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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

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Cho Chr
kann ihn auch als einen Daktylus mit einer ange-
hängten langen Sylbe ansehen, wie in dem Aus-
druk himmlische Lust. Von diesem Fuß hat

Die choriambische Versart ihren Namen,
welche in lyrischen Gedichten von den Alten bisweilen
gebraucht, und im Deutschen, so viel uns bekannt,
von Klopfstok zuerst glücklich versucht wo[r]den. Der
Vers besteht aus einem oder zwey Choriamben,
welche mit Spondeen vermischt sind. Von dieser
Art sind die drey ersten Verse jeder Strophe in der
Horazischen 24 Ode des 1 Buchs.

Quis desiderio sit pudor aut modus.

Klopfstok hat seine choriambische Verse mit Tro-
chäen angefangen, welche die Deutschen ofte für
Spondäen brauchen.

Unberufen zum Scherz, welcher im Liede lacht,
Nicht gewöhnet zu sehn, tanzende Gratien,
Wollt ich Lieder wie Schmidt singt,
Lieder singen wie Hagedorn.
Chromatisch.
(Musik.)

Diesen Namen gaben die Alten einem ihrer Haupt-
systemen der Musik, in welchem die vollkommene
Quarte vier Sayten hatte, dergestalt gestimmt, daß
die zweyte gegen die erste, und die dritte gegen die
zweyte, Jntervalle ausmachten, die etwas kleiner
waren, als ein halber Ton, die vierte gegen die
dritte aber ein Jntervall, das ohngefähr mit unsrer
kleinen Terz übereinkommt. Also könnten folgende
Töne der heutigen Tonleiter

[Abbildung]

ohngefähr die vier Töne eines chromatischen Tetra-
chords vorstellen. Dieses System aber hatte noch
verschiedene Arten. Aristoxenus setzt drey Arten des
chromatischen Geschlechts, die er die weiche, die
hemiolische und die tonische nennt. Die Verhält-
nisse der Jntervalle dieser drey Arten bestimmt er so.
Er theilet die reine Quarte in Gedanken in 60 Theile,
und nimmt für die drey Jntervalle folgende Ver-
hältnisse:

Für die chromatische weiche Art - 8; 8; 44.
-- -- hemiolische - 9; 9; 42.
-- -- tonische - 12; 12; 36.

Also waren in dem weichen chromatischen die zwey
ersten Jntervalle ohngefähr Dritteltöne, und das
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Cho
dritte etwas grösser als eine kleine Terz; in dem
tonischen aber waren die zwey ersten Jntervalle halbe
Töne, und das dritte ein Jntervall von einem gan-
zen und einem halben Ton, etwas kleiner als unsre
kleine Terz.

Ptolomäus giebt nur zwey Arten des chromati-
schen Systems an, das weiche oder alte, und das
harte. Für jenes giebt er folgende Jntervalle: ;
; 5/6 für dieses aber folgende: ; ; .

Da wir überhaupt nicht mit Gewißheit sagen kön-
nen, wie die Alten ihre Tonleitern zum musikali-
schen Satz gebraucht haben, so läßt sich auch der
Gebrauch dieser chromatischen Systemen nicht be-
stimmen.

Jn der heutigen Musik haben wir eigentlich nur
das Diatonische Geschlecht beybehalten: indessen ge-
schieht es doch ofte, daß zu der Melodie Töne ge-
nommen werden, die nicht in die diatonische Leiter
des Grundtones, darin man singt, gehören. Diese
werden alsdenn chromatische Töne genennt. Be-
sonders nennt man diejenigen Stellen des Gesanges
chromatisch, wo derselbe durch verschiedene halbe
Töne hintereinander steigt oder fällt. Ein solcher
Gang drukt also natürlicher Weise allemal etwas
aus, das dem freyen Wesen der grössern diatoni-
schen Fortschreitung entgegen ist, und dienet insbe-
sondere, solche Leidenschaften auszudruken, die das
Gemüth in eine Beklemmung setzen, und etwas
Trauriges haben, Schmerz und Betrübniß, Schre-
ken, Furcht und auch Wuth. Da aber die chro-
matische Fortschreitnng im Grunde die Schönheit
des Gesanges und der Harmonie hemmet, so muß
sie in einem Stük nicht allzu ofte, sondern nur an
den Stellen angebracht werden, wo der Affekt be-
sonders auszuzeichnen ist. Ganze Stüke in chroma-
tischen Fortschreitungen haben etwas gezwungenes.

