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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

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am öftersten in der Ode und in der Elegie vor. Red-
ner befinden sich bey pathetischen Stellen oft in
demselben.

Auch die Form der Bilder, ihre Kürze oder Aus-
führlichkeit, muß aus der Absicht, die man hat, beur-
theilt werden. Denn bisweilen thut ein durch we-
nig Züge gezeichnetes Bild alle Würkung, die man
verlangt, da es andremale muß ausgezeichnet wer-
den. Wenn Hermione beym Euripides, zu der An-
dromache,
die, um ihr Leben zu erretten, an den
Altar der Thetis geflohen war, sagt: Und wenn
dich gleich geschmolzen Bley umgäbe, so will ich
(*) Eurip.
Androm.
vs.
265.
dich doch von dieser Stelle wegbringen;
(*) so
ist dieses Bild, ob es gleich nur angedeutet wird,
von der höchsten Kraft. Hermione hatte sich vor-
genommen, die Andromache aus dem geheiligten Ort
ihrer Zuflucht, wo es nicht erlaubt war, Hand an-
zulegen, durch ein ander Mittel heraus zu loken.
Sie wollte den Sohn dieser unglüklichen Königin
dahin bringen, und ihn vor den Augen der Mutter
zu ermorden drohn, wofern sie den Altar der Thetis
nicht verlassen würde. Dieses Mittel sah sie für so
unfehlbar an, daß es seine Würkung thun müßte,
wenn auch geschmolzen Bley um den Altar flösse.
Ueberlegung und Geschmak müssen dem Dichter das
Maaß der Ausführlichkeit an die Hand geben. Ueber-
haupt scheinet es, daß die Bilder, welche auf Ver-
stärkung oder Verschwächung einer Empfindung ab-
zielen, allemal eher ganz kurz seyn können, als die,
wodurch man die Vorstellungskraft zu lenken sucht.
Diese Materie von dem Gebrauch der Bilder, ihren
verschiedenen Würkungen und den daher entstehenden
Formen und Gattungen derselben, verdient über-
haupt von den Kunstrichtern in ein völliges Licht
gesetzt zu werden. Was hier der allgemeinen Be-
trachtung der Bilder fehlt, ist einigermaaßen in den
Artikeln über die besondern Arten derselben ersetzt
worden. S. Allegorie, Beyspiel, Gleichniß, Me-
tapher.

Bild.
(Zeichnende Künste.)

Dieses Wort scheinet in seiner ursprünglichen Be-
deutung einen körperlichen Gegenstand zu bezeich-
nen, der durch Kunst eine ordentliche Form und
Gestalt bekommen hat; denn einer unförmlichen
Maße eine ordentliche Gestalt geben, heißt eigent-
lich bilden. Man kann demnach alles, was durch
die Kunst eine solche Gestalt bekommen hat, es sey
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aus Stein gehauen, oder aus Holz geschnitzt, oder
aus einer weichen Materie geformt, oder aus einer
schmelzenden gegossen, ein Bild nennen: doch schei-
net es, daß man vorzüglich den Bildern von menschli-
cher und thierischer Gestalt diesen Namen zueigne.

Hiernächst wird dieser Namen auch überhaupt
den Gemählden gegeben, indem man große Samm-
lungen von Gemählden Bildergallerien nennt. Aus
demselben Grund werden auch die Kupferstiche
bisweilen Bilder genennt. Aber auch bey Gemähl-
den und Kupferstichen scheinet die menschliche Ge-
stalt einen besondern Anspruch auf den Namen des
Bildes zu machen. Bisweilen drükt man das,
was man gemeiniglich mit dem französischen Wort
Portrait nennt, besonders auch durch das Wort
Bild, noch gemeiner aber durch Bildniß aus.

Bildende Künste.

Mit diesem allgemeinen Namen bezeichnet man
alle Künste, welche sichtbare Gegenstände nicht
blos durch Zeichnung und Farben, sondern in wah-
rer körperlicher Gestalt nachahmen. Diese sind die
Bildhauerkunst, die Steinschneiderkunst, die
Stempelschneiderkunst, die Stukkaturkunst, von de-
ren jeder an ihrem Orte besonders gehandelt wird.
Sie sind also so nahe mit einander verwandt, daß sie,
so viel wir aus der Geschichte wissen, zugleich aufge-
kommen, zur Vollkommenheit gestiegen, und auch wie-
der gefallen sind, wie aus den historischen Nachrichten,
die wir in den Artikeln Bildhauerkunst, geschnit-
tene Steine, Schaumünzen,
angeführt haben, zu
sehen ist.

