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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

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stimmten Gebrauch zu erfinden aufgiebt; der Ton-
setzer, der zu einem vorgeschriebenen Tert die Mu-
sik zu machen hat; der Dichter, der einen gewissen
Charakter, oder eine Leidenschaft zu behandeln und
zu entwikeln sich vorgesetzt hat; der Mahler, der
sich vorgenommen hat, bey gewisser Gelegenheit be-
stimmte Empfindungen zu erweken; der Dichter
und der Zeichner, der ein körperliches Bild sucht,
wodurch er abgezogene Begriffe, oder auch gesche-
heue Sachen, den Sinnen faßlich machen will.

Auf dem andern Weg kommt der Dichter auf
die Erfindung eines dramatischen Stüks, oder der
Mahler eines historischen Gemähldes, indem er
den Stoff in der Geschichte findet, und ihn durch
eine gute Behandlung zu einer bestimmten Würkung
hinlenkt; der Tonsetzer kommt von ungefehr auf ei-
nen Gedanken, oder hört etwas in einem Tonstük,
wodurch er auf die Erfindung kommt, durch eine
gewisse Bearbeitung desselben eine bestimmte Em-
pfindung auszudruken. Es geht damit eben, wie
mit den mechanischen Erfindungen zu, wo man sich
nicht allemal vorsetzt, eine Maschine zu gewissem
Gebrauch zu erfinden, sondern durch genaue Betrach-
tung der Dinge, die man ungesucht wahrnihmt, auf
den Einfall kommt, sie zu gewissem Gebrauch anzu-
wenden. Auf diese Weise ist man vermuthlich auf
die Erfindung der Seegel gekommen, da man bey ge-
wissen Gelegenheiten beobachtet hat, mit was für Ge-
walt der Wind, der in ein ausgespanntes Tuch bläßt,
den Körper, an dem es fest gebunden ist, forttreibet.

Es würde für die genaue Kenntnis des menschli-
chen Genies sehr vortheilhaft seyn, wenn wir die
Geschichten der Erfindungen der wichtigsten Werke
der Kunst hätten; und es würden sich viele dem
Künstler sehr nützliche Beobachtungen daraus ziehen
lassen. Zwar wird man einem zum Erfinden un-
tüchtigen Genie durch Lehren und Vorschriften nicht
aufhelfen; jedoch ist zu vermuthen, daß manches
zur Erfindung dienliche Mittel aus der Geschichte
der Erfindungen würde bekannt werden, das wenig-
stens den guten Köpfen die Arbeit der Erfindung
erleichtern würde.

Nach Leibnitzens Meinung entsteht in unsern
Vorstellungen nie was Neues, sie liegen alle auf
einmal in uns; aber von der fast unendlichen
Menge derselben ist, nach Beschaffenheit unsers äus-
serlichen Zustandes, immer nur eine so klar, daß wir
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uns derselben bewußt sind, und daß wir unsre Beob-
achtungen darüber anstellen können. Jndem die-
ses geschieht, erlangen auch andre in einiger nahen
Verbindung stehende Vorstellungen einen merklichen
Grad der Klarheit, und in desto grösserer Menge, je
mehr Klarheit die Hauptvorstellung hat, und je län-
ger die Aufmerksamkeit darauf gerichtet ist. Daher
kommt es, daß bisweilen eine sehr große Menge der
Vorstellungen, die alle an einem Hauptbegriff han-
gen, sich uns zugleich darstellt. Alsdenn kann man
diejenigen, die sich am besten zusammen schiken, die,
unter denen die engeste Verbindung statt hat, aus-
suchen, und in einen Gegenstand zusammen ordnen;
und dieses wäre denn, nach Leibnitzens System, eine
Erfindung.

Wenn es mit dieser Erklärung seine Richtigkeit
hätte, so liessen sich daraus einige gründliche Lehren
ziehen, wodurch die Erfindung erleichtert würde.
Ueberhaupt würde die Erfindungskraft dadurch ge-
stärkt werden, daß man durch beständige Uebung die
Fertigkeit erlangte, bey jedem klaren Zustand der
Gedanken auf das Einzele darin Achtung zu geben,
damit auch die Theile des Ganzen klar würden, und
also wieder andre Begriffe und Vorstellungen, die
an sie gränzen, aus Licht brächten. Wer diese
Fertigkeit erlangt hat, wird nicht nur bey jeder kla-
ren Vorstellung weiter um sich sehen, oder ein wei-
teres Feld verbundener Vorstellungen entdeken; son-
dern auch bey andern Gelegenheiten werden die Vor-
stellungen, die einmal bey ihm klar gewesen, durch
flüchtige Veranlasungen sich wieder aufs neue dar-
stellen. Dadurch also würde überhaupt der Erfin-
dungskraft ein weiteres Feld eröfnet. Jn jedem
besondern Fall aber würde die Erfindung erleichtert,
wenn die Vorstellung, darauf sie sich gründet, durch
Aufmerksamkeit und langes Verweilen darauf, den
höchsten Grad der Klarheit erhielte. Denn dadurch
wurde eine desto grössere Menge andrer, mit ihr
verbundenen Vorstellungen, ans Licht hervorkommen
und dem Erfinder die Wahl derselben erleichtern.

