denschaften bewürkt werden. Das völlig Außeror- dentliche aber, das nie zur Regel dienen kann, ist zu dieser Absicht nicht tüchtig, und folglich zu ver- werfen. Es giebt in dem menschlichen Leben Lagen der Sachen, da jederman höchst begierig wird zu se- hen, was für einen Ausgang die Sachen haben werden. Die Erwartung wird aber nicht befriedi- get, wenn er nicht natürlich ist, oder nicht durch die in den handelnden Personen liegende Kräfte be- würkt wird.
Darum sollten die Dichter nicht einmal völlig zufällige Ursachen, ob sie gleich historisch wahr sind, zur Bewürkung des Ausganges brauchen; denn sie erfüllen unsre Erwartung eben so wenig, als die Maschienen. Wenn wir eine durch vielerley Un- glüksfälle in Armuth gerathene Familie in einer höchst bedenklichen Lage sähen, die sich izt bald ent- wikeln müßte; so würden wir in unsrer Erwartung wegen des Ausganges der Sachen uns sehr betro- gen finden, wenn sie von ungefehr einen in der Erde verborgen gewesenen Schaz fände, der sogleich ihrer Verlegenheit ein Ende machte. Ein solcher Aus- gang wäre weder für die Kenntnis des Menschen, noch für den Gebrauch des Lebens lehrreich. Da- rum sagt Aristoteles, der Dichter habe mehr darauf zu sehen, ob die Sachen wahrscheinlich, als ob sie wahr seyen.
Aus diesem Grunde können wir auch mancherley Ursachen der Verwiklung und der Auflösung, die wir in alten Comödien finden, dergleichen die mancher- ley Vorfälle sind, die in der ehemals gewöhnlichen Wegsezung neugebohrner Kinder, oder in der Scla- verey ihren Grund hatten, nicht brauchen; weil sie izt bloße Maschienen wären, da sie in Athen oder Rom natürlich gewesen.
Masken. (Schauspiel; Baukunst.)
Die Masken, deren sich die Alten in Schauspielen bedient haben, und die bisweilen noch in Balleten gebraucht werden, sind von Pappe, oder einer an- dern leichten Materie gemachte Gesichter, oder ganze hole Köpfe, die man über die natürlichen Gesichter legt, entweder um unerkannt zu bleiben, oder eine beliebige zum Zwek des Schauspieles dienliche Ge- stalt anzunehmen. Es gehört nicht zu unserm Zwek ausführlich von den Masken der Alten zu spre- chen, da ihr Gebrauch völlig abgekommen ist. Wer [Spaltenumbruch]
Mas
darüber nähern Unterricht verlanget, kann Bergers Abhandlung de personis s. larvis, und die von Pic- card nach alten Zeichnungen gestochenen Masken in Daciers Terenz, zurathe ziehen. Gegenwärtig wer- den bisweilen zu den niedrig comischen Balleten noch Masken gebraucht, wo poßirliche Gesichtsbildungen und Carricaturen zum Jnhalt der Stüke nothwen- dig sind. Wenn sie geistreich ausgedacht sind, so thun sie zur Belustigung ihre gute Würkung. Würk- lich überraschend und seltsam sind die Masken, die über den ganzen Leib gehängt werden, wodurch Tän- zer von gewöhnlicher Statur in Zwerge verwandelt werden.
Jn der Baukunst werden Menschenköpfe, die an Schlußsteinen der Bogen ausgehauen werden, von den Jtaliänern Mascaroni, im Deutschen Masken oder Larven genennt. Diese Zierrath hat, wie alle andern Zierrathen der Baukunst ihren Ursprung in der Nachahmung einer alten Gewohnheit. Man findet nämlich, daß bey verschiedenen barbarischen Völkern, wie bey den alten Galliern, diejenigen, welche einen Feind in der Schlacht erlegt, dessen Kopf hernach oben an ihren Hausthüren, als ein Siegeszeichen angenagelt haben. Wie also die Schä- del der Opferthiere in den dorischen Fries aufgenom- men worden, (*) so sind auch die Masken entstan- den, und auf eine ganz ähnliche Weise die Trophäen von eroberten und an den Häusern der Eroberer auf- gehängten Waffen.
