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Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780.

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gethanen Reise.
bey Naumburg wächst, ist sehr schlecht; nicht blos
sauer, wie alle im nördlichen Deutschland wachsende
Weine, sondern noch überdem von ganz schlechtem
Geschmack. Dieses aber könnte wohl aus der schlech-
ten Zubereitung desselben und von sorgloser Aufbe-
wahrung herrühren.

Den 28 August setzte ich die Reise von Naum-Von Naum-
burg nach
Erfurt.

burg bis Erfurt fort.

Der Weg geht über Berge und durch schö-
ne fruchtbare Thäler; ist überhaupt angenehm,
wiewohl hier und da wegen der ziemlich steilen
Anhöhen beschwerlich. Eine Stunde von Naum-
burg
kommt man neben der Schulpforte, einer derSchulpforte.
ansehnlichsten Schulen in Deutschland, vorbey. Die
zu dieser Schule gehörigen Gebäude sind nebst ver-
schiedenen dabey liegenden Gärten, Wiesen und Ae-
ckern mit einer Mauer umgeben. Außerhalb der
Mauer ist das Land sehr angenehm, und hat schöne
Spaziergänge. Kann man also hier der Jugend ei-
nen Geschmack an den ländlichen Scenen der Natur
beybringen, so kann es ihr in den guten Jahrszeiten
an angenehmem Zeitvertreib in den Stunden der Er-
holung nicht fehlen. Angenehm war mir, als ich an
diesem Ort vorbey fuhr, die Vorstellung, daß Klop-
stok
seine ersten Jünglingsjahre hier zugebracht, und
auf diesen Spaziergängen seine Phantasie und Em-
pfindung allmählig zu dem hohen poetischen Schwung,
den wir in der Meßiade bewundern, gestimmt hat.

Es war mir auf diesem Wege doch auffallend,Geringe
Aerndte in
gutem Bo-
den.

daß des fürtrefflichen Bodens ungeachtet die Aerndte,
wie ich aus dem theils noch stehenden, theils abge-
mähten und noch auf den Feldern liegenden Korn ur-

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gethanen Reiſe.
bey Naumburg waͤchſt, iſt ſehr ſchlecht; nicht blos
ſauer, wie alle im noͤrdlichen Deutſchland wachſende
Weine, ſondern noch uͤberdem von ganz ſchlechtem
Geſchmack. Dieſes aber koͤnnte wohl aus der ſchlech-
ten Zubereitung deſſelben und von ſorgloſer Aufbe-
wahrung herruͤhren.

Den 28 Auguſt ſetzte ich die Reiſe von Naum-Von Naum-
burg nach
Erfurt.

burg bis Erfurt fort.

Der Weg geht uͤber Berge und durch ſchoͤ-
ne fruchtbare Thaͤler; iſt uͤberhaupt angenehm,
wiewohl hier und da wegen der ziemlich ſteilen
Anhoͤhen beſchwerlich. Eine Stunde von Naum-
burg
kommt man neben der Schulpforte, einer derSchulpforte.
anſehnlichſten Schulen in Deutſchland, vorbey. Die
zu dieſer Schule gehoͤrigen Gebaͤude ſind nebſt ver-
ſchiedenen dabey liegenden Gaͤrten, Wieſen und Ae-
ckern mit einer Mauer umgeben. Außerhalb der
Mauer iſt das Land ſehr angenehm, und hat ſchoͤne
Spaziergaͤnge. Kann man alſo hier der Jugend ei-
nen Geſchmack an den laͤndlichen Scenen der Natur
beybringen, ſo kann es ihr in den guten Jahrszeiten
an angenehmem Zeitvertreib in den Stunden der Er-
holung nicht fehlen. Angenehm war mir, als ich an
dieſem Ort vorbey fuhr, die Vorſtellung, daß Klop-
ſtok
ſeine erſten Juͤnglingsjahre hier zugebracht, und
auf dieſen Spaziergaͤngen ſeine Phantaſie und Em-
pfindung allmaͤhlig zu dem hohen poetiſchen Schwung,
den wir in der Meßiade bewundern, geſtimmt hat.

Es war mir auf dieſem Wege doch auffallend,Geringe
Aerndte in
gutem Bo-
den.

daß des fuͤrtrefflichen Bodens ungeachtet die Aerndte,
wie ich aus dem theils noch ſtehenden, theils abge-
maͤhten und noch auf den Feldern liegenden Korn ur-

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[9/0027] gethanen Reiſe. bey Naumburg waͤchſt, iſt ſehr ſchlecht; nicht blos ſauer, wie alle im noͤrdlichen Deutſchland wachſende Weine, ſondern noch uͤberdem von ganz ſchlechtem Geſchmack. Dieſes aber koͤnnte wohl aus der ſchlech- ten Zubereitung deſſelben und von ſorgloſer Aufbe- wahrung herruͤhren. Den 28 Auguſt ſetzte ich die Reiſe von Naum- burg bis Erfurt fort. Der Weg geht uͤber Berge und durch ſchoͤ- ne fruchtbare Thaͤler; iſt uͤberhaupt angenehm, wiewohl hier und da wegen der ziemlich ſteilen Anhoͤhen beſchwerlich. Eine Stunde von Naum- burg kommt man neben der Schulpforte, einer der anſehnlichſten Schulen in Deutſchland, vorbey. Die zu dieſer Schule gehoͤrigen Gebaͤude ſind nebſt ver- ſchiedenen dabey liegenden Gaͤrten, Wieſen und Ae- ckern mit einer Mauer umgeben. Außerhalb der Mauer iſt das Land ſehr angenehm, und hat ſchoͤne Spaziergaͤnge. Kann man alſo hier der Jugend ei- nen Geſchmack an den laͤndlichen Scenen der Natur beybringen, ſo kann es ihr in den guten Jahrszeiten an angenehmem Zeitvertreib in den Stunden der Er- holung nicht fehlen. Angenehm war mir, als ich an dieſem Ort vorbey fuhr, die Vorſtellung, daß Klop- ſtok ſeine erſten Juͤnglingsjahre hier zugebracht, und auf dieſen Spaziergaͤngen ſeine Phantaſie und Em- pfindung allmaͤhlig zu dem hohen poetiſchen Schwung, den wir in der Meßiade bewundern, geſtimmt hat. Schulpforte. Es war mir auf dieſem Wege doch auffallend, daß des fuͤrtrefflichen Bodens ungeachtet die Aerndte, wie ich aus dem theils noch ſtehenden, theils abge- maͤhten und noch auf den Feldern liegenden Korn ur- thei- Geringe Aerndte in gutem Bo- den. A 5

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780/27>, abgerufen am 28.03.2024.