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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

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Geb
allen Seiten etwas herausstehen. Jn der Figur ist
das voderste Brett weggelassen, damit man die Köpfe
der Hauptbalken sehen könne, die von dem über
sie herauslaufenden Brette wären bedekt worden.
Dieses ist also der Ursprung der Gebälke.

Es ist hieraus zu sehen, daß das Gebälk drey
nothwendige oder wesentliche Theile habe. 1. Den
Queerbalken, der die Säulen zusammen verbindet,
und den Hauptbalken zur Unterlage dienet. Er
wird deßwegen im Deutschen der Unterbalken ge-
nennt. 2. Die Hauptbalken, deren Köpfe auf
dem Unterbalken ruhen. Der Raum, den diese
Balkenköpfe, nebst dem dazwischen gelassenen leeren
Raum, an der Voderseite, zwischen dem Unter-
balken und den obersten hervortretenden Brettern ein-
nehmen, wird der Fries genennt, und ist also der
zweyte Haupttheil des Gebälkes. 3. Den dritten
machen die über die Balken hervortretenden Bretter
oder Bohlen aus, die darum, weil sie um das ganze
Gebäude herum einen herausstehenden Kranz ma-
chen, der Kranz genennt werden. Dieses ist also
der Ursprung des Gebälkes, und der Benennung sei-
ner verschiedenen Theile.

Als man hernach in den Gebäuden auf die Schön-
heit zu sehen angefangen, sind diese Theile ver-
schiedentlich verziert worden, und man hat ihnen in
verschiedenen Säulenordnungen ihre besondern Ver-
zierungen und Verhältnisse gegeben. Auch in stei-
nernen Gebäuden, so gar in denen, die würklich
keine Boden oder Deken haben, die von den Säu-
len getragen werden, hat man von außen des Anse-
hens halber die Gebälke beybehalten. Sie dienen
in der That, dem Gebäude oder einer Säulenordnung
von oben seine Begränzung oder Vollendung zu ge-
(*) S.
Ganz.
ben, so wie der Knauff die Säule vollendet (*).
Auch überall, wo Säulen angebracht werden, selbst
da, wo sie würklich nichts tragen, muß nothwendig
ein Gebälk darüber stehen, weil sonst die Säulen als
ganz müßige Theile da stehen würden. Mithin ist
das Gebälk ein wesentlicher Theil jeder Säulen-
ordnung.

Aber auch da, wo so wol die Säulen, als das
Gebälke nur zur Verzierung dienen, wie in den
Gebäuden, da die Säulen halb in die Mauer hin-
eintreten, muß man den Ursprung des Gebälkes nie
aus dem Gesichte verliehren, weil man sonst in ganz
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Geb
ungereimte Fehler fällt, die das Aug' eines Kenners
sehr beleidigen. Man sieht aus diesem Ursprung
daß der Unterbalken seiner Natur nach in gerader
Linie über alle Säulen weglaufen müsse, weil er
einen würklichen Balken vorstellt, der über die
Säulen gelegt ist. Daher denn die Baumeister, so
berühmt sie sonst auch seyn mögen, sehr grob fehlen,
die den Unterbalken durch Verkröpfungen zerbrechen;
so wie die, welche ihn bisweilen zwischen ein Paar
Säulen, um ein Fenster etwas höher machen zu
können, gar weglassen oder ausschneiden, so daß
die Hauptbalken an denselben Stellen keine Unter-
lage zu haben scheinen. Dergleichen Fehler sind an
dem königlichen Schloß in Berlin, das sonst sehr
große architektonische Schönheiten hat, häufig.
Diese Fehler haben die Alten, in der schönen Zeit
der Kunst, nie begangen; alle Gebälke der alten
griechischen Gebäude sind vollständig, und laufen
gerade und ohne alle Brechung über den Säulen
weg. Aber an den Gebäuden, die aus den Zeiten
der späthern römischen Kayser übrig geblieben sind,
findet man die unschiklichen Verkröpfungen der
Gebälke.

Selbst in Gebäuden, die weder Sänlen noch Pfei-
ler haben, ist das Gebälk nothwendig. Man macht
an dem obern Ende der Mauren einen Streifen,
der den Unterbalken vorstellt, und da die Haupt-
balken würklich da aufliegen, so deutet man auch
den Fries an; endlich läßt man auch, so wol zum
Abtrüpfen des Regens von den Dächern, als um
das ganze Gebäude zu begränzen, einen Kranz von
verschiedenen Gliedern herum gehen. Also hat je-
des, auch sonst schlecht gebauete Haus, sein Gebälk,
welches, zumal wenn keine Säulen angebracht sind,
auch blos das Hauptgesims genennt wird.