Es ist angenehm zu sehen, wie das menschliche Genie zu allen Zeiten und in allen Ländern sich auf eine ähnliche Weise äußert. Alle wesentliche Zier- rathen der griechischen Baukunst sind aus Nachah- mung gewisser, bey den noch rohen Hütten, die äl- ter, als die schöne Baukunst sind, natürlicher Weise vorhandenen Theilen, entstanden. (*) Jch habe in nordischen Seestädten eine gothische Zierrath an al- ten, nach damaliger Art prächtigen Gebäuden gese- hen, die gerade auf eine ähnliche Weise entstanden ist. Die Gebäude sind von gehauenen Sandsteinen aufgeführt, an der Mauer unter den Fenstern sind diese Steine sehr sauber so ausgehauen, daß sie ei- nen von Weiden geflochtenen Zaun vorstellen. Ohne Zweifel haben die nordischen Völker ihre Hütten ehedem so gebaut, daß sie den offenen Raum zwi- schen den dazu aufgerichteten Pfeilern mit einem Zaungeflechte von Weiden ausfüllten. Also hat der longobardische, oder wendische Baumeister seine
Zier-
(*) S. Dorisch.
(*) S. Gebälke.
[Spaltenumbruch]
Maſ Mas
denſchaften bewuͤrkt werden. Das voͤllig Außeror- dentliche aber, das nie zur Regel dienen kann, iſt zu dieſer Abſicht nicht tuͤchtig, und folglich zu ver- werfen. Es giebt in dem menſchlichen Leben Lagen der Sachen, da jederman hoͤchſt begierig wird zu ſe- hen, was fuͤr einen Ausgang die Sachen haben werden. Die Erwartung wird aber nicht befriedi- get, wenn er nicht natuͤrlich iſt, oder nicht durch die in den handelnden Perſonen liegende Kraͤfte be- wuͤrkt wird.
Darum ſollten die Dichter nicht einmal voͤllig zufaͤllige Urſachen, ob ſie gleich hiſtoriſch wahr ſind, zur Bewuͤrkung des Ausganges brauchen; denn ſie erfuͤllen unſre Erwartung eben ſo wenig, als die Maſchienen. Wenn wir eine durch vielerley Un- gluͤksfaͤlle in Armuth gerathene Familie in einer hoͤchſt bedenklichen Lage ſaͤhen, die ſich izt bald ent- wikeln muͤßte; ſo wuͤrden wir in unſrer Erwartung wegen des Ausganges der Sachen uns ſehr betro- gen finden, wenn ſie von ungefehr einen in der Erde verborgen geweſenen Schaz faͤnde, der ſogleich ihrer Verlegenheit ein Ende machte. Ein ſolcher Aus- gang waͤre weder fuͤr die Kenntnis des Menſchen, noch fuͤr den Gebrauch des Lebens lehrreich. Da- rum ſagt Ariſtoteles, der Dichter habe mehr darauf zu ſehen, ob die Sachen wahrſcheinlich, als ob ſie wahr ſeyen.
Aus dieſem Grunde koͤnnen wir auch mancherley Urſachen der Verwiklung und der Aufloͤſung, die wir in alten Comoͤdien finden, dergleichen die mancher- ley Vorfaͤlle ſind, die in der ehemals gewoͤhnlichen Wegſezung neugebohrner Kinder, oder in der Scla- verey ihren Grund hatten, nicht brauchen; weil ſie izt bloße Maſchienen waͤren, da ſie in Athen oder Rom natuͤrlich geweſen.
Masken. (Schauſpiel; Baukunſt.)
Die Masken, deren ſich die Alten in Schauſpielen bedient haben, und die bisweilen noch in Balleten gebraucht werden, ſind von Pappe, oder einer an- dern leichten Materie gemachte Geſichter, oder ganze hole Koͤpfe, die man uͤber die natuͤrlichen Geſichter legt, entweder um unerkannt zu bleiben, oder eine beliebige zum Zwek des Schauſpieles dienliche Ge- ſtalt anzunehmen. Es gehoͤrt nicht zu unſerm Zwek ausfuͤhrlich von den Masken der Alten zu ſpre- chen, da ihr Gebrauch voͤllig abgekommen iſt. Wer [Spaltenumbruch]
Mas
daruͤber naͤhern Unterricht verlanget, kann Bergers Abhandlung de perſonis ſ. larvis, und die von Pic- card nach alten Zeichnungen geſtochenen Masken in Daciers Terenz, zurathe ziehen. Gegenwaͤrtig wer- den bisweilen zu den niedrig comiſchen Balleten noch Masken gebraucht, wo poßirliche Geſichtsbildungen und Carricaturen zum Jnhalt der Stuͤke nothwen- dig ſind. Wenn ſie geiſtreich ausgedacht ſind, ſo thun ſie zur Beluſtigung ihre gute Wuͤrkung. Wuͤrk- lich uͤberraſchend und ſeltſam ſind die Masken, die uͤber den ganzen Leib gehaͤngt werden, wodurch Taͤn- zer von gewoͤhnlicher Statur in Zwerge verwandelt werden.
