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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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Scha

Denn wird durch die Menge der Zuschauer, und
wo dieses sich zugleich einfindet, durch eine gewisse
Feyerlichkeit der Sache, die Lebhaftigkeit der Erwar-
tung, und jeder Eindruk unglaublich verstärkt.
Große und feyerliche Versammlungen haben dieses
an sich, daß das, was man dabey sieht und hört,
in dem Verhältnis der Menge der Zuschauer, und
der Feyerlichkeit des Tages, Kraft auf die Gemü-
ther bekommt. Man sollte denken, daß jeder ein-
zele Zuschauer das, was alle andre zu gleicher Zeit
fühlen, in sich vereinige. Nichts in der Welt ist
anstekender und kräftiger würkend, als Empfindun-
gen, die man an einer Menge Menschen auf ein-
mal wahrnihmt.

Also sind unstreitig öffentliche Schauspiehle, vor-
züglich aber die, die bey feyerlichen Gelegenheiten,
und mit einiger in die Augen fallender Veranstal-
tung, oder Parade gegeben werden, die vorzüglich-
sten Gelegenheiten, auf ein ganzes Volk die stärk-
sten, lebhaftesten, folglich auch würksamesten Ein-
drüke zu machen. Ein alltägliches Schauspiehl, be-
sonders das, was zu sichtbar das Gepräg einer
ärmlichen Privatveranstaltung hat, verlieret einen
großen Theil dieser Würkung, besonders, wenn die
Anzahl der Zuschauer gering ist. Jn Griechenland
und Rom wurden anfänglich die Schauspiehle blos
bey Gelegenheit feyerlicher Festtage gegeben. Da
thun sie allerdings die größte Würkung. Unsere
scenische Schauspiehle, so wie sie meistentheils sind,
verliehren einen großen Theil der Würkung, die sie
durch überlegtere Veranstaltungen haben könnten.

Wir wollen nun, ohne noch zu behaupten, daß
die Sache sich würklich so verhalte, voraussezen,
daß dem so vorbereiteten Zuschauer ein Schauspiehl
vorgestellt werde, das nach seinem Jnhalt lehrreich
und wichtig sey; das seinen Verstand wichtige Vor-
stellungen, in seinem Herzen große und edle, oder
doch wahrhaftig nüzliche Gesinnungen und Bewe-
gungen rege mache; daß er da Menschen handeln
sehe, deren Denkungsart, Maximen, Grundsäze
und Gesinnungen er sich könne zum Muster nehmen,
oder zur Warnung dienen lassen; daß er Handlun-
gen sehe, deren einleuchtende Rechtschaffenheit und
edle Größe, sein Herz mit Liebe für die Tugend ent-
flamme, oder auf der andern Seite abschrekende
Beyspiehle von der Niedrigkeit, Abscheulichkeit und
den traurigen Folgen des Lasters: kann man als-
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Scha
denn an der großen Wichtigkeit solcher Schauspiehle
noch zweifeln?

Kein Verständiger wird sich getrauen einem sol-
chen Schauspiehl die höchste Nüzlichkeit abzusprechen:
man wird vielmehr dem Aristoteles Beyfall geben,
der ihm die erste Stelle unter den Werken des Ge-
schmaks anweiset. Aber noch zweifeln viel verstän-
dige Männer, daß das Schauspiehl so seyn könne;
oder daß dabey, wenn es auch so wäre, gewisse höchst
schädliche und verderbliche Mißbräuche, die man
aus Erfahrung nur allzugewiß kennt, können ver-
mieden werden. Was hilft es, sagt man, daß
man die innere Möglichkeit eines wahrhaftig nüzli-
chen Schauspiehles einsehe, nachdem man aus Er-
fahrung weiß, daß bey der Ausführung einer so nüz-
lich scheinenden Sache, sich so viel schädliches und
verderbliches mit einschleicht, das die Vortheile noch
weit überwiegt?

Wir wollen nicht verschweigen, daß nicht ziemlich
durchgehends sich würklich schweere Mißbräuche
überall eingeschlichen, wo die scenischen Schauspiehle
gewöhnlich sind; wir wollen so gar gestehen, daß
eben deshalb in manchem Orte die Schauspiehle, so
wie sie sind, mehr schaden, als nüzen. Die ver-
derblichen Folgen desselben sind zu bekannt, als daß
es nöthig wäre, sie hier anzuzeigen. Wäre diesem
Uebel nicht abzuhelfen, oder wären die hiezu nöthi-
gen Mittel, ohne in andre große Schwierigkeiten zu
verfallen, nicht möglich, so wollten wir gerne die
Sache aufgeben. Aber sie scheinet uns nicht ohne
Rettung zu seyn. Es würde zwar eine sehr weit-
läuftige Abhandlung erfodern, wenn wir uns über
jede einzele Schwierigkeit dieser Sache einlassen,
und die Mittel anzeigen sollten, sie zu übersteigen.
Wir wollen also blos bey dem Wesentlichsten ste-
hen bleiben.

