König! du redest vom Grabe? die Seeie des Helden entschwingt sich! Oßian! Ueber den Geist von Cathmor, dem Freunde der Fremden Komme mit Ströhmen die Freude! (+)
Mit welchem Glanze leuchtet nicht der erhabene Cha- rakter des Helden in folgender Stelle. Aldo, einer seiner Vasallen wurd mißvergnügt und gieng zu Fergthonn König von Sora in Scandinavien über, der Fingals offenbarer Feind war. Dort verliebt er sich in die Königin, entführt sie, kommt wieder nach Hause, und erkühnet sich bey Fingal gegen die ihm nachsezenden Scandinavier, die nun Fingals Ge- bieth anfallen, Schuz zu suchen. Dieser empfängt ihn mit folgender Rede:
Aldo! du schwülstiges Herz -- -- Jch sollte dich schüzen vor Soras gekränktem Zürnenden Herrscher? -- Wer wird mein Volk in sei- nen Gewölben Künstig empfangen? Wer laden zum wirthlichen Mahle? Nun Aldo, Aldo! die niedrige Seele den Schimmer von Sora ge- raubt hat? -- Suche dein hüglichtes Heimat, unmächtige Rechte! Dort mögen Deine Grotten dich bergen! Du dringst uns die trau- rige Noth auf Wieder den düsten Gebiether von Sora zu kämpfen! O Trenmors (*) Herrlicher Schatten! wenn kommt das lezte von Fin- gals Gefechten? Mitten in Schlachten erblikr ich den Tag, und wandle zu meinem Grabe nur blutige Steige! Doch niemal bedrükte den Schwachen Dieser mein Arm. War jemand gewehrlos, dem schonte mein Eisen. Morven, Morven! die Stürme, die meine Gewölbe bedräuen, Schweben vor mir! wenn einstens in Treffen mein Stammen dahin ist. Keiner in Selma mehr wohnt; denn werden die Feigen hier walten. (*)
Solche Menschlichkeit und an einem solchen Helden! Auf eine höchst rührende Weise zeiget er diese hohe Gemüthsart, da er izt seinen Enkel Oscar, Oßiaus Sohn, der eben die ersten Proben seiner Tapferkeit [Spaltenumbruch]
Oßi
abgelegt hatte, zum Stand der Helden gleichsam einweihet. Wer kann folgendes ohne Bewundrung und Rührung lesen:Zierde der Jugend! o Sohn von meinem Sohne! -- Den Bliz von deinem Stahl den sah ich, und freute mich meiner Erzeugten. O! folge Folge dem Ruhme der Väter, und was sie gewesen das werde! -- -- -- -- O beuge bewaffnete Stolze, Jüngling! und schone des schwächeren Arms. Begegne den Feinden Deines Volkes wie reißende Ströhme; doch flehet um Rettung Jemand zu dir, dem sey du wie Pflanzen umschmei- chelnde Lüstchen. Also war Trenmor und Trathal gesinnt, so denket auch Fingal. Jeden Gekränkten beschüzte mein Arm, und hinter dem Blize Meines Stahles war immer den Schwachen Erholung bereitet. (*)
Jch könnte leicht noch hundert rührende Züge, die diesen großen Charakter bezeichnen, anführen. Oßian hat seinen erhabenen Vater in wenig Worten ge- schildert:
-- Du gleichest im Frieden Frühlingslüstchen, im Kriege den Ströhmen vom Berge. (*)
Weniger groß, aber doch noch bis nah ans Erha- bene tapfer und edelgesinnet sind die meisten von Oßians Helden, so wol von seiner, als von feindli- chen Nationen Celtischen Stammens. Und bey dieser allgemeinen Uebereinstimmung treffen wir doch eine höchst angenehme Mannigfaltigkeit sehr wol ge- gen einander abstechender Charaktere. So wenig Grund hat es, daß vollkommene Charaktere sich nicht für die Epopöe schiken, (*) daß wir bey Oßian wenig andere antreffen, und doch wird man von Schönheit zu Schönheit, von einer lebhaften Em- pfindung zur andern immer fortgerissen. Bey Lesung seiner Gedichte finden wir uns in ein Paradies der- sezt, so wie wir in der Jlias uns in beständigem Ge- tümmel der hizigsten und kühnesten Männer befinden.
