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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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Lou Luf
Loure.
(Musik und Tanzkunst.)

Ein kleines Tonstük zum Tanzen, dessen Ausdruk
Ernst und Würde, auch wol Hoheit ist. Der Takt
ist 3/4 und die Bewegung langsam. Es fängt im Auf-
schlag an nach dieser Art: @ @ @ @ @ , und
besteht aus zwey Theilen, jeder von 8, 12 bis 16
Takten. Man hat zwar Louren in Takt, der
eigentlich als ein Allabreve von 3/4 anzusehen ist.

Um den Einschnitt nach dem ersten punktirten
Viertel jedes Takts im Vortrag fühlbar zu machen,
muß auf der Violin die Achtelnote wie ein Sechs-
zehntheil hinauf, die darauf folgenden zwey Viertel
aber stark herunter gestrichen und besonders das
punktirte Viertel schweer angehalten werden.

Man findet bisweilen bey alten guten Componi-
sten, daß sie, so wol in diesem, als andern Tänzen
im ungeraden Takte zwey Takte in einen zusam-
men ziehen und anstatt: 3/4 @ @ @ @ @ also:
3/4 @ @ @ sezen. Dieses hat seinen guten
Nuzen, weil die meisten Spieler den Fehler bege-
hen, daß sie, wenn eine solche Stelle nach der ersten
Art geschrieben ist, die zweyte gebundene Note be-
sonders andeuten, welches dem wahren Vortrag an
solchen Stellen gerad entgegen ist. Man muß aber
bey solcher Zusammenziehung zweyer Takte sie nicht
für einen einzigen zählen, weil man sonst, wie eim-
gen neueren begegnet ist, im Rhythmus fehlet und
anstatt der acht Takte, neune bekömmt.

Zum Tanzen erfodert die Loure einen hohen An-
stand mit allem ihm zukommenden Reiz verbunden.
Wegen der Langsamkeit der Bewegungen gehört viel
Stärke zu Erhaltung des vollkommenen Gleichge-
wichts. Man sucht die besten Tänzer hiezu aus.
Gar ofte aber machen sie von ihrer Stärke den
Mißbrauch, daß sie schweere, obgleich unnatürliche
Schwebungen der Schenkel aubringen, die blos
eine ungewöhnliche Kraft der Sehnen anzeigen,
sonst aber zum sittlichen Ausdruk nichts beytragen.
Man kann von diesem Tanz anmerken, was von
dem Largo in der Musik gesagt worden; er muß
kurz seyn, sonst wird er, selbst für den Zuschauer,
ermüdend.

Luft.
(Mahlerey.)

Der Landschaftmahler hat in Absicht auf die Luft,
oder den hellen Himmel, zu glüklicher Ausführung
[Spaltenumbruch]

Luf
seiner Arbeit verschiedenes zu beobachten. Je reiner
die Luft ist, je weniger von der Erde aufsteigende
Dünste darin schweben, je dunkler und schöner ist
ihre blaue Farbe; die unsichtbaren Dünste geben der
Farbe der Luft eine Mischung von grau, und wenn
sie in Ueberfluß vorhanden sind, so verwandelt sich
das Himmelblau völlig und wird hellgrau.

Diese unsichtbaren Dünste sind nahe an der Erde
am häufigsten: daraus folget, daß die Farbe des
Himmels vom Scheitelpunkt an, bis an den Hori-
zont durch unmerkliche Grade allmählig geschwächt
und mit grau vermischt wird. Denn die aus der
obern Luft in das Aug fallenden Strahlen, müssen
durch mehr und durch dichtere Dünste dringen, je
näher der Punkt, aus dem sie kommen am Hori-
zont liegt, wovon sich jeder ohne langes Nachden-
ken versichern kann. Doch wird der Beweiß davon
im folgenden Artikel gegeben werden. Darum muß
das Blaue des Himmels in der Landschaft so ge-
mahlt werden, daß es vom höchsten Punkt an, bis
an den Horizont immer etwas heller werde, am
Horizont selbst ist es ofte ganz ausgelöscht und der
Himmel ist hellgrau.

Aus eben diesem Grunde hat Leonh. da Vinci
schon angemerkt, daß ferne Gegenstände, die sich
hoch in die Luft erheben, wie Berge, in der Höhe
heller und weniger duftig müssen gehalten werden,
als tiefer gegen die Erde. Alle weitentfernten Ge-
genstände, die nahe am Horizont sind, erfahren
dieselbe Veränderung, als das Blaue des Himmels;
nachdem die Luft reiner, oder von Dünsten mehr
erfüllt ist, bekommen alle Farben der Gegenstände
am Horizont eine geringere oder stärkere Mischung
des Grauen. Davon wird im nächsten Artikel aus-
führlicher gesprochen werden.

