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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

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Fur
Nachläßigkeit oder schlechtes Betragen selbst zuzie-
het. Für solche Uebel können die Künste nie genug
Furcht erweken. Horaz sagt vom gerechten Mann,
(*) Od. L.
IV.
9.
pejusque leto flagitium timet. (*) Für Schand, La-
ster und einem bösen Gewissen, muß sich jeder
Mensch fürchten. Also müssen Dichter und Red-
ner keine Gelegenheit vorbey gehen lassen, diese so
heilsame Furcht dadurch zu erweken, daß sie würk-
lich fürchterliche Folgen derselben lebhaft vorstellen.
Dadurch erhalten sie, was Aristoteles vom Trauer-
spiel fodert, daß es die Gemüther durch Erwekung
der Leidenschaften, von denselben reinige. Natür-
licher Weise könnte man von Menschen, welche ofte
durch die Beyspiele, die sie in dramatischen Vorstel-
lungen gesehen, in Furcht gesetzt worden, erwarten,
daß sie sich sehr sorgfältig hüten, nicht selbst in die
Fälle zu kommen, die sie der ängstlichen Würkung
der Furcht aussetzen.

Welcher Vater wird sich nicht sorgfältig hüten, all-
zustrenge gegen einen Sohn zu seyn, wenn er an
fremden Beyspielen fürchterliche Folgen der Härte
gesehen hat; und welcher Sohn wird sich nicht auf
das Aeusserste angelegen seyn lassen, seinen Vater
durch eine Folge von bösen Thaten nicht zur Ver-
zweiflung zu bringen, wenn er fürchterliche Folgen
einer solchen Verzweiflung gesehen hat? Wir füh-
ren dieses blos als Winke an, wie die Dichter heil-
same Furcht erweken können. Jhnen liegt ob, die
wichtigsten Vergehungen der Menschen in ihren
fürchterlichsten Folgen zu schildern.

Eine heftige Furcht mit Angst verbunden, schei-
net eine so entsetzliche Leidenschaft zu seyn, daß der,
welcher sie einmal gefühlt hat, den Eindruk davon
nie wieder verlieren sollte. Also ist sie natürlicher
Weise das beste Verwahrungsmittel gegen Verge-
hungen. Deswegen ist das Fürchterliche einer der
wichtigsten Gegenstände der schönen Künste.

Am vorzüglichsten kann es in dem Drama er-
wekt werden, weil die würkliche Vorstellung so wol
der Gefahr, als des in Furcht gesezten Menschen,
der ganzen Sache den höchsten Nachdruk und das
wahre Leben giebt. Hierin sind unter den Alten
Aeschylus, unter den Neuern Shakespear und Cre-
billon vorzüglich glüklich gewesen. Wenn das Dra-
ma gar keinen Nutzen hätte, als daß es unter allen
Werken der Kunst am stärksten die Furcht erweken
kann, so wär es blos dieser Ursache halber eine
höchst schätzbare Erfindung.

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Für Fuß

Die Furcht ist auch eine comische Leidenschaft,
wo sie zur Unzeit aus Kleinmüthigkeit entsteht, oder
aus Zaghaftigkeit übertrieben ist. Sie wird deswegen
oft in der Comödie gebraucht, um den Zaghaften
lächerlich zu machen: und eben dieses Lächerliche
kann den Zuschauer vermögen, sich gegen diese Lei-
denschaft zu waffnen.

Für sich.
(Dramatische Dichtkunst.)

Jn den Auftritten der dramatischen Schauspiele ver-
steht man durch diese Benennung, die Reden und
andre Aeusserungen, die eine handelnde Person zwar
in Gegenwart anderer, aber ihnen unbemerkt und
für sich allein vorbringt. Die Dichter bedienen
sich dessen als eines Mittels, dem Zuschauer einiges
Licht über die Verwiklung der Handlung zu geben,
oder einen Auftritt etwas mehr zu beleben. Allein
da es meistentheils etwas unnatürlich ist, weil
niemand leicht in Gegenwart andrer für sich laut
redet, zumal Sachen, die er den andern zu ver-
schweigen hat, so muß das Für sich mit großer Be-
hutsamkeit angebracht werden. Wenn es etwa
in bloßen Gebehrden besteht, die bisweilen eben so
redend sind, als die Worte, so geht es leichter an,
sie dem andern zu verbergen.

