Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

Bild:
<< vorherige Seite

[Spaltenumbruch]

Schw
tiges Ansehen zu geben. Beyspiehle der Schwulst,
die blos im Ausdruk liegt, sind folgende. Wenn
man im gemeinen Umgang wo man blos sagen will:
es wird Abend, anstatt des gewöhnlichen Ausdruks
sagte: schon nähert sich die Sonne dem Horizonte;
oder wenn man anstatt von einem Menschen zu sa-
gen: er fängt an grau zu werden, wie jedermann
im täglichen Umgang spricht; dieses poetisch sagte:
das Eis der Jahre zeiget sich auf seinem Haupte.
Schwulst von beygemischten Gedanken, zeiget sich
durch prahlende Beywörter, die weit über die Würde
der Begriffe sind, die die Hauptwörter erweken,
wie wenn man sagte: die erhabene Corinna; die
göttliche Sappho;
auch dadurch, daß man gemei-
nen Gedanken eine hohe Wendung giebt, oder sie
durch Zusätze gleichsam mit Gewalt und wieder ihre
Natur groß vorstellen will, wie wenn junge Ver-
liebte ihre im Grund ganz gemeine Leidenschaft,
als ein himmlisches Feuer, das ewig brennen soll,
vorstellen.

Wir haben schon in andern Artikeln von den ver-
schiedenen Arten des Großen und des Erhabenen ge-
sprochen, und daraus erkennet man, daß es auch
eben so viel Arten des falschen Großen und Erha-
benen gebe. Nämlich wie es eine wahre Größe, die
der Gegenstand des Verstandes ist, giebt, so giebt
es auch eine falsche Größe die den Verstand zu täu-
schen sucht. Diese ist eine mystische Schwulst die
dunkele unverständliche Wörter braucht, die den
Schein haben, als bedeuteten sie etwas Großes und
Erhabenes, dergleichen man nicht selten von phan-
tastischen geistlichen Rednern höret. Dem Erhabe-
nen und Großen der Phantasie steht auch seine eigene
Schwulst zur Seite, das sogenannte Phöbus oder
die schimmernde Pracht einer bilderreichen Schreib-
art, die im Grund der Einbildungskraft bloße Schat-
tenbilder, ohne würklichen Körper, vormahlet. So
giebt es endlich auch eine Schwulst, die in einer fal-
schen Größe der Gesinnungen und Empfindungen
besteht, dergleichen man nicht selten in den älteren
Romanen antrifft.

Die Schwulst entstehet entweder aus einem un-
zeitigen Bestreben, oder aus Unvermögen etwas
Großes zu sagen; in beyden Fällen aber zeiget sich
Mangel der Beurtheilung.

Unzeitig ist das Bestreben nach dem Großen, wenn
entweder der Gegenstand seiner Natur nach keine
Größe hat, oder wenn er schon in seiner natürlichen
[Spaltenumbruch]

Schw
Einfalt groß ist. Es giebt schwache Köpfe, die sich
einbilden, daß in der Beredsamkeit und Dichtkunst
alles beständig groß seyn müsse; daß deswegen jeder
einzele Gedanken, jedes Bild, jedes Wort, es sey
nach dem Sinn, oder nach dem Klang, etwas
Großes haben müsse. Daher sind sie immer gleich-
sam außer Athem, wollen immer in Begeisterung
seyn, sich immer gedankenreich, prächtig oder pathe-
tisch zeigen. Hieraus entstehet denn nothwendig die
Schwulst, die die gemeinesten Sachen mit großen
Worten sagt; den gemeinesten Gedanken gegen ihre
Natur etwas Großes anklebet, und sehr gewöhnli-
chen Empfindungen eine abentheuerliche Größe und
Stärke beylegt.

