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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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[Spaltenumbruch]

Sche
würklich verliebte Jüngling, der die Plagen der Liebe
fühlte, aber auf eine lächerliche Weise äußerte, würde
nicht scherzen, wenn man gleich über ihn lachte.
Einerley Gegenstand kann Scherz oder Ernst seyn,
nach der Absicht, die man dabey hat. Wer etwas
einfältiges, oder lächerliches spricht, und meinet, er
sage etwas kluges, spricht im Ernst, und eben das-
selbe in der Absicht andre zu belustigen gesagt, ist
Scherz.

Es scheinet also, daß das Lächerliche, von dem
Scherzhaften nicht wesentlich, oder nach der mate-
riellen Beschaffenheit, sondern nach der Absicht des-
sen, der es an den Tag bringt, unterschieden sey.
Da wir nun bereits die Beschaffenheit des Lächerli-
chen in einem besondern Artikel betrachtet haben, so
wird dieser größtentheils auf die Anwendung des
Scherzens eingeschränkt.

Man kann beym Scherz wie vorher angemerkt
worden, zweyerley Absicht haben; entweder blos
lustig zu seyn, sich und andern eine aufgeräumte
Stunde zu machen; oder man scherzt in der Ab-
sicht Thorheiten zu verspotten, und Narren lächer-
lich zu machen. Es kann geschehen, daß man beyde
Absichten mit einander vereiniget; aber wir betrach-
ten hier jede besonders.

Das blos lustige Scherzen, wenn es mit guter
Art geschieht, wovon ich hernach sprechen werde, ist
eine Sache, deren Werth die verständigsten Männer
alter und neuer Zeit eingesehen haben. Hierüber
denke ich, wie über viel andere Dinge, wie Cicero,
der in einem sehr ernsthaften Werke dem blos lusti-
gen Scherz das Wort spricht, aber ihm zugleich
seine Schranken anweiset. "Leichtsinnig, sagt er,
unbesonnen und mit völliger Nachläßigkeit, muß
der Mensch nie handeln. Denn so sind wir von Na-
tur nicht beschaffen, daß wir blos zum Spiehlen und
Scherzen gemacht zu seyn schienen; sondern vielmehr
zum Ernst, zu einigen wichtigen und großen Din-
gen. Zwar sind Spiehl und Scherz nicht zu ver-
werfen; aber man muß sich ihrer wie des Schlafes
und andrer Erholungen bedienen, nachdem man wich-
tigerern und ernstlichern Geschäften hinlänglich ob-
gelegen." (+)

[Spaltenumbruch]
Sche

Jn der That ist die Munterkeit des Gemüthes
und, so bald man sich von wichtigern Geschäften
losgemacht hat, ein Hang sich an Dingen die uns
vorkommen zu vergnügen, und sie von der leichten
Seite anzusehen, gar keine verächtliche Gabe des
Himmels. Ein Mensch von munterem Gemüthe
zieht sich nicht nur besser aus allen Schwierigkeiten
des Lebens, als ein ganz ernsthafter, oder gar et-
was finsterer Mensch; sondern hat noch dieses zu
gut, daß er nie ganz böse wird. Es giebt unstreitig
ungleich mehr ernsthafte, als lustige Bösewichte.

Diese Gabe der Munterkeit kann, wo die Na-
tur sie etwas kärglich gegeben, durch scherzhafte
Werke genährt und vermehret worden. Personen,
die einen zu starken Hang zum Ernst fühlen, oder
die durch etwas lang angehaltene ernstliche Anstren-
gung ihrer Kräfte, die Munterkeit verlohren ha-
ben, können scherzhafte Werke von großer Wichtig-
keit seyn. Wer erkennt nicht wie wichtig es für
die sittlichen Menschen sey, nach verrichteten Ge-
schäften sich an eine Tafel zu sezen, wo Munterkeit
und feiner Scherz eine Verrichtung, die wir mit
den Thieren gemein haben, zu einer Geist und Herz
erquikenden Wollust machen?

Den schönen Künsten liegt eben so gut ob, diese
heilsame Munterkeit zu beförderen, als die Gesin-
nungen der Rechtschaffenheit lebhaft zu erweken.
So wie den ehemaligen Arkadiern wegen ihres ro-
hen Charakters die Musik zu einem Nationalbedürf-
nis geworden war, so könnten auch scherzhafte Wer-
ke, wenn nur die Musen und Grazien ihr Siegel
darauf gedrukt haben, einer Nation, deren Charak-
ter zu heftig, oder zu finsterem Ernste geneigt wäre,
die wichtigsten Dienste thun. Man kann sie als
Mittel zu vollkomnerer Bildung des Charakters
einzeler Menschen und ganzer Völker brauchen.

