Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.[Spaltenumbruch] Bey lers, einen vortheilhaften oder nachtheiligen Begriffgiebt, so thut es in Ansehung des Dichters, der Gebrauch dieser Beywörter. Wie etwa grosse Männer nicht besser, als mit Gethsemane! Gethsemane! wen hören deine Mauren Diese ganze Vorstellung hat etwas Grosses, das Wenn Cäsar, da er den Brutus unter seinen Auch in dem entgegengesetzten Fall, bey Vor- Bey hat es mit einigen Vorstellungen in redenden Kün-sten. Was seiner Natur nach in der Dämmerung liegen muß, das soll nicht ans Licht gebracht wer- den. Wenn ein Dichter uns auf die Handlungen eines streitenden Helden aufmerksam machen will, so muß er sich hüten, durch ein unzeitiges Beywort die Aufmerksamkeit auf das Gerassel seines Wagens, oder das Stampfen seines Pferdes, zu lenken. Die größte Vorsichtigkeit im Gebrauch der Bey- Jn der Geschichte des Geschmaks älterer und Diesemnach muß der Gebrauch der Beywörter, Nach dieser dreyfachen Absicht müssen die Bey- Sinnliche und mahlerische Beywörter sind da, Er
[Spaltenumbruch] Bey lers, einen vortheilhaften oder nachtheiligen Begriffgiebt, ſo thut es in Anſehung des Dichters, der Gebrauch dieſer Beywoͤrter. Wie etwa groſſe Maͤnner nicht beſſer, als mit Gethſemane! Gethſemane! wen hoͤren deine Mauren Dieſe ganze Vorſtellung hat etwas Groſſes, das Wenn Caͤſar, da er den Brutus unter ſeinen Auch in dem entgegengeſetzten Fall, bey Vor- Bey hat es mit einigen Vorſtellungen in redenden Kuͤn-ſten. Was ſeiner Natur nach in der Daͤmmerung liegen muß, das ſoll nicht ans Licht gebracht wer- den. Wenn ein Dichter uns auf die Handlungen eines ſtreitenden Helden aufmerkſam machen will, ſo muß er ſich huͤten, durch ein unzeitiges Beywort die Aufmerkſamkeit auf das Geraſſel ſeines Wagens, oder das Stampfen ſeines Pferdes, zu lenken. Die groͤßte Vorſichtigkeit im Gebrauch der Bey- Jn der Geſchichte des Geſchmaks aͤlterer und Dieſemnach muß der Gebrauch der Beywoͤrter, Nach dieſer dreyfachen Abſicht muͤſſen die Bey- Sinnliche und mahleriſche Beywoͤrter ſind da, Er
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Gethſemane! wen hoͤren deine Mauren<lb/> So bange, ſo verlaſſen trauren?<lb/> Jſt das mein Jeſus?<lb/> Beſter aller Menſchenkinder!<lb/> Du zagſt, du zitterft gleich dem Suͤnder,<lb/> Dem man ſein Todesurtheil ſpricht.</quote> </cit><lb/> <p>Dieſe ganze Vorſtellung hat etwas Groſſes, das<lb/> durch keine Nebenbegriffe kann verſtaͤrkt werden.<lb/> Haͤtte der Dichter etwa geſagt: Und dies iſt mein<lb/><hi rendition="#fr">goͤttlicher</hi> Jeſus? — Du zitterſt gleich dem <hi rendition="#fr">elen-<lb/> den</hi> Suͤnder, dem man ſein <hi rendition="#fr">gerechtes</hi> und <hi rendition="#fr">fuͤrchter-<lb/> liches</hi> Todesurtheil ankuͤndiget — ſo haͤtte aller Auf-<lb/> wand dieſer Beywoͤrter, die Vorſtellung nicht nur<lb/> nicht verſtaͤrkt, ſondern geſchwaͤcht.</p><lb/> <p>Wenn Caͤſar, da er den Brutus unter ſeinen<lb/> Moͤrdern erblikt, ihm zuruft: <hi rendition="#fr">Auch du Brutus,</hi><lb/> ſo ſagt dieſes, alles was der Diktator hier ſagen<lb/> will, in der vollkommenſten Staͤrke, und wenn<lb/> man dem Brutus ein Beywort geben wollte: <hi rendition="#fr">Auch<lb/> du mein vaͤterlich geliebter, mein ſo ſehr verpflich-<lb/> teter Brutus,</hi> ſo wuͤrde die Staͤrke der Rede nicht<lb/> das geringſte gewinnen. 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Bey
Bey
lers, einen vortheilhaften oder nachtheiligen Begriff
giebt, ſo thut es in Anſehung des Dichters, der
Gebrauch dieſer Beywoͤrter.
Wie etwa groſſe Maͤnner nicht beſſer, als mit
ihren bloſſen Namen koͤnnen genennet werden, ſo
giebt es auch Vorſtellungen, die ſchon in ihrer An-
lage, in ihren weſentlichſten Theilen groß und voll-
kommen aͤſthetiſch ſind, und deswegen in dem Aus-
druk keiner Auszierung durch Beywoͤrter noͤthig ha-
ben; vielmehr wuͤrden ſie dadurch geſchwaͤcht wer-
den. Um dieſe Anmerkung zu erlaͤutern, wollen
wir folgende Stelle aus Herrn Ramlers Paßions-
Cantate, dem Leſer vorhalten.
Gethſemane! Gethſemane! wen hoͤren deine Mauren
So bange, ſo verlaſſen trauren?
