Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.[Spaltenumbruch]
Bau Deswegen gereicht die Vollkommenheit der Bau- Der gute Geschmak der Baukunst ist im Grunde Bau Gebänden, die von der guten Zeit der griechischenBaukunst übrig geblieben sind, zeigen sich alle diese Eigenschaften deutlich; sie können als Muster des reinen Geschmaks angesehen werden. Die ersten Bemühungen in dieser Kunst entste- Der Geschmak, den die neuern Europäer ange- Man muß also den Orient, und vermuthlich die etwas Erster Theil. R
[Spaltenumbruch]
Bau Deswegen gereicht die Vollkommenheit der Bau- Der gute Geſchmak der Baukunſt iſt im Grunde Bau Gebaͤnden, die von der guten Zeit der griechiſchenBaukunſt uͤbrig geblieben ſind, zeigen ſich alle dieſe Eigenſchaften deutlich; ſie koͤnnen als Muſter des reinen Geſchmaks angeſehen werden. Die erſten Bemuͤhungen in dieſer Kunſt entſte- Der Geſchmak, den die neuern Europaͤer ange- Man muß alſo den Orient, und vermuthlich die etwas Erſter Theil. R
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Vor-<lb/> theilhafte Begriffe hingegen muß man von der Den-<lb/> kungsart eines Volkes bekommen, das auch in ſei-<lb/> nen geringſten Gebaͤuden und in den kleineſten<lb/> Theilen derſelben, wahren Geſchmak, Ueber-<lb/> legung, Schiklichkeit und edle Einfalt zeiget?<lb/> Bey den Thebanern war ein Geſetz, nach welchem<lb/> ein Mahler, der ein ſchlechtes Werk verfertiget<lb/><note place="left">(*) S. <hi rendition="#aq">Ae-<lb/> lianus Var.<lb/> hiſt. L. IV.<lb/> c.</hi> 4.</note>hatte, um Geld geſtraft wurd. (*) Wichtiger<lb/> waͤr es, in einem geſitteten Staat Geſetze zur<lb/> Verhuͤtung grober Fehler gegen die Baukunſt ein-<lb/> zufuͤhren. Die Aufnahm der Baukunſt und ihr<lb/> Einfluß auf die geringſte Privatgebaͤude iſt gewiß<lb/> der Aufmerkſamkeit eines Geſetzgebers nicht unwuͤr-<lb/> dig; und ſo gut, nach dem Urtheil der ehemaligen<lb/> Spartaner, die Muſik einen Einfluß auf die Sit-<lb/> ten haben kann, ſo gewiß kann die Baukunſt die-<lb/> ſes thun. Schlechte, ohne Ordnung und Verſtand<lb/> entworfene und aufgefuͤhrte, oder mit naͤrriſchen,<lb/> abentheuerlichen, oder ausſchweifenden Zierrathen<lb/> uͤberladene Gebaͤude, die in einem Lande allgemein<lb/> ſind, haben unfehlbar eine ſchlimme Wuͤrkung auf die<lb/> Denkungsart des Volks.</p><lb/> <p>Der gute Geſchmak der Baukunſt iſt im Grunde<lb/> eben der, der ſich ſo wol in andern Kuͤnſten, als in<lb/> dem ganzen ſittlichen Leben der Menſchen vortheil-<lb/> haft aͤußert. Seine Wuͤrkung iſt, daß in einem<lb/> Gebaͤude nichts unuͤberlegtes, nichts unverſtaͤndi-<lb/> ges, nichts, das der Richtigkeit der Vorſtellungs-<lb/> kraͤfte zuwider iſt, angetroffen werde; daß jeder<lb/> einzele Theil ſich zum ganzen wol ſchike; daß das<lb/> Anſehen und der Charakter, oder das Gepraͤge des<lb/> Gebaͤudes, mit ſeiner Beſtimmung wol uͤberein<lb/> komme; daß kein Theil und keine Zierrath daran<lb/> ſey, von der man nicht ohne Umſchweif ſagen koͤn-<lb/> ne, warum ſie da ſey: daß die edle Einfalt dem<lb/> Ueberfluß an Zierrathen vorgezogen werde; daß<lb/> endlich aus jedem einzeln Theile Fleiß und Ver-<lb/> ſtand deutlich hervor leuchten. 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Alſo faͤllt der<lb/> Urſprung der Baukunſt in die entfernteſten Zeiten,<lb/> und iſt nicht bey einem Volk allein anzutreffen.