Bilderblinde.
(Baukunst.)

Jst in einer Mauer eine blinde, das ist nicht ganz
durchgebrochene, Vertiefung, zu dem Endzwek ge-
macht, daß Statuen oder andre Bilder darin stehen
können. Man nennt sie durchgehends mehr mit dem
französischen Namen Nische. (Niche) Sie werden
an den Aussenseiten der Gebäude, oder auch inwendig
an den Wänden angebracht, die man mit Statüen
verzieren will, damit diese besser, als wenn sie frey
stünden, vor Schaden gesichert seyen. Jhre Tiefe
und Höhe ist also allemal nach dem Werk abzumes-
sen, das man hineinsetzen will. Man bringt sie
gegenwärtig nicht mehr so häufig an, als ehedem,
da man die Gebäude mehr, als gegenwärtig ge-

schieht,
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am oͤfterſten in der Ode und in der Elegie vor. Red-
ner befinden ſich bey pathetiſchen Stellen oft in
demſelben.

Auch die Form der Bilder, ihre Kuͤrze oder Aus-
fuͤhrlichkeit, muß aus der Abſicht, die man hat, beur-
theilt werden. Denn bisweilen thut ein durch we-
nig Zuͤge gezeichnetes Bild alle Wuͤrkung, die man
verlangt, da es andremale muß ausgezeichnet wer-
den. Wenn Hermione beym Euripides, zu der An-
dromache,
die, um ihr Leben zu erretten, an den
Altar der Thetis geflohen war, ſagt: Und wenn
dich gleich geſchmolzen Bley umgaͤbe, ſo will ich
(*) Eurip.
Androm.
vs.
265.
dich doch von dieſer Stelle wegbringen;
(*) ſo
iſt dieſes Bild, ob es gleich nur angedeutet wird,
von der hoͤchſten Kraft. Hermione hatte ſich vor-
genommen, die Andromache aus dem geheiligten Ort
ihrer Zuflucht, wo es nicht erlaubt war, Hand an-
zulegen, durch ein ander Mittel heraus zu loken.
Sie wollte den Sohn dieſer ungluͤklichen Koͤnigin
dahin bringen, und ihn vor den Augen der Mutter
zu ermorden drohn, wofern ſie den Altar der Thetis
nicht verlaſſen wuͤrde. Dieſes Mittel ſah ſie fuͤr ſo
unfehlbar an, daß es ſeine Wuͤrkung thun muͤßte,
wenn auch geſchmolzen Bley um den Altar floͤſſe.
Ueberlegung und Geſchmak muͤſſen dem Dichter das
Maaß der Ausfuͤhrlichkeit an die Hand geben. Ueber-
haupt ſcheinet es, daß die Bilder, welche auf Ver-
ſtaͤrkung oder Verſchwaͤchung einer Empfindung ab-
zielen, allemal eher ganz kurz ſeyn koͤnnen, als die,
wodurch man die Vorſtellungskraft zu lenken ſucht.
Dieſe Materie von dem Gebrauch der Bilder, ihren
verſchiedenen Wuͤrkungen und den daher entſtehenden
Formen und Gattungen derſelben, verdient uͤber-
haupt von den Kunſtrichtern in ein voͤlliges Licht
geſetzt zu werden. Was hier der allgemeinen Be-
trachtung der Bilder fehlt, iſt einigermaaßen in den
Artikeln uͤber die beſondern Arten derſelben erſetzt
worden. S. Allegorie, Beyſpiel, Gleichniß, Me-
tapher.

Bild.
(Zeichnende Kuͤnſte.)

Dieſes Wort ſcheinet in ſeiner urſpruͤnglichen Be-
deutung einen koͤrperlichen Gegenſtand zu bezeich-
nen, der durch Kunſt eine ordentliche Form und
Geſtalt bekommen hat; denn einer unfoͤrmlichen
Maße eine ordentliche Geſtalt geben, heißt eigent-
lich bilden. Man kann demnach alles, was durch
die Kunſt eine ſolche Geſtalt bekommen hat, es ſey
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aus Stein gehauen, oder aus Holz geſchnitzt, oder
aus einer weichen Materie geformt, oder aus einer
ſchmelzenden gegoſſen, ein Bild nennen: doch ſchei-
net es, daß man vorzuͤglich den Bildern von menſchli-
cher und thieriſcher Geſtalt dieſen Namen zueigne.