Das, was man von einzeln Fällen glüklicher
Erfindungen weiß, scheinet zu bestätigen, daß die
Sachen in uns würklich auf diese Weise vorgehen.
Wir sehen überall, daß diejenigen, bey denen irgend
eine Leidenschaft herrschend worden, sehr sinnreich
sind alle Mittel zu finden, wodurch sie befriediget
wird. Der Geizige findet überall Gelegenheit zu er-
werben, auch da wo kein andrer sie würde vermu-

thet

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Erf
ſtimmten Gebrauch zu erfinden aufgiebt; der Ton-
ſetzer, der zu einem vorgeſchriebenen Tert die Mu-
ſik zu machen hat; der Dichter, der einen gewiſſen
Charakter, oder eine Leidenſchaft zu behandeln und
zu entwikeln ſich vorgeſetzt hat; der Mahler, der
ſich vorgenommen hat, bey gewiſſer Gelegenheit be-
ſtimmte Empfindungen zu erweken; der Dichter
und der Zeichner, der ein koͤrperliches Bild ſucht,
wodurch er abgezogene Begriffe, oder auch geſche-
heue Sachen, den Sinnen faßlich machen will.

Auf dem andern Weg kommt der Dichter auf
die Erfindung eines dramatiſchen Stuͤks, oder der
Mahler eines hiſtoriſchen Gemaͤhldes, indem er
den Stoff in der Geſchichte findet, und ihn durch
eine gute Behandlung zu einer beſtimmten Wuͤrkung
hinlenkt; der Tonſetzer kommt von ungefehr auf ei-
nen Gedanken, oder hoͤrt etwas in einem Tonſtuͤk,
wodurch er auf die Erfindung kommt, durch eine
gewiſſe Bearbeitung deſſelben eine beſtimmte Em-
pfindung auszudruken. Es geht damit eben, wie
mit den mechaniſchen Erfindungen zu, wo man ſich
nicht allemal vorſetzt, eine Maſchine zu gewiſſem
Gebrauch zu erfinden, ſondern durch genaue Betrach-
tung der Dinge, die man ungeſucht wahrnihmt, auf
den Einfall kommt, ſie zu gewiſſem Gebrauch anzu-
wenden. Auf dieſe Weiſe iſt man vermuthlich auf
die Erfindung der Seegel gekommen, da man bey ge-
wiſſen Gelegenheiten beobachtet hat, mit was fuͤr Ge-
walt der Wind, der in ein ausgeſpanntes Tuch blaͤßt,
den Koͤrper, an dem es feſt gebunden iſt, forttreibet.

Es wuͤrde fuͤr die genaue Kenntnis des menſchli-
chen Genies ſehr vortheilhaft ſeyn, wenn wir die
Geſchichten der Erfindungen der wichtigſten Werke
der Kunſt haͤtten; und es wuͤrden ſich viele dem
Kuͤnſtler ſehr nuͤtzliche Beobachtungen daraus ziehen
laſſen. Zwar wird man einem zum Erfinden un-
tuͤchtigen Genie durch Lehren und Vorſchriften nicht
aufhelfen; jedoch iſt zu vermuthen, daß manches
zur Erfindung dienliche Mittel aus der Geſchichte
der Erfindungen wuͤrde bekannt werden, das wenig-
ſtens den guten Koͤpfen die Arbeit der Erfindung
erleichtern wuͤrde.

Nach Leibnitzens Meinung entſteht in unſern
Vorſtellungen nie was Neues, ſie liegen alle auf
einmal in uns; aber von der faſt unendlichen
Menge derſelben iſt, nach Beſchaffenheit unſers aͤuſ-
ſerlichen Zuſtandes, immer nur eine ſo klar, daß wir
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uns derſelben bewußt ſind, und daß wir unſre Beob-
achtungen daruͤber anſtellen koͤnnen. Jndem die-
ſes geſchieht, erlangen auch andre in einiger nahen
Verbindung ſtehende Vorſtellungen einen merklichen
Grad der Klarheit, und in deſto groͤſſerer Menge, je
mehr Klarheit die Hauptvorſtellung hat, und je laͤn-
ger die Aufmerkſamkeit darauf gerichtet iſt. Daher
kommt es, daß bisweilen eine ſehr große Menge der
Vorſtellungen, die alle an einem Hauptbegriff han-
gen, ſich uns zugleich darſtellt. Alsdenn kann man
diejenigen, die ſich am beſten zuſammen ſchiken, die,
unter denen die engeſte Verbindung ſtatt hat, aus-
ſuchen, und in einen Gegenſtand zuſammen ordnen;
und dieſes waͤre denn, nach Leibnitzens Syſtem, eine
Erfindung.

