Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

Bild:
<< vorherige Seite

[Spaltenumbruch]

All
meine, wichtige Wahrheiten unvergeßlich sollen ein-
geprägt werden. Dieses hat die allegorischen Sprüch-
wörter veranlasset, die alle in diese Gattung gehö-
ren. Hiebey kömmt die Hauptsache auf die Klar-
heit des Bildes an, und daß es zu desto gewisserer
Fassung der Sache von gemeinen Dingen her-
genommen, und mit einigen sehr kurzen aber mei-
sterhaften Zügen gezeichnet sey, wie in diesem
Beyspiele:

Saepius ventis agitatur ingens
Pinus, et celsae graviore casu
Decidunt turres; feriuntque summos

(*) Od.
L. II.
10.
Fulmina montes. (*)

Dergleichen Allegorien dienen aber nur, bekannte
Wahrheiten dem Gedächtnisse einzuprägen. Diese
haben das sinnliche Kleid um so mehr nöthig,
da sie als gemeine und ohne die geringste Anstren-
gung faßliche Vorstellungen, wie sich Winkelmann
sehr artig ausdrükt, wie ein Schiff im Wasser, nur
augenblikliche Spuhren hinterlassen; da hingegen
das, was uns einige Bestrebung des Geistes ge-
kostet hat, sicherer im Gedächtnisse bleibet.

Man kann einen noch höhern Zwek der Allegorie
haben, nämlich die Sache stärker und nachdrükli-
cher zu sagen, zugleich aber ihr auch ein größeres
Licht zu geben. Von dieser Art ist die oben ange-
führte Hallerische Allegorie vom Raupenstand,
und diese von Young. Meine Freuden, o
Philander! sind mit dir verschwunden; dein
letzter Athem löste die Bezauberung auf, und
die entzauberte Erde verlohr alle ihre Herr-
lichkeit.
[Spaltenumbruch] (+) Je genauer man das Bild unter-
sucht, je mehr Leben und Kraft bekommt es, und
je mehr Begriffe, die sich auf das Gegenbild bezie-
hen. Diese Art der Allegorie hat die höchste Kraft;
denn sie verbindet Sinnlichkeit, Nachdruk, Kürze,
Reichthum und Deutlichkeit, und gehört deshalb
zu den höchsten poetischen Schönheiten. Sie hat
bisweilen eine bey nahe beweisende Kraft. Denn
Wahrheiten, deren man sich nicht so wol durch ei-
nen dentlichen Beweis als durch ein schnelles Ue-
berschauen vieler einzelnen Umstände versichern
muß, die also keines würklichen Beweises fähig
find, können durch solche Allegorien die Art des
Beweises bekommen, dessen sie fähig sind. Für
[Spaltenumbruch]

All
diese Gattung der Allegorie ist überhaupt die An-
merkung nicht zu versäumen, die über die beson-
dere Kraft der entfernten Aehnlichkeiten gemacht
worden ist. (*) Denn schon dieses allein giebt ihr(*) S.
Aehnlich-
keit.

eine große Lebhaftigkeit. Die bereits angeführte
angenehme Allegorie von einem kummervollen Le-
ben erhält blos dadurch ihre Schönheit, daß das
Bild eine sehr entfernte, und dennoch sehr richtige
Aehnlichkeit mit dem Gegenbilde hat.

Etwas weniger wichtig ist die Allegorie, die
hauptsächlich die Kürze des Ausdruks zum End-
zwek hat. Von dieser Art ist folgendes:

Contrahes vento nimium secundo
Turgida vela. (*)
(*) Hor.
Od. L. II.

10.

Auch diese von Bodmer:

-- Der Tod war in allen Gestalten vorhanden,
Hieng in der Luft, und wühlt' in der Erd, und stürmte vom
Meer her;
Wo man hin sah, da droht allgegenwärtig sein Antlitz. (*)
(*) Noa-
chide VIII.
Gesang.

