Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

Bild:
<< vorherige Seite
[Spaltenumbruch]
Dis
[Abbildung]

Man setze, daß man in C dur auf der Dominante
den Dreyklang zur Harmonie genommen habe, wie
hier bey 1 und 2, von da aber in dem Hauptton
C schliessen wolle; so wird man leicht begreifen, daß
die Septime nothwendig müsse zn Hülfe genommen
werden, um die Harmonie nach dem Hauptton zu
lenken. Denn ohne diese Septime ist nichts vorhan-
den, das das Gehör nach dem Schluß in C lenkt;
man kann in G stehen bleiben, oder von da hinge-
hen, wo man will, weil ein völlig consonirender
Accord die Fortschreitung der Harmonie ganz unbe-
stimmt läßt. Ferner ist auch offenbar, daß man
bey dem Dreyklang auf G ungewiß ist, in welchem
Haupttone man sich befindet, in dem diese Harmo-
nie sowol der Dominante des Tons C dur, als dem
Ton G als Hauptton zukommt.

Diese doppelte Ungewißheit oder Unbestimmtheit
in Ansehung der Harmonie und Fortschreitung wird
gehoben, so bald man eines der Jntervalle des
Dreyklanges verläßt, und die Septime dafür nimmt.
Denn diese läßt das Gehör nicht länger im Zwei-
fel, daß der Accord, den man hört, der Accord auf
der Dominante des Haupttones C dur sey, weil der
Hauptton G dur in seiner Tonleiter nicht F, sondern
Fis hat. Eben so würde man im dritten Beyspiel,
in dem man auf den Accord G kommt, den Ton
F aus dem vorhergehenden Accord liegen lassen, um
den Accord auf G, als den Accord auf der Domi-
nante des Haupttones C dur zu bezeichnen. Da
nun aber diese hinzugefügte Septime stark dissonirt, so
entsteht die Nothwendigkeit, sie in der nächsten Har-
monie in eine Consonanz übergehen zu lassen. Weil
nun der Schluß in den Hauptton geht, dessen
Quarte die Septime der Dominante ist, so tritt sie
natürlicher Weise einen Grad unter sich in die Terz
des folgenden Grundtones.

Diese Dissonanz wird in den verschiedenen Um-
kehrungen des Septimenaccords bald zur Quinte,
(*) S.
Septime.
bald zur Terz, bald zum Grundton (*), wie aus der
Tabelle, wo zugleich die Vorbereitungen und Auflö-
[Spaltenumbruch]

Dis
sungen dieser wesentlichen Dissonanz beutlich ange-
zeiget sind, zu sehen ist.

Dieses sind also die drey Arten der Dissonanzen,
und die Gelegenheiten oder Veranlasungen, durch
welche ihr Gebrauch eingeführt worden. Die zweyte
Art oder die Vorhalte dienen, die consonirende Har-
monie aufzuhalten, um das Verlangen nach der-
selben zu erweken, zugleich aber haben sie, vermit-
telst der Bindungen, auf den Gang des Taktes einen
Einfluß, in dem sie die Takte in einander verschlin-
gen, und dadurch die Aufmerksamkeit unaufhörlich
reizen: die dritte Art, nämlich die wesentlichen, hin-
tern die Ruhe, die man sonst bey der Harmonie
des Dreyklanges finden würde, leiten das Gehör
nach dem Schlusse auf der nächsten Harmonie, und
können, wenn sie in verschiedenen hintereinander
folgenden Accorden angebracht werden, die Empfin-
dung in einer langen Erwartung halten.

Also kann man überhaupt sagen, daß die Disso-
nanzen viel Lebhaftigkeit in die Musik bringen, und
wichtige Hülfsmittel zum guten Ausdruk sind; da
sie enge Verbindungen, Aufhaltungen, Verwiklun-
gen, Erwartungen und Täuschungen des Gehörs
erweken.

Endlich ist noch ein Fall zu bemerken, wodurch
bisweilen bey Ausweichungen auch Dissonanzen von
einer besondern Art entstehen, nämlich die übermäßi-
gen Jntervalle. Nichts ist geschikter einen Ton an-
zukündigen, als das subsemitonium desselben, oder seine
grosse Septime. Wenn man daher ganz schnell in
einen Ton hineintreten will, so kann dieses füglich
dadurch geschehen, daß man in dem vorhergehenden
Accord plötzlich seine grosse Septime als einen frem-
den Ton hören läßt; daher entstehen die übermäßi-
gen Dissonanzen, wovon die Beyspiele in der fol-
genden Tabelle zu sehen sind.

