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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

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[Spaltenumbruch]

Feh
ihm wichtige Lehren geben wird, und wird das
Studium seiner Kunst in dem Umgang mit eben so
viel Vortheil treiben, als in seinem Cabinet.

Fehler.
(Schöne Künste.)
[Spaltenumbruch]

Fehlen heißt eigentlich etwas thun, das von dem
Zwek, den man sich vorgesetzt hat, abführet; da-
her ist in den Werken der schönen Künste dasjenige
ein Fehler, was nicht auf den Zwek des Werks hin-
leitet. Jn jedem Werke der Kunst liegen Absichten
von zweyerley Art; der Stoff des Werks, was wir
anderswo den Geist desselben genennt haben, zielt
auf Erwekung gewisser Vorstellungen oder Empfin-
dungen ab; in der Form aber oder dem Körper hat
(*) Man se-
he den Art.
Einförmig-
keit.
jedes wieder seinen eigenen Zwek (*), der jenem un-
tergeordnet ist. Man sieht dieses am deutlichsten
an den Werken der Baukunst, wo die eine Absicht
auf Bequämlichkeit, die andre auf Schönheit geht.
Das Gebäude, oder irgend ein einzeler Theil dessel-
ben ist fehlerhaft, in so fern ein oder mehrere
Theile zu dem Gebrauch, wozu sie vorhanden,
nicht tüchtig genug sind; wie ein Schlafzimmer, in
dem man seiner Lage halber wenig Ruhe haben
könnte, oder ein Speisezimmer das dunkel wäre,
oder die andern zu seiner Bestimmung dienenden
Bequämlichkeiten nicht hätte; eben dieses Gebäude
und diese Theile desselben wären aber, bey allen Be-
quämlichkeiten, die ihre Bestimmung erfodert, feh-
lerhaft, wenn alles ohne Verhältniß, ohne Regel-
mäßigkeit, ohne Festigkeit wäre. Eben so verhält
es sich mit allen Werken der schönen Künste; denn
Batteux hat die Sachen nicht genug überlegt, da
er gelehrt hat, daß die Baukunst in Ansehung ihres
Zweks eine ganz besondere Gattung ausmache.
Jn dieser Kunst ist das, was zum Gebrauch und
zur Bequämlichkeit gehört, der Geist des Werks,
das gute Ansehen aber der Körper; da in jedem
andern Werke, die Vorstellungen, die der Künstler
erweken will, die Seele; die Schönheit aber, die
Regelmäßigkeit, das fließende und angenehme We-
sen der Form, den Körper ausmachen.

Die Fehler, die dem Geist eines Werks der
Kunst ankleben, sind Fehler, die nicht der Künstler
sondern der Mensch begeht, gemeine Fehler, die er
[Spaltenumbruch]

Feh
mit allen andern Menschen gemein hat, die in ihren
Handlungen und Unternehmungen ihres Zweks ver-
fehlen. Der Baumeister, der eine Küche baute,
in welcher man nicht ohne Gefahr Feuer unterhal-
ten könnte, hätte nicht einen Kunstfehler begangen,
sondern einen Fehler gegen die allgemeine gesunde
Vernunft. Der Dichter, der Mitleiden erweken
will, und zu dem Ende Gegenstände mahlt, die Ekel
machen, fehlt nicht gegen die Regeln der Poesie,
sondern er handelt gegen die Vernunft. Der-
gleichen Fehler also sind nicht ästhetische Fehler,
sie gehen eigentlich nicht den Geschmack, sondern
nur den Verstand an. Sie sind so mannigfaltig,
als der Jrrthum überhaupt ist.

Die eigentlichen Kunstfehler, die wir ästhetische
Fehler nennen, betreffen das Aeusserliche, oder den
Körper der Werke; denn nur darin fehlt der Künst-
ler, als Künstler. Die Natur und die Mannigfal-
tigkeit dieser Fehler zu erkennen, darf man nur
überlegen, was eigentlich das Aesthetische in den
Werken der Kunst seyn soll. Es ist eine solche An-
ordnung, ein solcher Vortrag, eine solche Ausbil-
dung der, dem Werke wesentlichen, Vorstellungen,
die sie geschikt macht, auf die sinnliche Vorstellungs-
kraft vortheilhaft zu würken. Ein Werk der Kunst
ist ästhetisch vollkommen, wenn die Vorstellun-
gen, die es erweken soll, auf die leichteste, leb-
hafteste, dauerhafteste und überhaupt das Gemüth
einnehmendste Art, erwekt werden. Dieses zu er-
halten ist das eigentliche Werk des Geschmaks, da
jene Vorstellungen selbst ein Werk des Verstands
und des Genies sind.

