Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780.

Bild:
<< vorherige Seite

von Nizza nach Deutschland.
senden Höhen haben gute Aecker; und in dieser Ge-
gend wird viel Flachs gebaut.

Von der Donau an bis Ehingen geht der Weg
über einen breiten Kalkberg, auf dem viel rauhes
Land ist. Von Ehingen bis Ulm aber ist er sehr an-
genehm. Man kommt über Anhöhen, von denen
man die Aussicht über die herrlichen Ebenen längst
der Donau hat. So weit das Auge nur reichen
kann, siehet man längst dieses Flusses die fettesten
Wiesen und Aecker mit schönen dazwischen liegenden
Dörfern. Man glaubt bey dieser herrlichen Aussicht,
die sich auf etliche deutsche Meilen erstreckt, die Frucht-
barkeit des Landes und den Wohlstand des Landmanns
zugleich mit der Schönheit zu empfinden. Mir schien
es gleichsam von Fett triefend. Und ich glaube, daß
wenig Länder in Europa sind, die diesen weiten Ebe-
nen an der Donau den Vorzug der Schönheit und
Fruchtbarkeit streitig machen können. Jn Ulm blieb
ich bis auf den Mittag des folgenden Tages.

Hier lernte ich Hrn. Schubart, den Verfasser
des Wochenblatts, die Chronik genannt, einen jun-
gen Gelehrten von sehr lebhaftem Geiste, kennen, des-
sen mir erwiesene ungemeine Gefälligkeit und Dienst-
fertigkeit ich zu rühmen Ursache habe. Nicht ohne
Bewunderung sah ich hier die große Münsterkirche,
eines der prächtigsten gothischen Gebäude, das mir
mit weit mehr Geschmack, als das berühmte Straß-
burger Münster angelegt und aufgeführt schien. Die
offene Halle vor dem Haupteingange hat wirklich wah-
re Größe und Pracht: freylich weit von der edlen
griechischen Einfalt und den feinen Verhältnissen der
griechischen Baukunst entfernt; aber auch nicht so sehr,

wie

von Nizza nach Deutſchland.
ſenden Hoͤhen haben gute Aecker; und in dieſer Ge-
gend wird viel Flachs gebaut.

Von der Donau an bis Ehingen geht der Weg
uͤber einen breiten Kalkberg, auf dem viel rauhes
Land iſt. Von Ehingen bis Ulm aber iſt er ſehr an-
genehm. Man kommt uͤber Anhoͤhen, von denen
man die Ausſicht uͤber die herrlichen Ebenen laͤngſt
der Donau hat. So weit das Auge nur reichen
kann, ſiehet man laͤngſt dieſes Fluſſes die fetteſten
Wieſen und Aecker mit ſchoͤnen dazwiſchen liegenden
Doͤrfern. Man glaubt bey dieſer herrlichen Ausſicht,
die ſich auf etliche deutſche Meilen erſtreckt, die Frucht-
barkeit des Landes und den Wohlſtand des Landmanns
zugleich mit der Schoͤnheit zu empfinden. Mir ſchien
es gleichſam von Fett triefend. Und ich glaube, daß
wenig Laͤnder in Europa ſind, die dieſen weiten Ebe-
nen an der Donau den Vorzug der Schoͤnheit und
Fruchtbarkeit ſtreitig machen koͤnnen. Jn Ulm blieb
ich bis auf den Mittag des folgenden Tages.

Hier lernte ich Hrn. Schubart, den Verfaſſer
des Wochenblatts, die Chronik genannt, einen jun-
gen Gelehrten von ſehr lebhaftem Geiſte, kennen, deſ-
ſen mir erwieſene ungemeine Gefaͤlligkeit und Dienſt-
fertigkeit ich zu ruͤhmen Urſache habe. Nicht ohne
Bewunderung ſah ich hier die große Muͤnſterkirche,
eines der praͤchtigſten gothiſchen Gebaͤude, das mir
mit weit mehr Geſchmack, als das beruͤhmte Straß-
burger Muͤnſter angelegt und aufgefuͤhrt ſchien. Die
offene Halle vor dem Haupteingange hat wirklich wah-
re Groͤße und Pracht: freylich weit von der edlen
griechiſchen Einfalt und den feinen Verhaͤltniſſen der
griechiſchen Baukunſt entfernt; aber auch nicht ſo ſehr,