Tabelle der Dissonanzen,
in welcher ihre Verhältnisse und ihr Gebrauch deut-
lich zu erkennen sind.
I. Die übermäßige Prime und in der Umkehrung
die verminderte Octave.

Sie ist eigentlich der Unterschied zwischen der
großen und kleinen Terz, folglich nach ihrem
reinen Verhältnis ; kommt aber in unserm
System in viererley Verhältnissen vor.

[Abbildung]
[Spaltenumbruch]
Diſ
[Abbildung]

Man ſetze, daß man in C dur auf der Dominante
den Dreyklang zur Harmonie genommen habe, wie
hier bey 1 und 2, von da aber in dem Hauptton
C ſchlieſſen wolle; ſo wird man leicht begreifen, daß
die Septime nothwendig muͤſſe zn Huͤlfe genommen
werden, um die Harmonie nach dem Hauptton zu
lenken. Denn ohne dieſe Septime iſt nichts vorhan-
den, das das Gehoͤr nach dem Schluß in C lenkt;
man kann in G ſtehen bleiben, oder von da hinge-
hen, wo man will, weil ein voͤllig conſonirender
Accord die Fortſchreitung der Harmonie ganz unbe-
ſtimmt laͤßt. Ferner iſt auch offenbar, daß man
bey dem Dreyklang auf G ungewiß iſt, in welchem
Haupttone man ſich befindet, in dem dieſe Harmo-
nie ſowol der Dominante des Tons C dur, als dem
Ton G als Hauptton zukommt.

Dieſe doppelte Ungewißheit oder Unbeſtimmtheit
in Anſehung der Harmonie und Fortſchreitung wird
gehoben, ſo bald man eines der Jntervalle des
Dreyklanges verlaͤßt, und die Septime dafuͤr nimmt.
Denn dieſe laͤßt das Gehoͤr nicht laͤnger im Zwei-
fel, daß der Accord, den man hoͤrt, der Accord auf
der Dominante des Haupttones C dur ſey, weil der
Hauptton G dur in ſeiner Tonleiter nicht F, ſondern
Fis hat. Eben ſo wuͤrde man im dritten Beyſpiel,
in dem man auf den Accord G kommt, den Ton
F aus dem vorhergehenden Accord liegen laſſen, um
den Accord auf G, als den Accord auf der Domi-
nante des Haupttones C dur zu bezeichnen. Da
nun aber dieſe hinzugefuͤgte Septime ſtark diſſonirt, ſo
entſteht die Nothwendigkeit, ſie in der naͤchſten Har-
monie in eine Conſonanz uͤbergehen zu laſſen. Weil
nun der Schluß in den Hauptton geht, deſſen
Quarte die Septime der Dominante iſt, ſo tritt ſie
natuͤrlicher Weiſe einen Grad unter ſich in die Terz
des folgenden Grundtones.

Dieſe Diſſonanz wird in den verſchiedenen Um-
kehrungen des Septimenaccords bald zur Quinte,
(*) S.
Septime.
bald zur Terz, bald zum Grundton (*), wie aus der
Tabelle, wo zugleich die Vorbereitungen und Aufloͤ-
[Spaltenumbruch]

Diſ
ſungen dieſer weſentlichen Diſſonanz beutlich ange-
zeiget ſind, zu ſehen iſt.

Dieſes ſind alſo die drey Arten der Diſſonanzen,
und die Gelegenheiten oder Veranlaſungen, durch
welche ihr Gebrauch eingefuͤhrt worden. Die zweyte
Art oder die Vorhalte dienen, die conſonirende Har-
monie aufzuhalten, um das Verlangen nach der-
ſelben zu erweken, zugleich aber haben ſie, vermit-
telſt der Bindungen, auf den Gang des Taktes einen
Einfluß, in dem ſie die Takte in einander verſchlin-
gen, und dadurch die Aufmerkſamkeit unaufhoͤrlich
reizen: die dritte Art, naͤmlich die weſentlichen, hin-
tern die Ruhe, die man ſonſt bey der Harmonie
des Dreyklanges finden wuͤrde, leiten das Gehoͤr
nach dem Schluſſe auf der naͤchſten Harmonie, und
koͤnnen, wenn ſie in verſchiedenen hintereinander
folgenden Accorden angebracht werden, die Empfin-
dung in einer langen Erwartung halten.