Ohne Gründ und Gegengründe neben einander
zu halten, und abzuwägen, begnügen wir uns ei-
nige sehr leicht auszuführende Einrichtungen vorzu-
schlagen, wodurch der größte Theil, der den Schau-
spielen izt anhangenden schädlichen Folgen abgehol-
fen würde. Leicht würden diese Einrichtungen seyn,
wenn man einen ernstlichen Vorsaz, bey denen, die
allein öffentliche Einrichtungen zu machen berechti-
get sind, voraussezt. Dieses ist freylich ein Haupt-
punkt, dessen nähere Betrachtung eigentlich nicht
hieher gehört.

Zuerst
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Scha

Denn wird durch die Menge der Zuſchauer, und
wo dieſes ſich zugleich einfindet, durch eine gewiſſe
Feyerlichkeit der Sache, die Lebhaftigkeit der Erwar-
tung, und jeder Eindruk unglaublich verſtaͤrkt.
Große und feyerliche Verſammlungen haben dieſes
an ſich, daß das, was man dabey ſieht und hoͤrt,
in dem Verhaͤltnis der Menge der Zuſchauer, und
der Feyerlichkeit des Tages, Kraft auf die Gemuͤ-
ther bekommt. Man ſollte denken, daß jeder ein-
zele Zuſchauer das, was alle andre zu gleicher Zeit
fuͤhlen, in ſich vereinige. Nichts in der Welt iſt
anſtekender und kraͤftiger wuͤrkend, als Empfindun-
gen, die man an einer Menge Menſchen auf ein-
mal wahrnihmt.

Alſo ſind unſtreitig oͤffentliche Schauſpiehle, vor-
zuͤglich aber die, die bey feyerlichen Gelegenheiten,
und mit einiger in die Augen fallender Veranſtal-
tung, oder Parade gegeben werden, die vorzuͤglich-
ſten Gelegenheiten, auf ein ganzes Volk die ſtaͤrk-
ſten, lebhafteſten, folglich auch wuͤrkſameſten Ein-
druͤke zu machen. Ein alltaͤgliches Schauſpiehl, be-
ſonders das, was zu ſichtbar das Gepraͤg einer
aͤrmlichen Privatveranſtaltung hat, verlieret einen
großen Theil dieſer Wuͤrkung, beſonders, wenn die
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und Rom wurden anfaͤnglich die Schauſpiehle blos
bey Gelegenheit feyerlicher Feſttage gegeben. Da
thun ſie allerdings die groͤßte Wuͤrkung. Unſere
ſceniſche Schauſpiehle, ſo wie ſie meiſtentheils ſind,
verliehren einen großen Theil der Wuͤrkung, die ſie
durch uͤberlegtere Veranſtaltungen haben koͤnnten.

Wir wollen nun, ohne noch zu behaupten, daß
die Sache ſich wuͤrklich ſo verhalte, vorausſezen,
daß dem ſo vorbereiteten Zuſchauer ein Schauſpiehl
vorgeſtellt werde, das nach ſeinem Jnhalt lehrreich
und wichtig ſey; das ſeinen Verſtand wichtige Vor-
ſtellungen, in ſeinem Herzen große und edle, oder
doch wahrhaftig nuͤzliche Geſinnungen und Bewe-
gungen rege mache; daß er da Menſchen handeln
ſehe, deren Denkungsart, Maximen, Grundſaͤze
und Geſinnungen er ſich koͤnne zum Muſter nehmen,
oder zur Warnung dienen laſſen; daß er Handlun-
gen ſehe, deren einleuchtende Rechtſchaffenheit und
edle Groͤße, ſein Herz mit Liebe fuͤr die Tugend ent-
flamme, oder auf der andern Seite abſchrekende
Beyſpiehle von der Niedrigkeit, Abſcheulichkeit und
den traurigen Folgen des Laſters: kann man als-
[Spaltenumbruch]

Scha
denn an der großen Wichtigkeit ſolcher Schauſpiehle
noch zweifeln?