wie
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div type="diaryEntry" n="2">
          <p><pb facs="#f0419" n="399"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">von Nizza nach Deut&#x017F;chland.</hi></fw><lb/>
&#x017F;enden Ho&#x0364;hen haben gute Aecker; und in die&#x017F;er Ge-<lb/>
gend wird viel Flachs gebaut.</p><lb/>
          <p>Von der <hi rendition="#fr">Donau</hi> an bis <hi rendition="#fr">Ehingen</hi> geht der Weg<lb/>
u&#x0364;ber einen breiten Kalkberg, auf dem viel rauhes<lb/>
Land i&#x017F;t. Von <hi rendition="#fr">Ehingen</hi> bis <hi rendition="#fr">Ulm</hi> aber i&#x017F;t er &#x017F;ehr an-<lb/>
genehm. Man kommt u&#x0364;ber Anho&#x0364;hen, von denen<lb/>
man die Aus&#x017F;icht u&#x0364;ber die herrlichen Ebenen la&#x0364;ng&#x017F;t<lb/>
der Donau hat. So weit das Auge nur reichen<lb/>
kann, &#x017F;iehet man la&#x0364;ng&#x017F;t die&#x017F;es Flu&#x017F;&#x017F;es die fette&#x017F;ten<lb/>
Wie&#x017F;en und Aecker mit &#x017F;cho&#x0364;nen dazwi&#x017F;chen liegenden<lb/>
Do&#x0364;rfern. Man glaubt bey die&#x017F;er herrlichen Aus&#x017F;icht,<lb/>
die &#x017F;ich auf etliche deut&#x017F;che Meilen er&#x017F;treckt, die Frucht-<lb/>
barkeit des Landes und den Wohl&#x017F;tand des Landmanns<lb/>
zugleich mit der Scho&#x0364;nheit zu empfinden. Mir &#x017F;chien<lb/>
es gleich&#x017F;am von Fett triefend. Und ich glaube, daß<lb/>
wenig La&#x0364;nder in Europa &#x017F;ind, die die&#x017F;en weiten Ebe-<lb/>
nen an der Donau den Vorzug der Scho&#x0364;nheit und<lb/>
Fruchtbarkeit &#x017F;treitig machen ko&#x0364;nnen. Jn <hi rendition="#fr">Ulm</hi> blieb<lb/>
ich bis auf den Mittag des folgenden Tages.</p><lb/>
          <p>Hier lernte ich Hrn. <hi rendition="#fr">Schubart,</hi> den Verfa&#x017F;&#x017F;er<lb/>
des Wochenblatts, die Chronik genannt, einen jun-<lb/>
gen Gelehrten von &#x017F;ehr lebhaftem Gei&#x017F;te, kennen, de&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en mir erwie&#x017F;ene ungemeine Gefa&#x0364;lligkeit und Dien&#x017F;t-<lb/>
fertigkeit ich zu ru&#x0364;hmen Ur&#x017F;ache habe. Nicht ohne<lb/>
Bewunderung &#x017F;ah ich hier die große Mu&#x0364;n&#x017F;terkirche,<lb/>
eines der pra&#x0364;chtig&#x017F;ten gothi&#x017F;chen Geba&#x0364;ude, das mir<lb/>
mit weit mehr Ge&#x017F;chmack, als das beru&#x0364;hmte Straß-<lb/>
burger Mu&#x0364;n&#x017F;ter angelegt und aufgefu&#x0364;hrt &#x017F;chien. Die<lb/>
offene Halle vor dem Haupteingange hat wirklich wah-<lb/>
re Gro&#x0364;ße und Pracht: freylich weit von der edlen<lb/>
griechi&#x017F;chen Einfalt und den feinen Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;en der<lb/>
griechi&#x017F;chen Baukun&#x017F;t entfernt; aber auch nicht &#x017F;o &#x017F;ehr,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">wie</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[399/0419] von Nizza nach Deutſchland. ſenden Hoͤhen haben gute Aecker; und in dieſer Ge- gend wird viel Flachs gebaut. Von der Donau an bis Ehingen geht der Weg uͤber einen breiten Kalkberg, auf dem viel rauhes Land iſt. Von Ehingen bis Ulm aber iſt er ſehr an- genehm. Man kommt uͤber Anhoͤhen, von denen man die Ausſicht uͤber die herrlichen Ebenen laͤngſt der Donau hat. So weit das Auge nur reichen kann, ſiehet man laͤngſt dieſes Fluſſes die fetteſten Wieſen und Aecker mit ſchoͤnen dazwiſchen liegenden Doͤrfern. Man glaubt bey dieſer herrlichen Ausſicht, die ſich auf etliche deutſche Meilen erſtreckt, die Frucht- barkeit des Landes und den Wohlſtand des Landmanns zugleich mit der Schoͤnheit zu empfinden. Mir ſchien es gleichſam von Fett triefend. Und ich glaube, daß wenig Laͤnder in Europa ſind, die dieſen weiten Ebe- nen an der Donau den Vorzug der Schoͤnheit und Fruchtbarkeit ſtreitig machen koͤnnen. Jn Ulm blieb ich bis auf den Mittag des folgenden Tages. Hier lernte ich Hrn. Schubart, den Verfaſſer des Wochenblatts, die Chronik genannt, einen jun- gen Gelehrten von ſehr lebhaftem Geiſte, kennen, deſ- ſen mir erwieſene ungemeine Gefaͤlligkeit und Dienſt- fertigkeit ich zu ruͤhmen Urſache habe. Nicht ohne Bewunderung ſah ich hier die große Muͤnſterkirche, eines der praͤchtigſten gothiſchen Gebaͤude, das mir mit weit mehr Geſchmack, als das beruͤhmte Straß- burger Muͤnſter angelegt und aufgefuͤhrt ſchien. Die offene Halle vor dem Haupteingange hat wirklich wah- re Groͤße und Pracht: freylich weit von der edlen griechiſchen Einfalt und den feinen Verhaͤltniſſen der griechiſchen Baukunſt entfernt; aber auch nicht ſo ſehr, wie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780/419
Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780, S. 399. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780/419>, abgerufen am 04.05.2024.