Die Farbe der Luft kann vortheilhaft gebraucht
werden, die Tages- und Jahreszeiten zu bezeichnen.
Des Morgens ist, bey gleich hellem Wetter, die
Farbe der Luft frischer, als am Mittag, und am
Abend ist sie am schwächsten; weil des Morgens die
Luft am wenigsten mit Dünsten angefüllt ist, die
den Tag über beständig von der Erde aufsteigen, folg-
lich am Abend in größter Meng da sind.

So ist im Winter die Luft heiterer und die Farbe
des Himmels schöner, oder härter, als im Sommer;
im Herbst aber ist sie am meisten mit grau vermischt,
und am sanftesten. Darum wird eine Landschaft
am vortheilhaftesten im Herbst gemahlt. Wer an

einem
[Spaltenumbruch]
Lou Luf
Loure.
(Muſik und Tanzkunſt.)

Ein kleines Tonſtuͤk zum Tanzen, deſſen Ausdruk
Ernſt und Wuͤrde, auch wol Hoheit iſt. Der Takt
iſt ¾ und die Bewegung langſam. Es faͤngt im Auf-
ſchlag an nach dieſer Art:   𝄀    𝄀, und
beſteht aus zwey Theilen, jeder von 8, 12 bis 16
Takten. Man hat zwar Louren in Takt, der
eigentlich als ein Allabreve von ¾ anzuſehen iſt.

Um den Einſchnitt nach dem erſten punktirten
Viertel jedes Takts im Vortrag fuͤhlbar zu machen,
muß auf der Violin die Achtelnote wie ein Sechs-
zehntheil hinauf, die darauf folgenden zwey Viertel
aber ſtark herunter geſtrichen und beſonders das
punktirte Viertel ſchweer angehalten werden.

Man findet bisweilen bey alten guten Componi-
ſten, daß ſie, ſo wol in dieſem, als andern Taͤnzen
im ungeraden Takte zwey Takte in einen zuſam-
men ziehen und anſtatt: ¾      𝄀 alſo:
¾    𝄀 ſezen. Dieſes hat ſeinen guten
Nuzen, weil die meiſten Spieler den Fehler bege-
hen, daß ſie, wenn eine ſolche Stelle nach der erſten
Art geſchrieben iſt, die zweyte gebundene Note be-
ſonders andeuten, welches dem wahren Vortrag an
ſolchen Stellen gerad entgegen iſt. Man muß aber
bey ſolcher Zuſammenziehung zweyer Takte ſie nicht
fuͤr einen einzigen zaͤhlen, weil man ſonſt, wie eim-
gen neueren begegnet iſt, im Rhythmus fehlet und
anſtatt der acht Takte, neune bekoͤmmt.

Zum Tanzen erfodert die Loure einen hohen An-
ſtand mit allem ihm zukommenden Reiz verbunden.
Wegen der Langſamkeit der Bewegungen gehoͤrt viel
Staͤrke zu Erhaltung des vollkommenen Gleichge-
wichts. Man ſucht die beſten Taͤnzer hiezu aus.
Gar ofte aber machen ſie von ihrer Staͤrke den
Mißbrauch, daß ſie ſchweere, obgleich unnatuͤrliche
Schwebungen der Schenkel aubringen, die blos
eine ungewoͤhnliche Kraft der Sehnen anzeigen,
ſonſt aber zum ſittlichen Ausdruk nichts beytragen.
Man kann von dieſem Tanz anmerken, was von
dem Largo in der Muſik geſagt worden; er muß
kurz ſeyn, ſonſt wird er, ſelbſt fuͤr den Zuſchauer,
ermuͤdend.

Luft.
(Mahlerey.)

Der Landſchaftmahler hat in Abſicht auf die Luft,
oder den hellen Himmel, zu gluͤklicher Ausfuͤhrung
[Spaltenumbruch]

Luf
ſeiner Arbeit verſchiedenes zu beobachten. Je reiner
die Luft iſt, je weniger von der Erde aufſteigende
Duͤnſte darin ſchweben, je dunkler und ſchoͤner iſt
ihre blaue Farbe; die unſichtbaren Duͤnſte geben der
Farbe der Luft eine Miſchung von grau, und wenn
ſie in Ueberfluß vorhanden ſind, ſo verwandelt ſich
das Himmelblau voͤllig und wird hellgrau.