Dieser unglükliche Hang zur Schwulst hat eine
Unempfindlichkeit für feinere Schönheit zum Grund.
So wie Menschen von unempfindlichen, oder schon
abgenuzten Werkzeugen des körperlichen Geruchs
und Geschmaks durch diese Sinnen nichts empfin-
den, als was einen beißenden und gleichsam äzen-
den Geruch und Geschmak hat; so ist bey jenen
schwülstigen der Geschmak am Schönen zu grob,
um von feinerer Wahrheit, Vollkommenheit und
Schönheit gerührt zu werden; sie sind nicht empfind-
sam genug durch stillere, obgleich tief in empfindsame
Herzen eindringende Leidenschaften, gerührt zu wer-
den; alles muß pochen und poltern, wenn es sie
zur Empfindung reizen soll. Ein stiller Schmerz ist
für sie nichts; er muß sich durch Heulen und Ver-
zweiflung erst fühlbar machen. Bescheidene Groß-
muth ist ihnen nicht merkbar; sondern nur die, die
sich durch äußeres Gepräng ankündiget u. s. f.

Aber etwas ähnliches kann doch auch bey sonst
guten Köpfen und bey Gemüthern, denen es an
Empfindsamkeit nicht fehlet, aus Mangel an Erfah-
rung, aus noch unreifer Beurtheilung und nicht
hinlänglich geübtem Geschmak herkommen. Wer
überhaupt von den in den Werken der schönen Kün-
ste liegenden feineren Kräften, sie würken auf den
Verstand, auf die Phantasie, oder auf das Herz,
gehörig gerührt werden soll, muß entweder von Na-
tur ein sehr glükliches und scharfes Gefühl, oder
lange Uebung haben. Daher kommt es, daß junge
Künstler, deren Urtheil und Gefühl noch nicht fein
genug ist, am leichtesten in die Schwulst fallen.

Darum ist auch das beste Mittel sich dafür zu be-
wahren, daß man bey Zeiten seinen Geschmak durch
fleißiges Lesen der Redner und Dichter, die sich durch

Einfalt
Zweyter Theil. Q q q q q q

[Spaltenumbruch]

Schw
tiges Anſehen zu geben. Beyſpiehle der Schwulſt,
die blos im Ausdruk liegt, ſind folgende. Wenn
man im gemeinen Umgang wo man blos ſagen will:
es wird Abend, anſtatt des gewoͤhnlichen Ausdruks
ſagte: ſchon naͤhert ſich die Sonne dem Horizonte;
oder wenn man anſtatt von einem Menſchen zu ſa-
gen: er faͤngt an grau zu werden, wie jedermann
im taͤglichen Umgang ſpricht; dieſes poetiſch ſagte:
das Eis der Jahre zeiget ſich auf ſeinem Haupte.
Schwulſt von beygemiſchten Gedanken, zeiget ſich
durch prahlende Beywoͤrter, die weit uͤber die Wuͤrde
der Begriffe ſind, die die Hauptwoͤrter erweken,
wie wenn man ſagte: die erhabene Corinna; die
goͤttliche Sappho;
auch dadurch, daß man gemei-
nen Gedanken eine hohe Wendung giebt, oder ſie
durch Zuſaͤtze gleichſam mit Gewalt und wieder ihre
Natur groß vorſtellen will, wie wenn junge Ver-
liebte ihre im Grund ganz gemeine Leidenſchaft,
als ein himmliſches Feuer, das ewig brennen ſoll,
vorſtellen.

Wir haben ſchon in andern Artikeln von den ver-
ſchiedenen Arten des Großen und des Erhabenen ge-
ſprochen, und daraus erkennet man, daß es auch
eben ſo viel Arten des falſchen Großen und Erha-
benen gebe. Naͤmlich wie es eine wahre Groͤße, die
der Gegenſtand des Verſtandes iſt, giebt, ſo giebt
es auch eine falſche Groͤße die den Verſtand zu taͤu-
ſchen ſucht. Dieſe iſt eine myſtiſche Schwulſt die
dunkele unverſtaͤndliche Woͤrter braucht, die den
Schein haben, als bedeuteten ſie etwas Großes und
Erhabenes, dergleichen man nicht ſelten von phan-
taſtiſchen geiſtlichen Rednern hoͤret. Dem Erhabe-
nen und Großen der Phantaſie ſteht auch ſeine eigene
Schwulſt zur Seite, das ſogenannte Phoͤbus oder
die ſchimmernde Pracht einer bilderreichen Schreib-
art, die im Grund der Einbildungskraft bloße Schat-
tenbilder, ohne wuͤrklichen Koͤrper, vormahlet. So
giebt es endlich auch eine Schwulſt, die in einer fal-
ſchen Groͤße der Geſinnungen und Empfindungen
beſteht, dergleichen man nicht ſelten in den aͤlteren
Romanen antrifft.