Jn der Baukunſt werden Menſchenkoͤpfe, die an Schlußſteinen der Bogen ausgehauen werden, von den Jtaliaͤnern Mascaroni, im Deutſchen Masken oder Larven genennt. Dieſe Zierrath hat, wie alle andern Zierrathen der Baukunſt ihren Urſprung in der Nachahmung einer alten Gewohnheit. Man findet naͤmlich, daß bey verſchiedenen barbariſchen Voͤlkern, wie bey den alten Galliern, diejenigen, welche einen Feind in der Schlacht erlegt, deſſen Kopf hernach oben an ihren Hausthuͤren, als ein Siegeszeichen angenagelt haben. Wie alſo die Schaͤ- del der Opferthiere in den doriſchen Fries aufgenom- men worden, (*) ſo ſind auch die Masken entſtan- den, und auf eine ganz aͤhnliche Weiſe die Trophaͤen von eroberten und an den Haͤuſern der Eroberer auf- gehaͤngten Waffen.
Es iſt angenehm zu ſehen, wie das menſchliche Genie zu allen Zeiten und in allen Laͤndern ſich auf eine aͤhnliche Weiſe aͤußert. Alle weſentliche Zier- rathen der griechiſchen Baukunſt ſind aus Nachah- mung gewiſſer, bey den noch rohen Huͤtten, die aͤl- ter, als die ſchoͤne Baukunſt ſind, natuͤrlicher Weiſe vorhandenen Theilen, entſtanden. (*) Jch habe in nordiſchen Seeſtaͤdten eine gothiſche Zierrath an al- ten, nach damaliger Art praͤchtigen Gebaͤuden geſe- hen, die gerade auf eine aͤhnliche Weiſe entſtanden iſt. Die Gebaͤude ſind von gehauenen Sandſteinen aufgefuͤhrt, an der Mauer unter den Fenſtern ſind dieſe Steine ſehr ſauber ſo ausgehauen, daß ſie ei- nen von Weiden geflochtenen Zaun vorſtellen. Ohne Zweifel haben die nordiſchen Voͤlker ihre Huͤtten ehedem ſo gebaut, daß ſie den offenen Raum zwi- ſchen den dazu aufgerichteten Pfeilern mit einem Zaungeflechte von Weiden ausfuͤllten. Alſo hat der longobardiſche, oder wendiſche Baumeiſter ſeine
Zier-
(*) S. Doriſch.
(*) S. Gebaͤlke.
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[745[727]/0162]
Maſ Mas
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denſchaften bewuͤrkt werden. Das voͤllig Außeror-
dentliche aber, das nie zur Regel dienen kann, iſt
zu dieſer Abſicht nicht tuͤchtig, und folglich zu ver-
werfen. Es giebt in dem menſchlichen Leben Lagen
der Sachen, da jederman hoͤchſt begierig wird zu ſe-
hen, was fuͤr einen Ausgang die Sachen haben
werden. Die Erwartung wird aber nicht befriedi-
get, wenn er nicht natuͤrlich iſt, oder nicht durch
die in den handelnden Perſonen liegende Kraͤfte be-
wuͤrkt wird.
Darum ſollten die Dichter nicht einmal voͤllig
zufaͤllige Urſachen, ob ſie gleich hiſtoriſch wahr ſind,
zur Bewuͤrkung des Ausganges brauchen; denn ſie
erfuͤllen unſre Erwartung eben ſo wenig, als die
Maſchienen. Wenn wir eine durch vielerley Un-
gluͤksfaͤlle in Armuth gerathene Familie in einer
hoͤchſt bedenklichen Lage ſaͤhen, die ſich izt bald ent-
wikeln muͤßte; ſo wuͤrden wir in unſrer Erwartung
wegen des Ausganges der Sachen uns ſehr betro-
gen finden, wenn ſie von ungefehr einen in der Erde
verborgen geweſenen Schaz faͤnde, der ſogleich ihrer
Verlegenheit ein Ende machte. Ein ſolcher Aus-
gang waͤre weder fuͤr die Kenntnis des Menſchen,
noch fuͤr den Gebrauch des Lebens lehrreich. Da-
rum ſagt Ariſtoteles, der Dichter habe mehr darauf
zu ſehen, ob die Sachen wahrſcheinlich, als ob ſie
wahr ſeyen.