Um die ästhetischen Fehler zu vermeiden, muß
man die Natur, jeden Trieb und jede Lenkung der
untern Seelenkräfte [Spaltenumbruch] (+) kennen. Man kann Fehler
begehen, die dem natürlichen Verfahren, oder der
Art, wie diese Kräfte sich äussern, geradezu zu-
wider sind, dieses sind wesentliche Fehler; man kann
aber auch solche begehen, die ihnen die Vorstellung
blos schweer machen, diese sind weniger wesentlich.
Diese doppelte Beschaffenheit haben die ästhetischen
Fehler mit den philosophischen gemein; diese sind
entweder würkliche Widersprüche, oder sie sind blosse
Mängel, wodurch zwar die Begriffe und Urtheile
sich unter einander nicht aufheben oder zerstöhren,

aber
(+) Der bestimmte Begriff dessen, was man die untern
Seelenkräfte nennt, muß aus der Philosophie geholt wer-
[Spaltenumbruch] den. Diejenigen, welche die Wolffischen oder Baumgarten-
schen Schriften noch nicht kennen, werden dahin verwiesen.

[Spaltenumbruch]

Feh
ihm wichtige Lehren geben wird, und wird das
Studium ſeiner Kunſt in dem Umgang mit eben ſo
viel Vortheil treiben, als in ſeinem Cabinet.

Fehler.
(Schoͤne Kuͤnſte.)
[Spaltenumbruch]

Fehlen heißt eigentlich etwas thun, das von dem
Zwek, den man ſich vorgeſetzt hat, abfuͤhret; da-
her iſt in den Werken der ſchoͤnen Kuͤnſte dasjenige
ein Fehler, was nicht auf den Zwek des Werks hin-
leitet. Jn jedem Werke der Kunſt liegen Abſichten
von zweyerley Art; der Stoff des Werks, was wir
anderswo den Geiſt deſſelben genennt haben, zielt
auf Erwekung gewiſſer Vorſtellungen oder Empfin-
dungen ab; in der Form aber oder dem Koͤrper hat
(*) Man ſe-
he den Art.
Einfoͤrmig-
keit.
jedes wieder ſeinen eigenen Zwek (*), der jenem un-
tergeordnet iſt. Man ſieht dieſes am deutlichſten
an den Werken der Baukunſt, wo die eine Abſicht
auf Bequaͤmlichkeit, die andre auf Schoͤnheit geht.
Das Gebaͤude, oder irgend ein einzeler Theil deſſel-
ben iſt fehlerhaft, in ſo fern ein oder mehrere
Theile zu dem Gebrauch, wozu ſie vorhanden,
nicht tuͤchtig genug ſind; wie ein Schlafzimmer, in
dem man ſeiner Lage halber wenig Ruhe haben
koͤnnte, oder ein Speiſezimmer das dunkel waͤre,
oder die andern zu ſeiner Beſtimmung dienenden
Bequaͤmlichkeiten nicht haͤtte; eben dieſes Gebaͤude
und dieſe Theile deſſelben waͤren aber, bey allen Be-
quaͤmlichkeiten, die ihre Beſtimmung erfodert, feh-
lerhaft, wenn alles ohne Verhaͤltniß, ohne Regel-
maͤßigkeit, ohne Feſtigkeit waͤre. Eben ſo verhaͤlt
es ſich mit allen Werken der ſchoͤnen Kuͤnſte; denn
Batteux hat die Sachen nicht genug uͤberlegt, da
er gelehrt hat, daß die Baukunſt in Anſehung ihres
Zweks eine ganz beſondere Gattung ausmache.
Jn dieſer Kunſt iſt das, was zum Gebrauch und
zur Bequaͤmlichkeit gehoͤrt, der Geiſt des Werks,
das gute Anſehen aber der Koͤrper; da in jedem
andern Werke, die Vorſtellungen, die der Kuͤnſtler
erweken will, die Seele; die Schoͤnheit aber, die
Regelmaͤßigkeit, das fließende und angenehme We-
ſen der Form, den Koͤrper ausmachen.

Die Fehler, die dem Geiſt eines Werks der
Kunſt ankleben, ſind Fehler, die nicht der Kuͤnſtler
ſondern der Menſch begeht, gemeine Fehler, die er
[Spaltenumbruch]

Feh
mit allen andern Menſchen gemein hat, die in ihren
Handlungen und Unternehmungen ihres Zweks ver-
fehlen. Der Baumeiſter, der eine Kuͤche baute,
in welcher man nicht ohne Gefahr Feuer unterhal-
ten koͤnnte, haͤtte nicht einen Kunſtfehler begangen,
ſondern einen Fehler gegen die allgemeine geſunde
Vernunft. Der Dichter, der Mitleiden erweken
will, und zu dem Ende Gegenſtaͤnde mahlt, die Ekel
machen, fehlt nicht gegen die Regeln der Poeſie,
ſondern er handelt gegen die Vernunft. Der-
gleichen Fehler alſo ſind nicht aͤſthetiſche Fehler,
ſie gehen eigentlich nicht den Geſchmack, ſondern
nur den Verſtand an. Sie ſind ſo mannigfaltig,
als der Jrrthum uͤberhaupt iſt.

