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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

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Gar
oder Regelmäßige und das Wilde, das Helle und
Dunkele, muß in einer angenehmen Abwechslung
in einem Lustgarten vereiniget seyn. Und wenn al-
les Schöne darin zusammengebracht ist, so muß
das Ganze so angeordnet seyn, daß der Plan der
Anordnung nicht leicht gefaßt werde. Hier ist es
weit angenehmer, wenn man gar keinen Plan der
Anordnung entdeket, als wenn er zu bald in die
Augen fällt. Der Gärtner muß beynahe überall
das Gegentheil von dem thun, was der Baumei-
ster thut. Dieser macht alles symmetrisch, nach
Regel und Maaßstab, nach waag- und lothrechten
Linien, und dieses ist gerade das, was der Gärtner
am meisten zu vermeiden hat. Denn da er blos
die Natur in schönen Gegenden nachahmen soll, wo
selten etwas gerades oder vollkommen ebenes ist,
so muß er dieses mit großer Mäßigung und blos
zum Gegensatz des natürlichen brauchen. Von Gär-
ten von lauter geraden und wol geebneten Gängen,
von Heken, die wie Mauren gerade und glatt ge-
schnitten sind; von Parthien die nach Art der
Zimmern und Säle in Gebäuden gemacht, von
Wasserbeken, die wie Spiegel geformt; von Bäu-
men die nach den Formen der Thiere ausge-
schnitten sind, wird ein Liebhaber der Natur nie
etwas halten, wenn sie gleich nach der neuesten
Mode seyn sollten. Er wird dem Besitzer und
Liebhaber eines solchen Gartens aus dem Ho-
raz zurufen.

-- Quae deserta et inhospita tesqua
Credis, amoena vocat mecum qui sentit; et odit

(*) Ep.
1. 14.
Quae tu pulchra putas. (*)

Man ist in keiner Kunst mehr von den wahren
Grundsätzen, auf denen sie beruhet, abgewiechen,
als in dieser. Mancher Eigenthümer oder Gärt-
ner glaubt einen um so viel schönern Garten zu ha-
ben, um so mehr es ihm gelungen ist, die Natur dar-
aus zu verdrängen. Man macht Büsche von dür-
rem Holz, und Fluhren von Corallen. Man sucht,
so viel möglich, wie in einem Gebäude, eine
Hälfte des Gartens der andern ähnlich zu ma-
chen, da die Natur die Eurythmie überall in Land-
schaften vermeidet. Wie mancher natürlich schö-
ner Platz ist nicht mit erstaunlichen Unkosten in
einen unfruchtbaren und langweiligen Platz verwan-
delt worden?

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Gar

Aus einer Beschreibung, die der Engländer
Chambers (*) von den chinesischen Gärten gegeben,(*) Designs
of Chiuese
Buildings
&c. by Mr.
Cambers
Architect
London
mdcclvii

gr. Fol.

erhellet, daß dieses Volk, das sich sonst eben nicht
durch den feinesten Geschmak hervorthut, in dieser
Kunst von andern Völkern verdienet nachgeahmt zu
werden. Wir wollen das merkwürdigste dieser Be-
schreibung hieher setzen; denn der Geschmak der
Chineser verdienet bey Anlegung großer Gärten zur
Richtschuur genommen zu werden.

Die Chineser nehmen bey Anlegung und Verzie-
rung ihrer Gärten die Natur zum Muster, und
ihre Absicht dabey ist, sie in allen ihren schönen Nach-
läßigkeiten nachzuahmen. Zuerst richten sie ihre
Aufmerksamkeit auf die Beschaffenheit des Platzes,
ob er eben oder abhangend ist, und ob er Hügel hat,
ob er in einer offenen oder eingeschlossenen Gegend,
troken oder feucht ist, ob er Quellen und Bäche,
oder Mangel an Wasser habe. Auf alle diese Um-
stände geben sie genau Achtung, und ordnen alles so
an, wie es sich jedesmal für die Natur des Platzes
am besten schiket, zugleich die wenigsten Unkosten
verursachet; wobey sie die Fehler des Landes zu ver-
bergen, und seine Vortheile hervorleuchtend zu ma-
chen suchen.

Da dieses Volk sich wenig aus den Spaziergän-
gen macht, so trift man bey ihm selten solche breite
Alleen und Zugänge an, dergleichen man in den
europäischen Gärten findet. Das ganze Land ist
in mancherley Scenen eingetheilet, und krumme
Gänge, durch Büsche ausgehauen, führen zu ver-
schiedenen Aussichten (*), die das Aug durch ein(*) Points
de vue.

