die sich glüklich bis zum Schreklichen erheben kön- nen. Aeschylus und Schakespear sind darin die zwey großen Meister, denen man, wie wol in einiger Ent- fernung, den Crebillon zugesellen kann.
Und doch ist es nicht schweer in den tragischen Handlungen Vorfälle zu erdenken, die Schreken verursachen könnten; aber die wahre Behandlung der Sache, wodurch der Zuschauer zum wahren Schreken überrascht wird, hat desto mehr Schwie- rigkeit. Es muß dazu alles in der höchsten Natur und Wahrheit veranstaltet werden. Wir lachen nur über den, der uns hat schreken wollen, und zu un- geschikt gewesen, die Sachen natürlich genug zu ver- anstalten. Es gehöret nicht nur ein höchst patheti- sches und wahrhaftig tragisches Genie dazu, sondern auch die Geschiklichkeit, die ganze Scene bis zur würklichen Täuschung wahrhaft zu machen. Und wenn der Dichter das seinige völlig dabey gethan hat, so bleibet noch die große Schwierigkeit der Vor- stellung von Seite der Schauspiehler übrig. Der Schreken zeiget sich in so genau bestimmten und so gewaltsamen Würkungen auf Stimme, Gesichtsfarb, Blik der Augen, Gesichtszüge und Stellung, daß es höchst schweer ist, alles dieses in der Nachah- mung zu erreichen. Auch da, wo noch nicht der Schreken selbst, sondern blos das drohende Uebel dem Zuschauer vor Angen soll gestellt werden, kann nur allzu leicht durch eine kaum merkliche Kleinig- keit die ganze Täuschung auf einmal verschwinden.
Aus diesen Gründen halten wir das Schrekhafte für den Stoff der am schweeresten zu behandeln ist, und vorzüglich ein großes Genie erfodert. Dieses bestätiget auch die Erfahrung hinlänglich. Jch be- sinne mich nicht in der Mahlerey etwas würklich schrekhaftes gesehen zu haben, als in Raphaels Ar- beiten, denen ich noch ein paar Zeichnungen von Füßli, davon ich eine in diesem Werk beschrieben habe (*), beyfügen kann. Jm epischen Gedicht hat nur unser Klopstok das Schrekhafte erreicht, so weit es vielleicht irgend einem Menschen zu erreichen, möglich ist. Unter anderm verdienet seine Beschrei- bung vom Tode des Jschariots, als ein vorzügli- ches Beyspiehl hievon angeführt zu werden. Einige andere haben wir in einem andern Artikel bereits gegeben. (*)
Es ist sehr zu wünschen, daß die, welche dazu aufgelegt sind, diese Leidenschaft für so manche be- sondere Fälle, da sie heilsam werden kann, im Trauer- [Spaltenumbruch]
Schr
spiehl, dessen Gebrauch sich immer viel weiter, als der Gebrauch der Epopöe erstrekt, bearbeiteten.
Schritt. (Tanzkunst.)
Die Schritte sind die Elemente des Tanzens, aus denen der Tänzer, wie der Redner aus Redensar- ten, sein Werk zufammen sezt. Sie sind entweder einfach, oder aus zwey und mehr einfachen zusam- mengesezt, wie der Pas de Menuet, der aus vier Fortschreitungen besteht, der Pas de Courante u. s. f. Es wär ein völlig unnüzes Unternehmen die Tanz- schritte mit Worten zu beschreiben. Also wollen wir uns gar nicht in solche Beschreibungen einlassen, son- dern blos bey einigen allgemeinen, aber zum wesent- lichen der Kunst gehörigen Anmerkungen, stehen bleiben.
Man muß das Tanzen überhaupt, um die wahre Theorie desselben zu geben, als eine Bewegung an- sehen, die schon durch das Metrische und Rhythmi- sche etwas Sittliches oder Leidenschaftliches aus- drükt. Um nun deutlich zu begreifen wie dieses zugehe, muß man das, was von uns über die Na- tur des Rhythmus gesagt worden, deutlich vor Au- gen haben. Hierauf muß man sich den einfachen Schritt, als einen Takt in einem Tonstük vorstellen. Alles was wir von der Natur und Würkung des Taktes, und der damit verbundenen Bewegung in dem besondern Artikel hierüber anmerken, kann leicht auf den einfachen Schritt angewendet werden, der, so wie der Takt ernsthaft, fröhlich, mit Würde be- gleitet, leicht u. s. f. seyn kann. Der zusammen- gesezte Schritt, pas de Menuet; pas de Gavotte u. s. f. kommt mit den kleinen Einschnitten der Melodie, oder den aus zwey, drey und vier Takten bestehen- den einzeln Gliedern überein. Aus mehrern zusam- mengesezten Schritten, wird im Tanz wie im Gesang eine Periode, und aus zwey, oder drey Perioden eine Strophe zusammengesezt.