Die eigentlichen Kunſtfehler, die wir aͤſthetiſche
Fehler nennen, betreffen das Aeuſſerliche, oder den
Koͤrper der Werke; denn nur darin fehlt der Kuͤnſt-
ler, als Kuͤnſtler. Die Natur und die Mannigfal-
tigkeit dieſer Fehler zu erkennen, darf man nur
uͤberlegen, was eigentlich das Aeſthetiſche in den
Werken der Kunſt ſeyn ſoll. Es iſt eine ſolche An-
ordnung, ein ſolcher Vortrag, eine ſolche Ausbil-
dung der, dem Werke weſentlichen, Vorſtellungen,
die ſie geſchikt macht, auf die ſinnliche Vorſtellungs-
kraft vortheilhaft zu wuͤrken. Ein Werk der Kunſt
iſt aͤſthetiſch vollkommen, wenn die Vorſtellun-
gen, die es erweken ſoll, auf die leichteſte, leb-
hafteſte, dauerhafteſte und uͤberhaupt das Gemuͤth
einnehmendſte Art, erwekt werden. Dieſes zu er-
halten iſt das eigentliche Werk des Geſchmaks, da
jene Vorſtellungen ſelbſt ein Werk des Verſtands
und des Genies ſind.

Um die aͤſthetiſchen Fehler zu vermeiden, muß
man die Natur, jeden Trieb und jede Lenkung der
untern Seelenkraͤfte [Spaltenumbruch] (†) kennen. Man kann Fehler
begehen, die dem natuͤrlichen Verfahren, oder der
Art, wie dieſe Kraͤfte ſich aͤuſſern, geradezu zu-
wider ſind, dieſes ſind weſentliche Fehler; man kann
aber auch ſolche begehen, die ihnen die Vorſtellung
blos ſchweer machen, dieſe ſind weniger weſentlich.
Dieſe doppelte Beſchaffenheit haben die aͤſthetiſchen
Fehler mit den philoſophiſchen gemein; dieſe ſind
entweder wuͤrkliche Widerſpruͤche, oder ſie ſind bloſſe
Maͤngel, wodurch zwar die Begriffe und Urtheile
ſich unter einander nicht aufheben oder zerſtoͤhren,