Die alten tragischen Dichter, welche sich am näch-
sten an der Natur gehalten, haben sich derselben
weniger bedienet, als die neuern. Jm Lustspiel hat
Plautus ihren Gebrauch oft übertrieben. Man
sollte sie nirgend anbringen, als wo es die Noth-
wendigkeit schlechterdings erfodert.

Ofte glauben die comischen Dichter, daß sie durch
Anmerkungen, die etwa eine Nebenperson, wie ein
Bedienter, für sich macht, das, was eine Haupt-
person sagt, lächerlich machen können; meisten-
theils aber fallen diese Scenen in das Frostige.

Fuß.
(Baukunst.)

Derjenige Theil eines stehenden Körpers, mit wel-
chem er auf den Grund, der ihn trägt, aufsteht.
Jeder stehende Körper, der das Ansehen eines Gan-
zen
haben soll, muß einen von seinen übrigen Thei-
len unterschiedenen Fuß haben, damit man deutlich
bemerken könne, daß ihm von unten zu nichts fehle,
und daß er ganz sey. Eine Säule, deren Schaft

ohne
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[Spaltenumbruch]

Fur
Nachlaͤßigkeit oder ſchlechtes Betragen ſelbſt zuzie-
het. Fuͤr ſolche Uebel koͤnnen die Kuͤnſte nie genug
Furcht erweken. Horaz ſagt vom gerechten Mann,
(*) Od. L.
IV.
9.
pejuſque leto flagitium timet. (*) Fuͤr Schand, La-
ſter und einem boͤſen Gewiſſen, muß ſich jeder
Menſch fuͤrchten. Alſo muͤſſen Dichter und Red-
ner keine Gelegenheit vorbey gehen laſſen, dieſe ſo
heilſame Furcht dadurch zu erweken, daß ſie wuͤrk-
lich fuͤrchterliche Folgen derſelben lebhaft vorſtellen.
Dadurch erhalten ſie, was Ariſtoteles vom Trauer-
ſpiel fodert, daß es die Gemuͤther durch Erwekung
der Leidenſchaften, von denſelben reinige. Natuͤr-
licher Weiſe koͤnnte man von Menſchen, welche ofte
durch die Beyſpiele, die ſie in dramatiſchen Vorſtel-
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Faͤlle zu kommen, die ſie der aͤngſtlichen Wuͤrkung
der Furcht ausſetzen.

Welcher Vater wird ſich nicht ſorgfaͤltig huͤten, all-
zuſtrenge gegen einen Sohn zu ſeyn, wenn er an
fremden Beyſpielen fuͤrchterliche Folgen der Haͤrte
geſehen hat; und welcher Sohn wird ſich nicht auf
das Aeuſſerſte angelegen ſeyn laſſen, ſeinen Vater
durch eine Folge von boͤſen Thaten nicht zur Ver-
zweiflung zu bringen, wenn er fuͤrchterliche Folgen
einer ſolchen Verzweiflung geſehen hat? Wir fuͤh-
ren dieſes blos als Winke an, wie die Dichter heil-
ſame Furcht erweken koͤnnen. Jhnen liegt ob, die
wichtigſten Vergehungen der Menſchen in ihren
fuͤrchterlichſten Folgen zu ſchildern.

Eine heftige Furcht mit Angſt verbunden, ſchei-
net eine ſo entſetzliche Leidenſchaft zu ſeyn, daß der,
welcher ſie einmal gefuͤhlt hat, den Eindruk davon
nie wieder verlieren ſollte. Alſo iſt ſie natuͤrlicher
Weiſe das beſte Verwahrungsmittel gegen Verge-
hungen. Deswegen iſt das Fuͤrchterliche einer der
wichtigſten Gegenſtaͤnde der ſchoͤnen Kuͤnſte.

Am vorzuͤglichſten kann es in dem Drama er-
wekt werden, weil die wuͤrkliche Vorſtellung ſo wol
der Gefahr, als des in Furcht geſezten Menſchen,
der ganzen Sache den hoͤchſten Nachdruk und das
wahre Leben giebt. Hierin ſind unter den Alten
Aeſchylus, unter den Neuern Shakeſpear und Cre-
billon vorzuͤglich gluͤklich geweſen. Wenn das Dra-
ma gar keinen Nutzen haͤtte, als daß es unter allen
Werken der Kunſt am ſtaͤrkſten die Furcht erweken
kann, ſo waͤr es blos dieſer Urſache halber eine
hoͤchſt ſchaͤtzbare Erfindung.