Endlich giebt es noch eine Gattung Allegorie,
die man die Geheimnisvolle oder Prophetische nen-
nen möchte, weil viele Weißagungen in selbiger
vorgetragen worden. Sie hält das Mittel zwischen
der leichtern Allegorie und dem Räthsel, und dienet,
dem Votrag eine Feyerlichkeit zu geben. Sie
läßt uns nur etwas von dem Gegenbild merken,
und stellt einen Theil deßelben in heilige Dunkel-
heit. Diese Gattung schikt sich demnach in fey-
erliche und wichtige Handlungen, an denen höhe-
re Wesen Antheil nehmen. Hauptsächlich kann
sie in dem hohen Trauerspiel sehr gute Würkung
thun.

Dieses möchten (außer der Allegorie, die all-
gemeine Begriffe in handelnde Personen verwan-
delt, davon hernach besonders wird gesprochen
werden) die verschiedenen Gattungen der Allego-
rie seyn.

Die Quellen, woraus sie geschöpft wird, sind
die Natur, die Sitten und Gebräuche der Völ-
ker, die Wissenschaften und Künste: das Mittel
aber sie aus diesen Quellen zu schöpfen ist der
Wiz. Wie der menschliche Körper ein Bild der
Seele ist, so ist überhaupt die sichtbare Natur
ein Bild der Geisterwelt; von allem, was in
dieser vorhanden ist, findet sich in jener etwas

ähnli-
(+) Nachtgedanken 1. Nacht.
Mine dy'd with thee Philander! thy last sigh
[Spaltenumbruch] Dissolv'd the charm; the disenchanted Earth
Lost all her Lustre.

[Spaltenumbruch]

All
meine, wichtige Wahrheiten unvergeßlich ſollen ein-
gepraͤgt werden. Dieſes hat die allegoriſchen Spruͤch-
woͤrter veranlaſſet, die alle in dieſe Gattung gehoͤ-
ren. Hiebey koͤmmt die Hauptſache auf die Klar-
heit des Bildes an, und daß es zu deſto gewiſſerer
Faſſung der Sache von gemeinen Dingen her-
genommen, und mit einigen ſehr kurzen aber mei-
ſterhaften Zuͤgen gezeichnet ſey, wie in dieſem
Beyſpiele:

Saepius ventis agitatur ingens
Pinus, et celſae graviore caſu
Decidunt turres; feriuntque ſummos

(*) Od.
L. II.
10.
Fulmina montes. (*)

Dergleichen Allegorien dienen aber nur, bekannte
Wahrheiten dem Gedaͤchtniſſe einzupraͤgen. Dieſe
haben das ſinnliche Kleid um ſo mehr noͤthig,
da ſie als gemeine und ohne die geringſte Anſtren-
gung faßliche Vorſtellungen, wie ſich Winkelmann
ſehr artig ausdruͤkt, wie ein Schiff im Waſſer, nur
augenblikliche Spuhren hinterlaſſen; da hingegen
das, was uns einige Beſtrebung des Geiſtes ge-
koſtet hat, ſicherer im Gedaͤchtniſſe bleibet.

Man kann einen noch hoͤhern Zwek der Allegorie
haben, naͤmlich die Sache ſtaͤrker und nachdruͤkli-
cher zu ſagen, zugleich aber ihr auch ein groͤßeres
Licht zu geben. Von dieſer Art iſt die oben ange-
fuͤhrte Halleriſche Allegorie vom Raupenſtand,
und dieſe von Young. Meine Freuden, o
Philander! ſind mit dir verſchwunden; dein
letzter Athem loͤſte die Bezauberung auf, und
die entzauberte Erde verlohr alle ihre Herr-
lichkeit.
[Spaltenumbruch] (†) Je genauer man das Bild unter-
ſucht, je mehr Leben und Kraft bekommt es, und
je mehr Begriffe, die ſich auf das Gegenbild bezie-
hen. Dieſe Art der Allegorie hat die hoͤchſte Kraft;
denn ſie verbindet Sinnlichkeit, Nachdruk, Kuͤrze,
Reichthum und Deutlichkeit, und gehoͤrt deshalb
zu den hoͤchſten poetiſchen Schoͤnheiten. Sie hat
bisweilen eine bey nahe beweiſende Kraft. Denn
Wahrheiten, deren man ſich nicht ſo wol durch ei-
nen dentlichen Beweis als durch ein ſchnelles Ue-
berſchauen vieler einzelnen Umſtaͤnde verſichern
muß, die alſo keines wuͤrklichen Beweiſes faͤhig
find, koͤnnen durch ſolche Allegorien die Art des
Beweiſes bekommen, deſſen ſie faͤhig ſind. Fuͤr
[Spaltenumbruch]