Und wenn wir auch ihre Würkung endlich blos
als vorübergehend ansehen, wenn sie auch nur um
mich des Horazischen Ausdruks zu bedienen, labo-
rum dulce lenimen,
und als schmerzenstillende und
lindernde Arzneymittel zu brauchen wären, so
würde dieses allein ihnen einen beträchtlichen
Werth geben.

Heil
(+) [Spaltenumbruch]
-- ut ne quid temere ac sortuito inconsiderate ne-
gligenterque agamus. Nec enim ita generati a natura su-
mus, ut ad ludum jocumque sacti esse videamur: sed ad se-
veritatem potius et ad quaedam studia graviora, atque ma-
[Spaltenumbruch] jora. Ludo autem et joco uti quidem licet; sed sicut somno
et quietibus coeteris, tum, cum gravibus seriisque rebus
satisfecerimus. Cic. de Off. L. I.

[Spaltenumbruch]

Sche
wuͤrklich verliebte Juͤngling, der die Plagen der Liebe
fuͤhlte, aber auf eine laͤcherliche Weiſe aͤußerte, wuͤrde
nicht ſcherzen, wenn man gleich uͤber ihn lachte.
Einerley Gegenſtand kann Scherz oder Ernſt ſeyn,
nach der Abſicht, die man dabey hat. Wer etwas
einfaͤltiges, oder laͤcherliches ſpricht, und meinet, er
ſage etwas kluges, ſpricht im Ernſt, und eben daſ-
ſelbe in der Abſicht andre zu beluſtigen geſagt, iſt
Scherz.

Es ſcheinet alſo, daß das Laͤcherliche, von dem
Scherzhaften nicht weſentlich, oder nach der mate-
riellen Beſchaffenheit, ſondern nach der Abſicht deſ-
ſen, der es an den Tag bringt, unterſchieden ſey.
Da wir nun bereits die Beſchaffenheit des Laͤcherli-
chen in einem beſondern Artikel betrachtet haben, ſo
wird dieſer groͤßtentheils auf die Anwendung des
Scherzens eingeſchraͤnkt.

Man kann beym Scherz wie vorher angemerkt
worden, zweyerley Abſicht haben; entweder blos
luſtig zu ſeyn, ſich und andern eine aufgeraͤumte
Stunde zu machen; oder man ſcherzt in der Ab-
ſicht Thorheiten zu verſpotten, und Narren laͤcher-
lich zu machen. Es kann geſchehen, daß man beyde
Abſichten mit einander vereiniget; aber wir betrach-
ten hier jede beſonders.

Das blos luſtige Scherzen, wenn es mit guter
Art geſchieht, wovon ich hernach ſprechen werde, iſt
eine Sache, deren Werth die verſtaͤndigſten Maͤnner
alter und neuer Zeit eingeſehen haben. Hieruͤber
denke ich, wie uͤber viel andere Dinge, wie Cicero,
der in einem ſehr ernſthaften Werke dem blos luſti-
gen Scherz das Wort ſpricht, aber ihm zugleich
ſeine Schranken anweiſet. „Leichtſinnig, ſagt er,
unbeſonnen und mit voͤlliger Nachlaͤßigkeit, muß
der Menſch nie handeln. Denn ſo ſind wir von Na-
tur nicht beſchaffen, daß wir blos zum Spiehlen und
Scherzen gemacht zu ſeyn ſchienen; ſondern vielmehr
zum Ernſt, zu einigen wichtigen und großen Din-
gen. Zwar ſind Spiehl und Scherz nicht zu ver-
werfen; aber man muß ſich ihrer wie des Schlafes
und andrer Erholungen bedienen, nachdem man wich-
tigerern und ernſtlichern Geſchaͤften hinlaͤnglich ob-
gelegen.“ (†)

[Spaltenumbruch]
Sche

Jn der That iſt die Munterkeit des Gemuͤthes
und, ſo bald man ſich von wichtigern Geſchaͤften
losgemacht hat, ein Hang ſich an Dingen die uns
vorkommen zu vergnuͤgen, und ſie von der leichten
Seite anzuſehen, gar keine veraͤchtliche Gabe des
Himmels. Ein Menſch von munterem Gemuͤthe
zieht ſich nicht nur beſſer aus allen Schwierigkeiten
des Lebens, als ein ganz ernſthafter, oder gar et-
was finſterer Menſch; ſondern hat noch dieſes zu
gut, daß er nie ganz boͤſe wird. Es giebt unſtreitig
ungleich mehr ernſthafte, als luſtige Boͤſewichte.