Diese vollkommene Aehnlichkeit zwischen Musik und Tanz muß man genau vor Augen haben, wenn man zur Theorie des Tanzes etwas gründliches ent- deken will. Was nun durch die metrische und rhythmische Einrichtung eines Tonstüks kann ausge- drükt werden, gerade das wird auch durch einfache und zusammengesezte Schritte, Cadenzen und Pe- rioden des Tanzes ausgedrükt.
Hier
(*) S. Historie.
(*) S. Entsezen.
[Spaltenumbruch]
Schr
die ſich gluͤklich bis zum Schreklichen erheben koͤn- nen. Aeſchylus und Schakeſpear ſind darin die zwey großen Meiſter, denen man, wie wol in einiger Ent- fernung, den Crebillon zugeſellen kann.
Und doch iſt es nicht ſchweer in den tragiſchen Handlungen Vorfaͤlle zu erdenken, die Schreken verurſachen koͤnnten; aber die wahre Behandlung der Sache, wodurch der Zuſchauer zum wahren Schreken uͤberraſcht wird, hat deſto mehr Schwie- rigkeit. Es muß dazu alles in der hoͤchſten Natur und Wahrheit veranſtaltet werden. Wir lachen nur uͤber den, der uns hat ſchreken wollen, und zu un- geſchikt geweſen, die Sachen natuͤrlich genug zu ver- anſtalten. Es gehoͤret nicht nur ein hoͤchſt patheti- ſches und wahrhaftig tragiſches Genie dazu, ſondern auch die Geſchiklichkeit, die ganze Scene bis zur wuͤrklichen Taͤuſchung wahrhaft zu machen. Und wenn der Dichter das ſeinige voͤllig dabey gethan hat, ſo bleibet noch die große Schwierigkeit der Vor- ſtellung von Seite der Schauſpiehler uͤbrig. Der Schreken zeiget ſich in ſo genau beſtimmten und ſo gewaltſamen Wuͤrkungen auf Stimme, Geſichtsfarb, Blik der Augen, Geſichtszuͤge und Stellung, daß es hoͤchſt ſchweer iſt, alles dieſes in der Nachah- mung zu erreichen. Auch da, wo noch nicht der Schreken ſelbſt, ſondern blos das drohende Uebel dem Zuſchauer vor Angen ſoll geſtellt werden, kann nur allzu leicht durch eine kaum merkliche Kleinig- keit die ganze Taͤuſchung auf einmal verſchwinden.
Aus dieſen Gruͤnden halten wir das Schrekhafte fuͤr den Stoff der am ſchweereſten zu behandeln iſt, und vorzuͤglich ein großes Genie erfodert. Dieſes beſtaͤtiget auch die Erfahrung hinlaͤnglich. Jch be- ſinne mich nicht in der Mahlerey etwas wuͤrklich ſchrekhaftes geſehen zu haben, als in Raphaels Ar- beiten, denen ich noch ein paar Zeichnungen von Fuͤßli, davon ich eine in dieſem Werk beſchrieben habe (*), beyfuͤgen kann. Jm epiſchen Gedicht hat nur unſer Klopſtok das Schrekhafte erreicht, ſo weit es vielleicht irgend einem Menſchen zu erreichen, moͤglich iſt. Unter anderm verdienet ſeine Beſchrei- bung vom Tode des Jſchariots, als ein vorzuͤgli- ches Beyſpiehl hievon angefuͤhrt zu werden. Einige andere haben wir in einem andern Artikel bereits gegeben. (*)
Es iſt ſehr zu wuͤnſchen, daß die, welche dazu aufgelegt ſind, dieſe Leidenſchaft fuͤr ſo manche be- ſondere Faͤlle, da ſie heilſam werden kann, im Trauer- [Spaltenumbruch]
Schr
ſpiehl, deſſen Gebrauch ſich immer viel weiter, als der Gebrauch der Epopoͤe erſtrekt, bearbeiteten.
Schritt. (Tanzkunſt.)