Die Schwulſt entſtehet entweder aus einem un-
zeitigen Beſtreben, oder aus Unvermoͤgen etwas
Großes zu ſagen; in beyden Faͤllen aber zeiget ſich
Mangel der Beurtheilung.

Unzeitig iſt das Beſtreben nach dem Großen, wenn
entweder der Gegenſtand ſeiner Natur nach keine
Groͤße hat, oder wenn er ſchon in ſeiner natuͤrlichen
[Spaltenumbruch]

Schw
Einfalt groß iſt. Es giebt ſchwache Koͤpfe, die ſich
einbilden, daß in der Beredſamkeit und Dichtkunſt
alles beſtaͤndig groß ſeyn muͤſſe; daß deswegen jeder
einzele Gedanken, jedes Bild, jedes Wort, es ſey
nach dem Sinn, oder nach dem Klang, etwas
Großes haben muͤſſe. Daher ſind ſie immer gleich-
ſam außer Athem, wollen immer in Begeiſterung
ſeyn, ſich immer gedankenreich, praͤchtig oder pathe-
tiſch zeigen. Hieraus entſtehet denn nothwendig die
Schwulſt, die die gemeineſten Sachen mit großen
Worten ſagt; den gemeineſten Gedanken gegen ihre
Natur etwas Großes anklebet, und ſehr gewoͤhnli-
chen Empfindungen eine abentheuerliche Groͤße und
Staͤrke beylegt.

Dieſer ungluͤkliche Hang zur Schwulſt hat eine
Unempfindlichkeit fuͤr feinere Schoͤnheit zum Grund.
So wie Menſchen von unempfindlichen, oder ſchon
abgenuzten Werkzeugen des koͤrperlichen Geruchs
und Geſchmaks durch dieſe Sinnen nichts empfin-
den, als was einen beißenden und gleichſam aͤzen-
den Geruch und Geſchmak hat; ſo iſt bey jenen
ſchwuͤlſtigen der Geſchmak am Schoͤnen zu grob,
um von feinerer Wahrheit, Vollkommenheit und
Schoͤnheit geruͤhrt zu werden; ſie ſind nicht empfind-
ſam genug durch ſtillere, obgleich tief in empfindſame
Herzen eindringende Leidenſchaften, geruͤhrt zu wer-
den; alles muß pochen und poltern, wenn es ſie
zur Empfindung reizen ſoll. Ein ſtiller Schmerz iſt
fuͤr ſie nichts; er muß ſich durch Heulen und Ver-
zweiflung erſt fuͤhlbar machen. Beſcheidene Groß-
muth iſt ihnen nicht merkbar; ſondern nur die, die
ſich durch aͤußeres Gepraͤng ankuͤndiget u. ſ. f.

Aber etwas aͤhnliches kann doch auch bey ſonſt
guten Koͤpfen und bey Gemuͤthern, denen es an
Empfindſamkeit nicht fehlet, aus Mangel an Erfah-
rung, aus noch unreifer Beurtheilung und nicht
hinlaͤnglich geuͤbtem Geſchmak herkommen. Wer
uͤberhaupt von den in den Werken der ſchoͤnen Kuͤn-
ſte liegenden feineren Kraͤften, ſie wuͤrken auf den
Verſtand, auf die Phantaſie, oder auf das Herz,
gehoͤrig geruͤhrt werden ſoll, muß entweder von Na-
tur ein ſehr gluͤkliches und ſcharfes Gefuͤhl, oder
lange Uebung haben. Daher kommt es, daß junge
Kuͤnſtler, deren Urtheil und Gefuͤhl noch nicht fein
genug iſt, am leichteſten in die Schwulſt fallen.