So ein kleiner Theil des ganzen Gebäudes das
Gebälk ist, so sehr kann es ihm ein gutes Ausehen
geben oder benehmen. Ein niedriges Gebälk mit
wenig hervorstehendem Kranz giebt einem großen
Haus ein gar elendes und mageres Ansehen, als
wenn ein sehr kleiner Kopf auf einem großen Kör-
per säße. Jst aber das Gebälk gar zu groß und
stark, so scheinet es das Gebäude einzudrüken.
Hier kömmt es also vorzüglich auf ein richtiges
Aug an, das die guten Verhältnisse zu treffen ver-
möge. (*) Wir haben also hier noch diese Verhältnisse(*) S.
Ganz

und auch die Verzierung des Gebälkes zu betrachten.

Um
Erster Theil. H h h

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Geb
allen Seiten etwas herausſtehen. Jn der Figur iſt
das voderſte Brett weggelaſſen, damit man die Koͤpfe
der Hauptbalken ſehen koͤnne, die von dem uͤber
ſie herauslaufenden Brette waͤren bedekt worden.
Dieſes iſt alſo der Urſprung der Gebaͤlke.

Es iſt hieraus zu ſehen, daß das Gebaͤlk drey
nothwendige oder weſentliche Theile habe. 1. Den
Queerbalken, der die Saͤulen zuſammen verbindet,
und den Hauptbalken zur Unterlage dienet. Er
wird deßwegen im Deutſchen der Unterbalken ge-
nennt. 2. Die Hauptbalken, deren Koͤpfe auf
dem Unterbalken ruhen. Der Raum, den dieſe
Balkenkoͤpfe, nebſt dem dazwiſchen gelaſſenen leeren
Raum, an der Voderſeite, zwiſchen dem Unter-
balken und den oberſten hervortretenden Brettern ein-
nehmen, wird der Fries genennt, und iſt alſo der
zweyte Haupttheil des Gebaͤlkes. 3. Den dritten
machen die uͤber die Balken hervortretenden Bretter
oder Bohlen aus, die darum, weil ſie um das ganze
Gebaͤude herum einen herausſtehenden Kranz ma-
chen, der Kranz genennt werden. Dieſes iſt alſo
der Urſprung des Gebaͤlkes, und der Benennung ſei-
ner verſchiedenen Theile.

Als man hernach in den Gebaͤuden auf die Schoͤn-
heit zu ſehen angefangen, ſind dieſe Theile ver-
ſchiedentlich verziert worden, und man hat ihnen in
verſchiedenen Saͤulenordnungen ihre beſondern Ver-
zierungen und Verhaͤltniſſe gegeben. Auch in ſtei-
nernen Gebaͤuden, ſo gar in denen, die wuͤrklich
keine Boden oder Deken haben, die von den Saͤu-
len getragen werden, hat man von außen des Anſe-
hens halber die Gebaͤlke beybehalten. Sie dienen
in der That, dem Gebaͤude oder einer Saͤulenordnung
von oben ſeine Begraͤnzung oder Vollendung zu ge-
(*) S.
Ganz.
ben, ſo wie der Knauff die Saͤule vollendet (*).
Auch uͤberall, wo Saͤulen angebracht werden, ſelbſt
da, wo ſie wuͤrklich nichts tragen, muß nothwendig
ein Gebaͤlk daruͤber ſtehen, weil ſonſt die Saͤulen als
ganz muͤßige Theile da ſtehen wuͤrden. Mithin iſt
das Gebaͤlk ein weſentlicher Theil jeder Saͤulen-
ordnung.

Aber auch da, wo ſo wol die Saͤulen, als das
Gebaͤlke nur zur Verzierung dienen, wie in den
Gebaͤuden, da die Saͤulen halb in die Mauer hin-
eintreten, muß man den Urſprung des Gebaͤlkes nie
aus dem Geſichte verliehren, weil man ſonſt in ganz
[Spaltenumbruch]

