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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

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Dek Den
nothwendig. Denn wer auf einer Deke, die achzig
oder wol hundert Fuß lang, dabey nur etwa zwan-
zig bis 24 Fuß hoch ist, nur ein einziges Gemähld
anbringen wollte, müßte nothwendig die von dem
Augenpunkt entferntesten Gegenstände so sehr ver-
zogen vorstellen, daß sie ausser dem Gesichtspunkt
höchst unförmlich erscheinen würden. Dieses wird
allemal geschehen, wenn auf dem Gemählde Gegen-
stände vorkommen, die weiter von dem Augenpunkt
abliegen, als die Höhe des Zimmers beträgt. Also
ist wegen der Anordnung und Zeichnung der De-
kengemählden sehr viel mehr zu überlegen, als bey
irgend einer andern Gattung. Eben dieses gilt
auch von den Farben, die in den Dekengemählden
nach einer eigenen Art müssen behandelt werden.
Es wäre wol der Mühe werth, daß die Regeln der
Kunst, blos in Absicht auf die Dekengemählde, in
einem besondern Werk vorgetragen würden. Denn
wenn irgend ein Theil der Kunst mit Genauigkeit
will studirt seyn, so ist es dieser, der überhaupt
seinen eigenen Mann erfodert.

Denkmal.
(Zeichnende Künste.)

Ein an öffentlichen Plätzen stehendes Werk der
Kunst, das als ein Zeichen das Andenken merkwür-
diger Personen oder Sachen, beständig unterhalten
und auf die Nachwelt fortpflanzen soll. Jedes
Denkmal soll das Aug derer, die es sehen, auf sich
ziehen, und in den Gemüthern empfindungsvolle
Vorstellungen von den Personen oder Sachen, zu
deren Andenken es gesetzt ist, erweken. Zu dieser
Gattung gehören also die Grabmäler, die Statuen
verdienstvoller Personen, Tropheen, Triumphbo-
gen, Ehrenpforten, und solche Werke der Baukunst,
auf denen die zeichnenden Künste mit der Nach-
welt sprechen. Da der vornehmste Zweck der schö-
nen Künste, in einer lebhaften und auf Erwekung
tugendhafter Empfindung abziehlenden Rührung
der Gemüther besteht, so gehören die Denkmäler
unter die wichtigsten Werke, und verdienen daher in
eine ernsthafte Betrachtung gezogen zu werden.

Seit dem die Schrift erfunden worden ist, schei-
net eine, an öffentlichen Plätzen gesetzte schriftliche
Nachricht, das leichteste Mittel den Endzweck der
Denkmäler zu erreichen, und daher haben auch die
einfachesten der Denkmäler ihren Ursprung, Pyra-
miden, Säulen, oder blosse Mauern, auf welchen
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Den
eine Schrift in Stein gehauen, oder in Ertzt gegos-
sen, zu lesen ist. Es scheinet überaus natürlich, daß
unter einem Volke, das öffentliche Tugend und
Verdienst zu schätzen weiß, dergleichen Denkmäler
häufig sollten anzutreffen seyn. Man stelle sich eine
Stadt vor, deren öffentliche Plätze, deren Spazier-
gänge in den nächsten Gegenden um die Stadt her-
um, mit solchen Denkmälern besetzt wären, auf
denen das Andenken jedes verdienstvollen Bürgers
des Staats, für die Nachwelt auf behalten würde;
so wird man leicht begreifen, was für grossen Nu-
tzen solche Denkmäler haben könnten. Man muß
sich in der That wundern, daß ein so sehr einfaches
Mittel die Menschen auf die nachdrüklichste Weise
durch die Beyspiele ihrer Vorfahren zu jedem Ver-
dienst aufzumuntern, fast gar nicht gebraucht wird.
Diese Nachläßigkeit beweiset unwidersprechlich, wie
wenig man es darauf anlegt, die Menschen zum
Verdienst und zur bürgerlichen Tugend aufzumun-
tern. Man begnüget sich an den Begräbnißstellen,
wo niemand gerne hingeht, das Andenken der
Verstorbenen durch elende Denkmäler zu erhalten,
und auf öffentlichen Plätzen, die jederman mit
Vergnügen besucht, und wo man mit leichter Mü-
he täglich den besten Theil der Bürger versam-
meln könnte, sieht man nichts, das irgend einen
auf rechtschaffene Gesinnungen abziehlenden Ge-
danken erweken konnte.

Jn Athen war einer der öffentlichen Spatzier-
gänge, eine bedekte Säulenlaube, (*) in welcher die(*) Der
Portikus
oder die
Stoa, dar-
in Zeno die
Philosophie
gelehrt hat,
die daher
die stoische
genennt
wird.