Bescheidenheit, bey der höchsten Ruhmbegierde, und Sanftmuth bey der größten Tapferkeit, Billig-
keit
(+)[Spaltenumbruch] Nämlich Oßian soll den Cathmor gleich nach seinem Tode besingen, weil nach dem Aberglauben selbiger Zeit, [Spaltenumbruch]
ein solcher Gesang des verstorbenen Seele gleich zum see- ligen Size der Helden vergangener Zeit empor hebte.
(*) Dieser war Fin- gals Uräl- tervater.
(*) Jn der Schlacht von Lora.
(*) Fingal III Buch.
(*) Tems- ra IV B.
(*) S. Cha- rakter S. 198.
P p p p p 3
[Spaltenumbruch]
Oßi
Koͤnig! du redeſt vom Grabe? die Seeie des Helden entſchwingt ſich! Oßian! Ueber den Geiſt von Cathmor, dem Freunde der Fremden Komme mit Stroͤhmen die Freude! (†)
Mit welchem Glanze leuchtet nicht der erhabene Cha- rakter des Helden in folgender Stelle. Aldo, einer ſeiner Vaſallen wurd mißvergnuͤgt und gieng zu Fergthonn Koͤnig von Sora in Scandinavien uͤber, der Fingals offenbarer Feind war. Dort verliebt er ſich in die Koͤnigin, entfuͤhrt ſie, kommt wieder nach Hauſe, und erkuͤhnet ſich bey Fingal gegen die ihm nachſezenden Scandinavier, die nun Fingals Ge- bieth anfallen, Schuz zu ſuchen. Dieſer empfaͤngt ihn mit folgender Rede:
Aldo! du ſchwuͤlſtiges Herz — — Jch ſollte dich ſchuͤzen vor Soras gekraͤnktem Zuͤrnenden Herrſcher? — Wer wird mein Volk in ſei- nen Gewoͤlben Kuͤnſtig empfangen? Wer laden zum wirthlichen Mahle? Nun Aldo, Aldo! die niedrige Seele den Schimmer von Sora ge- raubt hat? — Suche dein huͤglichtes Heimat, unmaͤchtige Rechte! Dort moͤgen Deine Grotten dich bergen! Du dringſt uns die trau- rige Noth auf Wieder den duͤſten Gebiether von Sora zu kaͤmpfen! O Trenmors (*) Herrlicher Schatten! wenn kommt das lezte von Fin- gals Gefechten? Mitten in Schlachten erblikr ich den Tag, und wandle zu meinem Grabe nur blutige Steige! Doch niemal bedruͤkte den Schwachen Dieſer mein Arm. War jemand gewehrlos, dem ſchonte mein Eiſen. Morven, Morven! die Stuͤrme, die meine Gewoͤlbe bedraͤuen, Schweben vor mir! wenn einſtens in Treffen mein Stammen dahin iſt. Keiner in Selma mehr wohnt; denn werden die Feigen hier walten. (*)
Solche Menſchlichkeit und an einem ſolchen Helden! Auf eine hoͤchſt ruͤhrende Weiſe zeiget er dieſe hohe Gemuͤthsart, da er izt ſeinen Enkel Oſcar, Oßiaus Sohn, der eben die erſten Proben ſeiner Tapferkeit [Spaltenumbruch]
Oßi
abgelegt hatte, zum Stand der Helden gleichſam einweihet. Wer kann folgendes ohne Bewundrung und Ruͤhrung leſen:Zierde der Jugend! o Sohn von meinem Sohne! — Den Bliz von deinem Stahl den ſah ich, und freute mich meiner Erzeugten. O! folge Folge dem Ruhme der Vaͤter, und was ſie geweſen das werde! — — — — O beuge bewaffnete Stolze, Juͤngling! und ſchone des ſchwaͤcheren Arms. Begegne den Feinden Deines Volkes wie reißende Stroͤhme; doch flehet um Rettung Jemand zu dir, dem ſey du wie Pflanzen umſchmei- chelnde Luͤſtchen. Alſo war Trenmor und Trathal geſinnt, ſo denket auch Fingal. Jeden Gekraͤnkten beſchuͤzte mein Arm, und hinter dem Blize Meines Stahles war immer den Schwachen Erholung bereitet. (*)