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Fuͤr Fuß

Die Furcht iſt auch eine comiſche Leidenſchaft,
wo ſie zur Unzeit aus Kleinmuͤthigkeit entſteht, oder
aus Zaghaftigkeit uͤbertrieben iſt. Sie wird deswegen
oft in der Comoͤdie gebraucht, um den Zaghaften
laͤcherlich zu machen: und eben dieſes Laͤcherliche
kann den Zuſchauer vermoͤgen, ſich gegen dieſe Lei-
denſchaft zu waffnen.

Fuͤr ſich.
(Dramatiſche Dichtkunſt.)

Jn den Auftritten der dramatiſchen Schauſpiele ver-
ſteht man durch dieſe Benennung, die Reden und
andre Aeuſſerungen, die eine handelnde Perſon zwar
in Gegenwart anderer, aber ihnen unbemerkt und
fuͤr ſich allein vorbringt. Die Dichter bedienen
ſich deſſen als eines Mittels, dem Zuſchauer einiges
Licht uͤber die Verwiklung der Handlung zu geben,
oder einen Auftritt etwas mehr zu beleben. Allein
da es meiſtentheils etwas unnatuͤrlich iſt, weil
niemand leicht in Gegenwart andrer fuͤr ſich laut
redet, zumal Sachen, die er den andern zu ver-
ſchweigen hat, ſo muß das Fuͤr ſich mit großer Be-
hutſamkeit angebracht werden. Wenn es etwa
in bloßen Gebehrden beſteht, die bisweilen eben ſo
redend ſind, als die Worte, ſo geht es leichter an,
ſie dem andern zu verbergen.

Die alten tragiſchen Dichter, welche ſich am naͤch-
ſten an der Natur gehalten, haben ſich derſelben
weniger bedienet, als die neuern. Jm Luſtſpiel hat
Plautus ihren Gebrauch oft uͤbertrieben. Man
ſollte ſie nirgend anbringen, als wo es die Noth-
wendigkeit ſchlechterdings erfodert.

Ofte glauben die comiſchen Dichter, daß ſie durch
Anmerkungen, die etwa eine Nebenperſon, wie ein
Bedienter, fuͤr ſich macht, das, was eine Haupt-
perſon ſagt, laͤcherlich machen koͤnnen; meiſten-
theils aber fallen dieſe Scenen in das Froſtige.

Fuß.
(Baukunſt.)

Derjenige Theil eines ſtehenden Koͤrpers, mit wel-
chem er auf den Grund, der ihn traͤgt, aufſteht.
Jeder ſtehende Koͤrper, der das Anſehen eines Gan-
zen
haben ſoll, muß einen von ſeinen uͤbrigen Thei-
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bemerken koͤnne, daß ihm von unten zu nichts fehle,
und daß er ganz ſey. Eine Saͤule, deren Schaft