Alſo kann man uͤberhaupt ſagen, daß die Diſſo-
nanzen viel Lebhaftigkeit in die Muſik bringen, und
wichtige Huͤlfsmittel zum guten Ausdruk ſind; da
ſie enge Verbindungen, Aufhaltungen, Verwiklun-
gen, Erwartungen und Taͤuſchungen des Gehoͤrs
erweken.

Endlich iſt noch ein Fall zu bemerken, wodurch
bisweilen bey Ausweichungen auch Diſſonanzen von
einer beſondern Art entſtehen, naͤmlich die uͤbermaͤßi-
gen Jntervalle. Nichts iſt geſchikter einen Ton an-
zukuͤndigen, als das ſubſemitonium deſſelben, oder ſeine
groſſe Septime. Wenn man daher ganz ſchnell in
einen Ton hineintreten will, ſo kann dieſes fuͤglich
dadurch geſchehen, daß man in dem vorhergehenden
Accord ploͤtzlich ſeine groſſe Septime als einen frem-
den Ton hoͤren laͤßt; daher entſtehen die uͤbermaͤßi-
gen Diſſonanzen, wovon die Beyſpiele in der fol-
genden Tabelle zu ſehen ſind.

Tabelle der Diſſonanzen,
in welcher ihre Verhaͤltniſſe und ihr Gebrauch deut-
lich zu erkennen ſind.
I. Die uͤbermaͤßige Prime und in der Umkehrung
die verminderte Octave.

Sie iſt eigentlich der Unterſchied zwiſchen der
großen und kleinen Terz, folglich nach ihrem
reinen Verhaͤltnis ; kommt aber in unſerm
Syſtem in viererley Verhaͤltniſſen vor.

