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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

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Ged
Poesie zur Kunst geworden, bey jedem Gedicht sich
finden sollte, jedoch der Mangel desselben, wenn nur
sonst der Charakter des Gedichts vorhanden ist, es
von den Werken der Dichtkunst nicht ausschließe.

Aber der Vers ist nicht das einzige, was zum
Ton des Gedichts gehöret. Wer in voller Empfin-
dung spricht, sucht Wörter aus, deren Klang ihr ange-
messen ist und sie unterhält: die Freude liebt volle und
leichte Töne, die Traurigkeit gedähnte und eindrin-
gende. Daher wird der poetischen Sprach ein ge-
wisser lebendiger Ausdruk eigen, der an sich, wenn
man auch den Sinn der Worte nicht verstühnde, die
Gemüthslage des Dichters zu erkennen giebt. Die-
sen Ausdruk muß das Gedicht haben, es sey in ge-
bundener oder ungebundener Rede verfaßt.

Noch zeiget sich eine dritte Eigenschaft der poe-
tischen Rede, die wir auch noch zum Ton derselben
rechnen können. Weil der Dichter ganz mit seinem
Gegenstand beschäftiget ist, und nichts anders weder
hört noch sieht, so ist ihm, wie einem Träumenden,
jede Sache ganz gegenwärtig. Er macht zwischen
dem Vergangenen und Zukünftigen, zwischen dem
Gegenwärtigen und Abwesenden keinen Unterschied.
Dieses giebt seiner Rede in Ansehung der Verbin-
dungswörter, in Ansehung der Anordnung und der
grammatischen Zusammensetzung, ein ganz eigenes
Gepräge, das sich besser empfinden als beschreiben
läßt. Anstatt der vergangenen oder zukünftigen
Zeit, braucht der Dichter oft die gegenwärtige.
Bald läßt er die Verbindungswörter weg, bald aber
braucht er andre, die zukünftigen Dinge, als
schon gegenwärtig vorstellen; itzt, anstatt hierauf:
er redet oft in der zweyten Person, wo die gemeine
Rede die dritte braucht. Dergleichen Abweichun-
gen von dem gewöhnlichen Ausdruk, die dem poeti-
schen Ton eigen sind, gehören nothwendig zum Aus-
druk des Gedichts.

Dieses sey von dem Charakter des Gedichts, in
(*) S.
Ton.
Ansehung des Tones der Rede, gesagt. (*)

Zum poetischen Ausdruk aber gehören noch mehr
Dinge, als die nur den Ton betreffen. Die Fi-
guren und Bilder sind eine sehr natürliche Würkung
der dichterischen Laune. Die mehr oder weniger
erhitzte Einbildungskraft des Dichters giebt jedem
Ding ein mehreres Leben und mehr Kraft, als eine
ruhigere oder bedächtlichere Gemüthslage thut. Sei-
ne Hauptvorstellungen drükt der Dichter nie durch
Wörter aus, die der Verstand erst in allgemeine
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Ged
Begriffe zu übersetzen hat. Seine Vorstellungen
sind nicht allgemeine oder abgezogene, sondern ein-
zele Fälle und würklich vorhandene Gegenstände.
Er bekleidet alles mit Materie, und giebt jeder Ma-
terie ihre Farben, ihre Figur, und wo möglich, ihren
Ton und andre fühlbare Eigenschaften. Daher
entstehen die poetischen Farben (*) und die poeti-(*) S.
Farben.