Geb
ungereimte Fehler faͤllt, die das Aug’ eines Kenners
ſehr beleidigen. Man ſieht aus dieſem Urſprung
daß der Unterbalken ſeiner Natur nach in gerader
Linie uͤber alle Saͤulen weglaufen muͤſſe, weil er
einen wuͤrklichen Balken vorſtellt, der uͤber die
Saͤulen gelegt iſt. Daher denn die Baumeiſter, ſo
beruͤhmt ſie ſonſt auch ſeyn moͤgen, ſehr grob fehlen,
die den Unterbalken durch Verkroͤpfungen zerbrechen;
ſo wie die, welche ihn bisweilen zwiſchen ein Paar
Saͤulen, um ein Fenſter etwas hoͤher machen zu
koͤnnen, gar weglaſſen oder ausſchneiden, ſo daß
die Hauptbalken an denſelben Stellen keine Unter-
lage zu haben ſcheinen. Dergleichen Fehler ſind an
dem koͤniglichen Schloß in Berlin, das ſonſt ſehr
große architektoniſche Schoͤnheiten hat, haͤufig.
Dieſe Fehler haben die Alten, in der ſchoͤnen Zeit
der Kunſt, nie begangen; alle Gebaͤlke der alten
griechiſchen Gebaͤude ſind vollſtaͤndig, und laufen
gerade und ohne alle Brechung uͤber den Saͤulen
weg. Aber an den Gebaͤuden, die aus den Zeiten
der ſpaͤthern roͤmiſchen Kayſer uͤbrig geblieben ſind,
findet man die unſchiklichen Verkroͤpfungen der
Gebaͤlke.

Selbſt in Gebaͤuden, die weder Saͤnlen noch Pfei-
ler haben, iſt das Gebaͤlk nothwendig. Man macht
an dem obern Ende der Mauren einen Streifen,
der den Unterbalken vorſtellt, und da die Haupt-
balken wuͤrklich da aufliegen, ſo deutet man auch
den Fries an; endlich laͤßt man auch, ſo wol zum
Abtruͤpfen des Regens von den Daͤchern, als um
das ganze Gebaͤude zu begraͤnzen, einen Kranz von
verſchiedenen Gliedern herum gehen. Alſo hat je-
des, auch ſonſt ſchlecht gebauete Haus, ſein Gebaͤlk,
welches, zumal wenn keine Saͤulen angebracht ſind,
auch blos das Hauptgeſims genennt wird.

So ein kleiner Theil des ganzen Gebaͤudes das
Gebaͤlk iſt, ſo ſehr kann es ihm ein gutes Auſehen
geben oder benehmen. Ein niedriges Gebaͤlk mit
wenig hervorſtehendem Kranz giebt einem großen
Haus ein gar elendes und mageres Anſehen, als
wenn ein ſehr kleiner Kopf auf einem großen Koͤr-
per ſaͤße. Jſt aber das Gebaͤlk gar zu groß und
ſtark, ſo ſcheinet es das Gebaͤude einzudruͤken.
Hier koͤmmt es alſo vorzuͤglich auf ein richtiges
Aug an, das die guten Verhaͤltniſſe zu treffen ver-
moͤge. (*) Wir haben alſo hier noch dieſe Verhaͤltniſſe(*) S.
Ganz

und auch die Verzierung des Gebaͤlkes zu betrachten.