Die chromatischen Fortschreitungen erfodern ei-
nen besondern Gang des Grundbasses. Aufsteigende
Fortschreitungen entstehen natürlicher Weise, wenn
der Baß wechselsweise um eine Terz fällt, und um
eine Quarte steiget, wie in diesem Exempel:

[Abbildung]
Abstei-

[Spaltenumbruch]

Cho Chr
kann ihn auch als einen Daktylus mit einer ange-
haͤngten langen Sylbe anſehen, wie in dem Aus-
druk himmliſche Luſt. Von dieſem Fuß hat

Die choriambiſche Versart ihren Namen,
welche in lyriſchen Gedichten von den Alten bisweilen
gebraucht, und im Deutſchen, ſo viel uns bekannt,
von Klopfſtok zuerſt gluͤcklich verſucht wo[r]den. Der
Vers beſteht aus einem oder zwey Choriamben,
welche mit Spondeen vermiſcht ſind. Von dieſer
Art ſind die drey erſten Verſe jeder Strophe in der
Horaziſchen 24 Ode des 1 Buchs.

Quis deſiderio ſit pudor aut modus.

Klopfſtok hat ſeine choriambiſche Verſe mit Tro-
chaͤen angefangen, welche die Deutſchen ofte fuͤr
Spondaͤen brauchen.

Unberufen zum Scherz, welcher im Liede lacht,
Nicht gewoͤhnet zu ſehn, tanzende Gratien,
Wollt ich Lieder wie Schmidt ſingt,
Lieder ſingen wie Hagedorn.
Chromatiſch.
(Muſik.)

Dieſen Namen gaben die Alten einem ihrer Haupt-
ſyſtemen der Muſik, in welchem die vollkommene
Quarte vier Sayten hatte, dergeſtalt geſtimmt, daß
die zweyte gegen die erſte, und die dritte gegen die
zweyte, Jntervalle ausmachten, die etwas kleiner
waren, als ein halber Ton, die vierte gegen die
dritte aber ein Jntervall, das ohngefaͤhr mit unſrer
kleinen Terz uͤbereinkommt. Alſo koͤnnten folgende
Toͤne der heutigen Tonleiter

[Abbildung]

ohngefaͤhr die vier Toͤne eines chromatiſchen Tetra-
chords vorſtellen. Dieſes Syſtem aber hatte noch
verſchiedene Arten. Ariſtoxenus ſetzt drey Arten des
chromatiſchen Geſchlechts, die er die weiche, die
hemioliſche und die toniſche nennt. Die Verhaͤlt-
niſſe der Jntervalle dieſer drey Arten beſtimmt er ſo.
Er theilet die reine Quarte in Gedanken in 60 Theile,
und nimmt fuͤr die drey Jntervalle folgende Ver-
haͤltniſſe:

Fuͤr die chromatiſche weiche Art ‒ 8; 8; 44.
— — hemioliſche ‒ 9; 9; 42.
— — toniſche ‒ 12; 12; 36.

Alſo waren in dem weichen chromatiſchen die zwey
erſten Jntervalle ohngefaͤhr Dritteltoͤne, und das
[Spaltenumbruch]

Cho
dritte etwas groͤſſer als eine kleine Terz; in dem
toniſchen aber waren die zwey erſten Jntervalle halbe
Toͤne, und das dritte ein Jntervall von einem gan-
zen und einem halben Ton, etwas kleiner als unſre
kleine Terz.