[Abbildung]
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0278" n="266"/>
          <cb/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#g">Di&#x017F;</hi> </fw><lb/>
          <figure/><lb/>
          <p>Man &#x017F;etze, daß man in <hi rendition="#aq">C</hi> dur auf der Dominante<lb/>
den Dreyklang zur Harmonie genommen habe, wie<lb/>
hier bey 1 und 2, von da aber in dem Hauptton<lb/><hi rendition="#aq">C</hi> &#x017F;chlie&#x017F;&#x017F;en wolle; &#x017F;o wird man leicht begreifen, daß<lb/>
die Septime nothwendig mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e zn Hu&#x0364;lfe genommen<lb/>
werden, um die Harmonie nach dem Hauptton zu<lb/>
lenken. Denn ohne die&#x017F;e Septime i&#x017F;t nichts vorhan-<lb/>
den, das das Geho&#x0364;r nach dem Schluß in <hi rendition="#aq">C</hi> lenkt;<lb/>
man kann in <hi rendition="#aq">G</hi> &#x017F;tehen bleiben, oder von da hinge-<lb/>
hen, wo man will, weil ein vo&#x0364;llig con&#x017F;onirender<lb/>
Accord die Fort&#x017F;chreitung der Harmonie ganz unbe-<lb/>
&#x017F;timmt la&#x0364;ßt. Ferner i&#x017F;t auch offenbar, daß man<lb/>
bey dem Dreyklang auf <hi rendition="#aq">G</hi> ungewiß i&#x017F;t, in welchem<lb/>
Haupttone man &#x017F;ich befindet, in dem die&#x017F;e Harmo-<lb/>
nie &#x017F;owol der Dominante des Tons <hi rendition="#aq">C</hi> dur, als dem<lb/>
Ton <hi rendition="#aq">G</hi> als Hauptton zukommt.</p><lb/>
          <p>Die&#x017F;e doppelte Ungewißheit oder Unbe&#x017F;timmtheit<lb/>
in An&#x017F;ehung der Harmonie und Fort&#x017F;chreitung wird<lb/>
gehoben, &#x017F;o bald man eines der Jntervalle des<lb/>
Dreyklanges verla&#x0364;ßt, und die Septime dafu&#x0364;r nimmt.<lb/>
Denn die&#x017F;e la&#x0364;ßt das Geho&#x0364;r nicht la&#x0364;nger im Zwei-<lb/>
fel, daß der Accord, den man ho&#x0364;rt, der Accord auf<lb/>
der Dominante des Haupttones <hi rendition="#aq">C</hi> dur &#x017F;ey, weil der<lb/>
Hauptton <hi rendition="#aq">G</hi> dur in &#x017F;einer Tonleiter nicht <hi rendition="#aq">F,</hi> &#x017F;ondern<lb/><hi rendition="#aq">Fis</hi> hat. Eben &#x017F;o wu&#x0364;rde man im dritten Bey&#x017F;piel,<lb/>
in dem man auf den Accord <hi rendition="#aq">G</hi> kommt, den Ton<lb/><hi rendition="#aq">F</hi> aus dem vorhergehenden Accord liegen la&#x017F;&#x017F;en, um<lb/>
den Accord auf <hi rendition="#aq">G,</hi> als den Accord auf der Domi-<lb/>
nante des Haupttones <hi rendition="#aq">C</hi> dur zu bezeichnen. Da<lb/>
nun aber die&#x017F;e hinzugefu&#x0364;gte Septime &#x017F;tark di&#x017F;&#x017F;onirt, &#x017F;o<lb/>
ent&#x017F;teht die Nothwendigkeit, &#x017F;ie in der na&#x0364;ch&#x017F;ten Har-<lb/>
monie in eine Con&#x017F;onanz u&#x0364;bergehen zu la&#x017F;&#x017F;en. Weil<lb/>
nun der Schluß in den Hauptton geht, de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Quarte die Septime der Dominante i&#x017F;t, &#x017F;o tritt &#x017F;ie<lb/>
natu&#x0364;rlicher Wei&#x017F;e einen Grad unter &#x017F;ich in die Terz<lb/>
des folgenden Grundtones.</p><lb/>
          <p>Die&#x017F;e Di&#x017F;&#x017F;onanz wird in den ver&#x017F;chiedenen Um-<lb/>
kehrungen des Septimenaccords bald zur Quinte,<lb/><note place="left">(*) S.<lb/>
Septime.</note>bald zur Terz, bald zum Grundton (*), wie aus der<lb/>
Tabelle, wo zugleich die Vorbereitungen und Auflo&#x0364;-<lb/><cb/>
<fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Di&#x017F;</hi></fw><lb/>
&#x017F;ungen die&#x017F;er we&#x017F;entlichen Di&#x017F;&#x017F;onanz beutlich ange-<lb/>
zeiget &#x017F;ind, zu &#x017F;ehen i&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Die&#x017F;es &#x017F;ind al&#x017F;o die drey Arten der Di&#x017F;&#x017F;onanzen,<lb/>
und die Gelegenheiten oder Veranla&#x017F;ungen, durch<lb/>