Thaten der verdientesten Bürger abgemahlt waren.
Was wäre leichter, als alle Spatziergänge durch
Denkmäler, nicht blos zu verschönern, sondern zu
Schulen der Tugend, und der grossen patriotischen
Gesinnungen zu machen?

Jnzwischen soll der wenige Gebrauch, den man
von öffentlichen Denkmälern macht, uns nicht ab-
halten, ihre Arten, nebst dem, was zu dem guten
Geschmak derselben gehört, in reifliche Erwägung
zu ziehen.

Man hat bey jedem Denkmal auf zwey Dinge
zu sehen, auf den Körper desselben, der eine frey-
stehende Maße ist, die durch eine gute Form einer
eigenen Art das Aug auf sich zieht; und denn auf
den Geist oder die Seele desselben, wodurch eigent-
lich der Haupteindruk, auf den das Denkmal ab-
zielt, soll gemacht werden.

Die

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Dek Den
nothwendig. Denn wer auf einer Deke, die achzig
oder wol hundert Fuß lang, dabey nur etwa zwan-
zig bis 24 Fuß hoch iſt, nur ein einziges Gemaͤhld
anbringen wollte, muͤßte nothwendig die von dem
Augenpunkt entfernteſten Gegenſtaͤnde ſo ſehr ver-
zogen vorſtellen, daß ſie auſſer dem Geſichtspunkt
hoͤchſt unfoͤrmlich erſcheinen wuͤrden. Dieſes wird
allemal geſchehen, wenn auf dem Gemaͤhlde Gegen-
ſtaͤnde vorkommen, die weiter von dem Augenpunkt
abliegen, als die Hoͤhe des Zimmers betraͤgt. Alſo
iſt wegen der Anordnung und Zeichnung der De-
kengemaͤhlden ſehr viel mehr zu uͤberlegen, als bey
irgend einer andern Gattung. Eben dieſes gilt
auch von den Farben, die in den Dekengemaͤhlden
nach einer eigenen Art muͤſſen behandelt werden.
Es waͤre wol der Muͤhe werth, daß die Regeln der
Kunſt, blos in Abſicht auf die Dekengemaͤhlde, in
einem beſondern Werk vorgetragen wuͤrden. Denn
wenn irgend ein Theil der Kunſt mit Genauigkeit
will ſtudirt ſeyn, ſo iſt es dieſer, der uͤberhaupt
ſeinen eigenen Mann erfodert.

Denkmal.
(Zeichnende Kuͤnſte.)

Ein an oͤffentlichen Plaͤtzen ſtehendes Werk der
Kunſt, das als ein Zeichen das Andenken merkwuͤr-
diger Perſonen oder Sachen, beſtaͤndig unterhalten
und auf die Nachwelt fortpflanzen ſoll. Jedes
Denkmal ſoll das Aug derer, die es ſehen, auf ſich
ziehen, und in den Gemuͤthern empfindungsvolle
Vorſtellungen von den Perſonen oder Sachen, zu
deren Andenken es geſetzt iſt, erweken. Zu dieſer
Gattung gehoͤren alſo die Grabmaͤler, die Statuen
verdienſtvoller Perſonen, Tropheen, Triumphbo-
gen, Ehrenpforten, und ſolche Werke der Baukunſt,
auf denen die zeichnenden Kuͤnſte mit der Nach-
welt ſprechen. Da der vornehmſte Zweck der ſchoͤ-
nen Kuͤnſte, in einer lebhaften und auf Erwekung
tugendhafter Empfindung abziehlenden Ruͤhrung
der Gemuͤther beſteht, ſo gehoͤren die Denkmaͤler
unter die wichtigſten Werke, und verdienen daher in
eine ernſthafte Betrachtung gezogen zu werden.