All
dieſe Gattung der Allegorie iſt uͤberhaupt die An-
merkung nicht zu verſaͤumen, die uͤber die beſon-
dere Kraft der entfernten Aehnlichkeiten gemacht
worden iſt. (*) Denn ſchon dieſes allein giebt ihr(*) S.
Aehnlich-
keit.

eine große Lebhaftigkeit. Die bereits angefuͤhrte
angenehme Allegorie von einem kummervollen Le-
ben erhaͤlt blos dadurch ihre Schoͤnheit, daß das
Bild eine ſehr entfernte, und dennoch ſehr richtige
Aehnlichkeit mit dem Gegenbilde hat.

Etwas weniger wichtig iſt die Allegorie, die
hauptſaͤchlich die Kuͤrze des Ausdruks zum End-
zwek hat. Von dieſer Art iſt folgendes:

Contrahes vento nimium ſecundo
Turgida vela. (*)
(*) Hor.
Od. L. II.

10.

Auch dieſe von Bodmer:

— Der Tod war in allen Geſtalten vorhanden,
Hieng in der Luft, und wuͤhlt’ in der Erd, und ſtuͤrmte vom
Meer her;
Wo man hin ſah, da droht allgegenwaͤrtig ſein Antlitz. (*)
(*) Noa-
chide VIII.
Geſang.

Endlich giebt es noch eine Gattung Allegorie,
die man die Geheimnisvolle oder Prophetiſche nen-
nen moͤchte, weil viele Weißagungen in ſelbiger
vorgetragen worden. Sie haͤlt das Mittel zwiſchen
der leichtern Allegorie und dem Raͤthſel, und dienet,
dem Votrag eine Feyerlichkeit zu geben. Sie
laͤßt uns nur etwas von dem Gegenbild merken,
und ſtellt einen Theil deßelben in heilige Dunkel-
heit. Dieſe Gattung ſchikt ſich demnach in fey-
erliche und wichtige Handlungen, an denen hoͤhe-
re Weſen Antheil nehmen. Hauptſaͤchlich kann
ſie in dem hohen Trauerſpiel ſehr gute Wuͤrkung
thun.

Dieſes moͤchten (außer der Allegorie, die all-
gemeine Begriffe in handelnde Perſonen verwan-
delt, davon hernach beſonders wird geſprochen
werden) die verſchiedenen Gattungen der Allego-
rie ſeyn.

Die Quellen, woraus ſie geſchoͤpft wird, ſind
die Natur, die Sitten und Gebraͤuche der Voͤl-
ker, die Wiſſenſchaften und Kuͤnſte: das Mittel
aber ſie aus dieſen Quellen zu ſchoͤpfen iſt der
Wiz. Wie der menſchliche Koͤrper ein Bild der
Seele iſt, ſo iſt uͤberhaupt die ſichtbare Natur
ein Bild der Geiſterwelt; von allem, was in
dieſer vorhanden iſt, findet ſich in jener etwas