Dieſe unſichtbaren Duͤnſte ſind nahe an der Erde
am haͤufigſten: daraus folget, daß die Farbe des
Himmels vom Scheitelpunkt an, bis an den Hori-
zont durch unmerkliche Grade allmaͤhlig geſchwaͤcht
und mit grau vermiſcht wird. Denn die aus der
obern Luft in das Aug fallenden Strahlen, muͤſſen
durch mehr und durch dichtere Duͤnſte dringen, je
naͤher der Punkt, aus dem ſie kommen am Hori-
zont liegt, wovon ſich jeder ohne langes Nachden-
ken verſichern kann. Doch wird der Beweiß davon
im folgenden Artikel gegeben werden. Darum muß
das Blaue des Himmels in der Landſchaft ſo ge-
mahlt werden, daß es vom hoͤchſten Punkt an, bis
an den Horizont immer etwas heller werde, am
Horizont ſelbſt iſt es ofte ganz ausgeloͤſcht und der
Himmel iſt hellgrau.

Aus eben dieſem Grunde hat Leonh. da Vinci
ſchon angemerkt, daß ferne Gegenſtaͤnde, die ſich
hoch in die Luft erheben, wie Berge, in der Hoͤhe
heller und weniger duftig muͤſſen gehalten werden,
als tiefer gegen die Erde. Alle weitentfernten Ge-
genſtaͤnde, die nahe am Horizont ſind, erfahren
dieſelbe Veraͤnderung, als das Blaue des Himmels;
nachdem die Luft reiner, oder von Duͤnſten mehr
erfuͤllt iſt, bekommen alle Farben der Gegenſtaͤnde
am Horizont eine geringere oder ſtaͤrkere Miſchung
des Grauen. Davon wird im naͤchſten Artikel aus-
fuͤhrlicher geſprochen werden.

Die Farbe der Luft kann vortheilhaft gebraucht
werden, die Tages- und Jahreszeiten zu bezeichnen.
Des Morgens iſt, bey gleich hellem Wetter, die
Farbe der Luft friſcher, als am Mittag, und am
Abend iſt ſie am ſchwaͤchſten; weil des Morgens die
Luft am wenigſten mit Duͤnſten angefuͤllt iſt, die
den Tag uͤber beſtaͤndig von der Erde aufſteigen, folg-
lich am Abend in groͤßter Meng da ſind.

So iſt im Winter die Luft heiterer und die Farbe
des Himmels ſchoͤner, oder haͤrter, als im Sommer;
im Herbſt aber iſt ſie am meiſten mit grau vermiſcht,
und am ſanfteſten. Darum wird eine Landſchaft
am vortheilhafteſten im Herbſt gemahlt. Wer an