Gebäude oder sonst einen sich auszeichnenden Ge-
genstand auf sich ziehen.

Die Vollkommenheit dieser Gärten besteht in der
Menge, der Schönheit und Mannigfaltigkeit solcher
Scenen. Die chinesischen Gärtner suchen, wie
die europäischen Mahler, die angenehmsten Ge-
genstände einzeln in der Natur auf, und bemühen
sich dieselben so zu vereinigen, daß nicht nur jeder
für sich gut angebracht sey, sondern aus ihrer Ver-
einigung zugleich ein schönes Ganzes entstehe.

Sie unterscheiden dreyerley Arten von Scenen,
die sie lachende, fürchterliche und bezaubernde nen-
nen. Die letzte Art ist die, die wir romantisch
nennen, und die Chineser wissen durch mancherley
Kunstgriffe sie überraschend zu machen. Sie leiten

bis-

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Gar
oder Regelmaͤßige und das Wilde, das Helle und
Dunkele, muß in einer angenehmen Abwechslung
in einem Luſtgarten vereiniget ſeyn. Und wenn al-
les Schoͤne darin zuſammengebracht iſt, ſo muß
das Ganze ſo angeordnet ſeyn, daß der Plan der
Anordnung nicht leicht gefaßt werde. Hier iſt es
weit angenehmer, wenn man gar keinen Plan der
Anordnung entdeket, als wenn er zu bald in die
Augen faͤllt. Der Gaͤrtner muß beynahe uͤberall
das Gegentheil von dem thun, was der Baumei-
ſter thut. Dieſer macht alles ſymmetriſch, nach
Regel und Maaßſtab, nach waag- und lothrechten
Linien, und dieſes iſt gerade das, was der Gaͤrtner
am meiſten zu vermeiden hat. Denn da er blos
die Natur in ſchoͤnen Gegenden nachahmen ſoll, wo
ſelten etwas gerades oder vollkommen ebenes iſt,
ſo muß er dieſes mit großer Maͤßigung und blos
zum Gegenſatz des natuͤrlichen brauchen. Von Gaͤr-
ten von lauter geraden und wol geebneten Gaͤngen,
von Heken, die wie Mauren gerade und glatt ge-
ſchnitten ſind; von Parthien die nach Art der
Zimmern und Saͤle in Gebaͤuden gemacht, von
Waſſerbeken, die wie Spiegel geformt; von Baͤu-
men die nach den Formen der Thiere ausge-
ſchnitten ſind, wird ein Liebhaber der Natur nie
etwas halten, wenn ſie gleich nach der neueſten
Mode ſeyn ſollten. Er wird dem Beſitzer und
Liebhaber eines ſolchen Gartens aus dem Ho-
raz zurufen.

Quæ deſerta et inhoſpita teſqua
Credis, amoena vocat mecum qui ſentit; et odit

(*) Ep.
1. 14.
Quæ tu pulchra putas. (*)

Man iſt in keiner Kunſt mehr von den wahren
Grundſaͤtzen, auf denen ſie beruhet, abgewiechen,
als in dieſer. Mancher Eigenthuͤmer oder Gaͤrt-
ner glaubt einen um ſo viel ſchoͤnern Garten zu ha-
ben, um ſo mehr es ihm gelungen iſt, die Natur dar-
aus zu verdraͤngen. Man macht Buͤſche von duͤr-
rem Holz, und Fluhren von Corallen. Man ſucht,
ſo viel moͤglich, wie in einem Gebaͤude, eine
Haͤlfte des Gartens der andern aͤhnlich zu ma-
chen, da die Natur die Eurythmie uͤberall in Land-
ſchaften vermeidet. Wie mancher natuͤrlich ſchoͤ-
ner Platz iſt nicht mit erſtaunlichen Unkoſten in
einen unfruchtbaren und langweiligen Platz verwan-
delt worden?

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Gar

Aus einer Beſchreibung, die der Englaͤnder
Chambers (*) von den chineſiſchen Gaͤrten gegeben,(*) Deſigns
of Chiueſe
Buildings
&c. by Mr.
Cambers
Architect
London
mdcclvii

gr. Fol.

erhellet, daß dieſes Volk, das ſich ſonſt eben nicht
durch den feineſten Geſchmak hervorthut, in dieſer
Kunſt von andern Voͤlkern verdienet nachgeahmt zu
werden. Wir wollen das merkwuͤrdigſte dieſer Be-
ſchreibung hieher ſetzen; denn der Geſchmak der
Chineſer verdienet bey Anlegung großer Gaͤrten zur
Richtſchuur genommen zu werden.

