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Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780.

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Tagebuch von der Rückreise
Von Schaf-
hausen nach
Singen.

Von Schafhausen bis Singen ist die erste
Reichspoststation. Das Land ist mittelmäßig, hat
wenig Weinbau, doch angenehme und große Dörfer,
abwechselnde Höhen und Tiefen, aber auch sehr viel
Waldung. Es ist einem, der aus der Lombardey
kommt, doch sehr auffallend, wenn er in Deutschland
noch so sehr viele dichte und schöne Wälder zu sehen be-
kommt. Jch vermuthe, daß dieser Anblick jedem in
Jtalien gebornen und erzogenen Menschen überaus be-
fremdend seyn müsse, und wundere mich daher gar
nicht, daß Tacitus Deutschland Regionem sylvis
horridam
genennt hat. Nach meiner Empfindung
aber tragen mäßige Waldungen nicht wenig zu der
Schönheit und Annehmlichkeit eines Landes bey. Aber
darüber wundere ich mich, daß man selbst in dem wald-
reichen Deutschland so oft über den einreissenden und
für die Zukunft noch mehr zu besorgenden Holzmangel
klagen hört. Diese Klagen würde ein Welscher
nicht ohne Lachen anhören können. Gewiß ist es, daß
in Jtalien ganze Provinzen sich blos mit dem Holze,
was in Deutschland, selbst da, wo es schon theuer ist,
weggeworfen wird, zur Feuerung behelfen würden.
Jch will zum Beweis dessen nur anführen, daß in ei-
ner so großen und volkreichen Stadt, als Meiland
ist, kein anderes Brennholz zu sehen ist, als Bündel
von ganz dünnen Reisern. Wie selten das stärkere
Holz sey, kann man daraus abnehmen, daß in jedem
Bündel zwey oder drey Stück gespaltenes Holz, etwa
einer halben Faust dick, eingebunden werden, um
ihm einiges Ansehen zu geben. Wüßte man in
Deutschland so wirthschaftlich mit dem Holze umzuge-
hen, daß kein Zweig, der nur so dick ist, als der Kiel

einer
Tagebuch von der Ruͤckreiſe
Von Schaf-
hauſen nach
Singen.

Von Schafhauſen bis Singen iſt die erſte
Reichspoſtſtation. Das Land iſt mittelmaͤßig, hat
wenig Weinbau, doch angenehme und große Doͤrfer,
abwechſelnde Hoͤhen und Tiefen, aber auch ſehr viel
Waldung. Es iſt einem, der aus der Lombardey
kommt, doch ſehr auffallend, wenn er in Deutſchland
noch ſo ſehr viele dichte und ſchoͤne Waͤlder zu ſehen be-
kommt. Jch vermuthe, daß dieſer Anblick jedem in
Jtalien gebornen und erzogenen Menſchen uͤberaus be-
fremdend ſeyn muͤſſe, und wundere mich daher gar
nicht, daß Tacitus Deutſchland Regionem ſylvis
horridam
genennt hat. Nach meiner Empfindung
aber tragen maͤßige Waldungen nicht wenig zu der
Schoͤnheit und Annehmlichkeit eines Landes bey. Aber
daruͤber wundere ich mich, daß man ſelbſt in dem wald-
reichen Deutſchland ſo oft uͤber den einreiſſenden und
fuͤr die Zukunft noch mehr zu beſorgenden Holzmangel
klagen hoͤrt. Dieſe Klagen wuͤrde ein Welſcher
nicht ohne Lachen anhoͤren koͤnnen. Gewiß iſt es, daß
in Jtalien ganze Provinzen ſich blos mit dem Holze,
was in Deutſchland, ſelbſt da, wo es ſchon theuer iſt,
weggeworfen wird, zur Feuerung behelfen wuͤrden.
Jch will zum Beweis deſſen nur anfuͤhren, daß in ei-
ner ſo großen und volkreichen Stadt, als Meiland
iſt, kein anderes Brennholz zu ſehen iſt, als Buͤndel
von ganz duͤnnen Reiſern. Wie ſelten das ſtaͤrkere
Holz ſey, kann man daraus abnehmen, daß in jedem
Buͤndel zwey oder drey Stuͤck geſpaltenes Holz, etwa
einer halben Fauſt dick, eingebunden werden, um
ihm einiges Anſehen zu geben. Wuͤßte man in
Deutſchland ſo wirthſchaftlich mit dem Holze umzuge-
hen, daß kein Zweig, der nur ſo dick iſt, als der Kiel

einer
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[396/0416] Tagebuch von der Ruͤckreiſe Von Schafhauſen bis Singen iſt die erſte Reichspoſtſtation. Das Land iſt mittelmaͤßig, hat wenig Weinbau, doch angenehme und große Doͤrfer, abwechſelnde Hoͤhen und Tiefen, aber auch ſehr viel Waldung. Es iſt einem, der aus der Lombardey kommt, doch ſehr auffallend, wenn er in Deutſchland noch ſo ſehr viele dichte und ſchoͤne Waͤlder zu ſehen be- kommt. Jch vermuthe, daß dieſer Anblick jedem in Jtalien gebornen und erzogenen Menſchen uͤberaus be- fremdend ſeyn muͤſſe, und wundere mich daher gar nicht, daß Tacitus Deutſchland Regionem ſylvis horridam genennt hat. Nach meiner Empfindung aber tragen maͤßige Waldungen nicht wenig zu der Schoͤnheit und Annehmlichkeit eines Landes bey. Aber daruͤber wundere ich mich, daß man ſelbſt in dem wald- reichen Deutſchland ſo oft uͤber den einreiſſenden und fuͤr die Zukunft noch mehr zu beſorgenden Holzmangel klagen hoͤrt. Dieſe Klagen wuͤrde ein Welſcher nicht ohne Lachen anhoͤren koͤnnen. Gewiß iſt es, daß in Jtalien ganze Provinzen ſich blos mit dem Holze, was in Deutſchland, ſelbſt da, wo es ſchon theuer iſt, weggeworfen wird, zur Feuerung behelfen wuͤrden. Jch will zum Beweis deſſen nur anfuͤhren, daß in ei- ner ſo großen und volkreichen Stadt, als Meiland iſt, kein anderes Brennholz zu ſehen iſt, als Buͤndel von ganz duͤnnen Reiſern. Wie ſelten das ſtaͤrkere Holz ſey, kann man daraus abnehmen, daß in jedem Buͤndel zwey oder drey Stuͤck geſpaltenes Holz, etwa einer halben Fauſt dick, eingebunden werden, um ihm einiges Anſehen zu geben. Wuͤßte man in Deutſchland ſo wirthſchaftlich mit dem Holze umzuge- hen, daß kein Zweig, der nur ſo dick iſt, als der Kiel einer

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780, S. 396. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780/416>, abgerufen am 04.05.2024.