schen Gemählde. Darin besteht, wie du Bos wol
erinnert hat, der Hauptcharakter des Gedichts.
"Diese poetische Sprache, sagt der Kunstrichter, ist
es, die eigentlich den Dichter ausmacht, nicht der
Abschnitt und der Reim. Man kann, wie Horaz
anmerkt, ein Dichter in ungebundener, und ein ge-
meiner Redner in Versen seyn - - Dieses ist aber
der wichtigste und schweerste Theil der Dichtkunst,
die Bilder zu erfinden, die das, was man sagen
will, schön mahlen; den eigentlichen Ausdruk, der
den Gedanken ein finnliches Wesen giebt, in seiner
Gewalt zu haben; dieses ists, wozu der Dichter
ein göttliches Feuer nöthig hat, nicht das Reimen --
Nur ein zur Kunst gebohrner Kopf kann seine
Verse durch Dichtung und Bilder beleben" (*). Also(*) Re-
flexions
Critiques
sur la Poe-
sie et sur la
Peinture.
T. I. Sect.
XXXIII.

zeiget uns die Sprache des Dichters überall einen
Menschen, den sein Gegenstand so sehr eingenom-
men hat, daß er alles, was man sich sonst blos vor-
stellt, körperlich vor sich sieht, oder in seinem Ge-
müth, als gegenwärtig fühlt, und eben dieses Sehen
und Fühlen auch in uns zu erweken sucht. Daher
entsteht ganz natürlich die Würkung, daß wir durch
das Gedicht in eben die Empfindungen gesetzt wer-
den, die der Dichter hat. Diese Würkung erfolget,
wenn gleich der Dichter sie nicht gesucht, sondern
blos für sich selbst gedichtet hat.

Bis dahin ist angemerkt worden, wie das Ge-
dicht durch Ton und Ausdruk sich von der gemeinen
Rede unterscheide. Es hat aber auch seine ihm
eigene Behandlung des Stoffs der Rede. Dieses
verdienet eine besondere Betrachtung.

Jedes Gedicht ist eine empfindungsvolle, oder
doch lebhafte launige Rede, die durch einen, dem
Dichter vorschwebenden, Gegenstand veranlaset wor-
den, wobey er nichts anders zur Absicht hat, oder
zu haben scheinet, als das, was er fühlt, zu sagen;
weil sein lebhaftes Gefühl ihm nicht zu schweigen
verstattet. Hier zeigen sich zweyerley Fälle, die den
Jnhalt der Rede bestimmen. Entweder hängt der
Dichter dem Gegenstand allein nach, betrachtet ihn
von allen Seiten, und drükt durch die Rede das aus,

was
J i i 2

[Spaltenumbruch]

Ged
Poeſie zur Kunſt geworden, bey jedem Gedicht ſich
finden ſollte, jedoch der Mangel deſſelben, wenn nur
ſonſt der Charakter des Gedichts vorhanden iſt, es
von den Werken der Dichtkunſt nicht ausſchließe.

Aber der Vers iſt nicht das einzige, was zum
Ton des Gedichts gehoͤret. Wer in voller Empfin-
dung ſpricht, ſucht Woͤrter aus, deren Klang ihr ange-
meſſen iſt und ſie unterhaͤlt: die Freude liebt volle und
leichte Toͤne, die Traurigkeit gedaͤhnte und eindrin-
gende. Daher wird der poetiſchen Sprach ein ge-
wiſſer lebendiger Ausdruk eigen, der an ſich, wenn
man auch den Sinn der Worte nicht verſtuͤhnde, die
Gemuͤthslage des Dichters zu erkennen giebt. Die-
ſen Ausdruk muß das Gedicht haben, es ſey in ge-
bundener oder ungebundener Rede verfaßt.

