terscheiden, oder die Kirche durch etwas Seltenes auszieren, oder in dem Schatze derselben eine seltene Kleinigkeit vorzeigen können, so ist dieses für diese al- ten Kinder ein wichtiger Triumpf über andere ihres gleichen. Einen Vorzug von dieser Art zu erhalten, ist die Hauptsorge vieler Mönche von der niedrigern Gattung. Denn von solchen spreche ich nur, weil ich wohl weiß, daß die klügern sich aus dergleichen Kin- dereyen nichts machen.
Da ich hier eben von Dingen spreche, die beson-Spazierfahr- ten zu Mei- land. ders auffallen, so will ich noch einer andern mir etwas sonderbar vorgekommenen Gewohnheit gedenken. Der Adel und überhaupt die reichern Einwohner von Mei- land, die Kutschen und Pferde halten, machen sich täglich gegen Abend den Zeitvertreib, stillsitzend zu spazieren. Man fährt nämlich in eine schöne breite und lange Straße il Corso, und auf den daran stos- senden hohen Wall, der noch von der ehemaligen Be- festigung übrig ist. So wie man da angekommen ist, halten die Kutschen in Reihen hintereinander still. Die darin sitzende Gesellschaft unterhält sich mit Gesprä- chen, oder man sieht sich nach andern zur Seite hal- tenden oder vorbeyfahrenden um, oder man genießt blos der frischen Abendluft in der Kutsche. Biswei- len läßt man sich Chocolade, oder Gefrornes, oder an- dere Erfrischungen in die Kutsche reichen. So hält manche Kutsche ein paar Stunden, ohne von der Stelle zu kommen. Die sich etwas mehr bemühen, halten eine Zeit lang in dem Corso; dann fahren sie auf den Wall, von dem man eine sehr schöne Aussicht hat, um auch da eine halbe Stunde zu halten; und endlich lassen sie sich auch auf die Piazza vor der
Dom-
Y 2
von Nizza nach Deutſchland.
terſcheiden, oder die Kirche durch etwas Seltenes auszieren, oder in dem Schatze derſelben eine ſeltene Kleinigkeit vorzeigen koͤnnen, ſo iſt dieſes fuͤr dieſe al- ten Kinder ein wichtiger Triumpf uͤber andere ihres gleichen. Einen Vorzug von dieſer Art zu erhalten, iſt die Hauptſorge vieler Moͤnche von der niedrigern Gattung. Denn von ſolchen ſpreche ich nur, weil ich wohl weiß, daß die kluͤgern ſich aus dergleichen Kin- dereyen nichts machen.
Da ich hier eben von Dingen ſpreche, die beſon-Spazierfahr- ten zu Mei- land. ders auffallen, ſo will ich noch einer andern mir etwas ſonderbar vorgekommenen Gewohnheit gedenken. Der Adel und uͤberhaupt die reichern Einwohner von Mei- land, die Kutſchen und Pferde halten, machen ſich taͤglich gegen Abend den Zeitvertreib, ſtillſitzend zu ſpazieren. Man faͤhrt naͤmlich in eine ſchoͤne breite und lange Straße il Corſo, und auf den daran ſtoſ- ſenden hohen Wall, der noch von der ehemaligen Be- feſtigung uͤbrig iſt. So wie man da angekommen iſt, halten die Kutſchen in Reihen hintereinander ſtill. Die darin ſitzende Geſellſchaft unterhaͤlt ſich mit Geſpraͤ- chen, oder man ſieht ſich nach andern zur Seite hal- tenden oder vorbeyfahrenden um, oder man genießt blos der friſchen Abendluft in der Kutſche. Biswei- len laͤßt man ſich Chocolade, oder Gefrornes, oder an- dere Erfriſchungen in die Kutſche reichen. So haͤlt manche Kutſche ein paar Stunden, ohne von der Stelle zu kommen. Die ſich etwas mehr bemuͤhen, halten eine Zeit lang in dem Corſo; dann fahren ſie auf den Wall, von dem man eine ſehr ſchoͤne Ausſicht hat, um auch da eine halbe Stunde zu halten; und endlich laſſen ſie ſich auch auf die Piazza vor der
Dom-
Y 2
<TEI><text><body><divn="1"><divtype="diaryEntry"n="2"><p><pbfacs="#f0359"n="339"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">von Nizza nach Deutſchland.</hi></fw><lb/>
terſcheiden, oder die Kirche durch etwas Seltenes<lb/>
auszieren, oder in dem Schatze derſelben eine ſeltene<lb/>
Kleinigkeit vorzeigen koͤnnen, ſo iſt dieſes fuͤr dieſe al-<lb/>
ten Kinder ein wichtiger Triumpf uͤber andere ihres<lb/>