Dieſe Gabe der Munterkeit kann, wo die Na-
tur ſie etwas kaͤrglich gegeben, durch ſcherzhafte
Werke genaͤhrt und vermehret worden. Perſonen,
die einen zu ſtarken Hang zum Ernſt fuͤhlen, oder
die durch etwas lang angehaltene ernſtliche Anſtren-
gung ihrer Kraͤfte, die Munterkeit verlohren ha-
ben, koͤnnen ſcherzhafte Werke von großer Wichtig-
keit ſeyn. Wer erkennt nicht wie wichtig es fuͤr
die ſittlichen Menſchen ſey, nach verrichteten Ge-
ſchaͤften ſich an eine Tafel zu ſezen, wo Munterkeit
und feiner Scherz eine Verrichtung, die wir mit
den Thieren gemein haben, zu einer Geiſt und Herz
erquikenden Wolluſt machen?

Den ſchoͤnen Kuͤnſten liegt eben ſo gut ob, dieſe
heilſame Munterkeit zu befoͤrderen, als die Geſin-
nungen der Rechtſchaffenheit lebhaft zu erweken.
So wie den ehemaligen Arkadiern wegen ihres ro-
hen Charakters die Muſik zu einem Nationalbeduͤrf-
nis geworden war, ſo koͤnnten auch ſcherzhafte Wer-
ke, wenn nur die Muſen und Grazien ihr Siegel
darauf gedrukt haben, einer Nation, deren Charak-
ter zu heftig, oder zu finſterem Ernſte geneigt waͤre,
die wichtigſten Dienſte thun. Man kann ſie als
Mittel zu vollkomnerer Bildung des Charakters
einzeler Menſchen und ganzer Voͤlker brauchen.

Und wenn wir auch ihre Wuͤrkung endlich blos
als voruͤbergehend anſehen, wenn ſie auch nur um
mich des Horaziſchen Ausdruks zu bedienen, labo-
rum dulce lenimen,
und als ſchmerzenſtillende und
lindernde Arzneymittel zu brauchen waͤren, ſo
wuͤrde dieſes allein ihnen einen betraͤchtlichen
Werth geben.