Darum iſt auch das beſte Mittel ſich dafuͤr zu be-
wahren, daß man bey Zeiten ſeinen Geſchmak durch
fleißiges Leſen der Redner und Dichter, die ſich durch

Einfalt
Zweyter Theil. Q q q q q q
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0488" n="1059[1041]"/><cb/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Schw</hi></fw><lb/>
tiges An&#x017F;ehen zu geben. Bey&#x017F;piehle der Schwul&#x017F;t,<lb/>
die blos im Ausdruk liegt, &#x017F;ind folgende. Wenn<lb/>
man im gemeinen Umgang wo man blos &#x017F;agen will:<lb/><hi rendition="#fr">es wird Abend,</hi> an&#x017F;tatt des gewo&#x0364;hnlichen Ausdruks<lb/>
&#x017F;agte: <hi rendition="#fr">&#x017F;chon na&#x0364;hert &#x017F;ich die Sonne dem Horizonte;</hi><lb/>
oder wenn man an&#x017F;tatt von einem Men&#x017F;chen zu &#x017F;a-<lb/>
gen: <hi rendition="#fr">er fa&#x0364;ngt an grau zu werden,</hi> wie jedermann<lb/>
im ta&#x0364;glichen Umgang &#x017F;pricht; die&#x017F;es poeti&#x017F;ch &#x017F;agte:<lb/><hi rendition="#fr">das Eis der Jahre zeiget &#x017F;ich auf &#x017F;einem Haupte.</hi><lb/>
Schwul&#x017F;t von beygemi&#x017F;chten Gedanken, zeiget &#x017F;ich<lb/>
durch prahlende Beywo&#x0364;rter, die weit u&#x0364;ber die Wu&#x0364;rde<lb/>
der Begriffe &#x017F;ind, die die Hauptwo&#x0364;rter erweken,<lb/>
wie wenn man &#x017F;agte: <hi rendition="#fr">die erhabene Corinna; die<lb/>
go&#x0364;ttliche Sappho;</hi> auch dadurch, daß man gemei-<lb/>
nen Gedanken eine hohe Wendung giebt, oder &#x017F;ie<lb/>
durch Zu&#x017F;a&#x0364;tze gleich&#x017F;am mit Gewalt und wieder ihre<lb/>
Natur groß vor&#x017F;tellen will, wie wenn junge Ver-<lb/>
liebte ihre im Grund ganz gemeine Leiden&#x017F;chaft,<lb/>
als ein himmli&#x017F;ches Feuer, das ewig brennen &#x017F;oll,<lb/>
vor&#x017F;tellen.</p><lb/>
          <p>Wir haben &#x017F;chon in andern Artikeln von den ver-<lb/>
&#x017F;chiedenen Arten des Großen und des Erhabenen ge-<lb/>
&#x017F;prochen, und daraus erkennet man, daß es auch<lb/>
eben &#x017F;o viel Arten des fal&#x017F;chen Großen und Erha-<lb/>
benen gebe. Na&#x0364;mlich wie es eine wahre Gro&#x0364;ße, die<lb/>
der Gegen&#x017F;tand des Ver&#x017F;tandes i&#x017F;t, giebt, &#x017F;o giebt<lb/>
es auch eine fal&#x017F;che Gro&#x0364;ße die den Ver&#x017F;tand zu ta&#x0364;u-<lb/>
&#x017F;chen &#x017F;ucht. Die&#x017F;e i&#x017F;t eine <hi rendition="#fr">my&#x017F;ti&#x017F;che</hi> Schwul&#x017F;t die<lb/>
dunkele unver&#x017F;ta&#x0364;ndliche Wo&#x0364;rter braucht, die den<lb/>
Schein haben, als bedeuteten &#x017F;ie etwas Großes und<lb/>
Erhabenes, dergleichen man nicht &#x017F;elten von phan-<lb/>
ta&#x017F;ti&#x017F;chen gei&#x017F;tlichen Rednern ho&#x0364;ret. Dem Erhabe-<lb/>
nen und Großen der Phanta&#x017F;ie &#x017F;teht auch &#x017F;eine eigene<lb/>
Schwul&#x017F;t zur Seite, das &#x017F;ogenannte <hi rendition="#fr">Pho&#x0364;bus</hi> oder<lb/>
die &#x017F;chimmernde Pracht einer bilderreichen Schreib-<lb/>
art, die im Grund der Einbildungskraft bloße Schat-<lb/>
tenbilder, ohne wu&#x0364;rklichen Ko&#x0364;rper, vormahlet. So<lb/>
giebt es endlich auch eine Schwul&#x017F;t, die in einer fal-<lb/>
