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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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Rom
manzen. Der Jnhalt derselben ist eine Erzählung
von leidenschaftlichen, tragischen, verliebten, oder
auch blos belustigenden Jnhalt. Weil die Romanze
zum Singen gemacht ist, so ist die Versart lyrisch,
aber höchst einfach, wie sie in jenen Zeiten durch-
gehends war, von einerley Sylbenmaaß und von
kurzen Versen. Gedanken und Ausdruk müssen in
der höchsten Einfalt und sehr naiv seyn, wobey man
sich der gemeinesten, auch allenfalls etwas veral-
terten Ausdrüke und Wortfügungen bedienet, die
auch den geringsten Menschen leicht faßlich sind.

Sollen die Romanzen Personen von Geschmak
gefallen, so müssen sie so viel vorzügliches haben,
daß mehr, als gemeiner Geschmak zu deren Verfer-
tigung erfodert wird. Sie müssen uns in jene Zei-
ten versezen, wo die Menschen überaus wenig über
das Gemeine gehende Begriffe hatten, wo sie bey
großem Mangel wissenschaftlicher oder genau über-
legter Kenntnisse, doch nicht unverständig oder bar-
barisch waren. Wo Aberglauben, Leichtgläubigkeit
und Unwissenheit nichts anstößiges haben; weil sie
dem übrigen, das zum Charakter der Zeiten und
Sitten gehöret, in keinem Stük wiedersprechen;
wo die Empfindungen den geraden einfältigen Weg
der Natur gehen, das Urtheil aber über Gegenstän-
de des firengen Nachdenkens, blos fremden Ein-
sichten oder Vorurtheilen folget. Denn muß man
auch die Sprach und den Ton solcher Zeiten anneh-
men; denken und sprechen, nicht, wie die albern
und ungesitteten, sondern wie die verständigen und
gesitteten Menschen damals gedacht und gespro-
chen haben.

Wenn dieses alles bey der Romanze getroffen ist,
so kann sie großes Vergnügen machen, und bis zu
Thränen rühren. Es geht uns alsdenn, wie noch
izt, wenn wir uns unter einfältigen und nur in
der Schule der Natur erzogenen, sonst nicht übel
gearteten Menschen finden, an deren Vergnügen
und Leid, wir ofte herzlichen Antheil nehmen.

Unsere Dichter haben sich angewöhnt der Romanze
einen scherzhaften Ton zu geben und sie ironisch zu
machen. Mich dünkt, daß dieses dem wahren
Charakter der Nomanze gerad entgegen sey. Eine
scherzhafte Erzählung im lyrischen Ton, ist noch
keine Romanze.

Ueber den Gesang der Romanze hat Rousseau
alles gesagt, was man dem Tonsezer darüber sagen
[Spaltenumbruch]

Ron
kann; daher ich nichts bessers thun kann, als ihn
zu übersezen.

"Weil die Romanze in einer einfachen, rühren-
den Schreibart geschrieben, und von etwas altvä-
tern Geschmak seyn muß; so muß auch der Gesang
diesen Charakter haben; nichts von Zierrathen,
nichts von Manieren, eine gefällige, natürliche,
ländliche Melodie, die durch sich selbst, ohne die
Kunst des Vortrages ihre Würkung thue. Der Ge-
sang därf nicht hervorstechend seyn, wenn er nur
naiv ist, die Worte nicht verdunkelt, sie sehr ver-
nehmlich vorträgt und keinen großen Umfang der
Stimm erfodert.

"Eine wolgesezte Romanze, rühret, da sie gar
nichts vorzügliches hat das schnell reizt, nicht gleich;
aber jede Strophe verstärkt den Eindruk der vorher-
gehenden; das Jnteresse nihmt unvermerkt zu, und
bisweilen ist man bis zum Thränen gerühret, ohne
sagen zu können, wo diese Kraft liegt. Es ist eine
gewisse Erfahrung, daß jedes den Gesang begleiten-
de Jnstrument diese Würkung schwächet." (*)

Ob die hier angeführte Erfahrung so völlig ge-
wiß sey, kann ich nicht sagen; aber ich habe Ro-
manzen von einer Mandolin begleitet gehört, die
bey mir volle Würkung thaten.