Seit dem die Schrift erfunden worden iſt, ſchei-
net eine, an oͤffentlichen Plaͤtzen geſetzte ſchriftliche
Nachricht, das leichteſte Mittel den Endzweck der
Denkmaͤler zu erreichen, und daher haben auch die
einfacheſten der Denkmaͤler ihren Urſprung, Pyra-
miden, Saͤulen, oder bloſſe Mauern, auf welchen
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Den
eine Schrift in Stein gehauen, oder in Ertzt gegoſ-
ſen, zu leſen iſt. Es ſcheinet uͤberaus natuͤrlich, daß
unter einem Volke, das oͤffentliche Tugend und
Verdienſt zu ſchaͤtzen weiß, dergleichen Denkmaͤler
haͤufig ſollten anzutreffen ſeyn. Man ſtelle ſich eine
Stadt vor, deren oͤffentliche Plaͤtze, deren Spazier-
gaͤnge in den naͤchſten Gegenden um die Stadt her-
um, mit ſolchen Denkmaͤlern beſetzt waͤren, auf
denen das Andenken jedes verdienſtvollen Buͤrgers
des Staats, fuͤr die Nachwelt auf behalten wuͤrde;
ſo wird man leicht begreifen, was fuͤr groſſen Nu-
tzen ſolche Denkmaͤler haben koͤnnten. Man muß
ſich in der That wundern, daß ein ſo ſehr einfaches
Mittel die Menſchen auf die nachdruͤklichſte Weiſe
durch die Beyſpiele ihrer Vorfahren zu jedem Ver-
dienſt aufzumuntern, faſt gar nicht gebraucht wird.
Dieſe Nachlaͤßigkeit beweiſet unwiderſprechlich, wie
wenig man es darauf anlegt, die Menſchen zum
Verdienſt und zur buͤrgerlichen Tugend aufzumun-
tern. Man begnuͤget ſich an den Begraͤbnißſtellen,
wo niemand gerne hingeht, das Andenken der
Verſtorbenen durch elende Denkmaͤler zu erhalten,
und auf oͤffentlichen Plaͤtzen, die jederman mit
Vergnuͤgen beſucht, und wo man mit leichter Muͤ-
he taͤglich den beſten Theil der Buͤrger verſam-
meln koͤnnte, ſieht man nichts, das irgend einen
auf rechtſchaffene Geſinnungen abziehlenden Ge-
danken erweken konnte.

Jn Athen war einer der oͤffentlichen Spatzier-
gaͤnge, eine bedekte Saͤulenlaube, (*) in welcher die(*) Der
Portikus
oder die
Stoa, dar-
in Zeno die
Philoſophie
gelehrt hat,
die daher
die ſtoiſche
genennt
wird.

Thaten der verdienteſten Buͤrger abgemahlt waren.
Was waͤre leichter, als alle Spatziergaͤnge durch
Denkmaͤler, nicht blos zu verſchoͤnern, ſondern zu
Schulen der Tugend, und der groſſen patriotiſchen
Geſinnungen zu machen?

Jnzwiſchen ſoll der wenige Gebrauch, den man
von oͤffentlichen Denkmaͤlern macht, uns nicht ab-
halten, ihre Arten, nebſt dem, was zu dem guten
Geſchmak derſelben gehoͤrt, in reifliche Erwaͤgung
zu ziehen.

Man hat bey jedem Denkmal auf zwey Dinge
zu ſehen, auf den Koͤrper deſſelben, der eine frey-
ſtehende Maße iſt, die durch eine gute Form einer
eigenen Art das Aug auf ſich zieht; und denn auf
den Geiſt oder die Seele deſſelben, wodurch eigent-
lich der Haupteindruk, auf den das Denkmal ab-
zielt, ſoll gemacht werden.