Noch zeiget ſich eine dritte Eigenſchaft der poe-
tiſchen Rede, die wir auch noch zum Ton derſelben
rechnen koͤnnen. Weil der Dichter ganz mit ſeinem
Gegenſtand beſchaͤftiget iſt, und nichts anders weder
hoͤrt noch ſieht, ſo iſt ihm, wie einem Traͤumenden,
jede Sache ganz gegenwaͤrtig. Er macht zwiſchen
dem Vergangenen und Zukuͤnftigen, zwiſchen dem
Gegenwaͤrtigen und Abweſenden keinen Unterſchied.
Dieſes giebt ſeiner Rede in Anſehung der Verbin-
dungswoͤrter, in Anſehung der Anordnung und der
grammatiſchen Zuſammenſetzung, ein ganz eigenes
Gepraͤge, das ſich beſſer empfinden als beſchreiben
laͤßt. Anſtatt der vergangenen oder zukuͤnftigen
Zeit, braucht der Dichter oft die gegenwaͤrtige.
Bald laͤßt er die Verbindungswoͤrter weg, bald aber
braucht er andre, die zukuͤnftigen Dinge, als
ſchon gegenwaͤrtig vorſtellen; itzt, anſtatt hierauf:
er redet oft in der zweyten Perſon, wo die gemeine
Rede die dritte braucht. Dergleichen Abweichun-
gen von dem gewoͤhnlichen Ausdruk, die dem poeti-
ſchen Ton eigen ſind, gehoͤren nothwendig zum Aus-
druk des Gedichts.

Dieſes ſey von dem Charakter des Gedichts, in
(*) S.
Ton.
Anſehung des Tones der Rede, geſagt. (*)

Zum poetiſchen Ausdruk aber gehoͤren noch mehr
Dinge, als die nur den Ton betreffen. Die Fi-
guren und Bilder ſind eine ſehr natuͤrliche Wuͤrkung
der dichteriſchen Laune. Die mehr oder weniger
erhitzte Einbildungskraft des Dichters giebt jedem
Ding ein mehreres Leben und mehr Kraft, als eine
ruhigere oder bedaͤchtlichere Gemuͤthslage thut. Sei-
ne Hauptvorſtellungen druͤkt der Dichter nie durch
Woͤrter aus, die der Verſtand erſt in allgemeine
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Ged
Begriffe zu uͤberſetzen hat. Seine Vorſtellungen
ſind nicht allgemeine oder abgezogene, ſondern ein-
zele Faͤlle und wuͤrklich vorhandene Gegenſtaͤnde.
Er bekleidet alles mit Materie, und giebt jeder Ma-
terie ihre Farben, ihre Figur, und wo moͤglich, ihren
Ton und andre fuͤhlbare Eigenſchaften. Daher
entſtehen die poetiſchen Farben (*) und die poeti-(*) S.
Farben.

ſchen Gemaͤhlde. Darin beſteht, wie du Bos wol
erinnert hat, der Hauptcharakter des Gedichts.
„Dieſe poetiſche Sprache, ſagt der Kunſtrichter, iſt
es, die eigentlich den Dichter ausmacht, nicht der
Abſchnitt und der Reim. Man kann, wie Horaz
anmerkt, ein Dichter in ungebundener, und ein ge-
meiner Redner in Verſen ſeyn ‒ ‒ Dieſes iſt aber
der wichtigſte und ſchweerſte Theil der Dichtkunſt,
die Bilder zu erfinden, die das, was man ſagen
will, ſchoͤn mahlen; den eigentlichen Ausdruk, der
den Gedanken ein finnliches Weſen giebt, in ſeiner
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ein goͤttliches Feuer noͤthig hat, nicht das Reimen —
Nur ein zur Kunſt gebohrner Kopf kann ſeine
Verſe durch Dichtung und Bilder beleben‟ (*). Alſo(*) Re-
flexions
Critiques
ſur la Poe-
ſie et ſur la
Peinture.
T. I. Sect.
XXXIII.

zeiget uns die Sprache des Dichters uͤberall einen
Menſchen, den ſein Gegenſtand ſo ſehr eingenom-
men hat, daß er alles, was man ſich ſonſt blos vor-
ſtellt, koͤrperlich vor ſich ſieht, oder in ſeinem Ge-
muͤth, als gegenwaͤrtig fuͤhlt, und eben dieſes Sehen
und Fuͤhlen auch in uns zu erweken ſucht. Daher
entſteht ganz natuͤrlich die Wuͤrkung, daß wir durch
das Gedicht in eben die Empfindungen geſetzt wer-
den, die der Dichter hat. Dieſe Wuͤrkung erfolget,
wenn gleich der Dichter ſie nicht geſucht, ſondern
blos fuͤr ſich ſelbſt gedichtet hat.