Rondeau.
(Poesie; Musik.)

Jn der Poesie ist das Rondeau ein Lied von Doppel-
strophen, die so gesungen werden, daß nach der zwey-
ten Hälfte, die erste wiederholt wird, so wie es in den
meisten Opern Arien gewöhnlich ist. Wenn diese
Wiederholung natürlich seyn soll, so muß nothwen-
dig in der zweyten Hälfte der Strophe etwas seyn,
das die Wiederholung der ersten natürlich macht.
Dieses hat, wie Rousseau sehr richtig anmerkt, nur
in folgenden Fällen statt.

"So oft eine im ersten Theil ausgedrukte Em-
pfindung einen überlegten Gedanken veranlasset, der
im zweyten Theil sie verstärkt und unterstüzt; wenn
die Beschreibung eines Zustandes, die den ersten
Theil ausmacht, eine im zweyten vorkommende
Vergleichung aufkläret; wenn ein Gedanken im er-
sten Theil, in dem zweyten bewiesen, oder bestäti-
get wird; wenn endlich im ersten Theile ein Vorsaz
geäußert wird, davon im zweyten der Grund an-
gegeben ist; in allen diesen Fällen ist die Wiederho-

lung
(*) Dict.
de Musique
Art. Ro-
mance.
G g g g g g 2

[Spaltenumbruch]

Rom
manzen. Der Jnhalt derſelben iſt eine Erzaͤhlung
von leidenſchaftlichen, tragiſchen, verliebten, oder
auch blos beluſtigenden Jnhalt. Weil die Romanze
zum Singen gemacht iſt, ſo iſt die Versart lyriſch,
aber hoͤchſt einfach, wie ſie in jenen Zeiten durch-
gehends war, von einerley Sylbenmaaß und von
kurzen Verſen. Gedanken und Ausdruk muͤſſen in
der hoͤchſten Einfalt und ſehr naiv ſeyn, wobey man
ſich der gemeineſten, auch allenfalls etwas veral-
terten Ausdruͤke und Wortfuͤgungen bedienet, die
auch den geringſten Menſchen leicht faßlich ſind.

Sollen die Romanzen Perſonen von Geſchmak
gefallen, ſo muͤſſen ſie ſo viel vorzuͤgliches haben,
daß mehr, als gemeiner Geſchmak zu deren Verfer-
tigung erfodert wird. Sie muͤſſen uns in jene Zei-
ten verſezen, wo die Menſchen uͤberaus wenig uͤber
das Gemeine gehende Begriffe hatten, wo ſie bey
großem Mangel wiſſenſchaftlicher oder genau uͤber-
legter Kenntniſſe, doch nicht unverſtaͤndig oder bar-
bariſch waren. Wo Aberglauben, Leichtglaͤubigkeit
und Unwiſſenheit nichts anſtoͤßiges haben; weil ſie
dem uͤbrigen, das zum Charakter der Zeiten und
Sitten gehoͤret, in keinem Stuͤk wiederſprechen;
wo die Empfindungen den geraden einfaͤltigen Weg
der Natur gehen, das Urtheil aber uͤber Gegenſtaͤn-
de des firengen Nachdenkens, blos fremden Ein-
ſichten oder Vorurtheilen folget. Denn muß man
auch die Sprach und den Ton ſolcher Zeiten anneh-
men; denken und ſprechen, nicht, wie die albern
und ungeſitteten, ſondern wie die verſtaͤndigen und
geſitteten Menſchen damals gedacht und geſpro-
chen haben.

Wenn dieſes alles bey der Romanze getroffen iſt,
ſo kann ſie großes Vergnuͤgen machen, und bis zu
Thraͤnen ruͤhren. Es geht uns alsdenn, wie noch
izt, wenn wir uns unter einfaͤltigen und nur in
der Schule der Natur erzogenen, ſonſt nicht uͤbel
gearteten Menſchen finden, an deren Vergnuͤgen
und Leid, wir ofte herzlichen Antheil nehmen.