Kein Verſtaͤndiger wird ſich getrauen einem ſol-
chen Schauſpiehl die hoͤchſte Nuͤzlichkeit abzuſprechen:
man wird vielmehr dem Ariſtoteles Beyfall geben,
der ihm die erſte Stelle unter den Werken des Ge-
ſchmaks anweiſet. Aber noch zweifeln viel verſtaͤn-
dige Maͤnner, daß das Schauſpiehl ſo ſeyn koͤnne;
oder daß dabey, wenn es auch ſo waͤre, gewiſſe hoͤchſt
ſchaͤdliche und verderbliche Mißbraͤuche, die man
aus Erfahrung nur allzugewiß kennt, koͤnnen ver-
mieden werden. Was hilft es, ſagt man, daß
man die innere Moͤglichkeit eines wahrhaftig nuͤzli-
chen Schauſpiehles einſehe, nachdem man aus Er-
fahrung weiß, daß bey der Ausfuͤhrung einer ſo nuͤz-
lich ſcheinenden Sache, ſich ſo viel ſchaͤdliches und
verderbliches mit einſchleicht, das die Vortheile noch
weit uͤberwiegt?

Wir wollen nicht verſchweigen, daß nicht ziemlich
durchgehends ſich wuͤrklich ſchweere Mißbraͤuche
uͤberall eingeſchlichen, wo die ſceniſchen Schauſpiehle
gewoͤhnlich ſind; wir wollen ſo gar geſtehen, daß
eben deshalb in manchem Orte die Schauſpiehle, ſo
wie ſie ſind, mehr ſchaden, als nuͤzen. Die ver-
derblichen Folgen deſſelben ſind zu bekannt, als daß
es noͤthig waͤre, ſie hier anzuzeigen. Waͤre dieſem
Uebel nicht abzuhelfen, oder waͤren die hiezu noͤthi-
gen Mittel, ohne in andre große Schwierigkeiten zu
verfallen, nicht moͤglich, ſo wollten wir gerne die
Sache aufgeben. Aber ſie ſcheinet uns nicht ohne
Rettung zu ſeyn. Es wuͤrde zwar eine ſehr weit-
laͤuftige Abhandlung erfodern, wenn wir uns uͤber
jede einzele Schwierigkeit dieſer Sache einlaſſen,
und die Mittel anzeigen ſollten, ſie zu uͤberſteigen.
Wir wollen alſo blos bey dem Weſentlichſten ſte-
hen bleiben.

