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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

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Ans
Zustand zu setzen. Die Einbildungskraft will, wie
alle andre Fähigkeiten, beständig geübet seyn.

Der Ausdruk des Ansehens, den der epische
Dichter in seiner Gewalt haben muß, ist vielleicht,
das schwerste seiner Kunst. Da ihm nicht erlaubt
ist in Beschreibung des Ansehens umständlich zu
seyn, so muß er mit wenig Zügen sehr viel auszu-
drüken wissen.

Dem Redner ist die Kunst sich jede Art des An-
sehens zu geben, von der höchsten Wichtigkeit.
Denn dadurch wird er beredter, als durch die Re-
de selbst. Wir empfehlen dem angehenden Redner
dasjenige fleißig zu erwegen, was über die Wich-
(*) S.
Fassung.
tigkeit der Fassung ist erinnert worden. (*) Er muß
aber so gut, als der Schauspieler, ein Proteus oder
ein Ulysses seyn, der alle Gestalten anzunehmen
weiß. Denn mitten in der Rede, muß er, so ofte
er den Ton oder die Materie ändert, auch das, sich
dazu schikende, Ansehen annehmen.

Ansetzung der Finger.
(Musik.)

Die Art auf den verschiedenen Jnstrumenten der
Musik, auf denen die Töne durch die Ansetzung der
Finger ihre Höhe oder Tiefe bekommen, die Finger
zu brauchen. Auf dem Clavier, der Orgel, der
Violine, der Flöte, Hoboe, ist die Ansetzung
der Finger eine wichtige Sache, so wol um recht
rein, als mit der gehörigen Fertigkeit, zu spielen.

Es ist daher ein sehr nöthiges Stük zu dem rich-
tigen und vollkommenen Spielen, daß man sich die
beste Ansetzung der Finger angewöhne. Jedes Jn-
strument erfodert darin besondere Regeln, die man
nur von den größten Meistern in der Ausübung er-
warten kann. Quanz hat in seiner Anleitung zum
Flötenspielen seine Methode vorgetragen, und Bach
in seiner Anweisung zum Clavierspielen hat das-
selbe in Absicht auf dieses Jnstrument gethan, wozu
lange vor ihm der ehemalige Organist des Königs
(*) L'Art
de toneher
le clave
cin par Mr.
Couperin.
a Paris

1717.
von Frankreich Couperin ihm vorgearbeitet hat. (*)
Es ist uns unbekannt, ob jemand den Liebhabern
andrer Jnstrumente denselben Dienst geleistet habe
oder nicht.

Anfänger in der Musik haben um so viel sorg-
fältiger darauf zu sehen, sich die beste Ansetzung
der Finger anzugewöhnen, als es sehr schweer ist
die einmal angenommene Art, wenn man sie unbe-
quem findet, wieder abzulegen. Daher diejenigen,
[Spaltenumbruch]

Ans
welche sich zu einer schlechten Ansetzung gewöhnt ha-
ben, selten alle Stüke mit vollkommener Fer-
tigkeit spielen können.

Anstand.
(Redekunst.)

Die Uebereinstimmung der Stellung, der Gebehr-
den und der Stimme des Redners in einer Rede
von gemäßigtem Jnhalt, mit dem Charakter der
Rede. Der Anstand hat blos in dem gemäßigten
Jnhalt statt; denn wo dieser heftig ist, und starke
Leidenschaften zum Grunde hat, daß der Vortrag
feurig wird; da wird der vollkommensten Ueberein-
stimmung des Vortrages mit dem Jnhalt niemals
der Name des Anstandes gegeben. Er bleibet dem
gesetzten Wesen und einer ruhigen Gemüthsfassung
eigen.