Heil
(†) [Spaltenumbruch]
— ut ne quid temere ac ſortuito inconſiderate ne-
gligenterque agamus. Nec enim ita generati a natura ſu-
mus, ut ad ludum jocumque ſacti eſſe videamur: ſed ad ſe-
veritatem potius et ad quædam ſtudia graviora, atque ma-
[Spaltenumbruch] jora. Ludo autem et joco uti quidem licet; ſed ſicut ſomno
et quietibus cœteris, tum, cum gravibus ſeriisque rebus
ſatisfecerimus. Cic. de Off. L. I.
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[1030[1012]/0459] Sche Sche wuͤrklich verliebte Juͤngling, der die Plagen der Liebe fuͤhlte, aber auf eine laͤcherliche Weiſe aͤußerte, wuͤrde nicht ſcherzen, wenn man gleich uͤber ihn lachte. Einerley Gegenſtand kann Scherz oder Ernſt ſeyn, nach der Abſicht, die man dabey hat. Wer etwas einfaͤltiges, oder laͤcherliches ſpricht, und meinet, er ſage etwas kluges, ſpricht im Ernſt, und eben daſ- ſelbe in der Abſicht andre zu beluſtigen geſagt, iſt Scherz. Es ſcheinet alſo, daß das Laͤcherliche, von dem Scherzhaften nicht weſentlich, oder nach der mate- riellen Beſchaffenheit, ſondern nach der Abſicht deſ- ſen, der es an den Tag bringt, unterſchieden ſey. Da wir nun bereits die Beſchaffenheit des Laͤcherli- chen in einem beſondern Artikel betrachtet haben, ſo wird dieſer groͤßtentheils auf die Anwendung des Scherzens eingeſchraͤnkt. Man kann beym Scherz wie vorher angemerkt worden, zweyerley Abſicht haben; entweder blos luſtig zu ſeyn, ſich und andern eine aufgeraͤumte Stunde zu machen; oder man ſcherzt in der Ab- ſicht Thorheiten zu verſpotten, und Narren laͤcher- lich zu machen. Es kann geſchehen, daß man beyde Abſichten mit einander vereiniget; aber wir betrach- ten hier jede beſonders. Das blos luſtige Scherzen, wenn es mit guter Art geſchieht, wovon ich hernach ſprechen werde, iſt eine Sache, deren Werth die verſtaͤndigſten Maͤnner alter und neuer Zeit eingeſehen haben. Hieruͤber denke ich, wie uͤber viel andere Dinge, wie Cicero, der in einem ſehr ernſthaften Werke dem blos luſti- gen Scherz das Wort ſpricht, aber ihm zugleich ſeine Schranken anweiſet. „Leichtſinnig, ſagt er, unbeſonnen und mit voͤlliger Nachlaͤßigkeit, muß der Menſch nie handeln. Denn ſo ſind wir von Na- tur nicht beſchaffen, daß wir blos zum Spiehlen und Scherzen gemacht zu ſeyn ſchienen; ſondern vielmehr zum Ernſt, zu einigen wichtigen und großen Din- gen. Zwar ſind Spiehl und Scherz nicht zu ver- werfen; aber man muß ſich ihrer wie des Schlafes und andrer Erholungen bedienen, nachdem man wich- tigerern und ernſtlichern Geſchaͤften hinlaͤnglich ob- gelegen.“ (†) Jn der That iſt die Munterkeit des Gemuͤthes und, ſo bald man ſich von wichtigern Geſchaͤften losgemacht hat, ein Hang ſich an Dingen die uns vorkommen zu vergnuͤgen, und ſie von der leichten Seite anzuſehen, gar keine veraͤchtliche Gabe des Himmels. Ein Menſch von munterem Gemuͤthe zieht ſich nicht nur beſſer aus allen Schwierigkeiten des Lebens, als ein ganz ernſthafter, oder gar et- was finſterer Menſch; ſondern hat noch dieſes zu gut, daß er nie ganz boͤſe wird. Es giebt unſtreitig ungleich mehr ernſthafte, als luſtige Boͤſewichte. Dieſe Gabe der Munterkeit kann, wo die Na- tur ſie etwas kaͤrglich gegeben, durch ſcherzhafte Werke genaͤhrt und vermehret worden. Perſonen, die einen zu ſtarken Hang zum Ernſt fuͤhlen, oder die durch etwas lang angehaltene ernſtliche Anſtren- gung ihrer Kraͤfte, die Munterkeit verlohren ha- ben, koͤnnen ſcherzhafte Werke von großer Wichtig- keit ſeyn. Wer erkennt nicht wie wichtig es fuͤr die ſittlichen Menſchen ſey, nach verrichteten Ge- ſchaͤften ſich an eine Tafel zu ſezen, wo Munterkeit und feiner Scherz eine Verrichtung, die wir mit den Thieren gemein haben, zu einer Geiſt und Herz erquikenden Wolluſt machen? Den ſchoͤnen Kuͤnſten liegt eben ſo gut ob, dieſe heilſame Munterkeit zu befoͤrderen, als die Geſin- nungen der Rechtſchaffenheit lebhaft zu erweken. So wie den ehemaligen Arkadiern wegen ihres ro- hen Charakters die Muſik zu einem Nationalbeduͤrf- nis geworden war, ſo koͤnnten auch ſcherzhafte Wer- ke, wenn nur die Muſen und Grazien ihr Siegel darauf gedrukt haben, einer Nation, deren Charak- ter zu heftig, oder zu finſterem Ernſte geneigt waͤre, die wichtigſten Dienſte thun. Man kann ſie als Mittel zu vollkomnerer Bildung des Charakters einzeler Menſchen und ganzer Voͤlker brauchen. Und wenn wir auch ihre Wuͤrkung endlich blos als voruͤbergehend anſehen, wenn ſie auch nur um mich des Horaziſchen Ausdruks zu bedienen, labo- rum dulce lenimen, und als ſchmerzenſtillende und lindernde Arzneymittel zu brauchen waͤren, ſo wuͤrde dieſes allein ihnen einen betraͤchtlichen Werth geben. Heil (†) — ut ne quid temere ac ſortuito inconſiderate ne- gligenterque agamus. Nec enim ita generati a natura ſu- mus, ut ad ludum jocumque ſacti eſſe videamur: ſed ad ſe- veritatem potius et ad quædam ſtudia graviora, atque ma- jora. Ludo autem et joco uti quidem licet; ſed ſicut ſomno et quietibus cœteris, tum, cum gravibus ſeriisque rebus ſatisfecerimus. Cic. de Off. L. I.

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 1030[1012]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/459>, abgerufen am 24.11.2024.