt, der weniger ge- laͤufig iſt, folglich die Aufmerkſamkeit auf das, was er ſagt, ſchaͤrft. Ein Beyſpiehl hievon giebt folgende Stelle des Cicero, da er vom Verres ſagt: „Wir haben euch, ihr Richter, nicht einen Dieben, ſondern einen Raͤuber, nicht einen Ehebrecher, ſon- dern einen Beſtuͤrmer der Keuſchheit; nicht einen Kirchenraͤuber, ſondern einen Feind alles deſſen, was heilig iſt; nicht einen Meuchelmoͤrder, ſondern den grauſameſten Buͤttel der Buͤrger und Bundes- genoſſen, vor Gerichte gefuͤhrt.“ (††) Auch kann ein Gedanken, durch die Wendung, wodurch er in ein beſonders helles Licht geſezt wird, ſtark werden. Unzaͤhlige Beyſpiehle findet man hievon beym Sha- keſpear, der hierin alle Dichter uͤbertrift. Als ein Beyſpiehl kann auch folgendes vom Cicero dienen. „O! des Anſehens und der Wuͤrde des roͤmiſchen Volkes, die Koͤnigen, fremden Nationen und den entlegenſten Voͤlkern furchtbar iſt! Dieſer aus ge- dungenen Sclaven, aus Boͤſewichten und aus Bettlern beſtehende Haufe, ſoll das roͤmiſche Volk ſeyn!“ (†††) Ein ganz beſonders Mittel etwas ſtark zu ſagen, iſt dieſes, da man ihm eine Wendung giebt, die es zu ſchwaͤchen ſcheinet, um ſeine Staͤrke deſto fuͤhlba- rer zu machen. Dahin gehoͤrt die Frage, die im Grund eine verſtaͤrkte Bejahung, oder Verneinung iſt. (*) Dahin gehoͤrt auch die Figur, die die Grie- chen λιτοτης, die Verminderung, nennen, wie das Horaziſche non ſordidus autor. Ein beſonderes Beyſpiehl hievon iſt folgendes. Als Alexander die Geten (†) — — — I have At no time brocke my faith, would not betray The devil to his fellow. im Macbeth. (*) Eunuch. Ac. III. ſ. 2. (††) Non enim ſurem, ſed ereptorem; non adulterum ſed expugnatorem pudicitiæ; non ſacrilegum ſed hoſtem acrorum religionumque; non ſicarium, ſed crudeliſſimum carnificem civium ſociorumque in veſtrum judicium adduxi- mus. Cic. in Verrem. (†††) O ſpeciem dignitatemque Pop. R. quam reges, quam nationes exteræ, quam gentes ultimæ pertimescunt, multitudinem hominum ex ſervis conductis, ex facinoroſis ex egentibus congregatum. Cic. pro domo. (*) S. Frage.

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 1104[1086]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/533>, abgerufen am 21.05.2024.