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Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780.

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von Nizza nach Deutschland.
weit. Jn der Tiefe bey d läuft die Roja mit gros-
sem Geräusche. Jn einer Höhe von 10, 20 auch
wohl bis 50 Fuß über dem Wasser ist an dem Felsen
linker Hand bey c der Weg eingehauen, der insge-
mein von dem überhangenden Felsen bedeckt ist, wie
das Profil zeiget.

Hieraus kann man sich leicht die Vorstellung ma-
chen, daß dieser Weg fürchterlich aussieht. Das
wenige Tageslicht, das gewaltige Rauschen des
Stroms, und die über dem Kopf des Reisenden han-
genden und fast überall gespaltenen Felsen, die den
Einsturz drohen, machen ihn sehr melancholisch, ob
er gleich sonst gut gebahnt ist. An den Orten, wo die
Berge nicht so senkrecht stehen, und etwa so, wie in
der Figur die punktirten Linien anzeigen, aus einander
liegen, ist der Weg zwar weniger melancholisch, in
der That aber gefährlicher, weil die Berge aus weni-
ger festen Felsen bestehen, davon sich bisweilen große
Stücke losmachen und herunterstürzen. Ein solcher
Fall geschah etwa vier Wochen ehe ich diese Straße
bereiste, und ich traf den heruntergefallenen und ge-
rade auf dem Wege liegen gebliebenen Klumpen Fel-
sen noch da an. Man hatte noch nicht Zeit gehabt,
ihn zu sprengen und wegzuräumen, und nur vorläufig
etwas davon weggesprengt, um den dadurch verschüt-
teten Weg wieder in etwas zu öffnen.

Auf der Hälfte dieses traurigen Weges kommt
man an eine ganz oben auf und an dem Berge liegende
Burg Saorge oder Saorgio, die von unten herauf
einen ganz sonderbaren Anblick giebt. Man glaubt,
daß die Häuser an den steilen Felsen angehangen sind;
auch begreift man nicht, wie die dem Ansehen nach

senk-
S 4

von Nizza nach Deutſchland.
weit. Jn der Tiefe bey d laͤuft die Roja mit groſ-
ſem Geraͤuſche. Jn einer Hoͤhe von 10, 20 auch
wohl bis 50 Fuß uͤber dem Waſſer iſt an dem Felſen
linker Hand bey c der Weg eingehauen, der insge-
mein von dem uͤberhangenden Felſen bedeckt iſt, wie
das Profil zeiget.

Hieraus kann man ſich leicht die Vorſtellung ma-
chen, daß dieſer Weg fuͤrchterlich ausſieht. Das
wenige Tageslicht, das gewaltige Rauſchen des
Stroms, und die uͤber dem Kopf des Reiſenden han-
genden und faſt uͤberall geſpaltenen Felſen, die den
Einſturz drohen, machen ihn ſehr melancholiſch, ob
er gleich ſonſt gut gebahnt iſt. An den Orten, wo die
Berge nicht ſo ſenkrecht ſtehen, und etwa ſo, wie in
der Figur die punktirten Linien anzeigen, aus einander
liegen, iſt der Weg zwar weniger melancholiſch, in
der That aber gefaͤhrlicher, weil die Berge aus weni-
ger feſten Felſen beſtehen, davon ſich bisweilen große
Stuͤcke losmachen und herunterſtuͤrzen. Ein ſolcher
Fall geſchah etwa vier Wochen ehe ich dieſe Straße
bereiſte, und ich traf den heruntergefallenen und ge-
rade auf dem Wege liegen gebliebenen Klumpen Fel-
ſen noch da an. Man hatte noch nicht Zeit gehabt,
ihn zu ſprengen und wegzuraͤumen, und nur vorlaͤufig
etwas davon weggeſprengt, um den dadurch verſchuͤt-
teten Weg wieder in etwas zu oͤffnen.

Auf der Haͤlfte dieſes traurigen Weges kommt
man an eine ganz oben auf und an dem Berge liegende
Burg Saorge oder Saorgio, die von unten herauf
einen ganz ſonderbaren Anblick giebt. Man glaubt,
daß die Haͤuſer an den ſteilen Felſen angehangen ſind;
auch begreift man nicht, wie die dem Anſehen nach

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[279/0299] von Nizza nach Deutſchland. weit. Jn der Tiefe bey d laͤuft die Roja mit groſ- ſem Geraͤuſche. Jn einer Hoͤhe von 10, 20 auch wohl bis 50 Fuß uͤber dem Waſſer iſt an dem Felſen linker Hand bey c der Weg eingehauen, der insge- mein von dem uͤberhangenden Felſen bedeckt iſt, wie das Profil zeiget. Hieraus kann man ſich leicht die Vorſtellung ma- chen, daß dieſer Weg fuͤrchterlich ausſieht. Das wenige Tageslicht, das gewaltige Rauſchen des Stroms, und die uͤber dem Kopf des Reiſenden han- genden und faſt uͤberall geſpaltenen Felſen, die den Einſturz drohen, machen ihn ſehr melancholiſch, ob er gleich ſonſt gut gebahnt iſt. An den Orten, wo die Berge nicht ſo ſenkrecht ſtehen, und etwa ſo, wie in der Figur die punktirten Linien anzeigen, aus einander liegen, iſt der Weg zwar weniger melancholiſch, in der That aber gefaͤhrlicher, weil die Berge aus weni- ger feſten Felſen beſtehen, davon ſich bisweilen große Stuͤcke losmachen und herunterſtuͤrzen. Ein ſolcher Fall geſchah etwa vier Wochen ehe ich dieſe Straße bereiſte, und ich traf den heruntergefallenen und ge- rade auf dem Wege liegen gebliebenen Klumpen Fel- ſen noch da an. Man hatte noch nicht Zeit gehabt, ihn zu ſprengen und wegzuraͤumen, und nur vorlaͤufig etwas davon weggeſprengt, um den dadurch verſchuͤt- teten Weg wieder in etwas zu oͤffnen. Auf der Haͤlfte dieſes traurigen Weges kommt man an eine ganz oben auf und an dem Berge liegende Burg Saorge oder Saorgio, die von unten herauf einen ganz ſonderbaren Anblick giebt. Man glaubt, daß die Haͤuſer an den ſteilen Felſen angehangen ſind; auch begreift man nicht, wie die dem Anſehen nach ſenk- S 4

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780/299>, abgerufen am 24.11.2024.