Jn einer Rede von ernsthaftem Jnhalt zeiget
sich der Anstand in einer ernsthaften und ruhigen
Stellung, in mäßigen Bewegungen, einer männli-
chen und etwas langsamen Stimme, und einer ge-
raden Kopfstellung und etwas niedergezogenen Au-
genbrahmen. Jst der Jnhalt vergnügt, aber von
gemäßigter Freude; so bestehet der Anstand in einer
mäßig muntern Stellung, in angenehmen und
sanften Bewegungen des Körpers, in einem etwas
mehr aufgerichteten Kopf, offenen und fröhlichen
Bliken und einer angenehmen hellen Stimme. Ue-
berhaupt sind Bescheidenheit, Mäßigung der Stim-
me und aller Bewegungen, die wesentlichsten Stü-
ke des Anstandes: hingegen hebt alles weit getrie-
bene und heftige den Anstand auf. Eine stille Größe,
die uns beständig in einer ruhigen Fassung läßt,
und alle Aufmerksamkeit, ohne die geringste Zer-
streuung, auf das Wesen der Sache heftet, machet
die Vollkommenheit des Anstandes aus.

Daß der Anstand eine große Kraft auf die Ge-
müther der Zuhörer habe, ist eine bekannte Sache,
aber sie wird nicht allemal in genugsame Ueberle-
gung gezogen. Der Mangel desselben vermindert
die Würkung der Rede so sehr, daß er sie bey nahe
ganz auf hebt.

Eines der vornehmsten Mittel, den Anstand im
Reden zu erreichen, ist die Sicherheit des Redners.
Wenn er seine Rede mit der besten Sorgfalt so aus-
gearbeitet hat, daß er sich ihrer versichern kann; so
erwekt dieses ein Zutrauen auf seinen Vortrag:
dieses aber überhebt ihn aller ängstlichen Bestre-

bung,

[Spaltenumbruch]

Anſ
Zuſtand zu ſetzen. Die Einbildungskraft will, wie
alle andre Faͤhigkeiten, beſtaͤndig geuͤbet ſeyn.

Der Ausdruk des Anſehens, den der epiſche
Dichter in ſeiner Gewalt haben muß, iſt vielleicht,
das ſchwerſte ſeiner Kunſt. Da ihm nicht erlaubt
iſt in Beſchreibung des Anſehens umſtaͤndlich zu
ſeyn, ſo muß er mit wenig Zuͤgen ſehr viel auszu-
druͤken wiſſen.

Dem Redner iſt die Kunſt ſich jede Art des An-
ſehens zu geben, von der hoͤchſten Wichtigkeit.
Denn dadurch wird er beredter, als durch die Re-
de ſelbſt. Wir empfehlen dem angehenden Redner
dasjenige fleißig zu erwegen, was uͤber die Wich-
(*) S.
Faſſung.
tigkeit der Faſſung iſt erinnert worden. (*) Er muß
aber ſo gut, als der Schauſpieler, ein Proteus oder
ein Ulyſſes ſeyn, der alle Geſtalten anzunehmen
weiß. Denn mitten in der Rede, muß er, ſo ofte
er den Ton oder die Materie aͤndert, auch das, ſich
dazu ſchikende, Anſehen annehmen.

Anſetzung der Finger.
(Muſik.)

Die Art auf den verſchiedenen Jnſtrumenten der
Muſik, auf denen die Toͤne durch die Anſetzung der
Finger ihre Hoͤhe oder Tiefe bekommen, die Finger
zu brauchen. Auf dem Clavier, der Orgel, der
Violine, der Floͤte, Hoboe, iſt die Anſetzung
der Finger eine wichtige Sache, ſo wol um recht
rein, als mit der gehoͤrigen Fertigkeit, zu ſpielen.