Die Schritte ſind die Elemente des Tanzens, aus denen der Taͤnzer, wie der Redner aus Redensar- ten, ſein Werk zufammen ſezt. Sie ſind entweder einfach, oder aus zwey und mehr einfachen zuſam- mengeſezt, wie der Pas de Menuet, der aus vier Fortſchreitungen beſteht, der Pas de Courante u. ſ. f. Es waͤr ein voͤllig unnuͤzes Unternehmen die Tanz- ſchritte mit Worten zu beſchreiben. Alſo wollen wir uns gar nicht in ſolche Beſchreibungen einlaſſen, ſon- dern blos bey einigen allgemeinen, aber zum weſent- lichen der Kunſt gehoͤrigen Anmerkungen, ſtehen bleiben.
Man muß das Tanzen uͤberhaupt, um die wahre Theorie deſſelben zu geben, als eine Bewegung an- ſehen, die ſchon durch das Metriſche und Rhythmi- ſche etwas Sittliches oder Leidenſchaftliches aus- druͤkt. Um nun deutlich zu begreifen wie dieſes zugehe, muß man das, was von uns uͤber die Na- tur des Rhythmus geſagt worden, deutlich vor Au- gen haben. Hierauf muß man ſich den einfachen Schritt, als einen Takt in einem Tonſtuͤk vorſtellen. Alles was wir von der Natur und Wuͤrkung des Taktes, und der damit verbundenen Bewegung in dem beſondern Artikel hieruͤber anmerken, kann leicht auf den einfachen Schritt angewendet werden, der, ſo wie der Takt ernſthaft, froͤhlich, mit Wuͤrde be- gleitet, leicht u. ſ. f. ſeyn kann. Der zuſammen- geſezte Schritt, pas de Menuet; pas de Gavotte u. ſ. f. kommt mit den kleinen Einſchnitten der Melodie, oder den aus zwey, drey und vier Takten beſtehen- den einzeln Gliedern uͤberein. Aus mehrern zuſam- mengeſezten Schritten, wird im Tanz wie im Geſang eine Periode, und aus zwey, oder drey Perioden eine Strophe zuſammengeſezt.
Dieſe vollkommene Aehnlichkeit zwiſchen Muſik und Tanz muß man genau vor Augen haben, wenn man zur Theorie des Tanzes etwas gruͤndliches ent- deken will. Was nun durch die metriſche und rhythmiſche Einrichtung eines Tonſtuͤks kann ausge- druͤkt werden, gerade das wird auch durch einfache und zuſammengeſezte Schritte, Cadenzen und Pe- rioden des Tanzes ausgedruͤkt.
Hier
(*) S. Hiſtorie.
(*) S. Entſezen.
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[1056[1038]/0485]
Schr
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die ſich gluͤklich bis zum Schreklichen erheben koͤn-
nen. Aeſchylus und Schakeſpear ſind darin die zwey
großen Meiſter, denen man, wie wol in einiger Ent-
fernung, den Crebillon zugeſellen kann.
Und doch iſt es nicht ſchweer in den tragiſchen
Handlungen Vorfaͤlle zu erdenken, die Schreken
verurſachen koͤnnten; aber die wahre Behandlung
der Sache, wodurch der Zuſchauer zum wahren
Schreken uͤberraſcht wird, hat deſto mehr Schwie-
rigkeit. Es muß dazu alles in der hoͤchſten Natur
und Wahrheit veranſtaltet werden. Wir lachen nur
uͤber den, der uns hat ſchreken wollen, und zu un-
geſchikt geweſen, die Sachen natuͤrlich genug zu ver-
anſtalten. Es gehoͤret nicht nur ein hoͤchſt patheti-
ſches und wahrhaftig tragiſches Genie dazu, ſondern
auch die Geſchiklichkeit, die ganze Scene bis zur
wuͤrklichen Taͤuſchung wahrhaft zu machen. Und
wenn der Dichter das ſeinige voͤllig dabey gethan
hat, ſo bleibet noch die große Schwierigkeit der Vor-
ſtellung von Seite der Schauſpiehler uͤbrig. Der
Schreken zeiget ſich in ſo genau beſtimmten und ſo
gewaltſamen Wuͤrkungen auf Stimme, Geſichtsfarb,
Blik der Augen, Geſichtszuͤge und Stellung, daß
es hoͤchſt ſchweer iſt, alles dieſes in der Nachah-
mung zu erreichen. Auch da, wo noch nicht der
Schreken ſelbſt, ſondern blos das drohende Uebel
dem Zuſchauer vor Angen ſoll geſtellt werden, kann
nur allzu leicht durch eine kaum merkliche Kleinig-
keit die ganze Taͤuſchung auf einmal verſchwinden.