&#x017F;chen Gro&#x0364;ße der Ge&#x017F;innungen und Empfindungen<lb/>
be&#x017F;teht, dergleichen man nicht &#x017F;elten in den a&#x0364;lteren<lb/>
Romanen antrifft.</p><lb/>
          <p>Die Schwul&#x017F;t ent&#x017F;tehet entweder aus einem un-<lb/>
zeitigen Be&#x017F;treben, oder aus Unvermo&#x0364;gen etwas<lb/>
Großes zu &#x017F;agen; in beyden Fa&#x0364;llen aber zeiget &#x017F;ich<lb/>
Mangel der Beurtheilung.</p><lb/>
          <p>Unzeitig i&#x017F;t das Be&#x017F;treben nach dem Großen, wenn<lb/>
entweder der Gegen&#x017F;tand &#x017F;einer Natur nach keine<lb/>
Gro&#x0364;ße hat, oder wenn er &#x017F;chon in &#x017F;einer natu&#x0364;rlichen<lb/><cb/>
<fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Schw</hi></fw><lb/>
Einfalt groß i&#x017F;t. Es giebt &#x017F;chwache Ko&#x0364;pfe, die &#x017F;ich<lb/>
einbilden, daß in der Bered&#x017F;amkeit und Dichtkun&#x017F;t<lb/>
alles be&#x017F;ta&#x0364;ndig groß &#x017F;eyn mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e; daß deswegen jeder<lb/>
einzele Gedanken, jedes Bild, jedes Wort, es &#x017F;ey<lb/>
nach dem Sinn, oder nach dem Klang, etwas<lb/>
Großes haben mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e. Daher &#x017F;ind &#x017F;ie immer gleich-<lb/>
&#x017F;am außer Athem, wollen immer in Begei&#x017F;terung<lb/>
&#x017F;eyn, &#x017F;ich immer gedankenreich, pra&#x0364;chtig oder pathe-<lb/>
ti&#x017F;ch zeigen. Hieraus ent&#x017F;tehet denn nothwendig die<lb/>
Schwul&#x017F;t, die die gemeine&#x017F;ten Sachen mit großen<lb/>
Worten &#x017F;agt; den gemeine&#x017F;ten Gedanken gegen ihre<lb/>
Natur etwas Großes anklebet, und &#x017F;ehr gewo&#x0364;hnli-<lb/>
chen Empfindungen eine abentheuerliche Gro&#x0364;ße und<lb/>
Sta&#x0364;rke beylegt.</p><lb/>
          <p>Die&#x017F;er unglu&#x0364;kliche Hang zur Schwul&#x017F;t hat eine<lb/>
Unempfindlichkeit fu&#x0364;r feinere Scho&#x0364;nheit zum Grund.<lb/>
So wie Men&#x017F;chen von unempfindlichen, oder &#x017F;chon<lb/>
abgenuzten Werkzeugen des ko&#x0364;rperlichen Geruchs<lb/>
und Ge&#x017F;chmaks durch die&#x017F;e Sinnen nichts empfin-<lb/>
den, als was einen beißenden und gleich&#x017F;am a&#x0364;zen-<lb/>
den Geruch und Ge&#x017F;chmak hat; &#x017F;o i&#x017F;t bey jenen<lb/>
&#x017F;chwu&#x0364;l&#x017F;tigen der Ge&#x017F;chmak am Scho&#x0364;nen zu grob,<lb/>
um von feinerer Wahrheit, Vollkommenheit und<lb/>
Scho&#x0364;nheit geru&#x0364;hrt zu werden; &#x017F;ie &#x017F;ind nicht empfind-<lb/>
&#x017F;am genug durch &#x017F;tillere, obgleich tief in empfind&#x017F;ame<lb/>
Herzen eindringende Leiden&#x017F;chaften, geru&#x0364;hrt zu wer-<lb/>
den; alles muß pochen und poltern, wenn es &#x017F;ie<lb/>
zur Empfindung reizen &#x017F;oll. Ein &#x017F;tiller Schmerz i&#x017F;t<lb/>
fu&#x0364;r &#x017F;ie nichts; er muß &#x017F;ich durch Heulen und Ver-<lb/>
zweiflung er&#x017F;t fu&#x0364;hlbar machen. Be&#x017F;cheidene Groß-<lb/>
muth i&#x017F;t ihnen nicht merkbar; &#x017F;ondern nur die, die<lb/>
&#x017F;ich durch a&#x0364;ußeres Gepra&#x0364;ng anku&#x0364;ndiget u. &#x017F;. f.</p><lb/>