gleichen. Einen Vorzug von dieſer Art zu erhalten,<lb/>
iſt die Hauptſorge vieler Moͤnche von der niedrigern<lb/>
Gattung. Denn von ſolchen ſpreche ich nur, weil ich<lb/>
wohl weiß, daß die kluͤgern ſich aus dergleichen Kin-<lb/>
dereyen nichts machen.</p><lb/><p>Da ich hier eben von Dingen ſpreche, die beſon-<noteplace="right">Spazierfahr-<lb/>
ten zu Mei-<lb/>
land.</note><lb/>
ders auffallen, ſo will ich noch einer andern mir etwas<lb/>ſonderbar vorgekommenen Gewohnheit gedenken. Der<lb/>
Adel und uͤberhaupt die reichern Einwohner von <hirendition="#fr">Mei-<lb/>
land,</hi> die Kutſchen und Pferde halten, machen ſich<lb/>
taͤglich gegen Abend den Zeitvertreib, ſtillſitzend zu<lb/>ſpazieren. Man faͤhrt naͤmlich in eine ſchoͤne breite<lb/>
und lange Straße <hirendition="#fr">il Corſo,</hi> und auf den daran ſtoſ-<lb/>ſenden hohen Wall, der noch von der ehemaligen Be-<lb/>
feſtigung uͤbrig iſt. So wie man da angekommen iſt,<lb/>
halten die Kutſchen in Reihen hintereinander ſtill. Die<lb/>
darin ſitzende Geſellſchaft unterhaͤlt ſich mit Geſpraͤ-<lb/>
chen, oder man ſieht ſich nach andern zur Seite hal-<lb/>
tenden oder vorbeyfahrenden um, oder man genießt<lb/>
blos der friſchen Abendluft in der Kutſche. Biswei-<lb/>
len laͤßt man ſich Chocolade, oder Gefrornes, oder an-<lb/>
dere Erfriſchungen in die Kutſche reichen. So haͤlt<lb/>
manche Kutſche ein paar Stunden, ohne von der<lb/>
Stelle zu kommen. Die ſich etwas mehr bemuͤhen,<lb/>
halten eine Zeit lang in dem <hirendition="#fr">Corſo;</hi> dann fahren ſie<lb/>
auf den Wall, von dem man eine ſehr ſchoͤne Ausſicht<lb/>
hat, um auch da eine halbe Stunde zu halten; und<lb/>
endlich laſſen ſie ſich auch auf die <hirendition="#fr">Piazza</hi> vor der<lb/><fwplace="bottom"type="sig">Y 2</fw><fwplace="bottom"type="catch">Dom-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[339/0359]
von Nizza nach Deutſchland.
terſcheiden, oder die Kirche durch etwas Seltenes
auszieren, oder in dem Schatze derſelben eine ſeltene
Kleinigkeit vorzeigen koͤnnen, ſo iſt dieſes fuͤr dieſe al-
ten Kinder ein wichtiger Triumpf uͤber andere ihres
gleichen. Einen Vorzug von dieſer Art zu erhalten,
iſt die Hauptſorge vieler Moͤnche von der niedrigern
Gattung. Denn von ſolchen ſpreche ich nur, weil ich
wohl weiß, daß die kluͤgern ſich aus dergleichen Kin-
dereyen nichts machen.
Da ich hier eben von Dingen ſpreche, die beſon-
ders auffallen, ſo will ich noch einer andern mir etwas
ſonderbar vorgekommenen Gewohnheit gedenken. Der
Adel und uͤberhaupt die reichern Einwohner von Mei-
land, die Kutſchen und Pferde halten, machen ſich
taͤglich gegen Abend den Zeitvertreib, ſtillſitzend zu
ſpazieren. Man faͤhrt naͤmlich in eine ſchoͤne breite
und lange Straße il Corſo, und auf den daran ſtoſ-
ſenden hohen Wall, der noch von der ehemaligen Be-
feſtigung uͤbrig iſt. So wie man da angekommen iſt,
halten die Kutſchen in Reihen hintereinander ſtill. Die
darin ſitzende Geſellſchaft unterhaͤlt ſich mit Geſpraͤ-
chen, oder man ſieht ſich nach andern zur Seite hal-
tenden oder vorbeyfahrenden um, oder man genießt
blos der friſchen Abendluft in der Kutſche. Biswei-
len laͤßt man ſich Chocolade, oder Gefrornes, oder an-
dere Erfriſchungen in die Kutſche reichen. So haͤlt
manche Kutſche ein paar Stunden, ohne von der
Stelle zu kommen. Die ſich etwas mehr bemuͤhen,
halten eine Zeit lang in dem Corſo; dann fahren ſie
auf den Wall, von dem man eine ſehr ſchoͤne Ausſicht
hat, um auch da eine halbe Stunde zu halten; und
endlich laſſen ſie ſich auch auf die Piazza vor der
Dom-
Spazierfahr-
ten zu Mei-
land.
Y 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780, S. 339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780/359>, abgerufen am 22.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.