Bis dahin iſt angemerkt worden, wie das Ge-
dicht durch Ton und Ausdruk ſich von der gemeinen
Rede unterſcheide. Es hat aber auch ſeine ihm
eigene Behandlung des Stoffs der Rede. Dieſes
verdienet eine beſondere Betrachtung.

Jedes Gedicht iſt eine empfindungsvolle, oder
doch lebhafte launige Rede, die durch einen, dem
Dichter vorſchwebenden, Gegenſtand veranlaſet wor-
den, wobey er nichts anders zur Abſicht hat, oder
zu haben ſcheinet, als das, was er fuͤhlt, zu ſagen;
weil ſein lebhaftes Gefuͤhl ihm nicht zu ſchweigen
verſtattet. Hier zeigen ſich zweyerley Faͤlle, die den
Jnhalt der Rede beſtimmen. Entweder haͤngt der
Dichter dem Gegenſtand allein nach, betrachtet ihn
von allen Seiten, und druͤkt durch die Rede das aus,

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[435/0447] Ged Ged Poeſie zur Kunſt geworden, bey jedem Gedicht ſich finden ſollte, jedoch der Mangel deſſelben, wenn nur ſonſt der Charakter des Gedichts vorhanden iſt, es von den Werken der Dichtkunſt nicht ausſchließe. Aber der Vers iſt nicht das einzige, was zum Ton des Gedichts gehoͤret. Wer in voller Empfin- dung ſpricht, ſucht Woͤrter aus, deren Klang ihr ange- meſſen iſt und ſie unterhaͤlt: die Freude liebt volle und leichte Toͤne, die Traurigkeit gedaͤhnte und eindrin- gende. Daher wird der poetiſchen Sprach ein ge- wiſſer lebendiger Ausdruk eigen, der an ſich, wenn man auch den Sinn der Worte nicht verſtuͤhnde, die Gemuͤthslage des Dichters zu erkennen giebt. Die- ſen Ausdruk muß das Gedicht haben, es ſey in ge- bundener oder ungebundener Rede verfaßt. Noch zeiget ſich eine dritte Eigenſchaft der poe- tiſchen Rede, die wir auch noch zum Ton derſelben rechnen koͤnnen. Weil der Dichter ganz mit ſeinem Gegenſtand beſchaͤftiget iſt, und nichts anders weder hoͤrt noch ſieht, ſo iſt ihm, wie einem Traͤumenden, jede Sache ganz gegenwaͤrtig. Er macht zwiſchen dem Vergangenen und Zukuͤnftigen, zwiſchen dem Gegenwaͤrtigen und Abweſenden keinen Unterſchied. Dieſes giebt ſeiner Rede in Anſehung der Verbin- dungswoͤrter, in Anſehung der Anordnung und der grammatiſchen Zuſammenſetzung, ein ganz eigenes Gepraͤge, das ſich beſſer empfinden als beſchreiben laͤßt. Anſtatt der vergangenen oder zukuͤnftigen Zeit, braucht der Dichter oft die gegenwaͤrtige. Bald laͤßt er die Verbindungswoͤrter weg, bald aber braucht er andre, die zukuͤnftigen Dinge, als ſchon gegenwaͤrtig vorſtellen; itzt, anſtatt hierauf: er redet oft in der zweyten Perſon, wo die gemeine Rede die dritte braucht. Dergleichen Abweichun- gen von dem gewoͤhnlichen Ausdruk, die dem poeti- ſchen Ton eigen ſind, gehoͤren nothwendig zum Aus- druk des Gedichts. Dieſes ſey von dem Charakter des Gedichts, in Anſehung des Tones der Rede, geſagt. (*) (*) S. Ton. Zum poetiſchen Ausdruk aber gehoͤren noch mehr Dinge, als die nur den Ton betreffen. Die Fi- guren und Bilder ſind eine ſehr natuͤrliche Wuͤrkung der dichteriſchen Laune. Die