          <p>Aber etwas a&#x0364;hnliches kann doch auch bey &#x017F;on&#x017F;t<lb/>
guten Ko&#x0364;pfen und bey Gemu&#x0364;thern, denen es an<lb/>
Empfind&#x017F;amkeit nicht fehlet, aus Mangel an Erfah-<lb/>
rung, aus noch unreifer Beurtheilung und nicht<lb/>
hinla&#x0364;nglich geu&#x0364;btem Ge&#x017F;chmak herkommen. Wer<lb/>
u&#x0364;berhaupt von den in den Werken der &#x017F;cho&#x0364;nen Ku&#x0364;n-<lb/>
&#x017F;te liegenden feineren Kra&#x0364;ften, &#x017F;ie wu&#x0364;rken auf den<lb/>
Ver&#x017F;tand, auf die Phanta&#x017F;ie, oder auf das Herz,<lb/>
geho&#x0364;rig geru&#x0364;hrt werden &#x017F;oll, muß entweder von Na-<lb/>
tur ein &#x017F;ehr glu&#x0364;kliches und &#x017F;charfes Gefu&#x0364;hl, oder<lb/>
lange Uebung haben. Daher kommt es, daß junge<lb/>
Ku&#x0364;n&#x017F;tler, deren Urtheil und Gefu&#x0364;hl noch nicht fein<lb/>
genug i&#x017F;t, am leichte&#x017F;ten in die Schwul&#x017F;t fallen.</p><lb/>
          <p>Darum i&#x017F;t auch das be&#x017F;te Mittel &#x017F;ich dafu&#x0364;r zu be-<lb/>
wahren, daß man bey Zeiten &#x017F;einen Ge&#x017F;chmak durch<lb/>
fleißiges Le&#x017F;en der Redner und Dichter, die &#x017F;ich durch<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#fr">Zweyter Theil.</hi> Q q q q q q</fw><fw place="bottom" type="catch">Einfalt</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[1059[1041]/0488] Schw Schw tiges Anſehen zu geben. Beyſpiehle der Schwulſt, die blos im Ausdruk liegt, ſind folgende. Wenn man im gemeinen Umgang wo man blos ſagen will: es wird Abend, anſtatt des gewoͤhnlichen Ausdruks ſagte: ſchon naͤhert ſich die Sonne dem Horizonte; oder wenn man anſtatt von einem Menſchen zu ſa- gen: er faͤngt an grau zu werden, wie jedermann im taͤglichen Umgang ſpricht; dieſes poetiſch ſagte: das Eis der Jahre zeiget ſich auf ſeinem Haupte. Schwulſt von beygemiſchten Gedanken, zeiget ſich durch prahlende Beywoͤrter, die weit uͤber die Wuͤrde der Begriffe ſind, die die Hauptwoͤrter erweken, wie wenn man ſagte: die erhabene Corinna; die goͤttliche Sappho; auch dadurch, daß man gemei- nen Gedanken eine hohe Wendung giebt, oder ſie durch Zuſaͤtze gleichſam mit Gewalt und wieder ihre Natur groß vorſtellen will, wie wenn junge Ver- liebte ihre im Grund ganz gemeine Leidenſchaft, als ein himmliſches Feuer, das ewig brennen ſoll, vorſtellen. Wir haben ſchon in andern Artikeln von den ver- ſchiedenen Arten des Großen und des Erhabenen ge- ſprochen, und daraus erkennet man, daß es auch eben ſo viel Arten des falſchen Großen und Erha- benen gebe. Naͤmlich wie es eine wahre Groͤße, die der Gegenſtand des Verſtandes iſt, giebt, ſo giebt es auch eine falſche Groͤße die den Verſtand zu taͤu- ſchen ſucht. Dieſe iſt eine myſtiſche Schwulſt die dunkele unverſtaͤndliche Woͤrter braucht, die den Schein haben, als bedeuteten ſie etwas Großes und Erhabenes, dergleichen man nicht ſelten von phan- taſtiſchen geiſtlichen Rednern hoͤret. Dem Erhabe- nen und Großen der Phantaſie ſteht auch ſeine eigene Schwulſt zur Seite, das ſogenannte Phoͤbus oder die ſchimmernde Pracht einer bilderreichen Schreib- art, die im Grund der Einbildungskraft bloße Schat- tenbilder, ohne