aͤhnli-
(†) Nachtgedanken 1. Nacht.
Mine dy’d with thee Philander! thy laſt ſigh
[Spaltenumbruch] Diſſolv’d the charm; the diſenchanted Earth
Loſt all her Luſtre.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0042" n="30"/><cb/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">All</hi></fw><lb/>
meine, wichtige Wahrheiten unvergeßlich &#x017F;ollen ein-<lb/>
gepra&#x0364;gt werden. Die&#x017F;es hat die allegori&#x017F;chen Spru&#x0364;ch-<lb/>
wo&#x0364;rter veranla&#x017F;&#x017F;et, die alle in die&#x017F;e Gattung geho&#x0364;-<lb/>
ren. Hiebey ko&#x0364;mmt die Haupt&#x017F;ache auf die Klar-<lb/>
heit des Bildes an, und daß es zu de&#x017F;to gewi&#x017F;&#x017F;erer<lb/>
Fa&#x017F;&#x017F;ung der Sache von gemeinen Dingen her-<lb/>
genommen, und mit einigen &#x017F;ehr kurzen aber mei-<lb/>
&#x017F;terhaften Zu&#x0364;gen gezeichnet &#x017F;ey, wie in die&#x017F;em<lb/>
Bey&#x017F;piele:</p><lb/>
          <cit>
            <quote> <hi rendition="#aq">Saepius ventis agitatur ingens<lb/>
Pinus, et cel&#x017F;ae graviore ca&#x017F;u<lb/>
Decidunt turres; feriuntque &#x017F;ummos</hi><lb/>
              <note place="left">(*) <hi rendition="#aq">Od.<lb/>
L. II.</hi> 10.</note> <hi rendition="#et"><hi rendition="#aq">Fulmina montes.</hi> (*)</hi> </quote>
          </cit><lb/>
          <p>Dergleichen Allegorien dienen aber nur, bekannte<lb/>
Wahrheiten dem Geda&#x0364;chtni&#x017F;&#x017F;e einzupra&#x0364;gen. Die&#x017F;e<lb/>
haben das &#x017F;innliche Kleid um &#x017F;o mehr no&#x0364;thig,<lb/>
da &#x017F;ie als gemeine und ohne die gering&#x017F;te An&#x017F;tren-<lb/>
gung faßliche Vor&#x017F;tellungen, wie &#x017F;ich <hi rendition="#fr">Winkelmann</hi><lb/>
&#x017F;ehr artig ausdru&#x0364;kt, wie ein Schiff im Wa&#x017F;&#x017F;er, nur<lb/>
augenblikliche Spuhren hinterla&#x017F;&#x017F;en; da hingegen<lb/>
das, was uns einige Be&#x017F;trebung des Gei&#x017F;tes ge-<lb/>
ko&#x017F;tet hat, &#x017F;icherer im Geda&#x0364;chtni&#x017F;&#x017F;e bleibet.</p><lb/>
          <p>Man kann einen noch ho&#x0364;hern Zwek der Allegorie<lb/>
haben, na&#x0364;mlich die Sache &#x017F;ta&#x0364;rker und nachdru&#x0364;kli-<lb/>
cher zu &#x017F;agen, zugleich aber ihr auch ein gro&#x0364;ßeres<lb/>
Licht zu geben. Von die&#x017F;er Art i&#x017F;t die oben ange-<lb/>
fu&#x0364;hrte Halleri&#x017F;che Allegorie vom <hi rendition="#fr">Raupen&#x017F;tand,</hi><lb/>
und die&#x017F;e von <hi rendition="#fr">Young. Meine Freuden, o<lb/>
Philander! &#x017F;ind mit dir ver&#x017F;chwunden; dein<lb/>
letzter Athem lo&#x0364;&#x017F;te die Bezauberung auf, und<lb/>
die entzauberte Erde verlohr alle ihre Herr-<lb/>
lichkeit.</hi> <cb/>
<note place="foot" n="(&#x2020;)">Nachtgedanken 1. Nacht.<lb/><hi rendition="#aq">Mine dy&#x2019;d with thee Philander! thy la&#x017F;t &#x017F;igh<lb/><cb/>
Di&#x017F;&#x017F;olv&#x2019;d the charm; the di&#x017F;enchanted Earth<lb/>
Lo&#x017F;t all her Lu&#x017F;tre.</hi></note> Je genauer man das Bild unter-<lb/>