Aus dieſem Grunde koͤnnen wir auch mancherley
Urſachen der Verwiklung und der Aufloͤſung, die wir
in alten Comoͤdien finden, dergleichen die mancher-
ley Vorfaͤlle ſind, die in der ehemals gewoͤhnlichen
Wegſezung neugebohrner Kinder, oder in der Scla-
verey ihren Grund hatten, nicht brauchen; weil ſie
izt bloße Maſchienen waͤren, da ſie in Athen oder
Rom natuͤrlich geweſen.
Masken.
(Schauſpiel; Baukunſt.)
Die Masken, deren ſich die Alten in Schauſpielen
bedient haben, und die bisweilen noch in Balleten
gebraucht werden, ſind von Pappe, oder einer an-
dern leichten Materie gemachte Geſichter, oder ganze
hole Koͤpfe, die man uͤber die natuͤrlichen Geſichter
legt, entweder um unerkannt zu bleiben, oder eine
beliebige zum Zwek des Schauſpieles dienliche Ge-
ſtalt anzunehmen. Es gehoͤrt nicht zu unſerm
Zwek ausfuͤhrlich von den Masken der Alten zu ſpre-
chen, da ihr Gebrauch voͤllig abgekommen iſt. Wer
daruͤber naͤhern Unterricht verlanget, kann Bergers
Abhandlung de perſonis ſ. larvis, und die von Pic-
card nach alten Zeichnungen geſtochenen Masken in
Daciers Terenz, zurathe ziehen. Gegenwaͤrtig wer-
den bisweilen zu den niedrig comiſchen Balleten noch
Masken gebraucht, wo poßirliche Geſichtsbildungen
und Carricaturen zum Jnhalt der Stuͤke nothwen-
dig ſind. Wenn ſie geiſtreich ausgedacht ſind, ſo
thun ſie zur Beluſtigung ihre gute Wuͤrkung. Wuͤrk-
lich uͤberraſchend und ſeltſam ſind die Masken, die
uͤber den ganzen Leib gehaͤngt werden, wodurch Taͤn-
zer von gewoͤhnlicher Statur in Zwerge verwandelt
werden.
Jn der Baukunſt werden Menſchenkoͤpfe, die an
Schlußſteinen der Bogen ausgehauen werden, von
den Jtaliaͤnern Mascaroni, im Deutſchen Masken
oder Larven genennt. Dieſe Zierrath hat, wie alle
andern Zierrathen der Baukunſt ihren Urſprung in
der Nachahmung einer alten Gewohnheit. Man
findet naͤmlich, daß bey verſchiedenen barbariſchen
Voͤlkern, wie bey den alten Galliern, diejenigen,
welche einen Feind in der Schlacht erlegt, deſſen
Kopf hernach oben an ihren Hausthuͤren, als ein
Siegeszeichen angenagelt haben. Wie alſo die Schaͤ-
del der Opferthiere in den doriſchen Fries aufgenom-
men worden, (*) ſo ſind auch die Masken entſtan-
den, und auf eine ganz aͤhnliche Weiſe die Trophaͤen
von eroberten und an den Haͤuſern der Eroberer auf-
gehaͤngten Waffen.
Es iſt angenehm zu ſehen, wie das menſchliche
Genie zu allen Zeiten und in allen Laͤndern ſich auf
eine aͤhnliche Weiſe aͤußert. Alle weſentliche Zier-
rathen der griechiſchen Baukunſt ſind aus Nachah-
mung gewiſſer, bey den noch rohen Huͤtten, die aͤl-
ter, als die ſchoͤne Baukunſt ſind, natuͤrlicher Weiſe
vorhandenen Theilen, entſtanden. (*) Jch habe in
nordiſchen Seeſtaͤdten eine gothiſche Zierrath an al-
ten, nach damaliger Art praͤchtigen Gebaͤuden geſe-
hen, die gerade auf eine aͤhnliche Weiſe entſtanden
iſt. Die Gebaͤude ſind von gehauenen Sandſteinen
aufgefuͤhrt, an der Mauer unter den Fenſtern ſind
dieſe Steine ſehr ſauber ſo ausgehauen, daß ſie ei-
nen von Weiden geflochtenen Zaun vorſtellen. Ohne
Zweifel haben die nordiſchen Voͤlker ihre Huͤtten
ehedem ſo gebaut, daß ſie den offenen Raum zwi-
ſchen den dazu aufgerichteten Pfeilern mit einem
Zaungeflechte von Weiden ausfuͤllten. Alſo hat der
longobardiſche, oder wendiſche Baumeiſter ſeine
Zier-
(*) S.
Doriſch.
(*) S.
Gebaͤlke.
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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 745[727]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/162>, abgerufen am 24.11.2024.
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