Um
Erſter Theil. H h h
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[425/0437] Geb Geb allen Seiten etwas herausſtehen. Jn der Figur iſt das voderſte Brett weggelaſſen, damit man die Koͤpfe der Hauptbalken ſehen koͤnne, die von dem uͤber ſie herauslaufenden Brette waͤren bedekt worden. Dieſes iſt alſo der Urſprung der Gebaͤlke. Es iſt hieraus zu ſehen, daß das Gebaͤlk drey nothwendige oder weſentliche Theile habe. 1. Den Queerbalken, der die Saͤulen zuſammen verbindet, und den Hauptbalken zur Unterlage dienet. Er wird deßwegen im Deutſchen der Unterbalken ge- nennt. 2. Die Hauptbalken, deren Koͤpfe auf dem Unterbalken ruhen. Der Raum, den dieſe Balkenkoͤpfe, nebſt dem dazwiſchen gelaſſenen leeren Raum, an der Voderſeite, zwiſchen dem Unter- balken und den oberſten hervortretenden Brettern ein- nehmen, wird der Fries genennt, und iſt alſo der zweyte Haupttheil des Gebaͤlkes. 3. Den dritten machen die uͤber die Balken hervortretenden Bretter oder Bohlen aus, die darum, weil ſie um das ganze Gebaͤude herum einen herausſtehenden Kranz ma- chen, der Kranz genennt werden. Dieſes iſt alſo der Urſprung des Gebaͤlkes, und der Benennung ſei- ner verſchiedenen Theile. Als man hernach in den Gebaͤuden auf die Schoͤn- heit zu ſehen angefangen, ſind dieſe Theile ver- ſchiedentlich verziert worden, und man hat ihnen in verſchiedenen Saͤulenordnungen ihre beſondern Ver- zierungen und Verhaͤltniſſe gegeben. Auch in ſtei- nernen Gebaͤuden, ſo gar in denen, die wuͤrklich keine Boden oder Deken haben, die von den Saͤu- len getragen werden, hat man von außen des Anſe- hens halber die Gebaͤlke beybehalten. Sie dienen in der That, dem Gebaͤude oder einer Saͤulenordnung von oben ſeine Begraͤnzung oder Vollendung zu ge- ben, ſo wie der Knauff die Saͤule vollendet (*). Auch uͤberall, wo Saͤulen angebracht werden, ſelbſt da, wo ſie wuͤrklich nichts tragen, muß nothwendig ein Gebaͤlk daruͤber ſtehen, weil ſonſt die Saͤulen als ganz muͤßige Theile da ſtehen wuͤrden. Mithin iſt das Gebaͤlk ein weſentlicher Theil jeder Saͤulen- ordnung. (*) S. Ganz. Aber auch da, wo ſo wol die Saͤulen, als das Gebaͤlke nur zur Verzierung dienen, wie in den Gebaͤuden, da die Saͤulen halb in die Mauer hin- eintreten, muß man den Urſprung des Gebaͤlkes nie aus dem Geſichte verliehren, weil man ſonſt in ganz ungereimte Fehler faͤllt, die das Aug’ eines Kenners ſehr beleidigen. Man ſieht aus dieſem Urſprung daß der Unterbalken ſeiner Natur nach in gerader Linie uͤber alle Saͤulen weglaufen muͤſſe, weil er einen wuͤrklichen Balken vorſtellt, der uͤber die Saͤulen gelegt iſt. Daher denn die Baumeiſter, ſo beruͤhmt ſie ſonſt auch ſeyn moͤgen, ſehr grob fehlen, die den Unterbalken durch Verkroͤpfungen zerbrechen; ſo wie die, welche ihn bisweilen zwiſchen ein Paar Saͤulen, um ein Fenſter etwas hoͤher machen zu koͤnnen, gar weglaſſen oder ausſchneiden, ſo daß die Hauptbalken an denſelben Stellen keine Unter- lage zu haben ſcheinen. Dergleichen Fehler ſind an dem koͤniglichen Schloß in Berlin, das ſonſt ſehr große architektoniſche Schoͤnheiten hat, haͤufig. Dieſe Fehler haben die Alten, in der ſchoͤnen Zeit der Kunſt, nie begangen; alle Gebaͤlke der alten griechiſchen Gebaͤude ſind vollſtaͤndig, und laufen gerade und ohne alle Brechung uͤber den Saͤulen weg. Aber an den Gebaͤuden, die aus den Zeiten der ſpaͤthern roͤmiſchen Kayſer uͤbrig geblieben ſind, findet man die unſchiklichen Verkroͤpfungen der Gebaͤlke. Selbſt in Gebaͤuden, die weder Saͤnlen noch Pfei- ler haben, iſt das Gebaͤlk nothwendig. Man macht an dem obern Ende der Mauren einen Streifen, der den Unterbalken vorſtellt, und da die Haupt- balken wuͤrklich da aufliegen, ſo deutet man auch den Fries an; endlich laͤßt man auch, ſo wol zum Abtruͤpfen des Regens von den Daͤchern, als um das ganze Gebaͤude zu begraͤnzen, einen Kranz von verſchiedenen Gliedern herum gehen. Alſo hat je- des, auch ſonſt ſchlecht gebauete Haus, ſein Gebaͤlk, welches, zumal wenn keine Saͤulen angebracht ſind, auch blos das Hauptgeſims genennt wird. So ein kleiner Theil des ganzen Gebaͤudes das Gebaͤlk iſt, ſo ſehr kann es ihm ein gutes Auſehen geben oder benehmen. Ein niedriges Gebaͤlk mit wenig hervorſtehendem Kranz giebt einem großen Haus ein gar elendes und mageres Anſehen, als wenn ein ſehr kleiner Kopf auf einem großen Koͤr- per ſaͤße. Jſt aber das Gebaͤlk gar zu groß und ſtark, ſo ſcheinet es das Gebaͤude einzudruͤken. Hier koͤmmt es alſo vorzuͤglich auf ein richtiges Aug an, das die guten Verhaͤltniſſe zu treffen ver- moͤge. (*) Wir haben alſo hier noch dieſe Verhaͤltniſſe und auch die Verzierung des Gebaͤlkes zu betrachten. Um (*) S. Ganz Erſter Theil. H h h

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 425. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/437>, abgerufen am 22.11.2024.