&#x017F;ucht, je mehr Leben und Kraft bekommt es, und<lb/>
je mehr Begriffe, die &#x017F;ich auf das Gegenbild bezie-<lb/>
hen. Die&#x017F;e Art der Allegorie hat die ho&#x0364;ch&#x017F;te Kraft;<lb/>
denn &#x017F;ie verbindet Sinnlichkeit, Nachdruk, Ku&#x0364;rze,<lb/>
Reichthum und Deutlichkeit, und geho&#x0364;rt deshalb<lb/>
zu den ho&#x0364;ch&#x017F;ten poeti&#x017F;chen Scho&#x0364;nheiten. Sie hat<lb/>
bisweilen eine bey nahe bewei&#x017F;ende Kraft. Denn<lb/>
Wahrheiten, deren man &#x017F;ich nicht &#x017F;o wol durch ei-<lb/>
nen dentlichen Beweis als durch ein &#x017F;chnelles Ue-<lb/>
ber&#x017F;chauen vieler einzelnen Um&#x017F;ta&#x0364;nde ver&#x017F;ichern<lb/>
muß, die al&#x017F;o keines wu&#x0364;rklichen Bewei&#x017F;es fa&#x0364;hig<lb/>
find, ko&#x0364;nnen durch &#x017F;olche Allegorien die Art des<lb/>
Bewei&#x017F;es bekommen, de&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ie fa&#x0364;hig &#x017F;ind. Fu&#x0364;r<lb/><cb/>
<fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">All</hi></fw><lb/>
die&#x017F;e Gattung der Allegorie i&#x017F;t u&#x0364;berhaupt die An-<lb/>
merkung nicht zu ver&#x017F;a&#x0364;umen, die u&#x0364;ber die be&#x017F;on-<lb/>
dere Kraft der entfernten Aehnlichkeiten gemacht<lb/>
worden i&#x017F;t. (*) Denn &#x017F;chon die&#x017F;es allein giebt ihr<note place="right">(*) S.<lb/>
Aehnlich-<lb/>
keit.</note><lb/>
eine große Lebhaftigkeit. Die bereits angefu&#x0364;hrte<lb/>
angenehme Allegorie von einem kummervollen Le-<lb/>
ben erha&#x0364;lt blos dadurch ihre Scho&#x0364;nheit, daß das<lb/>
Bild eine &#x017F;ehr entfernte, und dennoch &#x017F;ehr richtige<lb/>
Aehnlichkeit mit dem Gegenbilde hat.</p><lb/>
          <p>Etwas weniger wichtig i&#x017F;t die Allegorie, die<lb/>
haupt&#x017F;a&#x0364;chlich die Ku&#x0364;rze des Ausdruks zum End-<lb/>
zwek hat. Von die&#x017F;er Art i&#x017F;t folgendes:</p><lb/>
          <cit>
            <quote> <hi rendition="#aq">Contrahes vento nimium &#x017F;ecundo</hi><lb/> <hi rendition="#et"><hi rendition="#aq">Turgida vela.</hi> (*)</hi> </quote>
          </cit>
          <note place="right">(*) <hi rendition="#aq">Hor.<lb/>
Od. L. II.</hi><lb/>
10.</note><lb/>
          <p>Auch die&#x017F;e von <hi rendition="#fr">Bodmer:</hi></p><lb/>
          <cit>
            <quote>&#x2014; Der Tod war in allen Ge&#x017F;talten vorhanden,<lb/>
Hieng in der Luft, und wu&#x0364;hlt&#x2019; in der Erd, und &#x017F;tu&#x0364;rmte vom<lb/><hi rendition="#et">Meer her;</hi><lb/>
Wo man hin &#x017F;ah, da droht allgegenwa&#x0364;rtig &#x017F;ein Antlitz. (*)</quote>
          </cit>
          <note place="right">(*) Noa-<lb/>
chide <hi rendition="#aq">VIII.</hi><lb/>
Ge&#x017F;ang.</note><lb/>
          <p>Endlich giebt es noch eine Gattung Allegorie,<lb/>
die man die Geheimnisvolle oder Propheti&#x017F;che nen-<lb/>
nen mo&#x0364;chte, weil viele Weißagungen in &#x017F;elbiger<lb/>
vorgetragen worden. Sie ha&#x0364;lt das Mittel zwi&#x017F;chen<lb/>