Die Chineſer nehmen bey Anlegung und Verzie-
rung ihrer Gaͤrten die Natur zum Muſter, und
ihre Abſicht dabey iſt, ſie in allen ihren ſchoͤnen Nach-
laͤßigkeiten nachzuahmen. Zuerſt richten ſie ihre
Aufmerkſamkeit auf die Beſchaffenheit des Platzes,
ob er eben oder abhangend iſt, und ob er Huͤgel hat,
ob er in einer offenen oder eingeſchloſſenen Gegend,
troken oder feucht iſt, ob er Quellen und Baͤche,
oder Mangel an Waſſer habe. Auf alle dieſe Um-
ſtaͤnde geben ſie genau Achtung, und ordnen alles ſo
an, wie es ſich jedesmal fuͤr die Natur des Platzes
am beſten ſchiket, zugleich die wenigſten Unkoſten
verurſachet; wobey ſie die Fehler des Landes zu ver-
bergen, und ſeine Vortheile hervorleuchtend zu ma-
chen ſuchen.

Da dieſes Volk ſich wenig aus den Spaziergaͤn-
gen macht, ſo trift man bey ihm ſelten ſolche breite
Alleen und Zugaͤnge an, dergleichen man in den
europaͤiſchen Gaͤrten findet. Das ganze Land iſt
in mancherley Scenen eingetheilet, und krumme
Gaͤnge, durch Buͤſche ausgehauen, fuͤhren zu ver-
ſchiedenen Ausſichten (*), die das Aug durch ein(*) Points
de vue.

Gebaͤude oder ſonſt einen ſich auszeichnenden Ge-
genſtand auf ſich ziehen.

Die Vollkommenheit dieſer Gaͤrten beſteht in der
Menge, der Schoͤnheit und Mannigfaltigkeit ſolcher
Scenen. Die chineſiſchen Gaͤrtner ſuchen, wie
die europaͤiſchen Mahler, die angenehmſten Ge-
genſtaͤnde einzeln in der Natur auf, und bemuͤhen
ſich dieſelben ſo zu vereinigen, daß nicht nur jeder
fuͤr ſich gut angebracht ſey, ſondern aus ihrer Ver-
einigung zugleich ein ſchoͤnes Ganzes entſtehe.

Sie unterſcheiden dreyerley Arten von Scenen,
die ſie lachende, fuͤrchterliche und bezaubernde nen-
nen. Die letzte Art iſt die, die wir romantiſch
nennen, und die Chineſer wiſſen durch mancherley
Kunſtgriffe ſie uͤberraſchend zu machen. Sie leiten