Die
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[238/0250] Dek Den Den nothwendig. Denn wer auf einer Deke, die achzig oder wol hundert Fuß lang, dabey nur etwa zwan- zig bis 24 Fuß hoch iſt, nur ein einziges Gemaͤhld anbringen wollte, muͤßte nothwendig die von dem Augenpunkt entfernteſten Gegenſtaͤnde ſo ſehr ver- zogen vorſtellen, daß ſie auſſer dem Geſichtspunkt hoͤchſt unfoͤrmlich erſcheinen wuͤrden. Dieſes wird allemal geſchehen, wenn auf dem Gemaͤhlde Gegen- ſtaͤnde vorkommen, die weiter von dem Augenpunkt abliegen, als die Hoͤhe des Zimmers betraͤgt. Alſo iſt wegen der Anordnung und Zeichnung der De- kengemaͤhlden ſehr viel mehr zu uͤberlegen, als bey irgend einer andern Gattung. Eben dieſes gilt auch von den Farben, die in den Dekengemaͤhlden nach einer eigenen Art muͤſſen behandelt werden. Es waͤre wol der Muͤhe werth, daß die Regeln der Kunſt, blos in Abſicht auf die Dekengemaͤhlde, in einem beſondern Werk vorgetragen wuͤrden. Denn wenn irgend ein Theil der Kunſt mit Genauigkeit will ſtudirt ſeyn, ſo iſt es dieſer, der uͤberhaupt ſeinen eigenen Mann erfodert. Denkmal. (Zeichnende Kuͤnſte.) Ein an oͤffentlichen Plaͤtzen ſtehendes Werk der Kunſt, das als ein Zeichen das Andenken merkwuͤr- diger Perſonen oder Sachen, beſtaͤndig unterhalten und auf die Nachwelt fortpflanzen ſoll. Jedes Denkmal ſoll das Aug derer, die es ſehen, auf ſich ziehen, und in den Gemuͤthern empfindungsvolle Vorſtellungen von den Perſonen oder Sachen, zu deren Andenken es geſetzt iſt, erweken. Zu dieſer Gattung gehoͤren alſo die Grabmaͤler, die Statuen verdienſtvoller Perſonen, Tropheen, Triumphbo- gen, Ehrenpforten, und ſolche Werke der Baukunſt, auf denen die zeichnenden Kuͤnſte mit der Nach- welt ſprechen. Da der vornehmſte Zweck der ſchoͤ- nen Kuͤnſte, in einer lebhaften und auf Erwekung tugendhafter Empfindung abziehlenden Ruͤhrung der Gemuͤther beſteht, ſo gehoͤren die Denkmaͤler unter die wichtigſten Werke, und verdienen daher in eine ernſthafte Betrachtung gezogen zu werden. Seit dem die Schrift erfunden worden iſt, ſchei- net eine, an oͤffentlichen Plaͤtzen geſetzte ſchriftliche Nachricht, das leichteſte Mittel den Endzweck der Denkmaͤler zu erreichen, und daher haben auch die einfacheſten der Denkmaͤler ihren Urſprung, Pyra- miden, Saͤulen, oder bloſſe Mauern, auf welchen eine Schrift in Stein gehauen, oder in Ertzt gegoſ- ſen, zu leſen iſt. Es ſcheinet uͤberaus natuͤrlich, daß unter einem Volke, das oͤffentliche Tugend und Verdienſt zu ſchaͤtzen weiß, dergleichen Denkmaͤler haͤufig ſollten anzutreffen ſeyn. Man ſtelle ſich eine Stadt vor, deren oͤffentliche Plaͤtze, deren Spazier- gaͤnge in den naͤchſten Gegenden um die Stadt her- um, mit ſolchen Denkmaͤlern beſetzt waͤren, auf denen das Andenken jedes verdienſtvollen Buͤrgers des Staats, fuͤr die Nachwelt auf behalten wuͤrde; ſo wird man leicht begreifen, was fuͤr groſſen Nu- tzen ſolche Denkmaͤler haben koͤnnten. Man muß ſich in der That wundern, daß ein ſo ſehr einfaches Mittel die Menſchen auf die nachdruͤklichſte Weiſe durch die Beyſpiele ihrer Vorfahren zu jedem Ver- dienſt aufzumuntern, faſt gar nicht gebraucht wird. Dieſe Nachlaͤßigkeit beweiſet unwiderſprechlich, wie wenig man es darauf anlegt, die Menſchen zum Verdienſt und zur buͤrgerlichen Tugend aufzumun- tern. Man begnuͤget ſich an den Begraͤbnißſtellen, wo niemand gerne hingeht, das Andenken der Verſtorbenen durch elende Denkmaͤler zu erhalten, und auf oͤffentlichen Plaͤtzen, die jederman mit Vergnuͤgen beſucht, und wo man mit leichter Muͤ- he taͤglich den beſten Theil der Buͤrger verſam- meln koͤnnte, ſieht man nichts, das irgend einen auf rechtſchaffene Geſinnungen abziehlenden Ge- danken erweken konnte. Jn Athen war einer der oͤffentlichen Spatzier- gaͤnge, eine bedekte Saͤulenlaube, (*) in welcher die Thaten der verdienteſten Buͤrger abgemahlt waren. Was waͤre leichter, als alle Spatziergaͤnge durch Denkmaͤler, nicht blos zu verſchoͤnern, ſondern zu Schulen der Tugend, und der groſſen patriotiſchen Geſinnungen zu machen? (*) Der Portikus oder die Stoa, dar- in Zeno die Philoſophie gelehrt hat, die daher die ſtoiſche genennt wird. Jnzwiſchen ſoll der wenige Gebrauch, den man von oͤffentlichen Denkmaͤlern macht, uns nicht ab- halten, ihre Arten, nebſt dem, was zu dem guten Geſchmak derſelben gehoͤrt, in reifliche Erwaͤgung zu ziehen. Man hat bey jedem Denkmal auf zwey Dinge zu ſehen, auf den Koͤrper deſſelben, der eine frey- ſtehende Maße iſt, die durch eine gute Form einer eigenen Art das Aug auf ſich zieht; und denn auf den Geiſt oder die Seele deſſelben, wodurch eigent- lich der Haupteindruk, auf den das Denkmal ab- zielt, ſoll gemacht werden. Die

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/250>, abgerufen am 24.04.2024.