der leichtern Allegorie und dem Ra&#x0364;th&#x017F;el, und dienet,<lb/>
dem Votrag eine Feyerlichkeit zu geben. Sie<lb/>
la&#x0364;ßt uns nur etwas von dem Gegenbild merken,<lb/>
und &#x017F;tellt einen Theil deßelben in heilige Dunkel-<lb/>
heit. Die&#x017F;e Gattung &#x017F;chikt &#x017F;ich demnach in fey-<lb/>
erliche und wichtige Handlungen, an denen ho&#x0364;he-<lb/>
re We&#x017F;en Antheil nehmen. Haupt&#x017F;a&#x0364;chlich kann<lb/>
&#x017F;ie in dem hohen Trauer&#x017F;piel &#x017F;ehr gute Wu&#x0364;rkung<lb/>
thun.</p><lb/>
          <p>Die&#x017F;es mo&#x0364;chten (außer der Allegorie, die all-<lb/>
gemeine Begriffe in handelnde Per&#x017F;onen verwan-<lb/>
delt, davon hernach be&#x017F;onders wird ge&#x017F;prochen<lb/>
werden) die ver&#x017F;chiedenen Gattungen der Allego-<lb/>
rie &#x017F;eyn.</p><lb/>
          <p>Die Quellen, woraus &#x017F;ie ge&#x017F;cho&#x0364;pft wird, &#x017F;ind<lb/>
die Natur, die Sitten und Gebra&#x0364;uche der Vo&#x0364;l-<lb/>
ker, die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften und Ku&#x0364;n&#x017F;te: das Mittel<lb/>
aber &#x017F;ie aus die&#x017F;en Quellen zu &#x017F;cho&#x0364;pfen i&#x017F;t der<lb/>
Wiz. Wie der men&#x017F;chliche Ko&#x0364;rper ein Bild der<lb/>
Seele i&#x017F;t, &#x017F;o i&#x017F;t u&#x0364;berhaupt die &#x017F;ichtbare Natur<lb/>
ein Bild der Gei&#x017F;terwelt; von allem, was in<lb/>
die&#x017F;er vorhanden i&#x017F;t, findet &#x017F;ich in jener etwas<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">a&#x0364;hnli-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[30/0042] All All meine, wichtige Wahrheiten unvergeßlich ſollen ein- gepraͤgt werden. Dieſes hat die allegoriſchen Spruͤch- woͤrter veranlaſſet, die alle in dieſe Gattung gehoͤ- ren. Hiebey koͤmmt die Hauptſache auf die Klar- heit des Bildes an, und daß es zu deſto gewiſſerer Faſſung der Sache von gemeinen Dingen her- genommen, und mit einigen ſehr kurzen aber mei- ſterhaften Zuͤgen gezeichnet ſey, wie in dieſem Beyſpiele: Saepius ventis agitatur ingens Pinus, et celſae graviore caſu Decidunt turres; feriuntque ſummos Fulmina montes. (*) Dergleichen Allegorien dienen aber nur, bekannte Wahrheiten dem Gedaͤchtniſſe einzupraͤgen. Dieſe haben das ſinnliche Kleid um ſo mehr noͤthig, da ſie als gemeine und ohne die geringſte Anſtren- gung faßliche Vorſtellungen, wie ſich Winkelmann ſehr artig ausdruͤkt, wie ein Schiff im Waſſer, nur augenblikliche Spuhren hinterlaſſen; da hingegen das, was uns einige Beſtrebung des Geiſtes ge- koſtet hat, ſicherer im Gedaͤchtniſſe bleibet. Man kann einen noch hoͤhern Zwek der Allegorie haben, naͤmlich die Sache ſtaͤrker und nachdruͤkli- cher zu ſagen, zugleich aber ihr auch ein groͤßeres Licht zu geben. Von dieſer Art iſt die oben ange- fuͤhrte Halleriſche Allegorie vom Raupenſtand, und dieſe von Young. Meine Freuden, o Philander! ſind mit dir verſchwunden; dein letzter Athem loͤſte die Bezauberung auf, und die entzauberte Erde verlohr