Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.[Spaltenumbruch] Gli liche Theorie der Gleichnisse verlangt, der wird inBreitingers critischer Abhandlung von der Natur, den Absichten und dem Gebrauch der Gleichnisse einen reichen Vorrath hiezu dienlicher Anmerkungen fin- den. Von dem Werthe der zum Gleichnis zu wäh- lenden Bilder selbst, und ihren verschiedenen Wür- kungen, wird in dem Artikel Vergleichung das Noth- wendigste vorkommen. Glied. (Schöne Künste.) Ein kleiner unabsonderlicher, aber für sich merkbarer, Vermittelst der Glieder unterscheiden sich die Gli liche Werke gebracht, die Gegenstände des Geschmaksseyn können. Jn der Sprache, in den Gesängen und Tänzen der unwissendesten Völker, sind Glieder von mancherley Art entstanden; denn jeder Mensch fühlt, daß ein Gegenstand, der durchaus einerley ist, die Aufmerksamkeit nicht fest halten, folglich nicht lange gefallen könne. Hieraus läßt sich begreifen, wie aus geschikter Da aus der vollkommenen Zusammenordnung der Die Glieder eines vollkommenen Ganzen müssen man
[Spaltenumbruch] Gli liche Theorie der Gleichniſſe verlangt, der wird inBreitingers critiſcher Abhandlung von der Natur, den Abſichten und dem Gebrauch der Gleichniſſe einen reichen Vorrath hiezu dienlicher Anmerkungen fin- den. Von dem Werthe der zum Gleichnis zu waͤh- lenden Bilder ſelbſt, und ihren verſchiedenen Wuͤr- kungen, wird in dem Artikel Vergleichung das Noth- wendigſte vorkommen. Glied. (Schoͤne Kuͤnſte.) Ein kleiner unabſonderlicher, aber fuͤr ſich merkbarer, Vermittelſt der Glieder unterſcheiden ſich die Gli liche Werke gebracht, die Gegenſtaͤnde des Geſchmaksſeyn koͤnnen. Jn der Sprache, in den Geſaͤngen und Taͤnzen der unwiſſendeſten Voͤlker, ſind Glieder von mancherley Art entſtanden; denn jeder Menſch fuͤhlt, daß ein Gegenſtand, der durchaus einerley iſt, die Aufmerkſamkeit nicht feſt halten, folglich nicht lange gefallen koͤnne. Hieraus laͤßt ſich begreifen, wie aus geſchikter Da aus der vollkommenen Zuſammenordnung der Die Glieder eines vollkommenen Ganzen muͤſſen man
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Wenn aber der<lb/> abgeriſſene Theil fuͤr ſich nichts Vollendetes aus-<lb/> macht, ſo iſt er ein Glied des Ganzen. Von die-<lb/> ſer Art iſt ein Finger, eine Hand, die erſt alsdann<lb/> etwas beſtimmtes ſind, wenn ſie in der Verbindung<lb/> mit dem Ganzen ſtehen. So iſt eine Sylbe ein Glied<lb/> eines Worts; und der Theil der Rede, der keinen<lb/> vollendeten Sinn hat, ſondern nur einen Theil deſſel-<lb/> ben enthaͤlt, iſt ein Glied der Periode. Jn dem Ge-<lb/> ſang iſt eine Periode, die ſich mit einer Cadenz<lb/> ſchließt, ein fuͤr ſich beſtehender Theil, die einzeln<lb/> Tonfuͤße und kleinere Einſchnitte, ſind Glieder deſſel-<lb/> ben. Jm Tanz iſt eine ganze Figur ein Haupttheil,<lb/> einzele Schritte aber ſind die Glieder deſſelben.</p><lb/> <p>Vermittelſt der Glieder unterſcheiden ſich die<lb/> Theile eines Ganzen von einander, und erweken da-<lb/> durch die Empfindung des Mannigfaltigen in <hi rendition="#fr">Einem,</hi><lb/> und der Verhaͤltniſſe der Theile. 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Gli
Gli
liche Theorie der Gleichniſſe verlangt, der wird in
Breitingers critiſcher Abhandlung von der Natur,
den Abſichten und dem Gebrauch der Gleichniſſe einen
reichen Vorrath hiezu dienlicher Anmerkungen fin-
den. Von dem Werthe der zum Gleichnis zu waͤh-
lenden Bilder ſelbſt, und ihren verſchiedenen Wuͤr-
kungen, wird in dem Artikel Vergleichung das Noth-
wendigſte vorkommen.
Glied.
(Schoͤne Kuͤnſte.)
Ein kleiner unabſonderlicher, aber fuͤr ſich merkbarer,
Theil eines Ganzen; oder ein ſolcher Theil, der zwar
durch ſeine eigene Form ſich von andern unterſchei-
det, aber auſſer ſeinem Zuſammenhange mit dem
Ganzen, oder fuͤr ſich, nichts beſtimmtes ausmacht.
Ein Ganzes kann Theile von verſchiedener Art haben.