<lb/> Es wuͤrde angenehm und lehrreich ſeyn, die<lb/> Hauptarten des Geſchmaks in der Baukunſt, durch<lb/> Aufzeichnung einiger Hauptgebaͤude der, dieſe Kunſt<lb/> uͤbenden, aber ſonſt keine Gemeinſchaft unter ſich<lb/> habenden, Nationen, vor Augen zu legen. Es<lb/> wuͤrde ſich viel von dem Nationalcharakter derſel-<lb/> ben daraus beſtimmen laſſen. Man wuͤrde zwar<lb/> in allen dieſelben Grundgeſetze, aber auf ſehr ver-<lb/> ſchiedene Weiſe angewendet, finden.</p><lb/> <p>Der Geſchmak, den die neuern Europaͤer ange-<lb/> nommen haben, iſt im Grunde derſelbe, der ehedem<lb/> in Griechenland und in Jtalien geherrſcht hat.<lb/> Er ſcheinet, wie die erſten Anfaͤnge verſchiedener<lb/> andrer Kuͤnſte, nicht auf dem griechiſchen Boden<lb/> erzeuget, ſondern aus Phoͤnizien und Egypten da-<lb/> hin gekommen zu ſeyn; aber durch das feine Ge-<lb/> fuͤhl und den maͤnnlichen Verſtand der Griechen<lb/> ſeine Vollkommenheit erreicht zu haben. Jn Egyp-<lb/> ten trift man noch Ruinen von Gebaͤuden an, die<lb/> allem Anſehen nach aͤlter, als der Anfang der eigent-<lb/> lichen Geſchichte ſind. An denſelben iſt ſchon der<lb/> griechiſche Geſchmak, auch ſo gar in kleinern Ver-<lb/> zierungen zu entdeken. (*) Von phoͤniziſchen, ba-<note place="right">(*) S. cs-<lb/> rinthiſche<lb/> Saͤule;<lb/> Knauf; do-<lb/> riſche Saͤn-<lb/> le.</note><lb/> byloniſchen und perſiſchen Gebaͤuden hat ſich nichts<lb/> aus dem hohen Alterthum erhalten. Da aber der<lb/> ſalomoniſche Tempel ohne Zweifel das Gepraͤge der<lb/> phoͤniziſchen Bauart gehabt; ſo kann man auch<lb/> von dieſer ſagen, daß ſie mit der egyptiſchen uͤber-<lb/> ein gekommen.</p><lb/> <p>Man muß alſo den Orient, und vermuthlich die<lb/> Laͤnder diſſeits des Euphrats, als den Geburthsort<lb/> derjenigen Bauart anſehen, welche von den Griechen<lb/> auf den hoͤchſten Grad der Vollkommenheit erhoben<lb/> worden. Dieſe ſcheinen die Kunſt noch in einem<lb/> <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#fr">Erſter Theil.</hi> R</fw><fw place="bottom" type="catch">etwas</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [129/0141]
Bau
Bau
Deswegen gereicht die Vollkommenheit der Bau-
kunſt einer Nation zu nicht geringerer Ehre, als die
iſt, die ſie durch andre Talente erwerben kann.
Elende Gebaͤnde, die bey einer gewiſſen Groͤße we-
der Bequemlichkeit noch Regelmaͤßigkeit haben;
bey denen widerſinniſche Veranſtaltungen, aben-
theuerliche Verhaͤltniſſe, Unfleiß der Arbeit, und an-
dre Maͤngel dieſer Art durchgehends herrſchen, ſind
ein untruͤglicher Beweis von dem Unverſtand und
dem ſchlechten Gemuͤthszuſtand einer Nation. Vor-
theilhafte Begriffe hingegen muß man von der Den-
kungsart eines Volkes bekommen, das auch in ſei-
nen geringſten Gebaͤuden und in den kleineſten
Theilen derſelben, wahren Geſchmak, Ueber-
legung, Schiklichkeit und edle Einfalt zeiget?
Bey den Thebanern war ein Geſetz, nach welchem
ein Mahler, der ein ſchlechtes Werk verfertiget
hatte, um Geld geſtraft wurd. (*) Wichtiger
waͤr es, in einem geſitteten Staat Geſetze zur
Verhuͤtung grober Fehler gegen die Baukunſt ein-
zufuͤhren. Die Aufnahm der Baukunſt und ihr
Einfluß auf die geringſte Privatgebaͤude iſt gewiß
der Aufmerkſamkeit eines Geſetzgebers nicht unwuͤr-
dig; und ſo gut, nach dem Urtheil der ehemaligen
Spartaner, die Muſik einen Einfluß auf die Sit-
ten haben kann, ſo gewiß kann die Baukunſt die-
ſes thun. Schlechte, ohne Ordnung und Verſtand
entworfene und aufgefuͤhrte, oder mit naͤrriſchen,
abentheuerlichen, oder ausſchweifenden Zierrathen
uͤberladene Gebaͤude, die in einem Lande allgemein
ſind, haben unfehlbar eine ſchlimme Wuͤrkung auf die
Denkungsart des Volks.