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[413/0425] Fur Fuͤr Fuß Nachlaͤßigkeit oder ſchlechtes Betragen ſelbſt zuzie- het. Fuͤr ſolche Uebel koͤnnen die Kuͤnſte nie genug Furcht erweken. Horaz ſagt vom gerechten Mann, pejuſque leto flagitium timet. (*) Fuͤr Schand, La- ſter und einem boͤſen Gewiſſen, muß ſich jeder Menſch fuͤrchten. Alſo muͤſſen Dichter und Red- ner keine Gelegenheit vorbey gehen laſſen, dieſe ſo heilſame Furcht dadurch zu erweken, daß ſie wuͤrk- lich fuͤrchterliche Folgen derſelben lebhaft vorſtellen. Dadurch erhalten ſie, was Ariſtoteles vom Trauer- ſpiel fodert, daß es die Gemuͤther durch Erwekung der Leidenſchaften, von denſelben reinige. Natuͤr- licher Weiſe koͤnnte man von Menſchen, welche ofte durch die Beyſpiele, die ſie in dramatiſchen Vorſtel- lungen geſehen, in Furcht geſetzt worden, erwarten, daß ſie ſich ſehr ſorgfaͤltig huͤten, nicht ſelbſt in die Faͤlle zu kommen, die ſie der aͤngſtlichen Wuͤrkung der Furcht ausſetzen. (*) Od. L. IV. 9. Welcher Vater wird ſich nicht ſorgfaͤltig huͤten, all- zuſtrenge gegen einen Sohn zu ſeyn, wenn er an fremden Beyſpielen fuͤrchterliche Folgen der Haͤrte geſehen hat; und welcher Sohn wird ſich nicht auf das Aeuſſerſte angelegen ſeyn laſſen, ſeinen Vater durch eine Folge von boͤſen Thaten nicht zur Ver- zweiflung zu bringen, wenn er fuͤrchterliche Folgen einer ſolchen Verzweiflung geſehen hat? Wir fuͤh- ren dieſes blos als Winke an, wie die Dichter heil- ſame Furcht erweken koͤnnen. Jhnen liegt ob, die wichtigſten Vergehungen der Menſchen in ihren fuͤrchterlichſten Folgen zu ſchildern. Eine heftige Furcht mit Angſt verbunden, ſchei- net eine ſo entſetzliche Leidenſchaft zu ſeyn, daß der, welcher ſie einmal gefuͤhlt hat, den Eindruk davon nie wieder verlieren ſollte. Alſo iſt ſie natuͤrlicher Weiſe das beſte Verwahrungsmittel gegen Verge- hungen. Deswegen iſt das Fuͤrchterliche einer der wichtigſten Gegenſtaͤnde der ſchoͤnen Kuͤnſte. Am vorzuͤglichſten kann es in dem Drama er- wekt werden, weil die wuͤrkliche Vorſtellung ſo wol der Gefahr, als des in Furcht geſezten Menſchen, der ganzen Sache den hoͤchſten Nachdruk und das wahre Leben giebt. Hierin ſind unter den Alten Aeſchylus, unter den Neuern Shakeſpear und Cre- billon vorzuͤglich gluͤklich geweſen. Wenn das Dra- ma gar keinen Nutzen haͤtte, als daß es unter allen Werken der Kunſt am ſtaͤrkſten die Furcht erweken kann, ſo waͤr es blos dieſer Urſache halber eine hoͤchſt ſchaͤtzbare Erfindung. Die Furcht iſt auch eine comiſche Leidenſchaft, wo ſie zur Unzeit aus Kleinmuͤthigkeit entſteht, oder aus Zaghaftigkeit uͤbertrieben iſt. Sie wird deswegen oft in der Comoͤdie gebraucht, um den Zaghaften laͤcherlich zu machen: und eben dieſes Laͤcherliche kann den Zuſchauer vermoͤgen, ſich gegen dieſe Lei- denſchaft zu waffnen. Fuͤr ſich. (Dramatiſche Dichtkunſt.) Jn den Auftritten der dramatiſchen Schauſpiele ver- ſteht man durch dieſe Benennung, die Reden und andre Aeuſſerungen, die eine handelnde Perſon zwar in Gegenwart anderer, aber ihnen unbemerkt und fuͤr ſich allein vorbringt. Die Dichter bedienen ſich deſſen als eines Mittels, dem Zuſchauer einiges Licht uͤber die Verwiklung der Handlung zu geben, oder einen Auftritt etwas mehr zu beleben. Allein da es meiſtentheils etwas unnatuͤrlich iſt, weil niemand leicht in Gegenwart andrer fuͤr ſich laut redet, zumal Sachen, die er den andern zu ver- ſchweigen hat, ſo muß das Fuͤr ſich mit großer Be- hutſamkeit angebracht werden. Wenn es etwa in bloßen Gebehrden beſteht, die bisweilen eben ſo redend ſind, als die Worte, ſo geht es leichter an, ſie dem andern zu verbergen. Die alten tragiſchen Dichter, welche ſich am naͤch- ſten an der Natur gehalten, haben ſich derſelben weniger bedienet, als die neuern. Jm Luſtſpiel hat Plautus ihren Gebrauch oft uͤbertrieben. Man ſollte ſie nirgend anbringen, als wo es die Noth- wendigkeit ſchlechterdings erfodert. Ofte glauben die comiſchen Dichter, daß ſie durch Anmerkungen, die etwa eine Nebenperſon, wie ein Bedienter, fuͤr ſich macht, das, was eine Haupt- perſon ſagt, laͤcherlich machen koͤnnen; meiſten- theils aber fallen dieſe Scenen in das Froſtige. Fuß. (Baukunſt.) Derjenige Theil eines ſtehenden Koͤrpers, mit wel- chem er auf den Grund, der ihn traͤgt, aufſteht. Jeder ſtehende Koͤrper, der das Anſehen eines Gan- zen haben ſoll, muß einen von ſeinen uͤbrigen Thei- len unterſchiedenen Fuß haben, damit man deutlich bemerken koͤnne, daß ihm von unten zu nichts fehle, und daß er ganz ſey. Eine Saͤule, deren Schaft ohne F f f 3

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 413. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/425>, abgerufen am 02.05.2024.