mehr oder weniger erhitzte Einbildungskraft des Dichters giebt jedem Ding ein mehreres Leben und mehr Kraft, als eine ruhigere oder bedaͤchtlichere Gemuͤthslage thut. Sei- ne Hauptvorſtellungen druͤkt der Dichter nie durch Woͤrter aus, die der Verſtand erſt in allgemeine Begriffe zu uͤberſetzen hat. Seine Vorſtellungen ſind nicht allgemeine oder abgezogene, ſondern ein- zele Faͤlle und wuͤrklich vorhandene Gegenſtaͤnde. Er bekleidet alles mit Materie, und giebt jeder Ma- terie ihre Farben, ihre Figur, und wo moͤglich, ihren Ton und andre fuͤhlbare Eigenſchaften. Daher entſtehen die poetiſchen Farben (*) und die poeti- ſchen Gemaͤhlde. Darin beſteht, wie du Bos wol erinnert hat, der Hauptcharakter des Gedichts. „Dieſe poetiſche Sprache, ſagt der Kunſtrichter, iſt es, die eigentlich den Dichter ausmacht, nicht der Abſchnitt und der Reim. Man kann, wie Horaz anmerkt, ein Dichter in ungebundener, und ein ge- meiner Redner in Verſen ſeyn ‒ ‒ Dieſes iſt aber der wichtigſte und ſchweerſte Theil der Dichtkunſt, die Bilder zu erfinden, die das, was man ſagen will, ſchoͤn mahlen; den eigentlichen Ausdruk, der den Gedanken ein finnliches Weſen giebt, in ſeiner Gewalt zu haben; dieſes iſts, wozu der Dichter ein goͤttliches Feuer noͤthig hat, nicht das Reimen — Nur ein zur Kunſt gebohrner Kopf kann ſeine Verſe durch Dichtung und Bilder beleben‟ (*). Alſo zeiget uns die Sprache des Dichters uͤberall einen Menſchen, den ſein Gegenſtand ſo ſehr eingenom- men hat, daß er alles, was man ſich ſonſt blos vor- ſtellt, koͤrperlich vor ſich ſieht, oder in ſeinem Ge- muͤth, als gegenwaͤrtig fuͤhlt, und eben dieſes Sehen und Fuͤhlen auch in uns zu erweken ſucht. Daher entſteht ganz natuͤrlich die Wuͤrkung, daß wir durch das Gedicht in eben die Empfindungen geſetzt wer- den, die der Dichter hat. Dieſe Wuͤrkung erfolget, wenn gleich der Dichter ſie nicht geſucht, ſondern blos fuͤr ſich ſelbſt gedichtet hat. (*) S. Farben. (*) Re- flexions Critiques ſur la Poe- ſie et ſur la Peinture. T. I. Sect. XXXIII. Bis dahin iſt angemerkt worden, wie das Ge- dicht durch Ton und Ausdruk ſich von der gemeinen Rede unterſcheide. Es hat aber auch ſeine ihm eigene Behandlung des Stoffs der Rede. Dieſes verdienet eine beſondere Betrachtung. Jedes Gedicht iſt eine empfindungsvolle, oder doch lebhafte launige Rede, die durch einen, dem Dichter vorſchwebenden, Gegenſtand veranlaſet wor- den, wobey er nichts anders zur Abſicht hat, oder zu haben ſcheinet, als das, was er fuͤhlt, zu ſagen; weil ſein lebhaftes Gefuͤhl ihm nicht zu ſchweigen verſtattet. Hier zeigen ſich zweyerley Faͤlle, die den Jnhalt der Rede beſtimmen. Entweder haͤngt der Dichter dem Gegenſtand allein nach, betrachtet ihn von allen Seiten, und druͤkt durch die Rede das aus, was J i i 2

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 435. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/447>, abgerufen am 22.11.2024.