aber
(†) Der beſtimmte Begriff deſſen, was man die untern
Seelenkraͤfte nennt, muß aus der Philoſophie geholt wer-
[Spaltenumbruch] den. Diejenigen, welche die Wolffiſchen oder Baumgarten-
ſchen Schriften noch nicht kennen, werden dahin verwieſen.
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[375/0387] Feh Feh ihm wichtige Lehren geben wird, und wird das Studium ſeiner Kunſt in dem Umgang mit eben ſo viel Vortheil treiben, als in ſeinem Cabinet. Fehler. (Schoͤne Kuͤnſte.) Fehlen heißt eigentlich etwas thun, das von dem Zwek, den man ſich vorgeſetzt hat, abfuͤhret; da- her iſt in den Werken der ſchoͤnen Kuͤnſte dasjenige ein Fehler, was nicht auf den Zwek des Werks hin- leitet. Jn jedem Werke der Kunſt liegen Abſichten von zweyerley Art; der Stoff des Werks, was wir anderswo den Geiſt deſſelben genennt haben, zielt auf Erwekung gewiſſer Vorſtellungen oder Empfin- dungen ab; in der Form aber oder dem Koͤrper hat jedes wieder ſeinen eigenen Zwek (*), der jenem un- tergeordnet iſt. Man ſieht dieſes am deutlichſten an den Werken der Baukunſt, wo die eine Abſicht auf Bequaͤmlichkeit, die andre auf Schoͤnheit geht. Das Gebaͤude, oder irgend ein einzeler Theil deſſel- ben iſt fehlerhaft, in ſo fern ein oder mehrere Theile zu dem Gebrauch, wozu ſie vorhanden, nicht tuͤchtig genug ſind; wie ein Schlafzimmer, in dem man ſeiner Lage halber wenig Ruhe haben koͤnnte, oder ein Speiſezimmer das dunkel waͤre, oder die andern zu ſeiner Beſtimmung dienenden Bequaͤmlichkeiten nicht haͤtte; eben dieſes Gebaͤude und dieſe Theile deſſelben waͤren aber, bey allen Be- quaͤmlichkeiten, die ihre Beſtimmung erfodert, feh- lerhaft, wenn alles ohne Verhaͤltniß, ohne Regel- maͤßigkeit, ohne Feſtigkeit waͤre. Eben ſo verhaͤlt es ſich mit allen Werken der ſchoͤnen Kuͤnſte; denn Batteux hat die Sachen nicht genug uͤberlegt, da er gelehrt hat, daß die Baukunſt in Anſehung ihres Zweks eine ganz beſondere Gattung ausmache. Jn dieſer Kunſt iſt das, was zum Gebrauch und zur Bequaͤmlichkeit gehoͤrt, der Geiſt des Werks, das gute Anſehen aber der Koͤrper; da in jedem andern Werke, die Vorſtellungen, die der Kuͤnſtler erweken will, die Seele; die Schoͤnheit aber, die Regelmaͤßigkeit, das fließende und angenehme We- ſen der Form, den Koͤrper ausmachen. (*) Man ſe- he den Art. Einfoͤrmig- keit. Die Fehler, die dem Geiſt eines Werks der Kunſt ankleben, ſind Fehler, die nicht der Kuͤnſtler ſondern der Menſch begeht, gemeine Fehler, die er mit allen andern Menſchen gemein hat, die in ihren Handlungen und Unternehmungen ihres Zweks ver- fehlen. Der Baumeiſter, der eine Kuͤche baute, in welcher man nicht ohne Gefahr Feuer unterhal- ten koͤnnte, haͤtte nicht einen Kunſtfehler begangen, ſondern einen Fehler gegen die allgemeine geſunde Vernunft. Der Dichter, der Mitleiden erweken will, und zu dem Ende Gegenſtaͤnde mahlt, die Ekel machen, fehlt nicht gegen die Regeln der Poeſie, ſondern er handelt gegen die Vernunft. Der- gleichen Fehler alſo ſind nicht aͤſthetiſche Fehler, ſie gehen eigentlich nicht den Geſchmack, ſondern nur den Verſtand an. Sie ſind ſo mannigfaltig, als der Jrrthum uͤberhaupt iſt. Die eigentlichen Kunſtfehler, die wir aͤſthetiſche Fehler nennen, betreffen das Aeuſſerliche, oder den Koͤrper der Werke; denn nur darin fehlt der Kuͤnſt- ler, als Kuͤnſtler. Die Natur und die Mannigfal- tigkeit dieſer Fehler zu erkennen, darf man nur uͤberlegen, was eigentlich das Aeſthetiſche in den Werken der Kunſt ſeyn ſoll. Es iſt eine ſolche An- ordnung, ein ſolcher Vortrag, eine ſolche Ausbil- dung der, dem Werke weſentlichen, Vorſtellungen, die ſie geſchikt macht, auf die ſinnliche Vorſtellungs- kraft vortheilhaft zu wuͤrken. Ein Werk der Kunſt iſt aͤſthetiſch vollkommen, wenn die Vorſtellun- gen, die es erweken ſoll, auf die leichteſte, leb- hafteſte, dauerhafteſte und uͤberhaupt das Gemuͤth einnehmendſte Art, erwekt werden. Dieſes zu er- halten iſt das eigentliche Werk des Geſchmaks, da jene Vorſtellungen ſelbſt ein Werk des Verſtands und des Genies ſind. Um die aͤſthetiſchen Fehler zu vermeiden, muß man die Natur, jeden Trieb und jede Lenkung der untern Seelenkraͤfte (†) kennen. Man kann Fehler begehen, die dem natuͤrlichen Verfahren, oder der Art, wie dieſe Kraͤfte ſich aͤuſſern, geradezu zu- wider ſind, dieſes ſind weſentliche Fehler; man kann aber auch ſolche begehen, die ihnen die Vorſtellung blos ſchweer machen, dieſe ſind weniger weſentlich. Dieſe doppelte Beſchaffenheit haben die aͤſthetiſchen Fehler mit den philoſophiſchen gemein; dieſe ſind entweder wuͤrkliche Widerſpruͤche, oder ſie ſind bloſſe Maͤngel, wodurch zwar die Begriffe und Urtheile ſich unter einander nicht aufheben oder zerſtoͤhren, aber (†) Der beſtimmte Begriff deſſen, was man die untern Seelenkraͤfte nennt, muß aus der Philoſophie geholt wer- den. Diejenigen, welche die Wolffiſchen oder Baumgarten- ſchen Schriften noch nicht kennen, werden dahin verwieſen.

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 375. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/387>, abgerufen am 07.05.2024.