Hiernaͤchſt wird dieſer Namen auch uͤberhaupt
den Gemaͤhlden gegeben, indem man große Samm-
lungen von Gemaͤhlden Bildergallerien nennt. Aus
demſelben Grund werden auch die Kupferſtiche
bisweilen Bilder genennt. Aber auch bey Gemaͤhl-
den und Kupferſtichen ſcheinet die menſchliche Ge-
ſtalt einen beſondern Anſpruch auf den Namen des
Bildes zu machen. Bisweilen druͤkt man das,
was man gemeiniglich mit dem franzoͤſiſchen Wort
Portrait nennt, beſonders auch durch das Wort
Bild, noch gemeiner aber durch Bildniß aus.

Bildende Kuͤnſte.

Mit dieſem allgemeinen Namen bezeichnet man
alle Kuͤnſte, welche ſichtbare Gegenſtaͤnde nicht
blos durch Zeichnung und Farben, ſondern in wah-
rer koͤrperlicher Geſtalt nachahmen. Dieſe ſind die
Bildhauerkunſt, die Steinſchneiderkunſt, die
Stempelſchneiderkunſt, die Stukkaturkunſt, von de-
ren jeder an ihrem Orte beſonders gehandelt wird.
Sie ſind alſo ſo nahe mit einander verwandt, daß ſie,
ſo viel wir aus der Geſchichte wiſſen, zugleich aufge-
kommen, zur Vollkommenheit geſtiegen, und auch wie-
der gefallen ſind, wie aus den hiſtoriſchen Nachrichten,
die wir in den Artikeln Bildhauerkunſt, geſchnit-
tene Steine, Schaumuͤnzen,
angefuͤhrt haben, zu
ſehen iſt.

Bilderblinde.
(Baukunſt.)