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[722[704]/0139] Lou Luf Luf Loure. (Muſik und Tanzkunſt.) Ein kleines Tonſtuͤk zum Tanzen, deſſen Ausdruk Ernſt und Wuͤrde, auch wol Hoheit iſt. Der Takt iſt ¾ und die Bewegung langſam. Es faͤngt im Auf- ſchlag an nach dieſer Art:   𝄀    𝄀, und beſteht aus zwey Theilen, jeder von 8, 12 bis 16 Takten. Man hat zwar Louren in [FORMEL] Takt, der eigentlich als ein Allabreve von ¾ anzuſehen iſt. Um den Einſchnitt nach dem erſten punktirten Viertel jedes Takts im Vortrag fuͤhlbar zu machen, muß auf der Violin die Achtelnote wie ein Sechs- zehntheil hinauf, die darauf folgenden zwey Viertel aber ſtark herunter geſtrichen und beſonders das punktirte Viertel ſchweer angehalten werden. Man findet bisweilen bey alten guten Componi- ſten, daß ſie, ſo wol in dieſem, als andern Taͤnzen im ungeraden Takte zwey Takte in einen zuſam- men ziehen und anſtatt: ¾      𝄀 alſo: ¾    𝄀 ſezen. Dieſes hat ſeinen guten Nuzen, weil die meiſten Spieler den Fehler bege- hen, daß ſie, wenn eine ſolche Stelle nach der erſten Art geſchrieben iſt, die zweyte gebundene Note be- ſonders andeuten, welches dem wahren Vortrag an ſolchen Stellen gerad entgegen iſt. Man muß aber bey ſolcher Zuſammenziehung zweyer Takte ſie nicht fuͤr einen einzigen zaͤhlen, weil man ſonſt, wie eim- gen neueren begegnet iſt, im Rhythmus fehlet und anſtatt der acht Takte, neune bekoͤmmt. Zum Tanzen erfodert die Loure einen hohen An- ſtand mit allem ihm zukommenden Reiz verbunden. Wegen der Langſamkeit der Bewegungen gehoͤrt viel Staͤrke zu Erhaltung des vollkommenen Gleichge- wichts. Man ſucht die beſten Taͤnzer hiezu aus. Gar ofte aber machen ſie von ihrer Staͤrke den Mißbrauch, daß ſie ſchweere, obgleich unnatuͤrliche Schwebungen der Schenkel aubringen, die blos eine ungewoͤhnliche Kraft der Sehnen anzeigen, ſonſt aber zum ſittlichen Ausdruk nichts beytragen. Man kann von dieſem Tanz anmerken, was von dem Largo in der Muſik geſagt worden; er muß kurz ſeyn, ſonſt wird er, ſelbſt fuͤr den Zuſchauer, ermuͤdend. Luft. (Mahlerey.) Der Landſchaftmahler hat in Abſicht auf die Luft, oder den hellen Himmel, zu gluͤklicher Ausfuͤhrung ſeiner Arbeit verſchiedenes zu beobachten. Je reiner die Luft iſt, je weniger von der Erde aufſteigende Duͤnſte darin ſchweben, je dunkler und ſchoͤner iſt ihre blaue Farbe; die unſichtbaren Duͤnſte geben der Farbe der Luft eine Miſchung von grau, und wenn ſie in Ueberfluß vorhanden ſind, ſo verwandelt ſich das Himmelblau voͤllig und wird hellgrau. Dieſe unſichtbaren Duͤnſte ſind nahe an der Erde am haͤufigſten: daraus folget, daß die Farbe des Himmels vom Scheitelpunkt an, bis an den Hori- zont durch unmerkliche Grade allmaͤhlig geſchwaͤcht und mit grau vermiſcht wird. Denn die aus der obern Luft in das Aug fallenden Strahlen, muͤſſen durch mehr und durch dichtere Duͤnſte dringen, je naͤher der Punkt, aus dem ſie kommen am Hori- zont liegt, wovon ſich jeder ohne langes Nachden- ken verſichern kann. Doch wird der Beweiß davon im folgenden Artikel gegeben werden. Darum muß das Blaue des Himmels in der Landſchaft ſo ge- mahlt werden, daß es vom hoͤchſten Punkt an, bis an den Horizont immer etwas heller werde, am Horizont ſelbſt iſt es ofte ganz ausgeloͤſcht und der Himmel iſt hellgrau. Aus eben dieſem Grunde hat Leonh. da Vinci ſchon angemerkt, daß ferne Gegenſtaͤnde, die ſich hoch in die Luft erheben, wie Berge, in der Hoͤhe heller und weniger duftig muͤſſen gehalten werden, als tiefer gegen die Erde. Alle weitentfernten Ge- genſtaͤnde, die nahe am Horizont ſind, erfahren dieſelbe Veraͤnderung, als das Blaue des Himmels; nachdem die Luft reiner, oder von Duͤnſten mehr erfuͤllt iſt, bekommen alle Farben der Gegenſtaͤnde am Horizont eine geringere oder ſtaͤrkere Miſchung des Grauen. Davon wird im naͤchſten Artikel aus- fuͤhrlicher geſprochen werden. Die Farbe der Luft kann vortheilhaft gebraucht werden, die Tages- und Jahreszeiten zu bezeichnen. Des Morgens iſt, bey gleich hellem Wetter, die Farbe der Luft friſcher, als am Mittag, und am Abend iſt ſie am ſchwaͤchſten; weil des Morgens die Luft am wenigſten mit Duͤnſten angefuͤllt iſt, die den Tag uͤber beſtaͤndig von der Erde aufſteigen, folg- lich am Abend in groͤßter Meng da ſind. So iſt im Winter die Luft heiterer und die Farbe des Himmels ſchoͤner, oder haͤrter, als im Sommer; im Herbſt aber iſt ſie am meiſten mit grau vermiſcht, und am ſanfteſten. Darum wird eine Landſchaft am vortheilhafteſten im Herbſt gemahlt. Wer an einem

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 722[704]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/139>, abgerufen am 24.11.2024.