wuͤrklichen Koͤrper, vormahlet. So giebt es endlich auch eine Schwulſt, die in einer fal- ſchen Groͤße der Geſinnungen und Empfindungen beſteht, dergleichen man nicht ſelten in den aͤlteren Romanen antrifft. Die Schwulſt entſtehet entweder aus einem un- zeitigen Beſtreben, oder aus Unvermoͤgen etwas Großes zu ſagen; in beyden Faͤllen aber zeiget ſich Mangel der Beurtheilung. Unzeitig iſt das Beſtreben nach dem Großen, wenn entweder der Gegenſtand ſeiner Natur nach keine Groͤße hat, oder wenn er ſchon in ſeiner natuͤrlichen Einfalt groß iſt. Es giebt ſchwache Koͤpfe, die ſich einbilden, daß in der Beredſamkeit und Dichtkunſt alles beſtaͤndig groß ſeyn muͤſſe; daß deswegen jeder einzele Gedanken, jedes Bild, jedes Wort, es ſey nach dem Sinn, oder nach dem Klang, etwas Großes haben muͤſſe. Daher ſind ſie immer gleich- ſam außer Athem, wollen immer in Begeiſterung ſeyn, ſich immer gedankenreich, praͤchtig oder pathe- tiſch zeigen. Hieraus entſtehet denn nothwendig die Schwulſt, die die gemeineſten Sachen mit großen Worten ſagt; den gemeineſten Gedanken gegen ihre Natur etwas Großes anklebet, und ſehr gewoͤhnli- chen Empfindungen eine abentheuerliche Groͤße und Staͤrke beylegt. Dieſer ungluͤkliche Hang zur Schwulſt hat eine Unempfindlichkeit fuͤr feinere Schoͤnheit zum Grund. So wie Menſchen von unempfindlichen, oder ſchon abgenuzten Werkzeugen des koͤrperlichen Geruchs und Geſchmaks durch dieſe Sinnen nichts empfin- den, als was einen beißenden und gleichſam aͤzen- den Geruch und Geſchmak hat; ſo iſt bey jenen ſchwuͤlſtigen der Geſchmak am Schoͤnen zu grob, um von feinerer Wahrheit, Vollkommenheit und Schoͤnheit geruͤhrt zu werden; ſie ſind nicht empfind- ſam genug durch ſtillere, obgleich tief in empfindſame Herzen eindringende Leidenſchaften, geruͤhrt zu wer- den; alles muß pochen und poltern, wenn es ſie zur Empfindung reizen ſoll. Ein ſtiller Schmerz iſt fuͤr ſie nichts; er muß ſich durch Heulen und Ver- zweiflung erſt fuͤhlbar machen. Beſcheidene Groß- muth iſt ihnen nicht merkbar; ſondern nur die, die ſich durch aͤußeres Gepraͤng ankuͤndiget u. ſ. f. Aber etwas aͤhnliches kann doch auch bey ſonſt guten Koͤpfen und bey Gemuͤthern, denen es an Empfindſamkeit nicht fehlet, aus Mangel an Erfah- rung, aus noch unreifer Beurtheilung und nicht hinlaͤnglich geuͤbtem Geſchmak herkommen. Wer uͤberhaupt von den in den Werken der ſchoͤnen Kuͤn- ſte liegenden feineren Kraͤften, ſie wuͤrken auf den Verſtand, auf die Phantaſie, oder auf das Herz, gehoͤrig geruͤhrt werden ſoll, muß entweder von Na- tur ein ſehr gluͤkliches und ſcharfes Gefuͤhl, oder lange Uebung haben. Daher kommt es, daß junge Kuͤnſtler, deren Urtheil und Gefuͤhl noch nicht fein genug iſt, am leichteſten in die Schwulſt fallen. Darum iſt auch das beſte Mittel ſich dafuͤr zu be- wahren, daß man bey Zeiten ſeinen Geſchmak durch fleißiges Leſen der Redner und Dichter, die ſich durch Einfalt Zweyter Theil. Q q q q q q

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/488
Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 1059[1041]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/488>, abgerufen am 24.11.2024.