senden Höhen haben gute Aecker; und in dieser Ge- gend wird viel Flachs gebaut.
Von der Donau an bis Ehingen geht der Weg über einen breiten Kalkberg, auf dem viel rauhes Land ist. Von Ehingen bis Ulm aber ist er sehr an- genehm. Man kommt über Anhöhen, von denen man die Aussicht über die herrlichen Ebenen längst der Donau hat. So weit das Auge nur reichen kann, siehet man längst dieses Flusses die fettesten Wiesen und Aecker mit schönen dazwischen liegenden Dörfern. Man glaubt bey dieser herrlichen Aussicht, die sich auf etliche deutsche Meilen erstreckt, die Frucht- barkeit des Landes und den Wohlstand des Landmanns zugleich mit der Schönheit zu empfinden. Mir schien es gleichsam von Fett triefend. Und ich glaube, daß wenig Länder in Europa sind, die diesen weiten Ebe- nen an der Donau den Vorzug der Schönheit und Fruchtbarkeit streitig machen können. Jn Ulm blieb ich bis auf den Mittag des folgenden Tages.
Hier lernte ich Hrn. Schubart, den Verfasser des Wochenblatts, die Chronik genannt, einen jun- gen Gelehrten von sehr lebhaftem Geiste, kennen, des- sen mir erwiesene ungemeine Gefälligkeit und Dienst- fertigkeit ich zu rühmen Ursache habe. Nicht ohne Bewunderung sah ich hier die große Münsterkirche, eines der prächtigsten gothischen Gebäude, das mir mit weit mehr Geschmack, als das berühmte Straß- burger Münster angelegt und aufgeführt schien. Die offene Halle vor dem Haupteingange hat wirklich wah- re Größe und Pracht: freylich weit von der edlen griechischen Einfalt und den feinen Verhältnissen der griechischen Baukunst entfernt; aber auch nicht so sehr,
wie
von Nizza nach Deutſchland.
ſenden Hoͤhen haben gute Aecker; und in dieſer Ge- gend wird viel Flachs gebaut.
Von der Donau an bis Ehingen geht der Weg uͤber einen breiten Kalkberg, auf dem viel rauhes Land iſt. Von Ehingen bis Ulm aber iſt er ſehr an- genehm. Man kommt uͤber Anhoͤhen, von denen man die Ausſicht uͤber die herrlichen Ebenen laͤngſt der Donau hat. So weit das Auge nur reichen kann, ſiehet man laͤngſt dieſes Fluſſes die fetteſten Wieſen und Aecker mit ſchoͤnen dazwiſchen liegenden Doͤrfern. Man glaubt bey dieſer herrlichen Ausſicht, die ſich auf etliche deutſche Meilen erſtreckt, die Frucht- barkeit des Landes und den Wohlſtand des Landmanns zugleich mit der Schoͤnheit zu empfinden. Mir ſchien es gleichſam von Fett triefend. Und ich glaube, daß wenig Laͤnder in Europa ſind, die dieſen weiten Ebe- nen an der Donau den Vorzug der Schoͤnheit und Fruchtbarkeit ſtreitig machen koͤnnen. Jn Ulm blieb ich bis auf den Mittag des folgenden Tages.
Hier lernte ich Hrn. Schubart, den Verfaſſer des Wochenblatts, die Chronik genannt, einen jun- gen Gelehrten von ſehr lebhaftem Geiſte, kennen, deſ- ſen mir erwieſene ungemeine Gefaͤlligkeit und Dienſt- fertigkeit ich zu ruͤhmen Urſache habe. Nicht ohne Bewunderung ſah ich hier die große Muͤnſterkirche, eines der praͤchtigſten gothiſchen Gebaͤude, das mir mit weit mehr Geſchmack, als das beruͤhmte Straß- burger Muͤnſter angelegt und aufgefuͤhrt ſchien. Die offene Halle vor dem Haupteingange hat wirklich wah- re Groͤße und Pracht: freylich weit von der edlen griechiſchen Einfalt und den feinen Verhaͤltniſſen der griechiſchen Baukunſt entfernt; aber auch nicht ſo ſehr,
wie
<TEI><text><body><divn="1"><divtype="diaryEntry"n="2"><p><pbfacs="#f0419"n="399"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">von Nizza nach Deutſchland.</hi></fw><lb/>ſenden Hoͤhen haben gute Aecker; und in dieſer Ge-<lb/>
gend wird viel Flachs gebaut.</p><lb/><p>Von der <hirendition="#fr">Donau</hi> an bis <hirendition="#fr">Ehingen</hi> geht der Weg<lb/>