Jch koͤnnte leicht noch hundert ruͤhrende Zuͤge, die dieſen großen Charakter bezeichnen, anfuͤhren. Oßian hat ſeinen erhabenen Vater in wenig Worten ge- ſchildert:
— Du gleicheſt im Frieden Fruͤhlingsluͤſtchen, im Kriege den Stroͤhmen vom Berge. (*)
Weniger groß, aber doch noch bis nah ans Erha- bene tapfer und edelgeſinnet ſind die meiſten von Oßians Helden, ſo wol von ſeiner, als von feindli- chen Nationen Celtiſchen Stammens. Und bey dieſer allgemeinen Uebereinſtimmung treffen wir doch eine hoͤchſt angenehme Mannigfaltigkeit ſehr wol ge- gen einander abſtechender Charaktere. So wenig Grund hat es, daß vollkommene Charaktere ſich nicht fuͤr die Epopoͤe ſchiken, (*) daß wir bey Oßian wenig andere antreffen, und doch wird man von Schoͤnheit zu Schoͤnheit, von einer lebhaften Em- pfindung zur andern immer fortgeriſſen. Bey Leſung ſeiner Gedichte finden wir uns in ein Paradies der- ſezt, ſo wie wir in der Jlias uns in beſtaͤndigem Ge- tuͤmmel der hizigſten und kuͤhneſten Maͤnner befinden.
Beſcheidenheit, bey der hoͤchſten Ruhmbegierde, und Sanftmuth bey der groͤßten Tapferkeit, Billig-
keit
(†)[Spaltenumbruch] Naͤmlich Oßian ſoll den Cathmor gleich nach ſeinem Tode beſingen, weil nach dem Aberglauben ſelbiger Zeit, [Spaltenumbruch]
ein ſolcher Geſang des verſtorbenen Seele gleich zum ſee- ligen Size der Helden vergangener Zeit empor hebte.
(*) Dieſer war Fin- gals Uraͤl- tervater.
(*) Jn der Schlacht von Lora.
(*) Fingal III Buch.
(*) Tems- ra IV B.
(*) S. Cha- rakter S. 198.
P p p p p 3
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[871[853]/0288]
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Koͤnig! du redeſt vom Grabe? die Seeie des Helden
entſchwingt ſich!
Oßian! Ueber den Geiſt von Cathmor, dem Freunde
der Fremden
Komme mit Stroͤhmen die Freude! (†)
Mit welchem Glanze leuchtet nicht der erhabene Cha-
rakter des Helden in folgender Stelle. Aldo, einer
ſeiner Vaſallen wurd mißvergnuͤgt und gieng zu
Fergthonn Koͤnig von Sora in Scandinavien uͤber,
der Fingals offenbarer Feind war. Dort verliebt er
ſich in die Koͤnigin, entfuͤhrt ſie, kommt wieder
nach Hauſe, und erkuͤhnet ſich bey Fingal gegen die
ihm nachſezenden Scandinavier, die nun Fingals Ge-
bieth anfallen, Schuz zu ſuchen. Dieſer empfaͤngt
ihn mit folgender Rede:
Aldo! du ſchwuͤlſtiges Herz —
— Jch ſollte dich ſchuͤzen vor Soras gekraͤnktem
Zuͤrnenden Herrſcher? — Wer wird mein Volk in ſei-
nen Gewoͤlben
Kuͤnſtig empfangen? Wer laden zum wirthlichen Mahle?
Nun Aldo,
Aldo! die niedrige Seele den Schimmer von Sora ge-
raubt hat? —
Suche dein huͤglichtes Heimat, unmaͤchtige Rechte!
Dort moͤgen
Deine Grotten dich bergen! Du dringſt uns die trau-
rige Noth auf
Wieder den duͤſten Gebiether von Sora zu kaͤmpfen!
O Trenmors (*)
Herrlicher Schatten! wenn kommt das lezte von Fin-
gals Gefechten?