Wenn es mit dieſer Erklaͤrung ſeine Richtigkeit
haͤtte, ſo lieſſen ſich daraus einige gruͤndliche Lehren
ziehen, wodurch die Erfindung erleichtert wuͤrde.
Ueberhaupt wuͤrde die Erfindungskraft dadurch ge-
ſtaͤrkt werden, daß man durch beſtaͤndige Uebung die
Fertigkeit erlangte, bey jedem klaren Zuſtand der
Gedanken auf das Einzele darin Achtung zu geben,
damit auch die Theile des Ganzen klar wuͤrden, und
alſo wieder andre Begriffe und Vorſtellungen, die
an ſie graͤnzen, aus Licht braͤchten. Wer dieſe
Fertigkeit erlangt hat, wird nicht nur bey jeder kla-
ren Vorſtellung weiter um ſich ſehen, oder ein wei-
teres Feld verbundener Vorſtellungen entdeken; ſon-
dern auch bey andern Gelegenheiten werden die Vor-
ſtellungen, die einmal bey ihm klar geweſen, durch
fluͤchtige Veranlaſungen ſich wieder aufs neue dar-
ſtellen. Dadurch alſo wuͤrde uͤberhaupt der Erfin-
dungskraft ein weiteres Feld eroͤfnet. Jn jedem
beſondern Fall aber wuͤrde die Erfindung erleichtert,
wenn die Vorſtellung, darauf ſie ſich gruͤndet, durch
Aufmerkſamkeit und langes Verweilen darauf, den
hoͤchſten Grad der Klarheit erhielte. Denn dadurch
wurde eine deſto groͤſſere Menge andrer, mit ihr
verbundenen Vorſtellungen, ans Licht hervorkommen
und dem Erfinder die Wahl derſelben erleichtern.

Das, was man von einzeln Faͤllen gluͤklicher
Erfindungen weiß, ſcheinet zu beſtaͤtigen, daß die
Sachen in uns wuͤrklich auf dieſe Weiſe vorgehen.
Wir ſehen uͤberall, daß diejenigen, bey denen irgend
eine Leidenſchaft herrſchend worden, ſehr ſinnreich
ſind alle Mittel zu finden, wodurch ſie befriediget
wird. Der Geizige findet uͤberall Gelegenheit zu er-
werben, auch da wo kein andrer ſie wuͤrde vermu-