Unſere Dichter haben ſich angewoͤhnt der Romanze
einen ſcherzhaften Ton zu geben und ſie ironiſch zu
machen. Mich duͤnkt, daß dieſes dem wahren
Charakter der Nomanze gerad entgegen ſey. Eine
ſcherzhafte Erzaͤhlung im lyriſchen Ton, iſt noch
keine Romanze.

Ueber den Geſang der Romanze hat Rouſſeau
alles geſagt, was man dem Tonſezer daruͤber ſagen
[Spaltenumbruch]

Ron
kann; daher ich nichts beſſers thun kann, als ihn
zu uͤberſezen.

„Weil die Romanze in einer einfachen, ruͤhren-
den Schreibart geſchrieben, und von etwas altvaͤ-
tern Geſchmak ſeyn muß; ſo muß auch der Geſang
dieſen Charakter haben; nichts von Zierrathen,
nichts von Manieren, eine gefaͤllige, natuͤrliche,
laͤndliche Melodie, die durch ſich ſelbſt, ohne die
Kunſt des Vortrages ihre Wuͤrkung thue. Der Ge-
ſang daͤrf nicht hervorſtechend ſeyn, wenn er nur
naiv iſt, die Worte nicht verdunkelt, ſie ſehr ver-
nehmlich vortraͤgt und keinen großen Umfang der
Stimm erfodert.

„Eine wolgeſezte Romanze, ruͤhret, da ſie gar
nichts vorzuͤgliches hat das ſchnell reizt, nicht gleich;
aber jede Strophe verſtaͤrkt den Eindruk der vorher-
gehenden; das Jntereſſe nihmt unvermerkt zu, und
bisweilen iſt man bis zum Thraͤnen geruͤhret, ohne
ſagen zu koͤnnen, wo dieſe Kraft liegt. Es iſt eine
gewiſſe Erfahrung, daß jedes den Geſang begleiten-
de Jnſtrument dieſe Wuͤrkung ſchwaͤchet.“ (*)

Ob die hier angefuͤhrte Erfahrung ſo voͤllig ge-
wiß ſey, kann ich nicht ſagen; aber ich habe Ro-
manzen von einer Mandolin begleitet gehoͤrt, die
bey mir volle Wuͤrkung thaten.

Rondeau.
(Poeſie; Muſik.)

Jn der Poeſie iſt das Rondeau ein Lied von Doppel-
ſtrophen, die ſo geſungen werden, daß nach der zwey-
ten Haͤlfte, die erſte wiederholt wird, ſo wie es in den
meiſten Opern Arien gewoͤhnlich iſt. Wenn dieſe
Wiederholung natuͤrlich ſeyn ſoll, ſo muß nothwen-
dig in der zweyten Haͤlfte der Strophe etwas ſeyn,
das die Wiederholung der erſten natuͤrlich macht.
Dieſes hat, wie Rouſſeau ſehr richtig anmerkt, nur
in folgenden Faͤllen ſtatt.

„So oft eine im erſten Theil ausgedrukte Em-
pfindung einen uͤberlegten Gedanken veranlaſſet, der
im zweyten Theil ſie verſtaͤrkt und unterſtuͤzt; wenn
die Beſchreibung eines Zuſtandes, die den erſten
Theil ausmacht, eine im zweyten vorkommende
Vergleichung aufklaͤret; wenn ein Gedanken im er-
ſten Theil, in dem zweyten bewieſen, oder beſtaͤti-
get wird; wenn endlich im erſten Theile ein Vorſaz
geaͤußert wird, davon im zweyten der Grund an-
gegeben iſt; in allen dieſen Faͤllen iſt die Wiederho-

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(*) Dict.
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Art. Ro-
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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 989[971]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/418>, abgerufen am 26.11.2024.