Jſt das mein Jeſus?
Beſter aller Menſchenkinder!
Du zagſt, du zitterft gleich dem Suͤnder,
Dem man ſein Todesurtheil ſpricht.
Dieſe ganze Vorſtellung hat etwas Groſſes, das
durch keine Nebenbegriffe kann verſtaͤrkt werden.
Haͤtte der Dichter etwa geſagt: Und dies iſt mein
goͤttlicher Jeſus? — Du zitterſt gleich dem elen-
den Suͤnder, dem man ſein gerechtes und fuͤrchter-
liches Todesurtheil ankuͤndiget — ſo haͤtte aller Auf-
wand dieſer Beywoͤrter, die Vorſtellung nicht nur
nicht verſtaͤrkt, ſondern geſchwaͤcht.
Wenn Caͤſar, da er den Brutus unter ſeinen
Moͤrdern erblikt, ihm zuruft: Auch du Brutus,
ſo ſagt dieſes, alles was der Diktator hier ſagen
will, in der vollkommenſten Staͤrke, und wenn
man dem Brutus ein Beywort geben wollte: Auch
du mein vaͤterlich geliebter, mein ſo ſehr verpflich-
teter Brutus, ſo wuͤrde die Staͤrke der Rede nicht
das geringſte gewinnen. Jn dergleichen Faͤllen muß
man ſich der Beywoͤrter gaͤnzlich enthalten.
Auch in dem entgegengeſetzten Fall, bey Vor-
ſtellungen, welche nur des Zuſammenhangs halber
da ſind, und die der Dichter mit Fleiß etwas aus
den Augen wegſetzt, wuͤrde man die Beywoͤrter ſehr
zur Unzeit anbringen. Die Mahler ſetzen oft in
einem Hintergrund, oder im ſtaͤrkſten Schatten ein-
zele Figuren oder Grupen hin, die blos des Zuſam-
menhangs halber, oder eine ſonſt leere Stelle aus-
zufuͤllen, da ſind. Dieſe koͤnnen ſie durch keinen
lebhaften Pinſelſtrich erheben, weil ſie ſonſt zu ſtarke
Wuͤrkung thaͤten, und das Auge von weſentlichen
Gegenſtaͤnden abzoͤgen. Eben dieſe Beſchaffenheit
hat es mit einigen Vorſtellungen in redenden Kuͤn-
ſten. Was ſeiner Natur nach in der Daͤmmerung
liegen muß, das ſoll nicht ans Licht gebracht wer-
den. Wenn ein Dichter uns auf die Handlungen
eines ſtreitenden Helden aufmerkſam machen will,
ſo muß er ſich huͤten, durch ein unzeitiges Beywort
die Aufmerkſamkeit auf das Geraſſel ſeines Wagens,
oder das Stampfen ſeines Pferdes, zu lenken.
Die groͤßte Vorſichtigkeit im Gebrauch der Bey-
woͤrter, hat man da noͤthig, wo man andre Per-
ſonen redend einfuͤhrt. Man muß auf das genaueſte
erwaͤgen, wie viel einzele Begriffe nothwendig in
den Vorſtellungen der redenden Perſon liegen, und
gerade nur ſo viel ausdruken. Man muß allezeit
daran denken, daß die Beywoͤrter den Hauptwoͤr-
tern untergeordnet ſind. Wo dieſe ſchon alles ſa-
gen, was an dieſem Orte, nach dieſen Umſtaͤnden,
hinreichend iſt, da muß jedes Beywort vermieden
werden.
Jn der Geſchichte des Geſchmaks aͤlterer und
neuerer Zeiten findet man, daß ein Ueberfluß der
Beywoͤrter allemal die erſte Anzeige des ſich ver-
derbenden Geſchmaks geweſen iſt. Jn Griechenland,
in Rom und in Frankreich, hat ſich dieſer Ueberfluß
gezeiget, ſo bald die goldnen Zeiten der Dichtkunſt
und Beredſamkeit anfiengen, einer verdorbenen Pe-
riode Platz zu machen.
Dieſemnach muß der Gebrauch der Beywoͤrter,
auf die Faͤlle eingeſchraͤnkt werden, wo die Vorſtel-
lung durch die Hauptbegriffe noch nicht aͤſthetiſch ge-
nug iſt. Und damit wir ihren Gebrauch deſto be-
ſtimmter anzeigen koͤnnen, muͤſſen wir uns er-
innern, daß der aͤſthetiſche Stoff von dreyerley Art
iſt; daß er entweder die Phantaſie mit lebhaften Bil-
dern anfuͤllt, oder dem Verſtand helle und groſſe
Begriffe darbietet, oder die Empfindung erregt.
Nach dieſer dreyfachen Abſicht muͤſſen die Bey-
woͤrter gewaͤhlt werden. Entweder zeichnen ſie uns
die Sachen ſinnlich vor, oder ſie erhellen und ver-
ſtaͤrken unſre Begriffe, oder ſie reizen die Empfin-
dungen.
Sinnliche und mahleriſche Beywoͤrter ſind da,
wo man wuͤrklich durch die Rede mahlen will, ganz
unentbehrlich, weil ohne ſie das Gemaͤhlde entweder
die kleinen Umſtaͤnde nicht ausdrukt, oder durch
weitlaͤuftigere Bezeichnung derſelben ſehr langweilig
ſeyn wuͤrde. Man uͤberlege, um dieſe Anmerkung
voͤllig zu faſſen, folgende Stelle:
Er
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