welche ihr Gebrauch eingefu&#x0364;hrt worden. Die zweyte<lb/>
Art oder die Vorhalte dienen, die con&#x017F;onirende Har-<lb/>
monie aufzuhalten, um das Verlangen nach der-<lb/>
&#x017F;elben zu erweken, zugleich aber haben &#x017F;ie, vermit-<lb/>
tel&#x017F;t der Bindungen, auf den Gang des Taktes einen<lb/>
Einfluß, in dem &#x017F;ie die Takte in einander ver&#x017F;chlin-<lb/>
gen, und dadurch die Aufmerk&#x017F;amkeit unaufho&#x0364;rlich<lb/>
reizen: die dritte Art, na&#x0364;mlich die we&#x017F;entlichen, hin-<lb/>
tern die Ruhe, die man &#x017F;on&#x017F;t bey der Harmonie<lb/>
des Dreyklanges finden wu&#x0364;rde, leiten das Geho&#x0364;r<lb/>
nach dem Schlu&#x017F;&#x017F;e auf der na&#x0364;ch&#x017F;ten Harmonie, und<lb/>
ko&#x0364;nnen, wenn &#x017F;ie in ver&#x017F;chiedenen hintereinander<lb/>
folgenden Accorden angebracht werden, die Empfin-<lb/>
dung in einer langen Erwartung halten.</p><lb/>
          <p>Al&#x017F;o kann man u&#x0364;berhaupt &#x017F;agen, daß die Di&#x017F;&#x017F;o-<lb/>
nanzen viel Lebhaftigkeit in die Mu&#x017F;ik bringen, und<lb/>
wichtige Hu&#x0364;lfsmittel zum guten Ausdruk &#x017F;ind; da<lb/>
&#x017F;ie enge Verbindungen, Aufhaltungen, Verwiklun-<lb/>
gen, Erwartungen und Ta&#x0364;u&#x017F;chungen des Geho&#x0364;rs<lb/>
erweken.</p><lb/>
          <p>Endlich i&#x017F;t noch ein Fall zu bemerken, wodurch<lb/>
bisweilen bey Ausweichungen auch Di&#x017F;&#x017F;onanzen von<lb/>
einer be&#x017F;ondern Art ent&#x017F;tehen, na&#x0364;mlich die u&#x0364;berma&#x0364;ßi-<lb/>
gen Jntervalle. Nichts i&#x017F;t ge&#x017F;chikter einen Ton an-<lb/>
zuku&#x0364;ndigen, als das <hi rendition="#aq">&#x017F;ub&#x017F;emitonium</hi> de&#x017F;&#x017F;elben, oder &#x017F;eine<lb/>
gro&#x017F;&#x017F;e Septime. Wenn man daher ganz &#x017F;chnell in<lb/>
einen Ton hineintreten will, &#x017F;o kann die&#x017F;es fu&#x0364;glich<lb/>
dadurch ge&#x017F;chehen, daß man in dem vorhergehenden<lb/>
Accord plo&#x0364;tzlich &#x017F;eine gro&#x017F;&#x017F;e Septime als einen frem-<lb/>
den Ton ho&#x0364;ren la&#x0364;ßt; daher ent&#x017F;tehen die u&#x0364;berma&#x0364;ßi-<lb/>
gen Di&#x017F;&#x017F;onanzen, wovon die Bey&#x017F;piele in der fol-<lb/>
genden Tabelle zu &#x017F;ehen &#x017F;ind.</p><lb/>
          <div n="3">
            <head>Tabelle der Di&#x017F;&#x017F;onanzen,<lb/>
in welcher ihre Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e und ihr Gebrauch deut-<lb/>
lich zu erkennen &#x017F;ind.</head><lb/>
            <list>
              <item><hi rendition="#aq">I.</hi> Die <hi rendition="#fr">u&#x0364;berma&#x0364;ßige Prime</hi> und in der Umkehrung<lb/><hi rendition="#fr">die verminderte Octave.</hi></item>
            </list><lb/>
            <p>Sie i&#x017F;t eigentlich der Unter&#x017F;chied zwi&#x017F;chen der<lb/>
großen und kleinen Terz, folglich nach ihrem<lb/>
reinen Verha&#x0364;ltnis <formula notation="TeX">\frac {24}{25}</formula>; kommt aber in un&#x017F;erm<lb/>
Sy&#x017F;tem in viererley Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;en vor.</p><lb/>
            <p>
              <formula notation="TeX">\frac {243}{256}</formula>
            </p>