Denn es koͤnnen einige ſo beſchaffen ſeyn, daß ſie
vom Ganzen abgeriſſen, fuͤr ſich noch ein Ganzes
ausmachen. So iſt ein einzeles Haus ein Theil
einer Stadt, ein Zimmer ein Theil eines Hauſes,
eine Periode ein Theil der Rede. Wenn aber der
abgeriſſene Theil fuͤr ſich nichts Vollendetes aus-
macht, ſo iſt er ein Glied des Ganzen. Von die-
ſer Art iſt ein Finger, eine Hand, die erſt alsdann
etwas beſtimmtes ſind, wenn ſie in der Verbindung
mit dem Ganzen ſtehen. So iſt eine Sylbe ein Glied
eines Worts; und der Theil der Rede, der keinen
vollendeten Sinn hat, ſondern nur einen Theil deſſel-
ben enthaͤlt, iſt ein Glied der Periode. Jn dem Ge-
ſang iſt eine Periode, die ſich mit einer Cadenz
ſchließt, ein fuͤr ſich beſtehender Theil, die einzeln
Tonfuͤße und kleinere Einſchnitte, ſind Glieder deſſel-
ben. Jm Tanz iſt eine ganze Figur ein Haupttheil,
einzele Schritte aber ſind die Glieder deſſelben.
Vermittelſt der Glieder unterſcheiden ſich die
Theile eines Ganzen von einander, und erweken da-
durch die Empfindung des Mannigfaltigen in Einem,
und der Verhaͤltniſſe der Theile. Gegenſtaͤnde, wel-
che die Sinnen und die Phantaſie beſchaͤftigen, koͤn-
nen ohne dieſe Mannigfaltigkeit der Theile und
Glieder nicht gefallen, weil ſie auſſer dem nichts an
ſich haben, das unſre Aufmerkſamkeit reitzen koͤnnte.
Das durchaus Einfoͤrmige, das wie eine gerade Linie
keine wuͤrklichen, ſondern blos eingebildete Theile hat,
kann nicht gefallen. Ein dunkles Gefuͤhl der Noth-
wendigkeit der Glieder in dergleichen Gegenſtaͤnden,
hat ſie ohne Vorſatz und Ueberlegung in alle menſch-
liche Werke gebracht, die Gegenſtaͤnde des Geſchmaks
ſeyn koͤnnen. Jn der Sprache, in den Geſaͤngen
und Taͤnzen der unwiſſendeſten Voͤlker, ſind Glieder
von mancherley Art entſtanden; denn jeder Menſch
fuͤhlt, daß ein Gegenſtand, der durchaus einerley
iſt, die Aufmerkſamkeit nicht feſt halten, folglich
nicht lange gefallen koͤnne.
Hieraus laͤßt ſich begreifen, wie aus geſchikter
Zuſammenfuͤgung groͤßerer und kleinerer Glieder
von verſchiedener Art, in der Sprache, in dem Ge-
ſang, in Bewegung, in koͤrperlichen Formen, ein
wol geordnetes Ganzes entſtehe, in welchem, wie
in dem menſchlichen Koͤrper, Harmonie, Ordnung,
Mannigfaltigkeit und angenehme Verhaͤltniſſe ſtatt
haben. Man muß es als eine Folge dieſer Anmer-
kung anſehen, daß die Alten die Form des menſch-
lichen Koͤrpers, als das vollkommenſte Muſter der
Gebaͤude, angegeben haben; denn ſonſt begreift man
nicht, was fuͤr Gemeinſchaft dieſe beyden Dinge mit
einander haben.
Da aus der vollkommenen Zuſammenordnung der
Glieder des Koͤrpers ein ſo ſchoͤnes Ganzes entſteht,
ſo kann man die Vollkommenheit dieſer Form zum
allgemeinen Muſter aller Schoͤnheit angeben. Die
Harmonie der Sprach und des Geſanges entſteht
aus ihren Gliedern eben ſo, wie die Harmonie der Fi-
gur aus den ihrigen. Aber der Urſprung der Schoͤn-
heit, aus der Harmonie der Glieder, laͤßt ſich un-
endlich leichter empfinden, als beſchreiben. Der,
welcher in allen Arten das Schoͤne der Phantaſie
erreichen will, muß die vollkommene Zuſammenſe-
tzung der menſchlichen Geſtalt aus ihren Gliedern,
die hoͤchſte uns bekannte Schoͤnheit, ſo oft und ſo
gruͤndlich gefuͤhlt haben, daß ſeine Einbildungskraft
durch den allgemeinen darin herrſchenden Geſchmak
geleitet wird. Wenn einer der alten griechiſchen
Meiſter, welche die hoͤchſte Schoͤnheit der Formen
uͤberall erreicht haben, oder wenn Raphael unter
den Neuern, ſeine Empfindungen hieruͤber der Welt
mitgetheilt haͤtten, ſo waͤren wir vielleicht im Stan-
de, die beſte Zuſammenfuͤgung der Glieder zu be-
ſchreiben. Jtzt koͤnnen wir nur wenige Worte uͤber
dieſe geheimnisvolle Materie ſtammeln.
Die Glieder eines vollkommenen Ganzen muͤſſen
von mannigfaltiger Groͤße und von eben ſo mannig-
faltiger Geſtalt ſeyn; ſie muͤſſen von einander un-
terſchieden und doch ſo unzertrennlich an einander
verbunden ſeyn, daß man nirgend kann ſtille ſtehen;
man
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