Jſt in einer Mauer eine blinde, das iſt nicht ganz
durchgebrochene, Vertiefung, zu dem Endzwek ge-
macht, daß Statuen oder andre Bilder darin ſtehen
koͤnnen. Man nennt ſie durchgehends mehr mit dem
franzoͤſiſchen Namen Niſche. (Niche) Sie werden
an den Auſſenſeiten der Gebaͤude, oder auch inwendig
an den Waͤnden angebracht, die man mit Statuͤen
verzieren will, damit dieſe beſſer, als wenn ſie frey
ſtuͤnden, vor Schaden geſichert ſeyen. Jhre Tiefe
und Hoͤhe iſt alſo allemal nach dem Werk abzumeſ-
ſen, das man hineinſetzen will. Man bringt ſie
gegenwaͤrtig nicht mehr ſo haͤufig an, als ehedem,
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[173/0185] Bil Bil am oͤfterſten in der Ode und in der Elegie vor. Red- ner befinden ſich bey pathetiſchen Stellen oft in demſelben. Auch die Form der Bilder, ihre Kuͤrze oder Aus- fuͤhrlichkeit, muß aus der Abſicht, die man hat, beur- theilt werden. Denn bisweilen thut ein durch we- nig Zuͤge gezeichnetes Bild alle Wuͤrkung, die man verlangt, da es andremale muß ausgezeichnet wer- den. Wenn Hermione beym Euripides, zu der An- dromache, die, um ihr Leben zu erretten, an den Altar der Thetis geflohen war, ſagt: Und wenn dich gleich geſchmolzen Bley umgaͤbe, ſo will ich dich doch von dieſer Stelle wegbringen; (*) ſo iſt dieſes Bild, ob es gleich nur angedeutet wird, von der hoͤchſten Kraft. Hermione hatte ſich vor- genommen, die Andromache aus dem geheiligten Ort ihrer Zuflucht, wo es nicht erlaubt war, Hand an- zulegen, durch ein ander Mittel heraus zu loken. Sie wollte den Sohn dieſer ungluͤklichen Koͤnigin dahin bringen, und ihn vor den Augen der Mutter zu ermorden drohn, wofern ſie den Altar der Thetis nicht verlaſſen wuͤrde. Dieſes Mittel ſah ſie fuͤr ſo unfehlbar an, daß es ſeine Wuͤrkung thun muͤßte, wenn auch geſchmolzen Bley um den Altar floͤſſe. Ueberlegung und Geſchmak muͤſſen dem Dichter das Maaß der Ausfuͤhrlichkeit an die Hand geben. Ueber- haupt ſcheinet es, daß die Bilder, welche auf Ver- ſtaͤrkung oder Verſchwaͤchung einer Empfindung ab- zielen, allemal eher ganz kurz ſeyn koͤnnen, als die, wodurch man die Vorſtellungskraft zu lenken ſucht. Dieſe Materie von dem Gebrauch der Bilder, ihren verſchiedenen Wuͤrkungen und den daher entſtehenden Formen und Gattungen derſelben, verdient uͤber- haupt von den Kunſtrichtern in ein voͤlliges Licht geſetzt zu werden. Was hier der allgemeinen Be- trachtung der Bilder fehlt, iſt einigermaaßen in den Artikeln uͤber die beſondern Arten derſelben erſetzt worden. S. Allegorie, Beyſpiel, Gleichniß, Me- tapher. Bild. (Zeichnende Kuͤnſte.) Dieſes Wort ſcheinet in ſeiner urſpruͤnglichen Be- deutung einen koͤrperlichen Gegenſtand zu bezeich- nen, der durch Kunſt eine ordentliche Form und Geſtalt bekommen hat; denn einer unfoͤrmlichen Maße eine ordentliche Geſtalt geben, heißt eigent- lich bilden. Man kann demnach alles, was durch die Kunſt eine ſolche Geſtalt bekommen hat, es ſey aus Stein gehauen, oder aus Holz geſchnitzt, oder aus einer weichen Materie geformt, oder aus einer ſchmelzenden gegoſſen, ein Bild nennen: doch ſchei- net es, daß man vorzuͤglich den Bildern von menſchli- cher und thieriſcher Geſtalt dieſen Namen zueigne. Hiernaͤchſt wird dieſer Namen auch uͤberhaupt den Gemaͤhlden gegeben, indem man große Samm- lungen von Gemaͤhlden Bildergallerien nennt. Aus demſelben Grund werden auch die Kupferſtiche bisweilen Bilder genennt. Aber auch bey Gemaͤhl- den und Kupferſtichen ſcheinet die menſchliche Ge- ſtalt einen beſondern Anſpruch auf den Namen des Bildes zu machen. Bisweilen druͤkt man das, was man gemeiniglich mit dem franzoͤſiſchen Wort Portrait nennt, beſonders auch durch das Wort Bild, noch gemeiner aber durch Bildniß aus. Bildende Kuͤnſte. Mit dieſem allgemeinen Namen bezeichnet man alle Kuͤnſte, welche ſichtbare Gegenſtaͤnde nicht blos durch Zeichnung und Farben, ſondern in wah- rer koͤrperlicher Geſtalt nachahmen. Dieſe ſind die Bildhauerkunſt, die Steinſchneiderkunſt, die Stempelſchneiderkunſt, die Stukkaturkunſt, von de- ren jeder an ihrem Orte beſonders gehandelt wird. Sie ſind alſo ſo nahe mit einander verwandt, daß ſie, ſo viel wir aus der Geſchichte wiſſen, zugleich aufge- kommen, zur Vollkommenheit geſtiegen, und auch wie- der gefallen ſind, wie aus den hiſtoriſchen Nachrichten, die wir in den Artikeln Bildhauerkunſt, geſchnit- tene Steine, Schaumuͤnzen, angefuͤhrt haben, zu ſehen iſt. Bilderblinde. (Baukunſt.) Jſt in einer Mauer eine blinde, das iſt nicht ganz durchgebrochene, Vertiefung, zu dem Endzwek ge- macht, daß Statuen oder andre Bilder darin ſtehen koͤnnen. Man nennt ſie durchgehends mehr mit dem franzoͤſiſchen Namen Niſche. (Niche) Sie werden an den Auſſenſeiten der Gebaͤude, oder auch inwendig an den Waͤnden angebracht, die man mit Statuͤen verzieren will, damit dieſe beſſer, als wenn ſie frey ſtuͤnden, vor Schaden geſichert ſeyen. Jhre Tiefe und Hoͤhe iſt alſo allemal nach dem Werk abzumeſ- ſen, das man hineinſetzen will. Man bringt ſie gegenwaͤrtig nicht mehr ſo haͤufig an, als ehedem, da man die Gebaͤude mehr, als gegenwaͤrtig ge- ſchieht, Y 3

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/185>, abgerufen am 28.03.2024.