Mitten in Schlachten erblikr ich den Tag, und wandle
zu meinem
Grabe nur blutige Steige! Doch niemal bedruͤkte den
Schwachen
Dieſer mein Arm. War jemand gewehrlos, dem
ſchonte mein Eiſen.
Morven, Morven! die Stuͤrme, die meine Gewoͤlbe
bedraͤuen,
Schweben vor mir! wenn einſtens in Treffen mein
Stammen dahin iſt.
Keiner in Selma mehr wohnt; denn werden die Feigen
hier walten. (*)
Solche Menſchlichkeit und an einem ſolchen Helden!
Auf eine hoͤchſt ruͤhrende Weiſe zeiget er dieſe hohe
Gemuͤthsart, da er izt ſeinen Enkel Oſcar, Oßiaus
Sohn, der eben die erſten Proben ſeiner Tapferkeit
abgelegt hatte, zum Stand der Helden gleichſam
einweihet. Wer kann folgendes ohne Bewundrung
und Ruͤhrung leſen:
Zierde der Jugend! o Sohn von meinem Sohne! —
Den Bliz von deinem Stahl den ſah ich, und freute
mich meiner Erzeugten. O! folge
Folge dem Ruhme der Vaͤter, und was ſie geweſen das
werde!
— — —
— O beuge bewaffnete Stolze,
Juͤngling! und ſchone des ſchwaͤcheren Arms. Begegne
den Feinden
Deines Volkes wie reißende Stroͤhme; doch flehet um
Rettung
Jemand zu dir, dem ſey du wie Pflanzen umſchmei-
chelnde Luͤſtchen.
Alſo war Trenmor und Trathal geſinnt, ſo denket auch
Fingal.
Jeden Gekraͤnkten beſchuͤzte mein Arm, und hinter
dem Blize
Meines Stahles war immer den Schwachen Erholung
bereitet. (*)
Jch koͤnnte leicht noch hundert ruͤhrende Zuͤge, die
dieſen großen Charakter bezeichnen, anfuͤhren. Oßian
hat ſeinen erhabenen Vater in wenig Worten ge-
ſchildert:
— Du gleicheſt im Frieden
Fruͤhlingsluͤſtchen, im Kriege den Stroͤhmen vom
Berge. (*)
Weniger groß, aber doch noch bis nah ans Erha-
bene tapfer und edelgeſinnet ſind die meiſten von
Oßians Helden, ſo wol von ſeiner, als von feindli-
chen Nationen Celtiſchen Stammens. Und bey
dieſer allgemeinen Uebereinſtimmung treffen wir doch
eine hoͤchſt angenehme Mannigfaltigkeit ſehr wol ge-
gen einander abſtechender Charaktere. So wenig
Grund hat es, daß vollkommene Charaktere ſich
nicht fuͤr die Epopoͤe ſchiken, (*) daß wir bey Oßian
wenig andere antreffen, und doch wird man von
Schoͤnheit zu Schoͤnheit, von einer lebhaften Em-
pfindung zur andern immer fortgeriſſen. Bey Leſung
ſeiner Gedichte finden wir uns in ein Paradies der-
ſezt, ſo wie wir in der Jlias uns in beſtaͤndigem Ge-
tuͤmmel der hizigſten und kuͤhneſten Maͤnner befinden.
Beſcheidenheit, bey der hoͤchſten Ruhmbegierde,
und Sanftmuth bey der groͤßten Tapferkeit, Billig-
keit
(†)
Naͤmlich Oßian ſoll den Cathmor gleich nach ſeinem
Tode beſingen, weil nach dem Aberglauben ſelbiger Zeit,
ein ſolcher Geſang des verſtorbenen Seele gleich zum ſee-
ligen Size der Helden vergangener Zeit empor hebte.
(*) Dieſer
war Fin-
gals Uraͤl-
tervater.
(*) Jn der
Schlacht
von Lora.
(*) Fingal
III Buch.
(*) Tems-
ra IV B.
(*) S. Cha-
rakter S.
198.
P p p p p 3
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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 871[853]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/288>, abgerufen am 30.11.2024.
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