alle ihre Herr- lichkeit. (†) Je genauer man das Bild unter- ſucht, je mehr Leben und Kraft bekommt es, und je mehr Begriffe, die ſich auf das Gegenbild bezie- hen. Dieſe Art der Allegorie hat die hoͤchſte Kraft; denn ſie verbindet Sinnlichkeit, Nachdruk, Kuͤrze, Reichthum und Deutlichkeit, und gehoͤrt deshalb zu den hoͤchſten poetiſchen Schoͤnheiten. Sie hat bisweilen eine bey nahe beweiſende Kraft. Denn Wahrheiten, deren man ſich nicht ſo wol durch ei- nen dentlichen Beweis als durch ein ſchnelles Ue- berſchauen vieler einzelnen Umſtaͤnde verſichern muß, die alſo keines wuͤrklichen Beweiſes faͤhig find, koͤnnen durch ſolche Allegorien die Art des Beweiſes bekommen, deſſen ſie faͤhig ſind. Fuͤr dieſe Gattung der Allegorie iſt uͤberhaupt die An- merkung nicht zu verſaͤumen, die uͤber die beſon- dere Kraft der entfernten Aehnlichkeiten gemacht worden iſt. (*) Denn ſchon dieſes allein giebt ihr eine große Lebhaftigkeit. Die bereits angefuͤhrte angenehme Allegorie von einem kummervollen Le- ben erhaͤlt blos dadurch ihre Schoͤnheit, daß das Bild eine ſehr entfernte, und dennoch ſehr richtige Aehnlichkeit mit dem Gegenbilde hat. (*) S. Aehnlich- keit. Etwas weniger wichtig iſt die Allegorie, die hauptſaͤchlich die Kuͤrze des Ausdruks zum End- zwek hat. Von dieſer Art iſt folgendes: Contrahes vento nimium ſecundo Turgida vela. (*) Auch dieſe von Bodmer: — Der Tod war in allen Geſtalten vorhanden, Hieng in der Luft, und wuͤhlt’ in der Erd, und ſtuͤrmte vom Meer her; Wo man hin ſah, da droht allgegenwaͤrtig ſein Antlitz. (*) Endlich giebt es noch eine Gattung Allegorie, die man die Geheimnisvolle oder Prophetiſche nen- nen moͤchte, weil viele Weißagungen in ſelbiger vorgetragen worden. Sie haͤlt das Mittel zwiſchen der leichtern Allegorie und dem Raͤthſel, und dienet, dem Votrag eine Feyerlichkeit zu geben. Sie laͤßt uns nur etwas von dem Gegenbild merken, und ſtellt einen Theil deßelben in heilige Dunkel- heit. Dieſe Gattung ſchikt ſich demnach in fey- erliche und wichtige Handlungen, an denen hoͤhe- re Weſen Antheil nehmen. Hauptſaͤchlich kann ſie in dem hohen Trauerſpiel ſehr gute Wuͤrkung thun. Dieſes moͤchten (außer der Allegorie, die all- gemeine Begriffe in handelnde Perſonen verwan- delt, davon hernach beſonders wird geſprochen werden) die verſchiedenen Gattungen der Allego- rie ſeyn. Die Quellen, woraus ſie geſchoͤpft wird, ſind die Natur, die Sitten und Gebraͤuche der Voͤl- ker, die Wiſſenſchaften und Kuͤnſte: das Mittel aber ſie aus dieſen Quellen zu ſchoͤpfen iſt der Wiz. Wie der menſchliche Koͤrper ein Bild der Seele iſt, ſo iſt uͤberhaupt die ſichtbare Natur ein Bild der Geiſterwelt; von allem, was in dieſer vorhanden iſt, findet ſich in jener etwas aͤhnli- (†) Nachtgedanken 1. Nacht. Mine dy’d with thee Philander! thy laſt ſigh Diſſolv’d the charm; the diſenchanted Earth Loſt all her Luſtre.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/42
Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/42>, abgerufen am 29.03.2024.