            <figure/><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[266/0278] Diſ Diſ [Abbildung] Man ſetze, daß man in C dur auf der Dominante den Dreyklang zur Harmonie genommen habe, wie hier bey 1 und 2, von da aber in dem Hauptton C ſchlieſſen wolle; ſo wird man leicht begreifen, daß die Septime nothwendig muͤſſe zn Huͤlfe genommen werden, um die Harmonie nach dem Hauptton zu lenken. Denn ohne dieſe Septime iſt nichts vorhan- den, das das Gehoͤr nach dem Schluß in C lenkt; man kann in G ſtehen bleiben, oder von da hinge- hen, wo man will, weil ein voͤllig conſonirender Accord die Fortſchreitung der Harmonie ganz unbe- ſtimmt laͤßt. Ferner iſt auch offenbar, daß man bey dem Dreyklang auf G ungewiß iſt, in welchem Haupttone man ſich befindet, in dem dieſe Harmo- nie ſowol der Dominante des Tons C dur, als dem Ton G als Hauptton zukommt. Dieſe doppelte Ungewißheit oder Unbeſtimmtheit in Anſehung der Harmonie und Fortſchreitung wird gehoben, ſo bald man eines der Jntervalle des Dreyklanges verlaͤßt, und die Septime dafuͤr nimmt. Denn dieſe laͤßt das Gehoͤr nicht laͤnger im Zwei- fel, daß der Accord, den man hoͤrt, der Accord auf der Dominante des Haupttones C dur ſey, weil der Hauptton G dur in ſeiner Tonleiter nicht F, ſondern Fis hat. Eben ſo wuͤrde man im dritten Beyſpiel, in dem man auf den Accord G kommt, den Ton F aus dem vorhergehenden Accord liegen laſſen, um den Accord auf G, als den Accord auf der Domi- nante des Haupttones C dur zu bezeichnen. Da nun aber dieſe hinzugefuͤgte Septime ſtark diſſonirt, ſo entſteht die Nothwendigkeit, ſie in der naͤchſten Har- monie in eine Conſonanz uͤbergehen zu laſſen. Weil nun der Schluß in den Hauptton geht, deſſen Quarte die Septime der Dominante iſt, ſo tritt ſie natuͤrlicher Weiſe einen Grad unter ſich in die Terz des folgenden Grundtones. Dieſe Diſſonanz wird in den verſchiedenen Um- kehrungen des Septimenaccords bald zur Quinte, bald zur Terz, bald zum Grundton (*), wie aus der Tabelle, wo zugleich die Vorbereitungen und Aufloͤ- ſungen dieſer weſentlichen Diſſonanz beutlich ange- zeiget ſind, zu ſehen iſt. (*) S. Septime. Dieſes ſind alſo die drey Arten der Diſſonanzen, und die Gelegenheiten oder Veranlaſungen, durch welche ihr Gebrauch eingefuͤhrt worden. Die zweyte Art oder die Vorhalte dienen, die conſonirende Har- monie aufzuhalten, um das Verlangen nach der- ſelben zu erweken, zugleich aber haben ſie, vermit- telſt der Bindungen, auf den Gang des Taktes einen Einfluß, in dem ſie die Takte in einander verſchlin- gen, und dadurch die Aufmerkſamkeit unaufhoͤrlich reizen: die dritte Art, naͤmlich die weſentlichen, hin- tern die Ruhe, die man ſonſt bey der Harmonie des Dreyklanges finden wuͤrde, leiten das Gehoͤr nach dem Schluſſe auf der naͤchſten Harmonie, und koͤnnen, wenn ſie in verſchiedenen hintereinander folgenden Accorden angebracht werden, die Empfin- dung in einer langen Erwartung halten. Alſo kann man uͤberhaupt ſagen, daß die Diſſo- nanzen viel Lebhaftigkeit in die Muſik bringen, und wichtige Huͤlfsmittel zum guten Ausdruk ſind; da ſie enge Verbindungen, Aufhaltungen, Verwiklun- gen, Erwartungen und Taͤuſchungen des Gehoͤrs erweken. Endlich iſt noch ein Fall zu bemerken, wodurch bisweilen bey Ausweichungen auch Diſſonanzen von einer beſondern Art entſtehen, naͤmlich die uͤbermaͤßi- gen Jntervalle. Nichts iſt geſchikter einen Ton an- zukuͤndigen, als das ſubſemitonium deſſelben, oder ſeine groſſe Septime. Wenn man daher ganz ſchnell in einen Ton hineintreten will, ſo kann dieſes fuͤglich dadurch geſchehen, daß man in dem vorhergehenden Accord ploͤtzlich ſeine groſſe Septime als einen frem- den Ton hoͤren laͤßt; daher entſtehen die uͤbermaͤßi- gen Diſſonanzen, wovon die Beyſpiele in der fol- genden Tabelle zu ſehen ſind. Tabelle der Diſſonanzen, in welcher ihre Verhaͤltniſſe und ihr Gebrauch deut- lich zu erkennen ſind. I. Die uͤbermaͤßige Prime und in der Umkehrung die verminderte Octave. Sie iſt eigentlich der Unterſchied zwiſchen der großen und kleinen Terz, folglich nach ihrem reinen Verhaͤltnis [FORMEL]; kommt aber in unſerm Syſtem in viererley Verhaͤltniſſen vor. [FORMEL] [Abbildung]

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/278
Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/278>, abgerufen am 24.11.2024.