Aus dieſen Gruͤnden halten wir das Schrekhafte
fuͤr den Stoff der am ſchweereſten zu behandeln iſt,
und vorzuͤglich ein großes Genie erfodert. Dieſes
beſtaͤtiget auch die Erfahrung hinlaͤnglich. Jch be-
ſinne mich nicht in der Mahlerey etwas wuͤrklich
ſchrekhaftes geſehen zu haben, als in Raphaels Ar-
beiten, denen ich noch ein paar Zeichnungen von
Fuͤßli, davon ich eine in dieſem Werk beſchrieben
habe (*), beyfuͤgen kann. Jm epiſchen Gedicht hat
nur unſer Klopſtok das Schrekhafte erreicht, ſo weit
es vielleicht irgend einem Menſchen zu erreichen,
moͤglich iſt. Unter anderm verdienet ſeine Beſchrei-
bung vom Tode des Jſchariots, als ein vorzuͤgli-
ches Beyſpiehl hievon angefuͤhrt zu werden. Einige
andere haben wir in einem andern Artikel bereits
gegeben. (*)
Es iſt ſehr zu wuͤnſchen, daß die, welche dazu
aufgelegt ſind, dieſe Leidenſchaft fuͤr ſo manche be-
ſondere Faͤlle, da ſie heilſam werden kann, im Trauer-
ſpiehl, deſſen Gebrauch ſich immer viel weiter, als
der Gebrauch der Epopoͤe erſtrekt, bearbeiteten.
Schritt.
(Tanzkunſt.)
Die Schritte ſind die Elemente des Tanzens, aus
denen der Taͤnzer, wie der Redner aus Redensar-
ten, ſein Werk zufammen ſezt. Sie ſind entweder
einfach, oder aus zwey und mehr einfachen zuſam-
mengeſezt, wie der Pas de Menuet, der aus vier
Fortſchreitungen beſteht, der Pas de Courante u. ſ. f.
Es waͤr ein voͤllig unnuͤzes Unternehmen die Tanz-
ſchritte mit Worten zu beſchreiben. Alſo wollen wir
uns gar nicht in ſolche Beſchreibungen einlaſſen, ſon-
dern blos bey einigen allgemeinen, aber zum weſent-
lichen der Kunſt gehoͤrigen Anmerkungen, ſtehen
bleiben.
Man muß das Tanzen uͤberhaupt, um die wahre
Theorie deſſelben zu geben, als eine Bewegung an-
ſehen, die ſchon durch das Metriſche und Rhythmi-
ſche etwas Sittliches oder Leidenſchaftliches aus-
druͤkt. Um nun deutlich zu begreifen wie dieſes
zugehe, muß man das, was von uns uͤber die Na-
tur des Rhythmus geſagt worden, deutlich vor Au-
gen haben. Hierauf muß man ſich den einfachen
Schritt, als einen Takt in einem Tonſtuͤk vorſtellen.
Alles was wir von der Natur und Wuͤrkung des
Taktes, und der damit verbundenen Bewegung in
dem beſondern Artikel hieruͤber anmerken, kann leicht
auf den einfachen Schritt angewendet werden, der,
ſo wie der Takt ernſthaft, froͤhlich, mit Wuͤrde be-
gleitet, leicht u. ſ. f. ſeyn kann. Der zuſammen-
geſezte Schritt, pas de Menuet; pas de Gavotte u. ſ. f.
kommt mit den kleinen Einſchnitten der Melodie,
oder den aus zwey, drey und vier Takten beſtehen-
den einzeln Gliedern uͤberein. Aus mehrern zuſam-
mengeſezten Schritten, wird im Tanz wie im Geſang
eine Periode, und aus zwey, oder drey Perioden eine
Strophe zuſammengeſezt.
Dieſe vollkommene Aehnlichkeit zwiſchen Muſik
und Tanz muß man genau vor Augen haben, wenn
man zur Theorie des Tanzes etwas gruͤndliches ent-
deken will. Was nun durch die metriſche und
rhythmiſche Einrichtung eines Tonſtuͤks kann ausge-
druͤkt werden, gerade das wird auch durch einfache
und zuſammengeſezte Schritte, Cadenzen und Pe-
rioden des Tanzes ausgedruͤkt.
Hier
(*) S.
Hiſtorie.
(*) S.
Entſezen.
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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 1056[1038]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/485>, abgerufen am 24.11.2024.
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