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[335/0347] Erf Erf ſtimmten Gebrauch zu erfinden aufgiebt; der Ton- ſetzer, der zu einem vorgeſchriebenen Tert die Mu- ſik zu machen hat; der Dichter, der einen gewiſſen Charakter, oder eine Leidenſchaft zu behandeln und zu entwikeln ſich vorgeſetzt hat; der Mahler, der ſich vorgenommen hat, bey gewiſſer Gelegenheit be- ſtimmte Empfindungen zu erweken; der Dichter und der Zeichner, der ein koͤrperliches Bild ſucht, wodurch er abgezogene Begriffe, oder auch geſche- heue Sachen, den Sinnen faßlich machen will. Auf dem andern Weg kommt der Dichter auf die Erfindung eines dramatiſchen Stuͤks, oder der Mahler eines hiſtoriſchen Gemaͤhldes, indem er den Stoff in der Geſchichte findet, und ihn durch eine gute Behandlung zu einer beſtimmten Wuͤrkung hinlenkt; der Tonſetzer kommt von ungefehr auf ei- nen Gedanken, oder hoͤrt etwas in einem Tonſtuͤk, wodurch er auf die Erfindung kommt, durch eine gewiſſe Bearbeitung deſſelben eine beſtimmte Em- pfindung auszudruken. Es geht damit eben, wie mit den mechaniſchen Erfindungen zu, wo man ſich nicht allemal vorſetzt, eine Maſchine zu gewiſſem Gebrauch zu erfinden, ſondern durch genaue Betrach- tung der Dinge, die man ungeſucht wahrnihmt, auf den Einfall kommt, ſie zu gewiſſem Gebrauch anzu- wenden. Auf dieſe Weiſe iſt man vermuthlich auf die Erfindung der Seegel gekommen, da man bey ge- wiſſen Gelegenheiten beobachtet hat, mit was fuͤr Ge- walt der Wind, der in ein ausgeſpanntes Tuch blaͤßt, den Koͤrper, an dem es feſt gebunden iſt, forttreibet. Es wuͤrde fuͤr die genaue Kenntnis des menſchli- chen Genies ſehr vortheilhaft ſeyn, wenn wir die Geſchichten der Erfindungen der wichtigſten Werke der Kunſt haͤtten; und es wuͤrden ſich viele dem Kuͤnſtler ſehr nuͤtzliche Beobachtungen daraus ziehen laſſen. Zwar wird man einem zum Erfinden un- tuͤchtigen Genie durch Lehren und Vorſchriften nicht aufhelfen; jedoch iſt zu vermuthen, daß manches zur Erfindung dienliche Mittel aus der Geſchichte der Erfindungen wuͤrde bekannt werden, das wenig- ſtens den guten Koͤpfen die Arbeit der Erfindung erleichtern wuͤrde. Nach Leibnitzens Meinung entſteht in unſern Vorſtellungen nie was Neues, ſie liegen alle auf einmal in uns; aber von der faſt unendlichen Menge derſelben iſt, nach Beſchaffenheit unſers aͤuſ- ſerlichen Zuſtandes, immer nur eine ſo klar, daß wir uns derſelben bewußt ſind, und daß wir unſre Beob- achtungen daruͤber anſtellen koͤnnen. Jndem die- ſes geſchieht, erlangen auch andre in einiger nahen Verbindung ſtehende Vorſtellungen einen merklichen Grad der Klarheit, und in deſto groͤſſerer Menge, je mehr Klarheit die Hauptvorſtellung hat, und je laͤn- ger die Aufmerkſamkeit darauf gerichtet iſt. Daher kommt es, daß bisweilen eine ſehr große Menge der Vorſtellungen, die alle an einem Hauptbegriff han- gen, ſich uns zugleich darſtellt. Alsdenn kann man diejenigen, die ſich am beſten zuſammen ſchiken, die, unter denen die engeſte Verbindung ſtatt hat, aus- ſuchen, und in einen Gegenſtand zuſammen ordnen; und dieſes waͤre denn, nach Leibnitzens Syſtem, eine Erfindung. Wenn es mit dieſer Erklaͤrung ſeine Richtigkeit haͤtte, ſo lieſſen ſich daraus einige gruͤndliche Lehren ziehen, wodurch die Erfindung erleichtert wuͤrde. Ueberhaupt wuͤrde die Erfindungskraft dadurch ge- ſtaͤrkt werden, daß man durch beſtaͤndige Uebung die Fertigkeit erlangte, bey jedem klaren Zuſtand der Gedanken auf das Einzele darin Achtung zu geben, damit auch die Theile des Ganzen klar wuͤrden, und alſo wieder andre Begriffe und Vorſtellungen, die an ſie graͤnzen, aus Licht braͤchten. Wer dieſe Fertigkeit erlangt hat, wird nicht nur bey jeder kla- ren Vorſtellung weiter um ſich ſehen, oder ein wei- teres Feld verbundener Vorſtellungen entdeken; ſon- dern auch bey andern Gelegenheiten werden die Vor- ſtellungen, die einmal bey ihm klar geweſen, durch fluͤchtige Veranlaſungen ſich wieder aufs neue dar- ſtellen. Dadurch alſo wuͤrde uͤberhaupt der Erfin- dungskraft ein weiteres Feld eroͤfnet. Jn jedem beſondern Fall aber wuͤrde die Erfindung erleichtert, wenn die Vorſtellung, darauf ſie ſich gruͤndet, durch Aufmerkſamkeit und langes Verweilen darauf, den hoͤchſten Grad der Klarheit erhielte. Denn dadurch wurde eine deſto groͤſſere Menge andrer, mit ihr verbundenen Vorſtellungen, ans Licht hervorkommen und dem Erfinder die Wahl derſelben erleichtern. Das, was man von einzeln Faͤllen gluͤklicher Erfindungen weiß, ſcheinet zu beſtaͤtigen, daß die Sachen in uns wuͤrklich auf dieſe Weiſe vorgehen. Wir ſehen uͤberall, daß diejenigen, bey denen irgend eine Leidenſchaft herrſchend worden, ſehr ſinnreich ſind alle Mittel zu finden, wodurch ſie befriediget wird. Der Geizige findet uͤberall Gelegenheit zu er- werben, auch da wo kein andrer ſie wuͤrde vermu- thet

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/347>, abgerufen am 22.11.2024.