Ohne Gruͤnd und Gegengruͤnde neben einander
zu halten, und abzuwaͤgen, begnuͤgen wir uns ei-
nige ſehr leicht auszufuͤhrende Einrichtungen vorzu-
ſchlagen, wodurch der groͤßte Theil, der den Schau-
ſpielen izt anhangenden ſchaͤdlichen Folgen abgehol-
fen wuͤrde. Leicht wuͤrden dieſe Einrichtungen ſeyn,
wenn man einen ernſtlichen Vorſaz, bey denen, die
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Zuerſt
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[1022[1004]/0451] Scha Scha Denn wird durch die Menge der Zuſchauer, und wo dieſes ſich zugleich einfindet, durch eine gewiſſe Feyerlichkeit der Sache, die Lebhaftigkeit der Erwar- tung, und jeder Eindruk unglaublich verſtaͤrkt. Große und feyerliche Verſammlungen haben dieſes an ſich, daß das, was man dabey ſieht und hoͤrt, in dem Verhaͤltnis der Menge der Zuſchauer, und der Feyerlichkeit des Tages, Kraft auf die Gemuͤ- ther bekommt. Man ſollte denken, daß jeder ein- zele Zuſchauer das, was alle andre zu gleicher Zeit fuͤhlen, in ſich vereinige. Nichts in der Welt iſt anſtekender und kraͤftiger wuͤrkend, als Empfindun- gen, die man an einer Menge Menſchen auf ein- mal wahrnihmt. Alſo ſind unſtreitig oͤffentliche Schauſpiehle, vor- zuͤglich aber die, die bey feyerlichen Gelegenheiten, und mit einiger in die Augen fallender Veranſtal- tung, oder Parade gegeben werden, die vorzuͤglich- ſten Gelegenheiten, auf ein ganzes Volk die ſtaͤrk- ſten, lebhafteſten, folglich auch wuͤrkſameſten Ein- druͤke zu machen. Ein alltaͤgliches Schauſpiehl, be- ſonders das, was zu ſichtbar das Gepraͤg einer aͤrmlichen Privatveranſtaltung hat, verlieret einen großen Theil dieſer Wuͤrkung, beſonders, wenn die Anzahl der Zuſchauer gering iſt. Jn Griechenland und Rom wurden anfaͤnglich die Schauſpiehle blos bey Gelegenheit feyerlicher Feſttage gegeben. Da thun ſie allerdings die groͤßte Wuͤrkung. Unſere ſceniſche Schauſpiehle, ſo wie ſie meiſtentheils ſind, verliehren einen großen Theil der Wuͤrkung, die ſie durch uͤberlegtere Veranſtaltungen haben koͤnnten. Wir wollen nun, ohne noch zu behaupten, daß die Sache ſich wuͤrklich ſo verhalte, vorausſezen, daß dem ſo vorbereiteten Zuſchauer ein Schauſpiehl vorgeſtellt werde, das nach ſeinem Jnhalt lehrreich und wichtig ſey; das ſeinen Verſtand wichtige Vor- ſtellungen, in ſeinem Herzen große und edle, oder doch wahrhaftig nuͤzliche Geſinnungen und Bewe- gungen rege mache; daß er da Menſchen handeln ſehe, deren Denkungsart, Maximen, Grundſaͤze und Geſinnungen er ſich koͤnne zum Muſter nehmen, oder zur Warnung dienen laſſen; daß er Handlun- gen ſehe, deren einleuchtende Rechtſchaffenheit und edle Groͤße, ſein Herz mit Liebe fuͤr die Tugend ent- flamme, oder auf der andern Seite abſchrekende Beyſpiehle von der Niedrigkeit, Abſcheulichkeit und den traurigen Folgen des Laſters: kann man als- denn an der großen Wichtigkeit ſolcher Schauſpiehle noch zweifeln? Kein Verſtaͤndiger wird ſich getrauen einem ſol- chen Schauſpiehl die hoͤchſte Nuͤzlichkeit abzuſprechen: man wird vielmehr dem Ariſtoteles Beyfall geben, der ihm die erſte Stelle unter den Werken des Ge- ſchmaks anweiſet. Aber noch zweifeln viel verſtaͤn- dige Maͤnner, daß das Schauſpiehl ſo ſeyn koͤnne; oder daß dabey, wenn es auch ſo waͤre, gewiſſe hoͤchſt ſchaͤdliche und verderbliche Mißbraͤuche, die man aus Erfahrung nur allzugewiß kennt, koͤnnen ver- mieden werden. Was hilft es, ſagt man, daß man die innere Moͤglichkeit eines wahrhaftig nuͤzli- chen Schauſpiehles einſehe, nachdem man aus Er- fahrung weiß, daß bey der Ausfuͤhrung einer ſo nuͤz- lich ſcheinenden Sache, ſich ſo viel ſchaͤdliches und verderbliches mit einſchleicht, das die Vortheile noch weit uͤberwiegt? Wir wollen nicht verſchweigen, daß nicht ziemlich durchgehends ſich wuͤrklich ſchweere Mißbraͤuche uͤberall eingeſchlichen, wo die ſceniſchen Schauſpiehle gewoͤhnlich ſind; wir wollen ſo gar geſtehen, daß eben deshalb in manchem Orte die Schauſpiehle, ſo wie ſie ſind, mehr ſchaden, als nuͤzen. Die ver- derblichen Folgen deſſelben ſind zu bekannt, als daß es noͤthig waͤre, ſie hier anzuzeigen. Waͤre dieſem Uebel nicht abzuhelfen, oder waͤren die hiezu noͤthi- gen Mittel, ohne in andre große Schwierigkeiten zu verfallen, nicht moͤglich, ſo wollten wir gerne die Sache aufgeben. Aber ſie ſcheinet uns nicht ohne Rettung zu ſeyn. Es wuͤrde zwar eine ſehr weit- laͤuftige Abhandlung erfodern, wenn wir uns uͤber jede einzele Schwierigkeit dieſer Sache einlaſſen, und die Mittel anzeigen ſollten, ſie zu uͤberſteigen. Wir wollen alſo blos bey dem Weſentlichſten ſte- hen bleiben. Ohne Gruͤnd und Gegengruͤnde neben einander zu halten, und abzuwaͤgen, begnuͤgen wir uns ei- nige ſehr leicht auszufuͤhrende Einrichtungen vorzu- ſchlagen, wodurch der groͤßte Theil, der den Schau- ſpielen izt anhangenden ſchaͤdlichen Folgen abgehol- fen wuͤrde. Leicht wuͤrden dieſe Einrichtungen ſeyn, wenn man einen ernſtlichen Vorſaz, bey denen, die allein oͤffentliche Einrichtungen zu machen berechti- get ſind, vorausſezt. Dieſes iſt freylich ein Haupt- punkt, deſſen naͤhere Betrachtung eigentlich nicht hieher gehoͤrt. Zuerſt

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 1022[1004]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/451>, abgerufen am 16.07.2024.