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[422/0434] Gar Gar oder Regelmaͤßige und das Wilde, das Helle und Dunkele, muß in einer angenehmen Abwechslung in einem Luſtgarten vereiniget ſeyn. Und wenn al- les Schoͤne darin zuſammengebracht iſt, ſo muß das Ganze ſo angeordnet ſeyn, daß der Plan der Anordnung nicht leicht gefaßt werde. Hier iſt es weit angenehmer, wenn man gar keinen Plan der Anordnung entdeket, als wenn er zu bald in die Augen faͤllt. Der Gaͤrtner muß beynahe uͤberall das Gegentheil von dem thun, was der Baumei- ſter thut. Dieſer macht alles ſymmetriſch, nach Regel und Maaßſtab, nach waag- und lothrechten Linien, und dieſes iſt gerade das, was der Gaͤrtner am meiſten zu vermeiden hat. Denn da er blos die Natur in ſchoͤnen Gegenden nachahmen ſoll, wo ſelten etwas gerades oder vollkommen ebenes iſt, ſo muß er dieſes mit großer Maͤßigung und blos zum Gegenſatz des natuͤrlichen brauchen. Von Gaͤr- ten von lauter geraden und wol geebneten Gaͤngen, von Heken, die wie Mauren gerade und glatt ge- ſchnitten ſind; von Parthien die nach Art der Zimmern und Saͤle in Gebaͤuden gemacht, von Waſſerbeken, die wie Spiegel geformt; von Baͤu- men die nach den Formen der Thiere ausge- ſchnitten ſind, wird ein Liebhaber der Natur nie etwas halten, wenn ſie gleich nach der neueſten Mode ſeyn ſollten. Er wird dem Beſitzer und Liebhaber eines ſolchen Gartens aus dem Ho- raz zurufen. — Quæ deſerta et inhoſpita teſqua Credis, amoena vocat mecum qui ſentit; et odit Quæ tu pulchra putas. (*) Man iſt in keiner Kunſt mehr von den wahren Grundſaͤtzen, auf denen ſie beruhet, abgewiechen, als in dieſer. Mancher Eigenthuͤmer oder Gaͤrt- ner glaubt einen um ſo viel ſchoͤnern Garten zu ha- ben, um ſo mehr es ihm gelungen iſt, die Natur dar- aus zu verdraͤngen. Man macht Buͤſche von duͤr- rem Holz, und Fluhren von Corallen. Man ſucht, ſo viel moͤglich, wie in einem Gebaͤude, eine Haͤlfte des Gartens der andern aͤhnlich zu ma- chen, da die Natur die Eurythmie uͤberall in Land- ſchaften vermeidet. Wie mancher natuͤrlich ſchoͤ- ner Platz iſt nicht mit erſtaunlichen Unkoſten in einen unfruchtbaren und langweiligen Platz verwan- delt worden? Aus einer Beſchreibung, die der Englaͤnder Chambers (*) von den chineſiſchen Gaͤrten gegeben, erhellet, daß dieſes Volk, das ſich ſonſt eben nicht durch den feineſten Geſchmak hervorthut, in dieſer Kunſt von andern Voͤlkern verdienet nachgeahmt zu werden. Wir wollen das merkwuͤrdigſte dieſer Be- ſchreibung hieher ſetzen; denn der Geſchmak der Chineſer verdienet bey Anlegung großer Gaͤrten zur Richtſchuur genommen zu werden. (*) Deſigns of Chiueſe Buildings &c. by Mr. Cambers Architect London mdcclvii gr. Fol. Die Chineſer nehmen bey Anlegung und Verzie- rung ihrer Gaͤrten die Natur zum Muſter, und ihre Abſicht dabey iſt, ſie in allen ihren ſchoͤnen Nach- laͤßigkeiten nachzuahmen. Zuerſt richten ſie ihre Aufmerkſamkeit auf die Beſchaffenheit des Platzes, ob er eben oder abhangend iſt, und ob er Huͤgel hat, ob er in einer offenen oder eingeſchloſſenen Gegend, troken oder feucht iſt, ob er Quellen und Baͤche, oder Mangel an Waſſer habe. Auf alle dieſe Um- ſtaͤnde geben ſie genau Achtung, und ordnen alles ſo an, wie es ſich jedesmal fuͤr die Natur des Platzes am beſten ſchiket, zugleich die wenigſten Unkoſten verurſachet; wobey ſie die Fehler des Landes zu ver- bergen, und ſeine Vortheile hervorleuchtend zu ma- chen ſuchen. Da dieſes Volk ſich wenig aus den Spaziergaͤn- gen macht, ſo trift man bey ihm ſelten ſolche breite Alleen und Zugaͤnge an, dergleichen man in den europaͤiſchen Gaͤrten findet. Das ganze Land iſt in mancherley Scenen eingetheilet, und krumme Gaͤnge, durch Buͤſche ausgehauen, fuͤhren zu ver- ſchiedenen Ausſichten (*), die das Aug durch ein Gebaͤude oder ſonſt einen ſich auszeichnenden Ge- genſtand auf ſich ziehen. (*) Points de vue. Die Vollkommenheit dieſer Gaͤrten beſteht in der Menge, der Schoͤnheit und Mannigfaltigkeit ſolcher Scenen. Die chineſiſchen Gaͤrtner ſuchen, wie die europaͤiſchen Mahler, die angenehmſten Ge- genſtaͤnde einzeln in der Natur auf, und bemuͤhen ſich dieſelben ſo zu vereinigen, daß nicht nur jeder fuͤr ſich gut angebracht ſey, ſondern aus ihrer Ver- einigung zugleich ein ſchoͤnes Ganzes entſtehe. Sie unterſcheiden dreyerley Arten von Scenen, die ſie lachende, fuͤrchterliche und bezaubernde nen- nen. Die letzte Art iſt die, die wir romantiſch nennen, und die Chineſer wiſſen durch mancherley Kunſtgriffe ſie uͤberraſchend zu machen. Sie leiten bis-

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 422. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/434>, abgerufen am 22.11.2024.