Ptolomaͤus giebt nur zwey Arten des chromati-
ſchen Syſtems an, das weiche oder alte, und das
harte. Fuͤr jenes giebt er folgende Jntervalle: ;
; ⅚ fuͤr dieſes aber folgende: ; ; .

Da wir uͤberhaupt nicht mit Gewißheit ſagen koͤn-
nen, wie die Alten ihre Tonleitern zum muſikali-
ſchen Satz gebraucht haben, ſo laͤßt ſich auch der
Gebrauch dieſer chromatiſchen Syſtemen nicht be-
ſtimmen.

Jn der heutigen Muſik haben wir eigentlich nur
das Diatoniſche Geſchlecht beybehalten: indeſſen ge-
ſchieht es doch ofte, daß zu der Melodie Toͤne ge-
nommen werden, die nicht in die diatoniſche Leiter
des Grundtones, darin man ſingt, gehoͤren. Dieſe
werden alsdenn chromatiſche Toͤne genennt. Be-
ſonders nennt man diejenigen Stellen des Geſanges
chromatiſch, wo derſelbe durch verſchiedene halbe
Toͤne hintereinander ſteigt oder faͤllt. Ein ſolcher
Gang drukt alſo natuͤrlicher Weiſe allemal etwas
aus, das dem freyen Weſen der groͤſſern diatoni-
ſchen Fortſchreitung entgegen iſt, und dienet insbe-
ſondere, ſolche Leidenſchaften auszudruken, die das
Gemuͤth in eine Beklemmung ſetzen, und etwas
Trauriges haben, Schmerz und Betruͤbniß, Schre-
ken, Furcht und auch Wuth. Da aber die chro-
matiſche Fortſchreitnng im Grunde die Schoͤnheit
des Geſanges und der Harmonie hemmet, ſo muß
ſie in einem Stuͤk nicht allzu ofte, ſondern nur an
den Stellen angebracht werden, wo der Affekt be-
ſonders auszuzeichnen iſt. Ganze Stuͤke in chroma-
tiſchen Fortſchreitungen haben etwas gezwungenes.

Die chromatiſchen Fortſchreitungen erfodern ei-
nen beſondern Gang des Grundbaſſes. Aufſteigende
Fortſchreitungen entſtehen natuͤrlicher Weiſe, wenn
der Baß wechſelsweiſe um eine Terz faͤllt, und um
eine Quarte ſteiget, wie in dieſem Exempel:

[Abbildung]
Abſtei-
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[206/0218] Cho Chr Cho kann ihn auch als einen Daktylus mit einer ange- haͤngten langen Sylbe anſehen, wie in dem Aus- druk himmliſche Luſt. Von dieſem Fuß hat Die choriambiſche Versart ihren Namen, welche in lyriſchen Gedichten von den Alten bisweilen gebraucht, und im Deutſchen, ſo viel uns bekannt, von Klopfſtok zuerſt gluͤcklich verſucht worden. Der Vers beſteht aus einem oder zwey Choriamben, welche mit Spondeen vermiſcht ſind. Von dieſer Art ſind die drey erſten Verſe jeder Strophe in der Horaziſchen 24 Ode des 1 Buchs. Quis deſiderio ſit pudor aut modus. Klopfſtok hat ſeine choriambiſche Verſe mit Tro- chaͤen angefangen, welche die Deutſchen ofte fuͤr Spondaͤen brauchen. Unberufen zum Scherz, welcher im Liede lacht, Nicht gewoͤhnet zu ſehn, tanzende Gratien, Wollt ich Lieder wie Schmidt ſingt, Lieder ſingen wie Hagedorn. Chromatiſch. (Muſik.) Dieſen Namen gaben die Alten einem ihrer Haupt- ſyſtemen der Muſik, in welchem die vollkommene Quarte vier Sayten hatte, dergeſtalt geſtimmt, daß die zweyte gegen die erſte, und die dritte gegen die zweyte, Jntervalle ausmachten, die etwas kleiner waren, als ein halber Ton, die vierte gegen die dritte aber ein Jntervall, das ohngefaͤhr mit unſrer kleinen Terz uͤbereinkommt. Alſo koͤnnten folgende Toͤne der heutigen Tonleiter [Abbildung] ohngefaͤhr die vier Toͤne eines chromatiſchen Tetra- chords vorſtellen. Dieſes Syſtem aber hatte noch verſchiedene Arten. Ariſtoxenus ſetzt drey Arten des chromatiſchen Geſchlechts, die er die weiche, die hemioliſche und die toniſche nennt. Die Verhaͤlt- niſſe der Jntervalle dieſer drey Arten beſtimmt er ſo. Er theilet die reine Quarte in Gedanken in 60 Theile, und nimmt fuͤr die drey Jntervalle folgende Ver- haͤltniſſe: Fuͤr die chromatiſche weiche Art ‒ 8; 8; 44. — — hemioliſche ‒ 9; 9; 42. — — toniſche ‒ 12; 12; 36. Alſo waren in dem weichen chromatiſchen die zwey erſten Jntervalle ohngefaͤhr Dritteltoͤne, und das dritte etwas groͤſſer als eine kleine Terz; in dem toniſchen aber waren die zwey erſten Jntervalle halbe Toͤne, und das dritte ein Jntervall von einem gan- zen und einem halben Ton, etwas kleiner als unſre kleine Terz. Ptolomaͤus giebt nur zwey Arten des chromati- ſchen Syſtems an, das weiche oder alte, und das harte. Fuͤr jenes giebt er folgende Jntervalle: [FORMEL]; [FORMEL]; ⅚ fuͤr dieſes aber folgende: [FORMEL]; [FORMEL]; [FORMEL]. Da wir uͤberhaupt nicht mit Gewißheit ſagen koͤn- nen, wie die Alten ihre Tonleitern zum muſikali- ſchen Satz gebraucht haben, ſo laͤßt ſich auch der Gebrauch dieſer chromatiſchen Syſtemen nicht be- ſtimmen. Jn der heutigen Muſik haben wir eigentlich nur das Diatoniſche Geſchlecht beybehalten: indeſſen ge- ſchieht es doch ofte, daß zu der Melodie Toͤne ge- nommen werden, die nicht in die diatoniſche Leiter des Grundtones, darin man ſingt, gehoͤren. Dieſe werden alsdenn chromatiſche Toͤne genennt. Be- ſonders nennt man diejenigen Stellen des Geſanges chromatiſch, wo derſelbe durch verſchiedene halbe Toͤne hintereinander ſteigt oder faͤllt. Ein ſolcher Gang drukt alſo natuͤrlicher Weiſe allemal etwas aus, das dem freyen Weſen der groͤſſern diatoni- ſchen Fortſchreitung entgegen iſt, und dienet insbe- ſondere, ſolche Leidenſchaften auszudruken, die das Gemuͤth in eine Beklemmung ſetzen, und etwas Trauriges haben, Schmerz und Betruͤbniß, Schre- ken, Furcht und auch Wuth. Da aber die chro- matiſche Fortſchreitnng im Grunde die Schoͤnheit des Geſanges und der Harmonie hemmet, ſo muß ſie in einem Stuͤk nicht allzu ofte, ſondern nur an den Stellen angebracht werden, wo der Affekt be- ſonders auszuzeichnen iſt. Ganze Stuͤke in chroma- tiſchen Fortſchreitungen haben etwas gezwungenes. Die chromatiſchen Fortſchreitungen erfodern ei- nen beſondern Gang des Grundbaſſes. Aufſteigende Fortſchreitungen entſtehen natuͤrlicher Weiſe, wenn der Baß wechſelsweiſe um eine Terz faͤllt, und um eine Quarte ſteiget, wie in dieſem Exempel: [Abbildung] Abſtei-

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/218>, abgerufen am 23.11.2024.