(*) S. Ae-
lianus Var.
hiſt. L. IV.
c. 4.
Der gute Geſchmak der Baukunſt iſt im Grunde
eben der, der ſich ſo wol in andern Kuͤnſten, als in
dem ganzen ſittlichen Leben der Menſchen vortheil-
haft aͤußert. Seine Wuͤrkung iſt, daß in einem
Gebaͤude nichts unuͤberlegtes, nichts unverſtaͤndi-
ges, nichts, das der Richtigkeit der Vorſtellungs-
kraͤfte zuwider iſt, angetroffen werde; daß jeder
einzele Theil ſich zum ganzen wol ſchike; daß das
Anſehen und der Charakter, oder das Gepraͤge des
Gebaͤudes, mit ſeiner Beſtimmung wol uͤberein
komme; daß kein Theil und keine Zierrath daran
ſey, von der man nicht ohne Umſchweif ſagen koͤn-
ne, warum ſie da ſey: daß die edle Einfalt dem
Ueberfluß an Zierrathen vorgezogen werde; daß
endlich aus jedem einzeln Theile Fleiß und Ver-
ſtand deutlich hervor leuchten. An den wenigen
Gebaͤnden, die von der guten Zeit der griechiſchen
Baukunſt uͤbrig geblieben ſind, zeigen ſich alle dieſe
Eigenſchaften deutlich; ſie koͤnnen als Muſter des
reinen Geſchmaks angeſehen werden.
Die erſten Bemuͤhungen in dieſer Kunſt entſte-
hen natuͤrlicher Weiſe bey jedem Volke, ſo bald es
ſich aus der groͤbſten Barbarey losgeriſſen, Muße
zum Nachdenken und Begriffe von Ordnung, Be-
quemlichkeit und Schiklichkeit, bekommen hat.
Denn es iſt dem Menſchen natuͤrlich, das Ordent-
liche der Unordnung vorzuziehen. Alſo faͤllt der
Urſprung der Baukunſt in die entfernteſten Zeiten,
und iſt nicht bey einem Volk allein anzutreffen.
Es wuͤrde angenehm und lehrreich ſeyn, die
Hauptarten des Geſchmaks in der Baukunſt, durch
Aufzeichnung einiger Hauptgebaͤude der, dieſe Kunſt
uͤbenden, aber ſonſt keine Gemeinſchaft unter ſich
habenden, Nationen, vor Augen zu legen. Es
wuͤrde ſich viel von dem Nationalcharakter derſel-
ben daraus beſtimmen laſſen. Man wuͤrde zwar
in allen dieſelben Grundgeſetze, aber auf ſehr ver-
ſchiedene Weiſe angewendet, finden.
Der Geſchmak, den die neuern Europaͤer ange-
nommen haben, iſt im Grunde derſelbe, der ehedem
in Griechenland und in Jtalien geherrſcht hat.
Er ſcheinet, wie die erſten Anfaͤnge verſchiedener
andrer Kuͤnſte, nicht auf dem griechiſchen Boden
erzeuget, ſondern aus Phoͤnizien und Egypten da-
hin gekommen zu ſeyn; aber durch das feine Ge-
fuͤhl und den maͤnnlichen Verſtand der Griechen
ſeine Vollkommenheit erreicht zu haben. Jn Egyp-
ten trift man noch Ruinen von Gebaͤuden an, die
allem Anſehen nach aͤlter, als der Anfang der eigent-
lichen Geſchichte ſind. An denſelben iſt ſchon der
griechiſche Geſchmak, auch ſo gar in kleinern Ver-
zierungen zu entdeken. (*) Von phoͤniziſchen, ba-
byloniſchen und perſiſchen Gebaͤuden hat ſich nichts
aus dem hohen Alterthum erhalten. Da aber der
ſalomoniſche Tempel ohne Zweifel das Gepraͤge der
phoͤniziſchen Bauart gehabt; ſo kann man auch
von dieſer ſagen, daß ſie mit der egyptiſchen uͤber-
ein gekommen.
(*) S. cs-
rinthiſche
Saͤule;
Knauf; do-
riſche Saͤn-
le.
Man muß alſo den Orient, und vermuthlich die
Laͤnder diſſeits des Euphrats, als den Geburthsort
derjenigen Bauart anſehen, welche von den Griechen
auf den hoͤchſten Grad der Vollkommenheit erhoben
worden. Dieſe ſcheinen die Kunſt noch in einem
etwas
Erſter Theil. R
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