uͤber einen breiten Kalkberg, auf dem viel rauhes<lb/>
Land iſt. Von <hirendition="#fr">Ehingen</hi> bis <hirendition="#fr">Ulm</hi> aber iſt er ſehr an-<lb/>
genehm. Man kommt uͤber Anhoͤhen, von denen<lb/>
man die Ausſicht uͤber die herrlichen Ebenen laͤngſt<lb/>
der Donau hat. So weit das Auge nur reichen<lb/>
kann, ſiehet man laͤngſt dieſes Fluſſes die fetteſten<lb/>
Wieſen und Aecker mit ſchoͤnen dazwiſchen liegenden<lb/>
Doͤrfern. Man glaubt bey dieſer herrlichen Ausſicht,<lb/>
die ſich auf etliche deutſche Meilen erſtreckt, die Frucht-<lb/>
barkeit des Landes und den Wohlſtand des Landmanns<lb/>
zugleich mit der Schoͤnheit zu empfinden. Mir ſchien<lb/>
es gleichſam von Fett triefend. Und ich glaube, daß<lb/>
wenig Laͤnder in Europa ſind, die dieſen weiten Ebe-<lb/>
nen an der Donau den Vorzug der Schoͤnheit und<lb/>
Fruchtbarkeit ſtreitig machen koͤnnen. Jn <hirendition="#fr">Ulm</hi> blieb<lb/>
ich bis auf den Mittag des folgenden Tages.</p><lb/><p>Hier lernte ich Hrn. <hirendition="#fr">Schubart,</hi> den Verfaſſer<lb/>
des Wochenblatts, die Chronik genannt, einen jun-<lb/>
gen Gelehrten von ſehr lebhaftem Geiſte, kennen, deſ-<lb/>ſen mir erwieſene ungemeine Gefaͤlligkeit und Dienſt-<lb/>
fertigkeit ich zu ruͤhmen Urſache habe. Nicht ohne<lb/>
Bewunderung ſah ich hier die große Muͤnſterkirche,<lb/>
eines der praͤchtigſten gothiſchen Gebaͤude, das mir<lb/>
mit weit mehr Geſchmack, als das beruͤhmte Straß-<lb/>
burger Muͤnſter angelegt und aufgefuͤhrt ſchien. Die<lb/>
offene Halle vor dem Haupteingange hat wirklich wah-<lb/>
re Groͤße und Pracht: freylich weit von der edlen<lb/>
griechiſchen Einfalt und den feinen Verhaͤltniſſen der<lb/>
griechiſchen Baukunſt entfernt; aber auch nicht ſo ſehr,<lb/><fwplace="bottom"type="catch">wie</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[399/0419]
von Nizza nach Deutſchland.
ſenden Hoͤhen haben gute Aecker; und in dieſer Ge-
gend wird viel Flachs gebaut.
Von der Donau an bis Ehingen geht der Weg
uͤber einen breiten Kalkberg, auf dem viel rauhes
Land iſt. Von Ehingen bis Ulm aber iſt er ſehr an-
genehm. Man kommt uͤber Anhoͤhen, von denen
man die Ausſicht uͤber die herrlichen Ebenen laͤngſt
der Donau hat. So weit das Auge nur reichen
kann, ſiehet man laͤngſt dieſes Fluſſes die fetteſten
Wieſen und Aecker mit ſchoͤnen dazwiſchen liegenden
Doͤrfern. Man glaubt bey dieſer herrlichen Ausſicht,
die ſich auf etliche deutſche Meilen erſtreckt, die Frucht-
barkeit des Landes und den Wohlſtand des Landmanns
zugleich mit der Schoͤnheit zu empfinden. Mir ſchien
es gleichſam von Fett triefend. Und ich glaube, daß
wenig Laͤnder in Europa ſind, die dieſen weiten Ebe-
nen an der Donau den Vorzug der Schoͤnheit und
Fruchtbarkeit ſtreitig machen koͤnnen. Jn Ulm blieb
ich bis auf den Mittag des folgenden Tages.
Hier lernte ich Hrn. Schubart, den Verfaſſer
des Wochenblatts, die Chronik genannt, einen jun-
gen Gelehrten von ſehr lebhaftem Geiſte, kennen, deſ-
ſen mir erwieſene ungemeine Gefaͤlligkeit und Dienſt-
fertigkeit ich zu ruͤhmen Urſache habe. Nicht ohne
Bewunderung ſah ich hier die große Muͤnſterkirche,
eines der praͤchtigſten gothiſchen Gebaͤude, das mir
mit weit mehr Geſchmack, als das beruͤhmte Straß-
burger Muͤnſter angelegt und aufgefuͤhrt ſchien. Die
offene Halle vor dem Haupteingange hat wirklich wah-
re Groͤße und Pracht: freylich weit von der edlen
griechiſchen Einfalt und den feinen Verhaͤltniſſen der
griechiſchen Baukunſt entfernt; aber auch nicht ſo ſehr,
wie
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780, S. 399. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780/419>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.