Es iſt daher ein ſehr noͤthiges Stuͤk zu dem rich-
tigen und vollkommenen Spielen, daß man ſich die
beſte Anſetzung der Finger angewoͤhne. Jedes Jn-
ſtrument erfodert darin beſondere Regeln, die man
nur von den groͤßten Meiſtern in der Ausuͤbung er-
warten kann. Quanz hat in ſeiner Anleitung zum
Floͤtenſpielen ſeine Methode vorgetragen, und Bach
in ſeiner Anweiſung zum Clavierſpielen hat daſ-
ſelbe in Abſicht auf dieſes Jnſtrument gethan, wozu
lange vor ihm der ehemalige Organiſt des Koͤnigs
(*) L’Art
de toneher
le clave
cin par Mr.
Couperin.
à Paris

1717.
von Frankreich Couperin ihm vorgearbeitet hat. (*)
Es iſt uns unbekannt, ob jemand den Liebhabern
andrer Jnſtrumente denſelben Dienſt geleiſtet habe
oder nicht.

Anfaͤnger in der Muſik haben um ſo viel ſorg-
faͤltiger darauf zu ſehen, ſich die beſte Anſetzung
der Finger anzugewoͤhnen, als es ſehr ſchweer iſt
die einmal angenommene Art, wenn man ſie unbe-
quem findet, wieder abzulegen. Daher diejenigen,
[Spaltenumbruch]

Anſ
welche ſich zu einer ſchlechten Anſetzung gewoͤhnt ha-
ben, ſelten alle Stuͤke mit vollkommener Fer-
tigkeit ſpielen koͤnnen.

Anſtand.
(Redekunſt.)

Die Uebereinſtimmung der Stellung, der Gebehr-
den und der Stimme des Redners in einer Rede
von gemaͤßigtem Jnhalt, mit dem Charakter der
Rede. Der Anſtand hat blos in dem gemaͤßigten
Jnhalt ſtatt; denn wo dieſer heftig iſt, und ſtarke
Leidenſchaften zum Grunde hat, daß der Vortrag
feurig wird; da wird der vollkommenſten Ueberein-
ſtimmung des Vortrages mit dem Jnhalt niemals
der Name des Anſtandes gegeben. Er bleibet dem
geſetzten Weſen und einer ruhigen Gemuͤthsfaſſung
eigen.

Jn einer Rede von ernſthaftem Jnhalt zeiget
ſich der Anſtand in einer ernſthaften und ruhigen
Stellung, in maͤßigen Bewegungen, einer maͤnnli-
chen und etwas langſamen Stimme, und einer ge-
raden Kopfſtellung und etwas niedergezogenen Au-
genbrahmen. Jſt der Jnhalt vergnuͤgt, aber von
gemaͤßigter Freude; ſo beſtehet der Anſtand in einer
maͤßig muntern Stellung, in angenehmen und
ſanften Bewegungen des Koͤrpers, in einem etwas
mehr aufgerichteten Kopf, offenen und froͤhlichen
Bliken und einer angenehmen hellen Stimme. Ue-
berhaupt ſind Beſcheidenheit, Maͤßigung der Stim-
me und aller Bewegungen, die weſentlichſten Stuͤ-
ke des Anſtandes: hingegen hebt alles weit getrie-
bene und heftige den Anſtand auf. Eine ſtille Groͤße,
die uns beſtaͤndig in einer ruhigen Faſſung laͤßt,
und alle Aufmerkſamkeit, ohne die geringſte Zer-
ſtreuung, auf das Weſen der Sache heftet, machet
die Vollkommenheit des Anſtandes aus.

Daß der Anſtand eine große Kraft auf die Ge-
muͤther der Zuhoͤrer habe, iſt eine bekannte Sache,
aber ſie wird nicht allemal in genugſame Ueberle-
gung gezogen. Der Mangel deſſelben vermindert
die Wuͤrkung der Rede ſo ſehr, daß er ſie bey nahe
ganz auf hebt.

Eines der vornehmſten Mittel, den Anſtand im
Reden zu erreichen, iſt die Sicherheit des Redners.
Wenn er ſeine Rede mit der beſten Sorgfalt ſo aus-
gearbeitet hat, daß er ſich ihrer verſichern kann; ſo
erwekt dieſes ein Zutrauen auf ſeinen Vortrag:
dieſes aber uͤberhebt ihn aller aͤngſtlichen Beſtre-

bung,
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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/83>, abgerufen am 24.11.2024.