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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

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Eng Enh
findet unter der Musik den Tanz selbst theils durch
choregraphische Zeichen, theils sehr kurz durch Kunst-
wörter beschrieben.

Die Musik zu den englischen Tänzen, die man
in Deutschland insgemein Angloisen nennt, ist ins-
gemein bey einer großen Einfalt sehr lebhaft, mit
ungemein deutlich bemerkten Einschnitten, und hat
vielfältig das besondere, daß die Cadenzen in den
(*) S.
Cadenz S.
178
Aufschlag fallen. (*) Diejenigen, die zu muntern
Liedern Melodien setzen wollen, können die engli-
schen Tänze zu Mustern dazu nehmen. Jn London
kommt insgemein alle Jahr eine beträchtliche Samm-
lung neuer Tänze heraus. Artig ist dabey, daß die
meisten Melodien zu bekannten englischen Liedern
gemacht sind, so daß man bey den englischen Tän-
zen Poesie, Gesang und Tanz mit einander verei-
nigen, und die Lieder nicht blos singen, sondern
auch tanzen kann, wodurch sie natürlicher Weise
weit mehr Eindruk machen. Dieses ist also noch
in dem alten Geschmak diese drey schönen Künste
zu vereinigen.

Enharmonisch.
(Musik.)

Hieß bey den Griechen die Tonleiter, in welcher
das Tetrachord, oder die Quarte so getheilt war,
daß die zwey ersten Jntervalle kleiner, als halbe
Töne waren. Nach dem Aristoxenus wurd der große
halbe Ton, in unserm System z. E. H-c in zwey
gleiche Theile getheilt, und die Quarte H-E, be-
stuhnd aus vier Tönen, davon die drey ersten zwey
gleiche Jntervalle von Vierteltönen, die zwey letz-
(*) S.
Ditonus.
ten aber einen Ditonus (*) machten. Ptolomäus
giebt folgende Verhältnisse für das enharmonische
Tetrachord an, , , 4/5 , das ist, wenn die
Länge der tiefsten Sayte z. E. H, 1 gesetzt wird, so
würden die vier Sayten des Tetrachords diese Län-
gen haben:

[Tabelle]

Da wir in der heutigen Musik den Gesang nie durch
so kleine Jntervalle fortführen, so können wir auch
nicht fühlen, was für Würkung ein solcher Gesang
könne gehabt haben. Unser Ohr ist so sehr gewohnt
den kleinen halben Ton für die kleinste Stufe der
Fortschreitung zu halten, daß mancher sich einbildet,
der enharmonische Gesang der Alten könne keine
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Enh
Deutlichkeit gehabt haben. Allein der Schluß ist
nicht richtig. Das Ohr kann, wie andre Sinnen,
durch Uebung eine Fertigkeit erlangen, auch die
kleinesten Jntervalle genau zu unterscheiden. Ari-
stides Quintilianus
sagt, daß der enharmonische
Gesang der lieblichste gewesen sey, und Plutarchus
verweißt es den Tonkünstlern seiner Zeit, daß sie die
schönste von den drey Arten des Gesanges, das En-
harmonische, haben in Abgang kommen lassen. Man
sieht aus dem, was er davon sagt, daß schon zu sei-
ner Zeit dieser Gesang für unmöglich gehalten wor-
den (*). Aristoxenus sagt, daß die Alten bis auf(*) S.
Plut. von
der Musik
c. 17.

die Zeit des Alexanders sich blos an dieser Art ge-
halten, und das diatonische, wie das chromatische
nicht geachtet haben. Ohne Zweifel war es sehr
schweer, und die Sänger werden allein durch fleißige
Uebung nach dem Monochord es dahin gebracht
haben, diese kleinen Jntervalle genau zu treffen.

Ob wir gleich in unsrer Musik das Enharmonische
in dem Gesang verlohren, so haben wir etwas ähn-
liches, oder doch etwas, dem wir denselben Namen
geben, in der Harmonie beybehalten, wo die en-
harmonischen Ausweichungen ofte gebraucht werden.
Das Enharmonische in der heutigen Musik hat die-
ses sonderbare, daß es gewisser Maaßen nur in der
Einbildung besteht, und dennoch große Würkung
thun kann. Wir stellen uns vor, als wenn wir in
unsrer Tonleiter die enharmonischen Jntervalle ha-
ben, und geben einer Sayte in der Einbildung mehr
als einen Ton, und brauchen dasselbe Jntervall,
z. E. gewisse kleine Terzen, einmal als Terzen und
dann gleich darauf als Secunden, und machen auf
diese Art enharmonische Ausweichungen.

Um dieses deutlich zu verstehen, muß man die
Beschaffenheit unsers Systems vor Augen haben. (*)(*) S.
System.

Daraus erhellet, daß zwar jede Sayte desselben als
eine Tonica oder als der Grundton, der seine völlige
doppelte diatonische Tonleiter so wol der harten,
als der weichen Tonart in dem System hat, ange-
sehen werde. Weil wir aber dazu viel zu wenig
Sayten haben, so ersetzen wir diesen Mangel da-
durch, daß wir die vorhandenen Töne, wenn sie
nicht zu weit von den eigentlichen, die wir nöthig
haben, abweichen, auch an ihrer Stelle brauchen.
So hat z. B. der Ton C zwar seine völlige diatoni-
sche Tonleiter in der harten Tonart, auf unserm
System; hingegen fehlt es ihm zur weichen Tonart an
der wahren kleinen Terz 5/6 ; an deren Stelle nehmen

wir

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Eng Enh
findet unter der Muſik den Tanz ſelbſt theils durch
choregraphiſche Zeichen, theils ſehr kurz durch Kunſt-
woͤrter beſchrieben.

Die Muſik zu den engliſchen Taͤnzen, die man
in Deutſchland insgemein Angloiſen nennt, iſt ins-
gemein bey einer großen Einfalt ſehr lebhaft, mit
ungemein deutlich bemerkten Einſchnitten, und hat
vielfaͤltig das beſondere, daß die Cadenzen in den
(*) S.
Cadenz S.
178
Aufſchlag fallen. (*) Diejenigen, die zu muntern
Liedern Melodien ſetzen wollen, koͤnnen die engli-
ſchen Taͤnze zu Muſtern dazu nehmen. Jn London
kommt insgemein alle Jahr eine betraͤchtliche Samm-
lung neuer Taͤnze heraus. Artig iſt dabey, daß die
meiſten Melodien zu bekannten engliſchen Liedern
gemacht ſind, ſo daß man bey den engliſchen Taͤn-
zen Poeſie, Geſang und Tanz mit einander verei-
nigen, und die Lieder nicht blos ſingen, ſondern
auch tanzen kann, wodurch ſie natuͤrlicher Weiſe
weit mehr Eindruk machen. Dieſes iſt alſo noch
in dem alten Geſchmak dieſe drey ſchoͤnen Kuͤnſte
zu vereinigen.

Enharmoniſch.
(Muſik.)

Hieß bey den Griechen die Tonleiter, in welcher
das Tetrachord, oder die Quarte ſo getheilt war,
daß die zwey erſten Jntervalle kleiner, als halbe
Toͤne waren. Nach dem Ariſtoxenus wurd der große
halbe Ton, in unſerm Syſtem z. E. H-c in zwey
gleiche Theile getheilt, und die Quarte H-E, be-
ſtuhnd aus vier Toͤnen, davon die drey erſten zwey
gleiche Jntervalle von Vierteltoͤnen, die zwey letz-
(*) S.
Ditonus.
ten aber einen Ditonus (*) machten. Ptolomaͤus
giebt folgende Verhaͤltniſſe fuͤr das enharmoniſche
Tetrachord an, , , ⅘, das iſt, wenn die
Laͤnge der tiefſten Sayte z. E. H, 1 geſetzt wird, ſo
wuͤrden die vier Sayten des Tetrachords dieſe Laͤn-
gen haben:

[Tabelle]

Da wir in der heutigen Muſik den Geſang nie durch
ſo kleine Jntervalle fortfuͤhren, ſo koͤnnen wir auch
nicht fuͤhlen, was fuͤr Wuͤrkung ein ſolcher Geſang
koͤnne gehabt haben. Unſer Ohr iſt ſo ſehr gewohnt
den kleinen halben Ton fuͤr die kleinſte Stufe der
Fortſchreitung zu halten, daß mancher ſich einbildet,
der enharmoniſche Geſang der Alten koͤnne keine
[Spaltenumbruch]

Enh
Deutlichkeit gehabt haben. Allein der Schluß iſt
nicht richtig. Das Ohr kann, wie andre Sinnen,
durch Uebung eine Fertigkeit erlangen, auch die
kleineſten Jntervalle genau zu unterſcheiden. Ari-
ſtides Quintilianus
ſagt, daß der enharmoniſche
Geſang der lieblichſte geweſen ſey, und Plutarchus
verweißt es den Tonkuͤnſtlern ſeiner Zeit, daß ſie die
ſchoͤnſte von den drey Arten des Geſanges, das En-
harmoniſche, haben in Abgang kommen laſſen. Man
ſieht aus dem, was er davon ſagt, daß ſchon zu ſei-
ner Zeit dieſer Geſang fuͤr unmoͤglich gehalten wor-
den (*). Ariſtoxenus ſagt, daß die Alten bis auf(*) S.
Plut. von
der Muſik
c. 17.

die Zeit des Alexanders ſich blos an dieſer Art ge-
halten, und das diatoniſche, wie das chromatiſche
nicht geachtet haben. Ohne Zweifel war es ſehr
ſchweer, und die Saͤnger werden allein durch fleißige
Uebung nach dem Monochord es dahin gebracht
haben, dieſe kleinen Jntervalle genau zu treffen.

Ob wir gleich in unſrer Muſik das Enharmoniſche
in dem Geſang verlohren, ſo haben wir etwas aͤhn-
liches, oder doch etwas, dem wir denſelben Namen
geben, in der Harmonie beybehalten, wo die en-
harmoniſchen Ausweichungen ofte gebraucht werden.
Das Enharmoniſche in der heutigen Muſik hat die-
ſes ſonderbare, daß es gewiſſer Maaßen nur in der
Einbildung beſteht, und dennoch große Wuͤrkung
thun kann. Wir ſtellen uns vor, als wenn wir in
unſrer Tonleiter die enharmoniſchen Jntervalle ha-
ben, und geben einer Sayte in der Einbildung mehr
als einen Ton, und brauchen daſſelbe Jntervall,
z. E. gewiſſe kleine Terzen, einmal als Terzen und
dann gleich darauf als Secunden, und machen auf
dieſe Art enharmoniſche Ausweichungen.

Um dieſes deutlich zu verſtehen, muß man die
Beſchaffenheit unſers Syſtems vor Augen haben. (*)(*) S.
Syſtem.

Daraus erhellet, daß zwar jede Sayte deſſelben als
eine Tonica oder als der Grundton, der ſeine voͤllige
doppelte diatoniſche Tonleiter ſo wol der harten,
als der weichen Tonart in dem Syſtem hat, ange-
ſehen werde. Weil wir aber dazu viel zu wenig
Sayten haben, ſo erſetzen wir dieſen Mangel da-
durch, daß wir die vorhandenen Toͤne, wenn ſie
nicht zu weit von den eigentlichen, die wir noͤthig
haben, abweichen, auch an ihrer Stelle brauchen.
So hat z. B. der Ton C zwar ſeine voͤllige diatoni-
ſche Tonleiter in der harten Tonart, auf unſerm
Syſtem; hingegen fehlt es ihm zur weichen Tonart an
der wahren kleinen Terz ⅚; an deren Stelle nehmen

wir
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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 320. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/332>, abgerufen am 22.11.2024.